Er lobte auf einer Pressekonferenz überschwänglich die Ruhe und Sicherheit in Moskau. "Von Moskau lernen, heißt siegen lernen", war das offensichtlich verbreitete Credo.
Sicherlich, Herr Trautvetter hat Recht, wenn er feststellte, in Moskau würden Straßenbahnfenster nicht zerkratzt. Aber um sich ein Bild über die dortige Sicherheitspolitik zu machen, reicht eben nicht ein Blick aus der Straßenbahn, sondern es lohnt sich, auch einen Blick in den Amnesty-Länderbericht zu werfen. Dort wird von Polizeiwillkür bis Folter, unhaltbaren Zuständen in den Vollzugsanstalten und strukturellen ethnischen Diskriminierungen durch die Sicherheitsbehörden berichtet. Am En
de ist da auch noch ein Krieg in Tschetschenien. Sind das nur sicherheitspolitische Kollateralschäden auf dem Weg zu Ordnung und Sauberkeit oder ist es das, was uns allen als sicherheitspolitische Doktrin empfohlen werden soll?
Ministerpräsident Althaus hat die Politik des Landes Thüringen und damit auch die Arbeit seines Innenministers gelobt, wie vorher seine Vorgänger die Arbeit der Vorgänger gelobt haben. In Thüringen wird eben so lange an den Innenministern festgehalten, bis das Fass nicht nur übergelaufen, sondern fortgeschwommen ist.
Wann und ob dieser Zeitpunkt für den derzeitig amtierenden Vorsitzenden der Innenministerkonferenz kommen wird, ist unbekannt. Unser Geschäft ist diese Spekulation nicht. Für uns ist klar: Die restriktive Thüringer Sicherheitspolitik, die Ränkespiele im Ministerium, die Serie von Vorkommnissen mit und bei der Thüringer Polizei haben systematische Ursachen, die sich mit einem Amtswechsel nicht beheben lassen. Gründe hierfür sind landesrechtliche Bestimmungen, die Bürger unter Generalverdacht stellen und aus der Polizei einen Kontrollund Überwachungsapparat machen wollen. Grund hierfür ist die Unmöglichkeit, den Geheimdienst parlamentarisch oder bürgerschaftlich zu kontrollieren. Grund hierfür ist die vollkommen unzureichende Innenrevision einer Behörde und ihrer nachgeordneten Institutionen. Da werden Kritik als Nestbeschmutzung und Kritiker als Sicherheitsrisiko betrachtet. Das werden wir hier und heute nicht ändern, da reicht auch kein Machtwort des Ministerpräsidenten, da braucht es am Ende das Machtwort des Stimmzettels.
Meine Damen und Herren, Thüringer Sicherheitspolitik offenbarte in den letzten Jahren auch jenseits der Handschrift des jeweiligen Ministers unübersehbare Kontinuitäten. Diese Kontinuitäten genau sind mit Ursachen für die Ergebnisse, die uns der Thüringen-Monitor heute präsentiert. Gemeinsam war der Politik in all den Jahren das Prinzip der Geheimhaltung. Gab es Fragen zur Arbeit der Thüringer Sicherheitsbehörden, war die Reaktion des Innenministers - egal, wie er gerade hieß: die Vorwürfe erst einmal ungeprüft bestreiten, belastendes Material beseitigen, Mitarbeiter einschüchtern und dann möglichst Schmutz auf die Fragesteller werfen. Da verschwinden Aktenordner aus Tresoren, Datenträger und ganze Rechner; da werden Mitarbeiter an der Aufarbeitung der Vorwürfe gehindert und Berichte vernichtet oder geschönt. Alle diese Vorgänge hat es gegeben, von Rotlicht- und V-Mann-Affäre bis hin zur falschen Überstundenabrech
nung. Aber nicht nur interne Probleme wurden in dieser Art behandelt. Die Datenschutzbeauftragte erhält zur Prüfung der Videoüberwachung in Weimar unzureichende Unterlagen und Bürgermeister, Landräte und Feuerwehren werden auch dann nicht informiert, wenn Ende März ein Castortransport durch Thüringen rollt. Wer vom Verfassungsschutz oder der Polizei beobachtet wird, wird davon in der Regel nie etwas erfahren. Geheimhaltungspolitik nennt das die Landesregierung; "unverantwortliche Festungsmentalität" und "bewusste Desinformation" sind die eigentlich richtigen Bezeichnungen dafür.
Und dann darf man sich nicht wundern, wenn Bürgerinnen und Bürger in ihren Haltungen Politik gegenüber entsprechend reagieren.
(Zwischenruf Abg. Dr. Pietzsch, CDU: Man darf sich nicht wundern, wenn Sie Politik und Politiker verleumden.)
Meine Damen und Herren, sehr geehrter Herr Dr. Pietzsch, auch beim Verfassungsschutz ließen sich die Innenminister nie in die Karten schauen. Zu keiner Zeit konnte man sie von ihrer unverbrüchlichen Treue zum Geheimdienst abbringen. Wie leicht man in den Fokus der Geheimbehörde kommen kann, haben wir als Fraktion und im Untersuchungsausschuss 3/3 erfahren müssen. Und in Karlsruhe haben wir alle erlebt, was geheimdienstliche Arbeit im rechtsextremen Spektrum anzurichten vermag. Der Vorsitzende der Internationalen Liga für Menschenrechte Dr. Gössner kommt in seiner umfassenden Abhandlung "Kriminelle im Dienste des Staates" zu folgenden Ergebnissen: "Im Laufe der Jahre ist ein regelrechtes Netzwerk aus Spitzeln und Agent Provocateurs in der Naziszene entstanden. V-Leute arbeiten auch in Thüringen in Führungspositionen von rechtsextremen Organisationen. V-Leute in neofaschistischen Zusammenhängen aber begehen fast zwangsläufig Straftaten, schieben sie an oder provozieren sie. Der Verfassungsschutz duldet oft genug kriminelle Handlungen seiner V-Leute stillschweigend, zeigt die Betreffenden nur selten bei der zuständigen Polizei an und schaltet sie auch dann nicht rechtzeitig ab, wenn sie aus dem Ruder laufen. Der Verfassungsschutz unterstützt über seine V-Leute vielfach Rassismus und Gewalttaten, Neonazistrukturen und rechtsextreme Aktivitäten sogar mit Staatsgeldern. Jeder parlamentarische Versuch, diese Umtriebe des Geheimdienstes in Thüringen abzustellen, schlugen fehl. Die Symbiose zwischen Verfassungsfeinden und Verfassungsschützern zu lösen, wird unter der Ägide der jetzigen Regierung nicht möglich sein."
Meine Damen und Herren, in Thüringen gibt es ein gravierendes Problem mit rassistischen, nationalistischen und antisemitischen Taten, Haltungen und Strukturen. Zwar gehen in der Statistik die Zahlen der politisch motivierten Straftaten zurück, aber es darf bezweifelt werden,
dass sich dieser Trend auch mit der Entwicklung der Dunkelziffern deckt. Neben dem im Verfassungsschutzbericht ausgewiesenen Zuwachs der gewaltbereiten Rechtsextremisten alarmiert besonders das Anwachsen der dahinter stehenden Haltung. Zur Verbreitung rechtsextremer und ausländerfeindlicher Einstellungen gibt es auch erneut im diesjährigen Thüringen-Monitor Auskünfte. Mehr als die Hälfte der befragten Thüringer stimmten Aussagen zu, nach denen die Bundesrepublik überfremdet sei, die Ausländer den Sozialstaat ausnutzen würden und deutsche Interessen mit Härte gegenüber dem Ausland durchgesetzt werden müssten. Rassistische und nationalistische Statements sind in dieser Gesellschaft inzwischen teilweise mehrheitsfähig geworden und daran hat auch herrschende Politik einen Anteil.
Erschreckend hoch mit 23,7 Prozent und seit 2001 kontinuierlich ansteigend ist der Anteil der Befragten, die ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild mit sich herumtragen. Fast 20 Prozent der Interviewten stimmten zudem der These zu, dass im nationalen Interesse eine Diktatur die bessere Staatsform sein könnte. Diese Meinungen, meine Damen und Herren, sind nicht randständig, jeder fünfte Befragte äußert sich in dieser Form. Es ist eben unzureichend und das ist der Vorwurf, der Thüringer Politik zu machen ist, einmal im Jahr das Augenmerk auf diese Probleme zu richten und den Rest des Jahres das Problem weitestgehend an den Verfassungsschutz und die Polizeibehörden zu delegieren.
Der Geheimdienst wird mit dem Abzählen der Teilnehmer bei rechtsextremen Aufmärschen und Skinheadkonzerten die strukturelle und die ideologische Basis der Neonazis auch nicht im Ansatz erkennen und bewerten können. Es wird sich auch weiterhin als ein Irrtum erweisen, mit V-Leuten die Szene durchleuchten und gar steuern zu können. Die Polizei ihrerseits kann lediglich mit repressiven Mitteln dort eingreifen, wo Straftaten begangen werden. Oftmals werden rechtsextreme ideologische und organisatorische Hintergründe zu spät oder gar nicht erkannt. Die Polizei kann oder will nicht eingreifen, wo Neonazis sich zunehmend im Schutz des privaten Raumes, das heißt in wohlbekannten nationalen Zentren, Wohnprojekten für stramme Kameraden, Läden zum Handeln mit Skinheadmusik oder NS-Devotionalien versammeln und vergnügen. Hier sind das Engagement der Bürgerschaft, Zivilcourage und kontinuierliche Auseinandersetzung gefragt, jenseits der Konjunkturen, mit denen das Thema immer wieder im Sommerloch einmal den Weg in die Medien findet.
Ein Konzept der Landesregierung für die Koordinierungsstelle Gewaltprävention z.B. ist es, einzelne Neonazis aus der rechten Gemeinschaft zu lösen. Mit welchem Erfolg dieses Herangehen gesegnet ist, zeigt das Scheitern der diversen Aussteigerprogramme. Zwar riefen viele Nazis an, um sich einen Spaß zu machen, ernsthafte Ausstiegswillige gab es aber kaum. Es gibt andere Ansätze, meine Damen und Herren, die den Weg nicht über eine Einzelfallbetreuung von Neonazis suchen. Sie wollen mitwirken in einer entschiedenen Auseinandersetzung mit rassistischen, nationalistischen und antisemitischen Ideologien, das gesellschaftliche Klima hin zur Entwicklung einer demokratischen, toleranten und bewusst vielfältigen Kultur zu verändern. Dieser Ansatz wird von der Landesregierung zwar proklamiert, aber praktisch nur ausgesprochen unzureichend geteilt. Er ist aber nach unserem Verständnis der einzige Weg für eine nachhaltige und wirksame Auseinandersetzung mit Rassismus und Rechtsextremismus. Solche Initiativen arbeiten tatsächlich in Thüringen schon, aber es sind nicht nur die "neuen ebenen", die wir unterstützen sollten, sondern auch das Netz der Beratungs- und Anlaufstellen von MOBIT und ABAD zum Beispiel.
Einen Paradigmenwechsel im Umgang mit rassistischen, nationalistischen und antisemitischen Statements müssen wir erreichen, aber das wird mit der Mehrheitsfraktion dieses Hauses vermutlich nur sehr schwer möglich sein, solange sie sich nicht eingesteht, dass die Hohmanns und Nietsches in Ihrer Partei eben nicht verirrte Einzeltäter sind, sondern Ergebnis einer Politik, die jahrelang den völkisch nationalistischen Rand, die so genannte Stahlhelmfraktion, integrierte. Sie lässt immer wieder zu, dass sich CDU-Politiker, auch in Thüringen, in diversen Debattierklubs und Thinktanks der extremen Rechten tummeln.
Es war schon eine Frage, aber der Herr Abgeordnete Hahnemann hat gesagt, dass er sie erst am Ende beantworten will.
Ja. Sehr geehrte Damen und Herren, nicht nur die wachsende Zustimmung zu den diversen Versatzstücken der rechtsextremen Ideologie muss erschrecken. Der diesjährige Thüringen-Monitor gibt Auskunft darüber, in welchem Umfang Thüringer Bürgerinnen und Bürger das politische System der parlamentarischen Demokratie und ihrer Organe unterstützen und wie deren Zufriedenheit mit der demokratischen Praxis im Land ausfällt. Zwischen Anspruch aber und Wirklichkeit klafft in Thüringen ein gewaltiger Riss. 80 Prozent der Bevölkerung stimmen der Demokratie als Staatsidee zu und nur 37,3 Prozent zeigen sich mit dem zufrieden, wie diese Demokratie in der Praxis funktioniert. In den letzten Jahren hat sich dieser Trend von Jahr zu Jahr verstärkt. Nur noch 33,5 Prozent der Befragten können als zufriedene Demokraten bezeichnet werden. Dagegen sind 45,6 Prozent äußerst unzufrieden mit dem praktischen Erscheinungsbild der Demokratie. Auch der Anteil der Nichtdemokraten ist auf nunmehr 20,9 Prozent gewachsen. Darunter befinden sich immerhin 8,4 Prozent bekennende Antidemokraten. Diese Entwicklung ist nicht mehr mit dem Bild der feinen Risse - und da scheinen wir ja übereinzustimmen, Herr Althaus - zu beschreiben. Wir haben es mit Erosionen zu tun. Diese Erosionen werden aber nicht durch höhere Gewalten ausgelöst, da machen wir uns doch nichts vor. Wie auch die meisten Erosionen in der Natur sind sie hausgemacht. Dafür spricht die Tatsache, dass Demokratieskepsis und -ablehnung einhergehen mit einer grundsätzlichen Kritik an Politik, Politikern und Parteien, Desinteresse und mangelnde Informiertheit sind dafür nicht die Gründe. Auch das zeigt der Monitor. Die Thüringerinnen und Thüringer sind nach diesen Untersuchungen überdurchschnittlich interessiert an Politik und sie sind informiert. Sie bedienen sich regelmäßig der verschiedensten Informationsquellen, wie regionaler Zeitungen und öffentlich-rechtlicher Medien. Aber im Zentrum des Demokratieverständnisses der Befragten steht die Auffassung, dass eine Demokratie dann eigent
lich keine Demokratie sei, wenn sie große soziale Ungleichheit zulässt. So erklärt sich auch, warum gerade sozial Benachteiligte mit geringer formaler Bildung und noch geringeren Chancen auf soziale Sicherheit die größte Gruppe unter den Demokratieskeptikern und -gegnern ausmachen. Und mit der Zerstörung des Sozialstaats, dem auch in der alten Bundesrepublik eine wichtige Funktion beim Ringen um Unterstützung der Bevölkerung für das politische System zukam, wird die Demokratiezufriedenheit weiter sinken. Die Monitor-Studie kommt weiter zu dem Ergebnis, dass rechtsstaatliche Prinzipien von den Thüringern kaum bis nicht geschätzt werden. Das ist ein Ergebnis, das ebenfalls in Sorge versetzt, wenn nämlich das Gleichheits- gegenüber dem Freiheits- und Rechtsstaatsdenken überwiegt. Was Thüringer Bürgerinnen und Bürger aber eigentlich zu dieser Haltung treibt, ist das berechtigte Verlangen nach sozialer Gerechtigkeit. Die Frage muss erlaubt sein: Warum wollen wir uns eigentlich wundern, dass das hohe Gut der Rechtsstaatlichkeit von der Bevölkerung so gering geachtet wird? Der gleichzeitige politische und mediale vorherrschende Diskurs geht doch genau in diese Richtung. Es gibt kaum ein Grundrecht, das von neoliberaler Verwertungsideologie oder innenpolitischer wie außenpolitischer Aufrüstung nicht zur Disposition gestellt wird.
Gering geachtet werden laut der vorliegenden Untersuchung auch Pluralismus und Minderheitenschutz. Auch hier liegt das Meinungsbild der Bevölkerung ganz nah an dem Bild der herrschenden Politik. Die Befragten stimmen mit 60 Prozent der Aussage zu, die Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Interessengruppen in unserer Gesellschaft schaden dem Allgemeinwohl. Sie kritisieren damit eigentlich ein Grundprinzip demokratischer Meinungsbildung. Hier besteht ein enger Zusammenhang zu aktuellen Erscheinungen in der politischen Diskussion. Die ständigen Hin und Her, Auf und Ab, Hinüber und Herüber, jeder gegen jeden erleben die Bürgerinnen und Bürger zunächst als etwas, das mit ihnen nichts zu tun hat, das die Probleme nicht löst. Wenn die Resultate dessen dann aber bei ihnen ankommen, ist es ein Effekt oben gegen unten. Die Bürgerinnen und Bürger bezahlen nicht nur dieses "ständig eine neue Sau durchs Dorf treiben", sie leiden darunter und sie merken, es richtet sich auch praktisch gegen sie.
Herrschende Politik betreibt einerseits unverhüllten Lobbyismus, andererseits wird Interessenvertretung zugunsten eines gemeinsamen Volkswillens diskreditiert. So werden zum Beispiel Gewerkschaften zum Hort der Restauration erklärt. Genauso, meine Damen und Herren, ramponiert die politische Klasse, an der Spitze Ihre Partei- und Fraktionseliten, ein demokratiekonstituierendes Prinzip, das dem Ausgleich unterschiedlicher Interessen dient. Diese Beispiele mögen genügen um deutlich zu machen, dass Politik, die selbst Rechtsstaatlichkeit, Pluralismus und sozialen Ausgleich gering achtet, einen
maßgeblichen Anteil hat an der Verbreitung und Verfestigung von Ansichten, die letztlich die Basis der Demokratie zum Wanken bringen.
Die separierte Betrachtung der Familie als Möglichkeit dem entgegenzutreten, verkennt im Übrigen einen wichtigen Umstand: In den Familien als Teile der Gesellschaft finden sich die bedenklichen Grundhaltungen ebenso wie in allen anderen Bereichen.
Diese Gesellschaft hat enorme Schwierigkeiten mit rechtsextremistischen Straftaten. Aber die eigentlichen Schwierigkeiten hat diese Gesellschaft mit rassistischen, nationalistischen und antisemitischen Haltungen. Sie finden sich nicht am Rand, sondern in der Mitte der Gesellschaft. Sie werden ganz maßgeblich miterzeugt