Die Landesregierung hat im Dezember 2002 das Verfahren zur Prüfung von Thüringer Rechts- und Verwaltungsvorschriften beschlossen. Diese unabhängige Stabsstelle Verwaltungsvereinfachung/Entbürokratisierung arbeitet. Über die Ergebnisse wurde berichtet; diese werden in der schriftlich angekündigten Information auch nachlesbar sein. Sie sind im Übrigen, Herr Kollege Lippmann, gerade in Kleinen Anfragen Ihrer Kollegen hier auch schon nachlesbar. Ich erinnere vielleicht an die Antworten auf die Anfragen von Herrn Kollegen Pohl und Gentzel. Dort stand ja schon zum damaligen Zeitpunkt drin: Zwei Drittel der bestehenden Vorschriften sind außer Kraft gesetzt worden. Das ist sogar mit einer Liste noch bei Herrn Dittes belegt worden, welche da außer Kraft gesetzt worden sind.
Ich denke, es wäre ja wohl eine Zumutung, wenn Sie den Minister verdonnern wollten, die Liste hier vorzutragen. Das ist, glaube ich, mit einer globalen Aussage dieser Qualität erledigt worden. Alle in Thüringen geltenden Verwaltungsvorschriften wurden durch die Stabsstelle in einem zeitlich gestuften Verfahren unter den Gesichtspunkten der Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit, Kostenwirksamkeit und Vollzugseignung überprüft. Vorschriften, die im Zuge dieser Überprüfung nicht ausdrücklich bestätigt werden, treten außer Kraft. Ziel ist die Erstellung eines Thüringer Gültigkeitsverzeichnisses für Verwaltungsvorschriften, das erstmalig, Herr Lippmann, zum Stichtag 1. Januar 2004 - das war aber auch schon allen bekannt - herausgegeben wird und zukünftig jeweils jährlich aktualisiert wird. In dieser Positivliste werden alle gültigen Thüringer Verwaltungsvorschriften genannt - also die gültigen, Herr Kollege Lippmann, werden genannt. Neben den Verwaltungsvorschriften überprüft die Stabsstelle auch neue Entwürfe von Gesetzen und Rechtsverordnungen. Zukünftig sollen
sowohl Verwaltungsvorschriften als auch Gesetze und Rechtsverordnungen in der Regel zeitlich befristet und nur ausnahmsweise unbefristet gelten. Wie schon vorgetragen, haben im Frühjahr dieses Jahres die Thüringer Industrieund Handelskammern, die Handwerkskammern sowie weitere Thüringer Verbände und einzelne Unternehmen dem Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Infrastruktur umfangreiche Papiere mit Vorschlägen und Forderungen zur Entbürokratisierung und Deregulierung zukommen lassen. Diese wurden durch das Ministerium zu einer Gesamtliste aufbereitet und der Vorgang wird von der Clearingstelle betreut. Die praxisnahen Vorschläge aus der Wirtschaft sind ein wertvolles Hilfsmittel für Landesregierung und Landtag, den Weg zur weiteren Entbürokratisierung und Deregulierung entscheidend voranzubringen.
Worunter die Wirtschaft und die Eigeninitiative besonders leiden, ist die Dichte der Einzelregelungen. Viel gut Gemeintes und für sich betrachtet Sinnvolles kann in der Summe schädlich sein. Ein zu dichtes Sicherheitsnetz an Regelungen beschneidet die Freiheit für Innovation, Dynamik und Wachstum. Das deutsche Regulierungsdickicht und damit verbunden die steigende Staatsquote sind auch Folge davon, dass das Bedürfnis des Einzelnen nach Schutz und Absicherung durch den Staat stetig gewachsen ist. Der Staat soll nicht nur die Schwächsten und Bedürftigen absichern, sondern die ganze Bevölkerung. Viele Bürger erwarten vom Staat eine Reaktion auf neue Risiken und Gefahren, ich nenne nur Stichworte wie SARS, Rinderwahnsinn, Nahrungsmittelskandale und Hochwasser- und Flutkatastrophen. Politik und Staat reagieren hier auf Ansprüche und Bedürfnisse der Bürger mit weiteren Regelungen und nicht selten mit einer Ausweitung der Administration. Lange Zeit glaubte man in Deutschland, mit immer ausgefeilteren, immer detaillierteren Vorschriften mehr Gerechtigkeit, Sicherheit und Stabilität zu schaffen. Doch wir sind über das Ziel hinaus geschossen. Man überschätzt den Staat und unterschätzt den Bürger. In der Abkehr vom Subsidiaritätsprinzip einer dynamischen und kraftvollen Gesellschaft wächst die so genannte deutsche Krankheit: zu viel Regulierung von oben, zu wenig sich selbst regulierende Marktkräfte von unten. Aus dem Rechtsstaat wurde ein Rechtswegestaat, ein labyrinthischer Irrgarten der Behörden und Instanzen. Das Regelungsdickicht lähmt unternehmerisches Handeln. Der Glaube, jedes einzelne Problem mit einem Gesetz regeln zu müssen, ist ein deutscher Irrglaube. Was einst als Schutz des Einzelnen und des Gemeinwohls vor den Gefahren der Industrialisierung gedacht war, ist zunehmend in Überregulierung und Bürokratie erstarrt und damit zur Belastung für die Wirtschaft geworden, insbesondere von kleinen und mittleren Unternehmen. Es sind gerade diese Unternehmen, die in Thüringen die Unternehmenslandschaft prägen. Es ist daher wichtiges politisches Ziel, Bürokratie abzubauen, um unsere Unternehmen und damit den Standort zu stärken und über eine funktionstüchtige Wirtschaft die Geißel der Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Das
ehrgeizige Ziel meiner Fraktion lautet massiver Abbau von Bürokratiekosten und von Bürokratiezeiten. Wir sehen die Verwaltung als wichtigen Standortfaktor für Thüringen. Es trifft sich, meine Damen und Herren, zu diesem Augenblick gerade gut, dass die Untersuchung des Instituts für Mittelstandsforschung in Bonn "Bürokratiekosten kleiner und mittlerer Unternehmen" veröffentlicht worden ist. Diese Untersuchung ist im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit erstellt worden. Ich will mit Blick auf die Zeit die Passage, die die Inhalte dieser Untersuchung bekannt machen sollte, weglassen. Ich kann es Ihnen also nur empfehlen, weil dort sehr nachdrücklich und gut aufgelistet ist, wie diese Bürokratie Unternehmen belastet und wie das auch kostenmäßig einzuschätzen ist. Ich denke, eine Zahl sollte uns aber nachdenklich stimmen, dass die Hochrechnung aus den Befragungsergebnissen dieser Untersuchung des Instituts zu einem Wert von 46 Mio. und dass diese Untersuchung zum zweiten Mal durchgeführt wurde, vom selben Institut 1994 erstellt wurde und dass mit dem Vergleich von 1994 auf heute immerhin dies ein Plus von 50 Prozent ist, wie also Bürokratiekosten angestiegen sind. Was uns an sich klar ist, aber was man hier nachlesen kann, dass 84 Prozent dieser Gesamtkosten insbesondere auf kleine und mittlere Unternehmen entfallen. Im Übrigen gibt es im Bundestag aufgrund dieser Untersuchung eine Anfrage, wo die Bundesregierung befragt wird, welche Schlüsse sie denn aus diesen Befragungsergebnissen ziehen wird. Ich finde diese Anfrage recht nett, weil sie zumindest in sieben Fragen denselben Inhalt hat. Ich will mal eine zitieren: "Wie wirken sich nach der Studie die Veränderungen des Kündigungsschutzgesetzes auf die Belastungsempfindungen" - also Bürokratiebelastungen - "der Unternehmen aus?" Das geht dann weiter: Betriebsverfassungsschutzgesetz, Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverhältnisse. Ich bin also sehr gespannt auf die Antwort der Bundesregierung auf diese Anfrage hinsichtlich der von ihr in Auftrag gegebenen Untersuchung "Bürokratiekosten kleiner und mittlerer Unternehmen".
Ich will es hier nur kurz andeuten, auch wenn Sie es, Herr Kollege Lippmann, nur ungern hören, dass aber auf Bundesebene in den letzten vier Jahren 400 Gesetze und fast 1.000 Rechtsverordnungen neu dazu gekommen sind. Damit ist das, was Herr Minister Reinholz hier sagte, sehr wohl auch mit Zahlen belegbar, dass Rotgrün für noch mehr Regulierung steht und für noch mehr Bürokratie. Wenn Sie das stört, werde ich es dennoch tun, ich nenne Ihnen diese Stichworte: Betriebsverfassungsgesetz, Scheinselbständigengesetz, Teilzeitbefristungsgesetz sowie die Riester-Rente mit ihren bürokratischen Regeln. Das ist, glaube ich, unnötige Bürokratie, die der deutschen Wirtschaft die Luft abdrückt. Ich will sagen, dass unnötige Bürokratie eine Form der Enteignung von Arbeitszeit, Kapital und Lebensleistung der Menschen ist.
Ich habe vorhin gesagt, dass auch in Thüringen sich in kurzer Zeit Verwaltung mit erheblichem Ausmaß eta
bliert hat. Diese funktionierende Verwaltung war nach der Wiedervereinigung für eine funktionstüchtige Wirtschaft wichtig, aber es ist auch in Thüringen die Regelungsdichte und die Zahl der Behörden zu überprüfen. Das muss erfolgen nach dem Motto "So viel Freiheit wie möglich, so viel Staat wie nötig". Es bedeutet zugleich, dass Deregulierung und Entbürokratisierung eine Daueraufgabe ist. Die wichtigen Ziele will ich hier noch mal benennen: Überschaubare, verständliche Vorschriften, die nur das wirklich Wichtige regeln; schnelle und transparente Entscheidungswege und ausgeprägte Serviceorientierung der öffentlichen Verwaltungen. Ich erspare mir jetzt die vom Minister benannten Felder, wo wir Handlungsbedarf auch mit den entsprechenden Dingen untersetzt haben. Ich will sagen, und das ist ein Anspruch an uns auch, an das Parlament, dass wir uns auch vornehmen müssen, dass wir bei der Reduzierung unnötiger Bürokratie auch eine konsequente Folgenabschätzung in der Gesetzgebung vornehmen müssen. Es muss die betriebswirtschaftlichen und die volkswirtschaftlichen Bürokratiekosten für Bürger und Wirtschaft quantifizieren und vor den neuen Gesetzen muss deren Nutzen abgewogen werden. Neue Regelungen dürfen nur noch ergehen, wenn sie im Lichte eines konsequent angewandten Subsidiaritätsprinzips unerlässlich sind, und die Gesetze sollen befristet werden und Experimentierklauseln sollten weiter eingesetzt werden. Also, das Prinzip muss lauten: Neue Regelungen ja, falls wirklich nötig, aber ein klares Nein zu einer immer höheren Regelungsdichte. Wir sehen gegenwärtig nicht, dass ähnliche Anstrengungen zum Bürokratieabbau wie in Thüringen auch auf Bundesebene und Europaebene unternommen werden. Für die Umsetzung unserer Vorhaben brauchen wir aber diese Kooperation mit Bund und Europa. Es ist hier der Masterplan für Bürokratieabbau benannt worden. Ich kann mich entsinnen, dass ich bei der letzten Debatte zu diesem Thema auch das Verfahren etwas als merkwürdig gekennzeichnet habe. Dieser Masterplan ist von der Bundesregierung seit Beginn des Jahres mit großem publizistischen Getöse in Gang gesetzt, aber der Motor stottert und der Treibstoff geht aus, wie man so schön sagt, denn von den 54 Einzelprojekten sind bis heute gerade mal 4 Projekte umgesetzt worden, meine Damen und Herren. Wie hier gesagt wurde, 85 Prozent der Vorschläge der Wirtschaft betreffen die Bundespolitik. Deshalb sollte die Landesregierung mit zahlreichen Vorschlägen als Bundesratsinitiativen auch die Dinge einbringen, dass hier Abhilfe geschaffen wird. Meine eigene Erfahrung ist, dass Beschäftigung mit Bürokratieabbau auch neue Bürokratie, neues Papier erzeugt - ich habe also mindestens drei, vier Hefter. Das erinnert mich an einen Artikel, den ich dieser Tage gelesen habe von einer japanischen Pflanze in Kalifornien, die alles überwuchert.
Ich beantrage für meine Fraktion die Überweisung des Berichts an den Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Strukturpolitik zur weiteren Beratung und zur weiteren Beschäftigung mit der Materie, unter anderem auch mit den Dingen, die der Wirtschaftsminister in Aussicht gestellt hat. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin, verehrte Damen und Herren, ich bin ja fast durch meine Fraktion genötigt worden, einiges zu sagen. Herr Minister, ich habe mich bei Ihrer Rede, bei Ihrem Eingangsstatement, den ersten Sätzen gefragt: Warum bedankt sich der Minister, hier reden zu dürfen das waren Ihre Eingangssätze -, obwohl in dem Beschluss des Landtags steht: Die Landesregierung wird aufgefordert, über die Ergebnisse usw. usw. zu berichten? Sie haben sich bedankt, das glaube ich, weil Sie darin eine Aufforderung gesehen haben, "Top Thüringen" darzustellen, nach Berlin mit dem Finger zu zeigen auf die schlechten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und gleichzeitig den Fleiß der Behörde aufzuzeigen, Herr Innenminister. In diesem Sinne, glaube ich, ist der Beschluss Punkt 1 dieses Beschlusses - Kollege Ramelow hat in einem vorangegangenen Tagesordnungspunkt dazu schon gesprochen - als deklatorisch im Beschluss des Thüringer Landtags auf der Grundlage der heutigen Berichterstattung auch erfolgt, heißt es, der Landtag begrüßt die Initiative der Landesregierung zur Deregulierung von Gesetzen und Vorschriften. Bekanntlich wurde nicht die Prüfung und Deregulierung von Gesetzen und Vorschriften schlechthin begrüßt, in dem Sinne kann ich auch nichts mit einer Deregulierungsquote von 56 Prozent anfangen, ich jedenfalls nicht, aber in der Verwaltung ist man da sicherlich hellhörig. Der Landtag hat in dem Beschluss das Ziel, auf das die Deregulierung gerichtet ist, formuliert, nämlich, ich darf zitieren: "Arbeitsplatz schaffende Investitionen werden oder sollen so weiter beschleunigt und erleichtert werden." Nun ist Herr Kretschmer gespannt auf die Bundesstudie oder die Umsetzung und Ergebnisse. Ich war gespannt heute vom Wirtschaftsminister zu erfahren das Konzept für mehr Wirtschaftlichkeit, wie Sie es nennen, in der Ostthüringer Zeitung vom 22. Oktober. Ich habe aber eine Aufzählung gehört, wie fleißig man ist, dass 85 Prozent der Vorschläge Bundesrecht berühren, dass man soundsoviel machen muss dort und soundsoviel machen muss dort. Ich vermisse dieses Konzept, nämlich aus dem Konzept leitet sich ja auch der Punkt 2 des Beschlusses des Thüringer Landtags möglicherweise ab, nämlich der Landtag richtet die Bitte an die Landesregierung, die entsprechenden Deregulierungsvorschläge in Landesgesetze einzubringen und da wie bekanntlich alles Landesgesetze sind, auch in Bundesratsinitiativen einzubringen. Dazu bedarf es einer gesetzgeberischen Initiative, wie es in diesem Beschluss heißt. Wir haben auch erfahren, dass es 300 Vorschläge aus dem Bereich Wirtschaftsverbände der Unternehmen gibt. Auch da ist es ungefähr so, dass eine große Anzahl - sicherlich auch 85 Prozent - sich auf Bundesrecht beziehen. Sie sind auf den Inhalt dieser
Vorschläge hier eingegangen. Also, wie gesagt, ich habe gehört, Herr Minister, dass es einen Entwurf eines so genannten Konzepts für mehr Wirtschaftsfreundlichkeit geben soll, das den Verbänden und Unternehmen, vor allen Dingen den Verbänden, zur Begutachtung vorgelegt worden ist oder zugestellt worden ist, mit der Bitte sich zu äußern, ob ihre gemachten Vorschläge, also die 300, halbwegs vernünftig aufgenommen worden sind oder nicht. Ich hatte gedacht, wir bekommen heute dieses Konzept hier mündlich vorgestellt, weil alle Versuche, diesem Konzeptschriftstück habhaft zu werden - das gebe ich gern zu -, meinerseits gescheitert sind. Ich hätte heute gern eine umfassendere und detailliertere Diskussion und Bewertung dazu geführt, Herr Kollege Kretschmer, aber wir werden sehen. Von den Wirtschaftsverbänden wissen wir oder weiß ich, dass viele ihrer Vorschläge im Konzept Berücksichtigung fanden, das wurde mir bestätigt, und deshalb im Großen und Ganzen Zustimmung signalisiert wurde. Leider wurden wir als Abgeordnete nicht in diesen Diskussionsprozess mit einbezogen, sei es, wie es sei. Vielleicht will man auch erst den zweiten Kabinettsdurchlauf abwarten und vorher nichts herausdringen lassen. Es bleibt abzuwarten, ob die Sicht über den Rahmen der heutigen Berichterstattung, wie wir sie erlebt haben, hinausgeht, noch erfolgen wird. Auf alle Fälle bin ich und ist die Fraktion der PDS gespannt auf die Gesetzesinitiativen, die die Landesregierung hier im Landtag bzw. auch im Bundestag ergreifen will. Ich bedanke mich.
Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Es war Fortberatung im Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Strukturpolitik beantragt. Dann stimmen wir über diese Weiterberatung ab. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. Danke. Gegenstimmen? Nicht der Fall. Enthaltungen? Auch nicht - doch, eine Enthaltung. Jawohl, nicht übersehen. Dann jedenfalls so beschlossen und die Weiterberatung findet dann im entsprechenden Ausschuss statt.
Bericht der Parlamentarischen Kontrollkommission gemäß § 19 Abs. 6 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes
Es handelt sich dabei um einen mündlichen Bericht, den der Vorsitzende der Parlamentarischen Kontrollkommission uns gibt, das ist unser Kollege Eckehard Kölbel. Bitte, Herr Abgeordneter Kölbel.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, Bericht der Parlamentarischen Kontrollkommission: § 19 Abs. 6 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes bestimmt, dass die Parlamentarische Kontrollkommission dem Landtag alle zwei Jahre einen Bericht über ihre bisherige Kontrolltätigkeit erstattet. Dabei ist dem Grundsatz der Geheimhaltung der Sitzungen der Kontrollkommission Rechnung zu tragen, auch wenn dies nach der erfolgten Novellierung im Jahr 2002 nicht mehr durchgängig gilt. Gemäß § 18 Abs. 3 Satz 3 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes gilt die Geheimhaltung nicht mehr für die Bewertung aktueller Vorgänge, wenn eine Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission ihre vorherige Zustimmung erteilt; die Veröffentlichung und Bewertung nimmt Tatsachen und Vorgänge nicht vom Geheimhaltungsgebot aus. Diese neue Regelung hat die Kommission auch im Berichtszeitraum genutzt. Die erste Berichterstattung über die Tätigkeit der Parlamentarischen Kontrollkommission in der 3. Wahlperiode erfolgte in der 54. Plenarsitzung am 14. Dezember 2001. In diesem Bericht wurden bereits ausführlich Bemerkungen zur Konstituierung, Zusammensetzung und Arbeitsweise der Parlamentarischen Kontrollkommission gemacht. Darüber hinausgehende Veränderungen gab es nicht. Ich kann daher an die Ergebnisse des ersten Berichts anknüpfen.
Zu der Anzahl der Sitzungen und Gegenstände der Untersuchungen: Seit Beginn des Jahres 2002 ist die Parlamentarische Kontrollkommission zu weiteren sieben Sitzungen in geheimer Beratung zusammengekommen, so dass die Gesamtzahl der durchgeführten Sitzungen der Parlamentarischen Kontrollkommission während der 3. Wahlperiode bis zum heutigen Tag 27 beträgt. Eine der Sitzungen fand als Vor-Ort-Termin im Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz statt. Ich bedaure an dieser Stelle nochmals ausdrücklich, dass die PDS-Fraktion den ihr in der Parlamentarischen Kontrollkommission zustehenden Sitz und damit eine noch effektivere Kontrolle des Thüringer Verfassungsschutzes nicht wahrnimmt.
In allen durchgeführten Sitzungen unterrichtete das Thüringer Innenministerium die Kommission gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes über die allgemeine Tätigkeit des Landesamts für Verfassungsschutz sowie über Vorgänge von besonderer Bedeutung. Darüber hinaus berichtete das Thüringer Innenministerium gemäß § 19 Abs. 1 Satz 2 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes zu konkreten Themen aus dem Aufgabenbereich des Thüringer Landesamts für Verfas
Im Berichtszeitraum hat sich die Parlamentarische Kontrollkommission ausführlich mit folgenden Sachverhalten beschäftigt: einmal personelle Umbesetzung im Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz; jährliche Unterrichtung der Landesregierung gemäß § 35 Abs. 5 Polizeiaufgabengesetz über die polizeilichen Maßnahmen der verdeckten Wohnraumüberwachung zum Zwecke der Gefahrenabwehr; Medienberichte über angeblich gereinigte und veränderte Vorlagen des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz zur Berichterstattung für die Parlamentarische Kontrollkommission. Hierzu hat die Parlamentarische Kontrollkommission am 13. Februar 2002 eine mit allen Mitgliedern der Kommission abgestimmte Presseinformation abgegeben. Dann weiter: Stand des NPD-Verbotsverfahrens aus Thüringer Sicht; Presseveröffentlichungen über einen Vermerk des Präsidenten a.D. des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz, Dr. Roewer, an das Thüringer Innenministerium betreffend den Abgeordneten des Thüringer Landtags, Herrn Dittes; neue Befugnisse der Parlamentarischen Kontrollkommission durch das Thüringer Gesetz zur Änderung des Polizei- und Sicherheitsrechts; Presseveröffentlichung über die Speicherung von Daten des Abgeordneten Ramelow durch das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz und die in diesem Zusammenhang erhobenen Vorwürfe; Bericht über die Entwicklung der Skinhead-Konzerte in Thüringen; Presseveröffentlichung über vermeintliche Beobachtungen von Abgeordneten durch das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz; Berichterstattung über den dem Landesamt für Verfassungsschutz mit Gesetz vom 20. Juni 2002 übertragenen Aufgabenbereich der Beobachtung von Bestrebungen und Tätigkeiten der organisierten Kriminalität. Feststellbar ist, danach arbeitet die im Landesamt in diesem übertragenen Bereich gebildete Gruppe bereits sehr erfolgreich.
Folgende weitere Themen bildeten bei den Beratungsgegenständen der Parlamentarischen Kontrollkommission den Schwerpunkt zum politischen Extremismus allgemein: Politische Extremisten versuchen ihre Ziele mit Gewalt durchzusetzen. Sie wollen unseren Rechtsstaat durch politische Systeme ersetzen, indem eine kleine Minderheit über die Mehrheit die Macht ausübt. Grundrechte wie Freiheit, Gleichheit vor dem Gesetz und freie Wahlen werden nicht akzeptiert. Die Anschläge vom 11. September 2001 haben gezeigt, dass unsere Demokratie nicht nur von Rechts- bzw. Linksextremisten aus dem eigenen Land bedroht wird. Die schrecklichen Ereignisse haben belegt, wie groß die Gefahr ist, die vom islamistischen Extremismus ausgeht.
Auch in den Jahren 2002 und 2003 wurden von islamistischen Terrorgruppen Attentate verübt. Die Gefahren, die vom politischen Extremismus ausgehen, fordern unsere Gesellschaft heraus. Mit dem "Programm für mehr Sicherheit in Thüringen" hat die Regierung des Freistaats Thüringen auf diese gewachsene Bedrohung reagiert.
Zum Rechtsextremismus: Einen Schwerpunkt für den Thüringer Verfassungsschutz stellte unverändert die Beobachtung rechtsextremistischer Organisationen dar. Das Kernstück rechtsextremistischer Erscheinungs- und Ausdrucksformen sind aggressive, menschenverachtende Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, rassistische Sichtweisen, Abwertung anderer Nationen, Betonung des Rechts des Stärkeren, Ablehnung demokratischer Regelungsformen von Konflikten, Übertragung militärischer Prinzipien und Verhaltensformen auf die zivile Gesellschaft, um nur einige zu nennen.
Auch in den vergangenen Jahren entwickelten Rechtsextremisten vielfältige Aktivitäten gegen unseren Rechtsstaat. Ein ernst zu nehmendes Problem gibt es hauptsächlich in der jugendlichen Gewaltszene. Häufige Auseinandersetzungen bei Kundgebungen, Demonstrationen und Aufmärschen zwischen rechts- und linksextremistischen Jugendlichen bildeten ein Spezifikum. Eine nicht unbedeutende Rolle spielte die so genannte Skinhaed-Szene. Skinhaed-Konzerte bildeten entscheidende Elemente, um die Szene zusammenzuhalten. Sie sind ein wichtiges Kommunikations- und Werbemittel für die Verbreitung rassistischen und neonazistischen Gedankenguts. Die von aufhetzenden Texten geprägte Musik transportiert nicht nur eine aggressive Stimmung, sondern auch eine fremdenfeindliche und den Nationalsozialismus verherrlichende Weltanschauung. Besonders in den Städten Erfurt, Eisenach, Nordhausen, Gera, Jena und Saalfeld gab es diesbezüglich Aktivitäten. Eine Reihe derartiger Konzerte konnte durch das schnelle und konsequente Handeln der Polizei im Vorfeld verhindert bzw. konnte dann recht bald aufgelöst werden. Im Hinblick auf die mittlerweile durch den Bundesminister verbotene ehemalige Skinhaed-Gruppierung "Blood and Honour" ist festzustellen, dass keine Erkenntnisse über eine etwaige Nachfolgeorganisation im Bereich Thüringen vorliegen. Unter den moderneren Kommunikationsmedien kommt vor allen Dingen dem Internet eine besondere Bedeutung zu. Nutzer des Internets werden weltweit schnell mit Informationen zu geplanten Veranstaltungen, Kampagnen, Schulungen ect. versorgt. Es dient als aktuelle Plattform für Werbung und Handel mit Musik, Literatur und anderen Szene-Utensilien. Weitere Dienste des Internets dienen zur individuellen Kommunikation. Häufig werden Informationen als so genannte Rundschreiben per E-Mail versandt. Nicht zuletzt wird dadurch ein Gefühl von Gemeinschaftssinn erzeugt, der eine Art von Zusammenhalt, Stärke und Macht suggeriert.
Dass die Rechtsextremisten im Allgemeinen jedoch weiter an Anziehungskraft verloren haben, wird besonders daran deutlich, dass in Thüringen die Anzahl der Personen, die rechtsextremistischen Parteien angehören, in der Berichtsperiode erneut zurückgegangen ist.
Die Entwicklung wird an folgender Übersicht deutlich: Kommen wir zur NPD. Hier hatten wir im Jahr 2000 260 Mitglieder, 2001 200 und 2002 150. Bei der DVU waren im Jahr 2000 200 Mitglieder, 2001 ebenfalls, 2002 150 Mitglieder zu verzeichnen, bei den Republikanern im Jahr 2000 190, im Jahr 2001 170 und 2002 140. Bei den subkulturell geprägten und sonstigen Rechtsextremisten waren es im Jahr 2000 750, 2001 ebenfalls und im Jahr 2002 880, davon Skinhaeds im Jahr 2000 350, 2001 ebenfalls und im Jahr 2002 380. Im Bereich der politisch motivierten Kriminalität im rechtsextremistischen Spektrum ist insgesamt ein Rückgang von 1.846 Fällen im Jahr 2000, auf 1.313 Fällen im Jahr 2001 und im Jahr 2002 auf 913 Fälle festzustellen.
Eine Übersicht der einzelnen Delikte, die vor einem extremistischen Hintergrund begangen wurden, zeigt folgende Gegenüberstellung: Im Jahre 2000 waren bei Propagandadelikten 1.504 Fälle, im Jahre 2002 745, bei Landfriedensbruch im Jahre 2000 12, im Jahre 2002 6, bei Volksverhetzung im Jahre 2000 142, im Jahre 2002 82, bei Körperverletzung im Jahre 2000 78, im Jahre 2002 41 und bei Sachbeschädigung im Jahre 2000 29, 2002 12, bei Sonstigen im Jahre 2000 39, im Jahre 2002 27 zu verzeichnen.
Wie die Übersicht zeigt, ist ein deutlicher Rückgang bei den Propagandadelikten, vorwiegend Hakenkreuzschmierereien, zu verzeichnen. Auch die fremdenfeindlichen und antisemitischen Straftaten, welche sich auf die unterschiedlichen Delikte verteilen, sind zurückgegangen.
Zum Linksextremismus: Das in sich breit gefächerte Spektrum des Linksextremismus vertritt Positionen, die im Einzelnen ideologisch erheblich voneinander abweichen. Die unterschiedlichen Anschauungen gründen sich auf die Theorien von Marx, Engels, Lenin, Stalin, Trotzki oder auch Mao Tse-tung. In jedem Fall wollen sie die bestehenden parlamentarisch-demokratischen Verhältnisse beseitigen und durch Strukturen ersetzen, die ihre jeweiligen Vorstellungen widerspiegeln.
Den marxistisch-leninistischen Parteien und Organisationen, die sich in Thüringen betätigen, gelang es nicht, ihre Mitglieder zu erhöhen, obwohl sie sich bemühten besonders jüngere Menschen zu gewinnen. Die Mitgliederzahlen linksextremistischer Parteien bzw. Gruppierungen haben sich im Jahre 2002 sogar teilweise geringfügig verringert.
Das zeigt folgende Übersicht: Bei der Kommunistischen Plattform im Jahre 2000 von 120 im Jahr 2002 auf 100, bei der DKP blieb es bei 50 Mitgliedern in beiden Jahren, ebenfalls bei der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands, ebenfalls in beiden Jahren 50, bei der KPD nur wenig Mitglieder, auch hier ist es etwa so geblieben und bei den so genannten Autonomen rechnet man sowohl im Jahr 2000 wie im Jahre 2002 zwischen 300 und 350 Mitglieder.
Im Bereich der politisch motivierten Kriminalität im linksextremistischen Spektrum haben sich bei den Straftaten im Jahre 2002 von 39 zu 2001 von 41 und 2000 zu 35 keine nennenswerten Veränderungen ergeben. Die einzelnen Delikte, die der Gewaltkriminalität zugerechnet werden, sind hauptsächlich Körperverletzungen, Sachbeschädigungen, Landfriedensbruch und Brandstiftung. Etwa 200 Anhänger und Sympathisanten marxistisch-leninistischer Parteien und Organisationen, die die Auffassung vertreten, revolutionäre Gewalt sei zur Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse notwendig, sind dem linksextremistischen Spektrum zuzurechnen. Als Anlaufpunkt für die Szene und Interessenten dienen die so genannten Infoläden. Regionale Schwerpunkte der Thüringer linksextremistischen Szene sind besonders die Städte Erfurt und Jena; aber auch in Eisenach, Gera, Meiningen, Suhl, Zella-Mehlis, Nordhausen und Weimar sind vor allem so genannte Autonome aktiv. Zur Agitation und Kommunikation verwenden die Linksextremisten in zunehmendem Maße moderne Kommunikationsmittel wie z.B. das Internet. Die marxistisch-leninistischen Parteien und Organisationen sind fast ausnahmslos im Internet auch vertreten.
Zum Ausländerextremismus: Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz beschäftigt sich nach wie vor auch mit extremistischen Aktivitäten und Strukturen der in Thüringen lebenden Ausländer. Das Zusammenleben mit den in Thüringen lebenden etwa 45.000 ausländischen Mitbürgern gestaltet sich überwiegend friedlich und konfliktfrei. Die Zahl der Ausländer, die dem Extremismus zuneigen, beläuft sich lediglich auf etwa 100. Das ist im Verhältnis zu anderen Bundesländern sehr gering. Grund dafür ist der geringe Anteil von Ausländern an der Bevölkerung in Thüringen von etwa 2 Prozent sowie die spezifische Zusammensetzung hinsichtlich ihrer Nationalitäten.
Auch im Jahre 2002 waren in Thüringen extremistische Organisationen von Ausländern nur schwach vertreten. Nur der Freiheits- und Demokratiekongress Kurdistan KADEK genannt -, die Nachfolgeorganisation der PKK, verfügt über gefestigte Strukturen. Insbesondere Erfurt ist fest in diese Strukturen der PKK in Deutschland eingebunden. Zu den Aktivitäten zählen Protestaktionen, die darauf gerichtet sind, in den jeweiligen Heimatländern Veränderungen der politischen Verhältnisse herbeizuführen, aber auch die Bundesrepublik Deutschland bzw. Thüringen mit entsprechenden Aktionen unter Druck zu setzen.
Im Zusammenhang mit den schrecklichen Ereignissen des 11. September 2001 in New York rückten islamistische Bestrebungen in Deutschland, vor allen Dingen solche, die der Unterstützung des arabischen Terrorismus dienen, ins Blickfeld. In Thüringen haben sich bisher keine Hinweise auf Personen ergeben, die dem Bereich der agierenden Terrorgruppen zugeordnet werden können. Zur Koordinierung der ggf. zu ergreifenden Maßnahmen besteht seit September 2001 eine Koordinierungsstelle Terrorismus. Dieser Koordinierungsstelle gehören Vertreter des Landeskriminalamts, des Landesverwaltungsamts, der Generalstaatsanwaltschaft, der Polizeidirektion Erfurt und des Landesamts für Verfassungsschutz an.
Zu weiteren Beratungsgegenständen: Bestandteile der Berichterstattung der Landesregierung waren nach wie vor die Bereiche Scientology-Organisation, organisierte Kriminalität, Spionageabwehr sowie fortwirkende Strukturen des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit der DDR.
Die Scientology-Organisation macht sich die tragischen Ereignisse am Erfurter Gutenberg-Gymnasium zunutze, indem so genannte ehrenamtliche Geistliche vorwiegend auf Plätzen mit größeren Menschenansammlungen, so z.B. vor dem Gutenberg-Gymnasium selbst, den Trauernden Gespräche zur Bewältigung der schwierigen Situation anboten, um damit erste Kontakte für eine eventuelle Zusammenarbeit aufzunehmen. Darüber hinaus beschränken sich die Aktivitäten der Scientology-Organisation auf den Vertrieb von so genannten Werbematerialien, wie z.B. Zeitschriften, Büchern und Magazinen. Auch im Internet wirbt die Scientology-Organisation auf mehrsprachigen Seiten um Mitglieder.