Protokoll der Sitzung vom 09.09.2004

zen, wenn wir damit die Zukunftspotenziale unseres Landes weiter stärken und neue erschließen, eine Gesellschaft mit weniger Staat, mit weniger Bürokratie und mit mehr Freiheit, dann werden wir Thüringen auch in den nächsten Jahren weiter aufblühen sehen und in der Mitte Deutschlands und in der Mitte Europas als ein wichtiges Land, in dem man gern und gut lebt und in das man gern kommt, erleben. Deshalb bin ich heute dankbar, dass wir die Möglichkeit haben, diesen Freistaat Thüringen in einem freien und wiedervereinigten Deutschland und inzwischen auch in einem freien und wiedervereinigten Europa der 25 Mitgliedstaaten mitgestalten dürfen. Ich weiß, dass etliche Menschen in unserem Land, das, was ich heute gesagt habe, als Zumutung empfinden, weil individuelle Härten vorausgesagt sind. Aber wir müssen uns etwas zumuten, uns etwas zutrauen. Nur dann können wir für die Zukunft Thüringens das Notwendige tun. Wenn wir Gestaltungsmöglichkeiten behalten und ausbauen wollen, müssen wir jetzt die richtigen Prioritäten setzen. Ich bitte Sie dafür um Ihre Unterstützung.

(Beifall bei der CDU)

Ich danke dem Ministerpräsidenten für seine Regierungserklärung und eröffne die Aussprache. Herr Ramelow hat sich gemeldet.

Meine Damen und Herren, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, eingangs ein Wort zu einem furchtbaren Ereignis. Der Brand in der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar letzte Woche hat alle schockiert. Teile des Weltkulturerbes gingen unwiederbringlich verloren. Man kann sich schwer an die entstandenen Fakten gewöhnen. Unser Dank gilt den Feuerwehrleuten und den zahlreichen freiwilligen Helfern, die noch Schlimmeres verhindert haben. Die Erhaltung der Reste der Bibliotheksbestände bzw. der Wiederaufbau des einmaligen Gebäudes ist nicht nur eine örtliche oder regionale, sondern eine nationale Aufgabe. Wir werden dabei nicht abseits stehen. Jeder muss seinen Beitrag leisten. Wir werden uns als PDS auch mit engagieren.

(Beifall bei der PDS)

Unabhängig von diesen Vorbemerkungen, bei denen ich Unterstützung in der Sache signalisiere, ist es aber notwendig, deutlich und kritisch auf Ihre Regierungserklärung zu reagieren. Wenn ich Ihre Rede als Richtschnur für die nächsten fünf Jahren Revue passieren lasse, dann fällt mir einiges ein, u.a. die Frage: Wenn Sie Strukturen aufbrechen wollen, wer hat diese Strukturen eigentlich in den letzten vier

zehn Jahren geschaffen? Wer trägt dafür eigentlich die Verantwortung?

(Beifall bei der PDS)

(Zwischenruf Abg. Dr. Klaubert, PDS: Alte Seilschaften.)

Aber es fallen mir eben auch ein, wenn ich die gesamte Regierungserklärung auf mich wirken lasse, drei Begriffe: mutlos, kraftlos, planlos.

(Beifall bei der PDS)

Sie war mutlos, weil sie sich den gravierenden Gegenwarts- und Zukunftsproblemen, die wir zu bewältigen haben, nicht wirklich stellt. Sie war kraftlos, weil sie nicht über kosmetische Korrekturen hinauskommt und Sie nicht einmal bereit sind, drängenden Korrekturbedarf zuzugeben. Und sie war planlos, weil sie keine stringente, komplex aufeinander abgestimmte Strategie für die künftige Entwicklung Thüringens enthält. Dieter Althaus bleibt dem Alten verhaftet. Die bisherige Regierungszeit der CDU und Ihre Amtsführung als Ministerpräsident haben eben zur Stagnation geführt. Dieser Landesregierung fehlt ein Plan, ein Masterplan für Thüringen.

(Beifall bei der PDS)

Das Würfeln um Staatssekretärsposten oder der Zufallsgenerator für Ministerienzuschnitte ist kein Zukunftsentwurf, sondern spiegelt wohl eher parteipolitische Versorgungsmentalität wider. Die Krönung ist der neue Bauminister, dessen Ministerium keiner braucht.

(Beifall bei der PDS)

(Zwischenruf Trautvetter, Minister für Bau und Verkehr: Oh.)

Ich hätte mir in der Konsequenz dieses Ministeriums bei dem Minister gewünscht, dass er für Sport zuständig gewesen wäre. Dann würden wir ein paar WMs nach Oberhof kriegen. Das wäre vielleicht erfolgreich. Aber eine Sportförderung ist es tatsächlich nicht. Und Sport auf Tourismus zu reduzieren, halte ich wirklich für eine Verkürzung, die nicht zu akzeptieren ist.

(Beifall bei der PDS)

So eine Herangehensweise reicht nicht für einen Masterplan. Das sind eben nicht Visionen, die aufzeigen und sich an Entwicklungen orientieren, bei denen wir einmal zu Ende denken, wie 2050 Thüringen aussieht, wenn es so weitergeht, wie es im Moment läuft. Mit Ihrem plan- und wahllosen Strei

chen und Zusammenlegen von Ämtern hinterlassen Sie eine Spur der Verwüstung, ohne dass daraus eine aufeinander abgestimmte, in sich schlüssige und stringente Verwaltung entsteht.

(Beifall bei der PDS)

Ihre Ankündigung vom Sparen und Gestalten ist von der Realität überholt worden. Mike Mohring möchte ich gern mit all seinen Zitaten hier im Landtag wiederholen, was er versprochen und was er zugesagt hat zum Thema "Schulden".

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Na, los. Da machen Sie es doch, Ich hoffe...)

Wir werden darauf noch eingehen. Man kann heute sagen: Schulden machen schönreden, dem Bund die Schuld geben. Also statt Sparen und Gestalten, Geld ausgeben, vorschießen und das Land spalten. Ihrem Regierungskonzept, das von einem Obrigkeitsstaatsmodell abgeleitet ist, setzen wir ein Konzept mit mehr Demokratie, mehr Bürgerfreundlichkeit, ja, mehr Transparenz entgegen.

(Zwischenruf Abg. von der Krone, CDU: Das glauben Sie ja selbst nicht, Herr Ramelow.)

Ja, dass die mittlere Sitzreihe mit Emanzipation und Partizipation und Bürgerfreundlichkeit nichts zu tun hat, das wissen wir ja. Nun beruhigen Sie sich mal wieder. Sie können also Ihre Ausfälle gleich einstellen

(Zwischenruf Abg. von der Krone, CDU: Gerade Sie, Herr Ramelow, haben mit Bürgerfreundlichkeit nichts zu tun.)

und lauschen Sie doch einfach mal den Überlegungen der Opposition. Dafür ist Opposition da, den Finger in die Wunde zu legen. Hören Sie doch einfach auf, zu toben.

(Zwischenruf Abg. von der Krone, CDU: Das haben wir 40 Jahre gemerkt.)

(Unruhe bei der PDS)

Dass Ihnen in der mittleren Sitzreihe nichts Besseres einfällt, als die SED zu beschwören und der auch noch die Schuld zu geben, das zeigt doch Ihre Fantasielosigkeit.

(Zwischenruf Abg. Jaschke, CDU: Ihnen fehlt die SED-Erfahrung.)

(Beifall bei der PDS)

Vierzehn Jahre danach als Blockpartei nichts Besseres zu beschwören, als die SED-Vergangenheit, das ist doch wirklich nur lächerlich.

Meine Damen und Herren, Emanzipation und Partizipation stehen als wirksame Alternative zu Ihrem vorgezeichneten Weiterso. Ihre einst bequeme absolute Mehrheit, die eben auch sehr träge gemacht hat, wie wir merken, der CDU-Fraktion, ist auf nur noch zwei Stimmen zusammengeschmolzen. Ich prophezeie Ihnen, Herr Althaus, spätestens 2009 ist auch diese Mehrheit passee.

(Beifall bei der PDS)

Die PDS ist gestärkt aus den Wahlen hervorgegangen, wir wissen um unsere gestiegene Verantwortung und um die Erwartung der Bürgerinnen und Bürger. Da Sie es nicht tun, werden wir als sozialistische Opposition - und das verspreche ich Ihnen - die Finger in die Wunde legen. Darauf können Sie bauen.

(Beifall bei der PDS)

Herr Ministerpräsident, die Landesregierung hat keine Antwort auf die brisanten Fragen der Gegenwart, die so wichtig sind, weil sie die künftige Entwicklung förmlich vorstrukturieren. Das wird besonders auffällig bei dem Thema, das die Menschen zurzeit zu Recht beschäftigt, das Thema "Hartz IV". Ich betone, Hartz IV ist kein Arbeitsmarktprogramm. Es führt in seiner Wirkung für viele und auch für sehr viele Thüringerinnen und Thüringer in Armut.

(Beifall bei der PDS)

Auffällig dabei, Herr Althaus, ist Ihr ständiges Hin und Her, das Hü und Hott der Landesregierung. Zunächst verschärfen Sie die Vorschläge der Bundesregierung und stimmen ihnen dann zu; dann, als der öffentliche Protest wuchs, lehnten Sie diese ab. Und wenn man dann hört, dass noch ein CDU-Ministerpräsident mit demonstrieren will, frage ich mich, wen Sie eigentlich meinen, wer in der SED-Vergangenheit ist und Demonstrationen organisiert. Schauen Sie einmal in Ihre eigenen Reihen.

(Beifall bei der PDS)

Inzwischen reden Sie von nebulöser Nachbesserung ohne eigene Vorschläge. Was gilt eigentlich bei Ihnen, Herr Althaus? Die Rahmenbedingungen in Thüringen haben sich in den letzten Jahren dramatisch verändert. Da ist zum einen die demographische Falle. Inzwischen verliert Thüringen täglich 53 Menschen. Täglich gehen 44 Arbeitsplätze verloren. Auf diese Herausforderung hat die Landesregierung keine, wie wir meinen, glaubwürdige Antwort. Wir brauchen Arbeit und keine Almosen für die Menschen.

Zum anderen ist da die Schuldenfalle. Angesichts eines Schuldenbergs von jetzt ca. 14 Mrd.   ner Nettoneuverschuldung von 1 Mrd.   Jahr bzw. im nächsten Jahr brauchen wir endlich, Frau Finanzministerin, einen Kassensturz

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: Die Vor- schläge liegen doch vor, Herr Ramelow.)

und dafür werden wir uns als Opposition einsetzen.

(Zwischenruf Diezel, Finanzministerin: Sie werden bewundert, Herr Ramelow.)

Frau Diezel, ich darf Sie daran erinnern, der deutsche Bundesbankbericht weist am Ende der DDR 40 Jahre SED - 9,8 Mrd. (    $ Sie allein verantworten mittlerweile 14 Mrd. "den in 14 Jahren.

(Beifall bei der PDS)

Dabei muss ohne Schönfärberei das wahre Ausmaß der Schulden und der Verbindlichkeiten offen gelegt werden. Herr Trautvetter hat ja sehr tricksige Finanzpolitik betrieben. Ohne Schönfärberei heißt es für die PDS auch die Einbeziehung, meine Damen und Herren, der Schattenhaushalte, der Haushalte der Landesgesellschaft, der Beteiligung des Landes und der Verbindlichkeiten aus den so genannten, Herr Trautvetter, alternativen Finanzierungen. Die Bürger und Bürgerinnen des Landes haben ein Recht auf die ungeschminkte, komplette Wahrheit. Bei all dem drängt sich die Frage auf: Ist der Haushalt Thüringens überhaupt noch verfassungsgemäß? Diese Frage wollen wir klären lassen.

(Beifall bei der PDS)