Bildung für alle oder - anders - für die Kinder in Tagespflege nicht? Die Frage muss man natürlich hier stellen. Wenn gestern davon gesprochen worden ist, Standards zu senken, dann frage ich mich, in welchem Ministerbereich passiert denn das. Reden wir doch wieder beim Standardsenken über das Waschbeckenverrücken oder reden wir über Gruppenstrukturen, die dann im Kita-Bereich zu finden sind? Ja, es geht eindeutig nicht klar hervor.
Lassen Sie mich aber noch zum Ausbau der Tagespflege ein paar Worte verlieren: Natürlich spricht man mit dem Ausbau des Tageseinrichtungsausbaugesetzes - das ist nun mal so ein komisches Wort der Bundesregierung - vom Ausbau der Tagespflege. Aber, meine Damen und Herren, auf welcher Grundlage denn? Nämlich auf der Grundlage des Nichtvorhandenseins von Angeboten unter 3 Jahren in den alten Bundesländern. Wir wollen uns doch in Thüringen nicht zurückentwickeln.
Nicht dass wir uns falsch verstehen: Ich halte das Angebot der Tagespflege als ergänzendes Angebot für richtig und wichtig, aber wir sprechen auch hier von Bildung. In der Tagespflege ist keine Ausbildung für Tagesmütter, schon gar nicht eine pädagogische notwendig. Vielleicht war ja das auch der Grund für die Trennung. Der Stundensatz für eine Tagesmutter inklusive des Aufwands für die Versorgung - und das muss man einmal sagen - liegt derzeit bei rund 2,56 dert deshalb nicht, dass die Bereitschaft, Tagesmutter zu werden, nicht sehr hoch ist. Ich glaube nicht nur, ich weiß sogar, dass diese Entwicklung, die Sie einschlagen wollen, falsch ist.
1. Ihr Konzept trifft keine Aussagen, wie die beiden sich völlig unterschiedlich entwickelnden Bildungseinrichtungen zusammengeführt werden sollen. In der Praxis, mit dem Papier allein und dem Aufschreiben ist das, glaube ich, nicht gemacht. Es enthält eben keine Aussagen,
2. Die kleinsten Kinder, und das ist nachgewiesen, erhalten momentan die schlechteste Pro-KopfFörderung im Bildungssystem. Ihr Konzept sagt nicht, dass sich dieser Zustand ändern soll. Da Ihr Konzept wenige klare Aussagen genau dazu trifft und nach gestern, noch mal auf das Absenken von Standards zurückzukommen, ist das vielleicht auch nicht verwunderlich.
3. Ich weiß, dass Sie sich an dem Bildungsplan des Landes Brandenburg orientieren wollen. Ich will - mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin - einmal aus diesem Plan aus der Einleitung zitieren: "Kinder beginnen
von Geburt an, sich aktiv ein Bild von der Welt zu machen. Sie nutzen dafür alle ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und finden vielfältige Ausdrucksweisen." Also, auch in Brandenburg geht man von Bildung ab 0 Jahre aus. Auf diese Weise ergänzen und unterstützen die Einrichtungen der Kindertagesbetreuung die Erziehung in der Familie und ermöglichen den Kindern Erfahrungen über den Familienrahmen hinaus.
4. Sie sagen, die Kindertageseinrichtungen sind Einrichtungen für Betreuung und Bildung, ich denke aber auch, gerade für Erziehung, Erziehung als Voraussetzung für Bildung. Ich möchte Ihnen einmal aus einer - mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin - Einrichtung einen Erziehungsauftrag, den eine Kindertagesstätte für sich formuliert hat, vorlesen, woraus klar ersichtlich ist, dass gerade auch dieser Erziehungsauftrag als Voraussetzung für Bildung unheimlich wichtig ist. Der Erziehungsauftrag lautet: "Kinder werden heute mit vielen Erlebnissen, Ereignissen und Geschehnissen konfrontiert. Unsere Aufgabe besteht darin, den Kindern Verarbeitungshilfen anzubieten. Nur durch diese Verarbeitung ist es möglich, dass Kinder ihr gegenwärtiges Leben gefühlsmäßig begreifen und verstehen und somit weit gehend selbstbewusst, frei von Belastungen in die Zukunft gehen können. Das ist für ihre Entwicklung, Bildungsentwicklung sehr notwendig."
Ich komme zum 5. Punkt: Wenn Kommunen als Jugendhilfe- und Schulträger gebündelte Verantwortung für Elementar- und Primärbereich bekommen und die zentralistische staatliche Schulaufsicht auf ein unerlässliches Minimum zurückgeführt wird, hätten wir vielleicht irgendwann einmal nur ein einziges, alle Bildungsbereiche zusammenfassendes, integriertes Bildungssystem, das dem Anspruch des letzten Kinder- und Jugendberichts nach mehr öffentlicher Verantwortung für das Aufwachsen der Kinder gerecht wird. Dafür haben wir, und das haben Sie gesagt, in Thüringen ausgezeichnete Voraussetzungen, auch im Kindertagesstättenbereich. Danke.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, genau vor einem Monat beglückte uns der Kultusminister gemeinsam mit dem Ministerpräsidenten - vielleicht nach dem Motto "Wer die Suppe einbrockt, der sollte sie bitte auch mit auslöffeln" - mit dem so genannten Konzept "Bildung und Betreuung von 2 bis 16". Angekündigt war das Papier als Wundermittel der Landesregierung. Nach seiner Analyse wurde aber schnell klar, dieses Schriftstück ist ein bildungspolitisches Placebo ersten Ranges.
Ich komme gleich drauf, Kollege Emde, hören Sie gut zu. Mehr noch, es soll nachträglich massive Einschnitte im Bereich Bildung und Betreuung legitimieren. Von einer Verbesserung der Bildungs- und Betreuungsqualität kann jedoch keine Rede sein. Aufgrund seiner inhaltlichen Oberflächlichkeit und begrifflichen Unschärfe verdient dieses Schriftstück nicht einmal den Namen "Konzept".
Ein Drittel, meine Damen und Herren, ist eine reine Ist-Analyse der gegenwärtigen Situation der Bildung und Betreuung sowie eine Darstellung der Rechtsgrundlagen. Der laut Landesregierung zentrale Ansatz des Papiers, den wir auch uneingeschränkt unterstützen, nämlich die Verbesserung der institutionell übergreifenden Zusammenarbeit bei Bildung und Betreuung, wird dort als reiner Wunschzustand proklamiert. Das, was ein solides Konzept wirklich ausmacht, nämlich konkrete Umsetzungsvorschläge, sucht man vergebens. Und damit nicht genug: Das Papier liefert nicht einmal im Ansatz eine nachvollziehbare Begründung für die beabsichtigte Kommunalisierung des Grundschulhortes, Herr Minister. Was hier geboten wird, ich sage es noch einmal: ein reines Abbaukonzept,
das nachträglich die ohnehin geplante Abschiebung der Horterzieher aus dem Landesdienst legitimieren soll.
Meine Damen und Herren, wie alles andere ist auch dieser eigentliche Kernpunkt des Papiers rhetorisch in einem Wortschwall nebulöser und somit vielseitig interpretierbarer Begrifflichkeiten verpackt wie etwa Kooperation, Ganzheitlichkeit und Vielfalt - der Mi
nister hat ihnen das gerade zelebriert. Ich kann die Thüringer Eltern, Lehrer und Horterzieher, aber auch die kommunalen Träger nur davor warnen, sich von einem derart wohlklingenden Getöse einlullen zu lassen.
Meine Damen und Herren, um es noch einmal deutlich zu betonen: Es geht hier eindeutig um ein Abbaukonzept, das dazu dienen soll, die pädagogische Einheit von Grundschule und Schulhort zu zerschlagen. Das Land will sich schrittweise aus der Finanzierung der Erzieherstellen zurückziehen und wer aufmerksam im Wortnebel des Kultuspapiers stochert, findet dafür genügend Belege. So ist zwar die Rede davon, die Finanzierung der Bildung und Betreuung von 2 bis 16 solle auf Basis der Haushaltsansätze für 2005 erfolgen. Gleichzeitig heißt es aber auch, man werde sich Möglichkeiten einer Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen offen halten. Was das bei dieser Landesregierung bedeutet, dürfte jedem klar sein.
Meine Damen und Herren, problematisch ist auch die geplante Abschiebung der Schuljugendarbeit auf die kommunale Ebene. Die Schule verliert damit an Einfluss auf die konkrete inhaltliche Ausgestaltung dieses Programms. Projekte der Schuljugendarbeit werden künftig mit anderen Projekten der Jugendarbeit in den Kommunen konkurrieren müssen. Verschärft wird die Situation noch durch die verminderten Zuweisungen an Landesmitteln, der Haushalt hat es ja gestern klargestellt und das heißt eindeutig: Verlust an Qualität und Beschneidung der Eigenverantwortung der einzelnen Schulen.
Insofern ist Ihre Ausführung, Herr Minister, dass die Verantwortung vor Ort wächst, einfach nicht wahr. Bisher ist ja die Schulsozialarbeit in kommunaler Verantwortung. Sie kann ja über die Jugendpauschale gefördert werden. Allerdings kam bisher sehr wenig an den Schulen an. Mit der Zusammenlegung von Schuljugendarbeit und Jugendpauschale auf der Basis der Richtlinie Jugendpauschale, wie das Konzept ja beschrieben hat, droht auch der Schuljugendarbeit das gleiche Schicksal.
Meine Damen und Herren, völlig unzureichend sind in diesem Papier auch die Aussagen zur Finanzierung. Der angestrebte Finanzierungspakt mit den Kommunen ist weder langfristig angelegt noch ist eine Sicherheit über Zuwendungshöhe gegeben. Ein solcher Pakt erinnert mich an das Volksbuch von Dr. Faustus, dessen Weg nach Annahme des ihm gemachten freundlichen Angebots ohne Gnade unbarmherzig geradewegs zur Hölle führte. Es ließen
sich noch eine Reihe Bereiche nennen, in denen das Papier den bildungspolitischen Erfordernissen in keiner Weise gerecht wird. So reduziert das Land seinen Eigenanspruch an die Ausgestaltung der offenen Ganztagsschule auf eine tägliche Bildungsund Betreuungsdauer von sieben Stunden - ein eindeutiger Rückschritt. Es gibt ferner immer noch keine konkreten Aussagen zur Erarbeitung von Bildungsstandards im Elementarbereich, die Zeitleiste ist auch heute noch nicht dargelegt worden. Die notwendigen, nicht zuletzt von der Bildungsenquetekommission dringend angemahnten Innovationen in der Erzieherinnenausbildung werden völlig negiert; die Breitbandausbildung ist wieder der Stein des Weisen. Und zur Elternbildung findet sich der lapidare Satz, ich zitiere: "Der Elternbildung ist besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden." - sehr innovativ.
Meine Damen und Herren, das von der Landesregierung vorgelegte Papier wurde hinter verschlossenen Türen erarbeitet. Es gab keine Beteiligung von Elternverbänden und Gewerkschaften. Die Betroffenen lehnen dieses Schriftstück ab. Ich erinnere nur daran, dass auch der Landesschulbeirat einstimmig nein gesagt hat. Für den Kultusminister, wir haben das heute nicht so deutlich gehört, aber in der letzten Plenarsitzung, ist das alles Panikmache. Sie haben ja den Begriff "Panikmache" im letzten Plenum hier auch als Wort zitiert. Der Ministerpräsident hat in der Presseerklärung gesagt, er vermag im allgemeinen Widerspruch nur Proteste einzelner Interessengruppen zu erkennen.
Meine Damen und Herren, um einen Holzweg zu täfeln, und das machen Sie, sägen Sie den Ast ab, auf dem wir alle wirklich sitzen. Ein letzter Satz: Prof. Goebel, Sie haben bei einer Podiumsdiskussion in Gotha zu dem von Ihnen vorliegenden Papier gesagt, bis 2009 wird es keine Riesenschritte geben. Das glaube ich Ihnen aufs Wort, denn Ihr Schriftstück hat für mich nur einen Ort verdient, den Papierkorb. Danke.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, da uns der Kollege Döring heute nicht mit einem Zitat erfreut hat, möchte ich das tun, leider kein sehr poetisches. Am Mittwoch dieser Woche wurde in den Stadtrat
(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Was will man nach Machiavelli denn noch zitieren - höchstens Lafontaine.)
1. eine Stellungnahme zu dem Konzept der Landesregierung "Bildung und Betreuung von 2 bis 16" zu erarbeiten, mit den betreffenden Ausschüssen für Bildung und Jugendhilfe zu diskutieren, abzustimmen und die Stellungnahme rechtzeitig der Landesregierung zuzuleiten;
2. Pilotprojekte zu entwickeln, deren Förderung durch die Landesregierung nach dem Konzept möglich sein soll.
Begründung: Das Konzept der Landesregierung wurde am 25. Januar vorgestellt. Ausdrücklich betonte der zuständige Minister Prof. Dr. Goebel, er wolle den Entwurf zur öffentlichen Diskussion stellen. Dem Ansinnen sollte sich die Stadt Weimar, Verwaltung und Stadtrat, nicht verschließen. Ferner war dem Statement des Ministers zu entnehmen, dass ab dem nächstem Schuljahr Pilotprojekte entwickelt und gefördert werden sollen. Auch hier sollte sich Weimar mit seiner reichhaltigen Schullandschaft einbringen."