Protokoll der Sitzung vom 09.09.2004

setzung für eine innovative Wirtschaft und nur mit einer solchen Wirtschaft haben wir die Chance, dass Arbeit auch in Zukunft den notwendigen Wohlstand hervorbringt, auf den wir Wert legen. Wir wollen und können uns nicht - da stimme ich zu, was auch hier schon gesagt worden ist - auf eine Billiglohnkonkurrenz einlassen. Das ist nicht das, was hier am Standort Deutschland und auch in Thüringen angesagt ist.

Deshalb ist die Verklammerung von Wissenschaft und Wirtschaft der dritte Punkt, den ich herausstellen will. Ich hatte vorhin auf mehr als 30 Patente pro 100.000 Einwohner verwiesen als Spitzenwert unter den neuen Ländern, aber gemessen, auch hier bemühe ich wieder diesen Vergleich, um zu zeigen, welche Wegstrecke wir weiter in Angriff nehmen müssen, zu Baden-Württemberg, da ist das Glas eben nur halb voll, was wir bisher haben. Auch dies markiert wie der Vergleich in der Exportquote, welchen Weg wir noch zurücklegen müssen. Wir haben dafür gute Voraussetzungen geschaffen. Kaum ein anderes Land, auch das gehört zur Wirklichkeit in Thüringen, hat ein so dichtes Netz an Innovationsförderung wie Thüringen aufgebaut. Das F- und EPersonal in Unternehmen hat sich seit 1996 um fast 70 Prozent erhöht, zugegeben von einem damals niedrigen Wert, aber man muss ja die Richtung sehen und die Steigerung, die wir erreicht haben. Wir verfügen über ein entwicklungsfähiges F- und E-Potenzial, das wir weiter ganz gezielt entwickeln werden. Forschung per Gutschein ist z.B. ein Weg, um die noch verbesserungsfähige Zusammenarbeit von Unternehmen und Forschungseinrichtungen weiter zu fördern. Auch da hat die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Zeichen gesetzt. Gut ausgebildeter Nachwuchs, eine innovative Wirtschaft und eine differenzierte Hochschullandschaft sind die wesentlichen Voraussetzungen, um den ständigen Strom an neuen Ideen und Innovationen zu schaffen, den wir brauchen, damit Thüringen weiter vorankommt. Dann werden auch Arbeitsplätze entstehen, die heute noch fehlen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, alles nützt allerdings nichts, wenn uns von Bundesebene immer wieder die Knüppel zwischen die Beine geworfen werden, wenn die Sondersituation der jungen Länder einfach nicht zur Kenntnis genommen wird. Hartz IV ist heute schon als unrühmliches Beispiel wiederholt bemüht. Ich möchte mir jetzt Details ersparen, zumal wir morgen ja auch noch eine umfangreiche Debatte zu diesem Themenkomplex haben. Aber weil die Rahmenbedingungen des Bundes für uns so entscheidend sind, gehört es zu den Aufgaben der Landesregierung, auf solche bundespolitischen Rahmenbedingungen hinzuwirken, die uns voranbringen. Und wenn Sie fragen, Herr Matschie, wo denn jetzt die Konzepte, die Perspektiven der Union sind, was wir getan haben: Am 23. August ist die Brandenburger

Erklärung verabschiedet worden. Da ist ganz klar, es ist ein Komplex, den wir brauchen an Erneuerungen, an Reformen, damit auch eine Reform wie Hartz IV überhaupt greifen kann, in dem, was fördern heißt, in dem, was tatsächlich Schaffen von Arbeitsplätzen heißt. Ich denke, da ist genügend gesagt. Ich empfehle es zu Ihrer Lektüre. Unsere Bürgerinnen und Bürger jedenfalls wollen mit ihren Anstrengungen mehr erreichen und sie könnten auch mehr erreichen, als es Rotgrün und die Politik des Bundes zulässt. Ich unterstreiche von dieser Stelle aber genauso, die Union wird sich auch weiterhin im Bund gegenüber ehrlichen und zielführenden Reformanstrengungen konstruktiv verhalten, und zwar aus einem einfachen Grund: Wir haben schon viel zu viel Zeit verloren in diesem Land. Der Umbaubedarf im Bund, damit wir insgesamt erfolgreich sein können, ist mindestens so groß wie im Land. Wir werden also so lange Kompromisse schließen, wie wir es verantworten können, weil uns dieses Land insgesamt am Herzen liegt, zu sehr am Herzen, um es in Agonie und Depression verfallen zu lassen.

Keine Kompromisse kann es allerdings geben mit untauglichen Konzepten. Weder für einen Mindestlohn noch eine Ausbildungsplatzabgabe werden wir unsere Hand reichen. Auch das haben wir deutlich gemacht. Wir werden uns auch dort verweigern, wo auf mehr Staat und mehr Reglementierung statt auf mehr Freiheit und Selbstverantwortung gesetzt wird. Der Paradigmenwechsel geht eindeutig auf mehr Freiheit und Selbstverantwortung. Und wer, auch das möchte ich hier nur anreißen, Herr Ramelow, weil Sie das immer auch in diesem ganzen Komplex nennen, gleichzeitig auf Arbeitszeitverkürzung setzt, Kaufkraft stärken, Mindestlöhne einführen will, der bewirkt doch letztendlich nur eines: Arbeit wird erneut teurer, Rationalisierungsdruck steigt, Produktion wandert weiter ab und das Arbeitsvolumen sinkt. Wie das aufgehen soll, ist schon die Quadratur des Kreises.

(Beifall bei der CDU)

Ich denke, man muss wirklich begreifen, Arbeit ist keine feste Größe, die einfach verteilt werden kann, sondern sie richtet sich nach Rahmenbedingungen, die wir zwar gestalten können, die aber einfach auch den Gesetzen von Eigenverantwortung, von Marktregulierung und natürlich unserer Flankierung folgen. Ein größeres Arbeitsvolumen und damit mehr Beschäftigung entstehen nicht durch Reglementierung, sondern durch marktgerechte Löhne, flexible Arbeitsmärkte, Arbeitszeiten und eine Entlastung der Lohnkosten von Sozialabgaben. Deshalb sind wir, da werden wir jetzt wieder nicht einig sein, für eine Lockerung des Kündigungsschutzes bei Neueinstellungen...

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Wenn wir das Recht auf Arbeit in die Verfas- sung kriegen, das wäre gerecht!)

Was soll denn das? Das ist doch ein Phantom.

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Kein Phantom, sondern das Niederländische Modell. Nach sechs Monaten ein neuer Job!)

Aber was haben die denn dann für ein Reformprogramm absolviert, wo wir noch meilenweit in Deutschland leider aufgrund vieler Faktoren, die hier dargestellt wurden, entfernt sind. Wir sind für Gesundheitsprämie statt Bürgerversicherung. Deshalb wollen wir dort, wo ein marktgerechter Lohn die Lebenshaltungskosten nicht deckt, ein System der Lohnergänzung, so dass der Niedriglohnsektor nicht immer weiter dahinschmilzt, sondern auch zu einer Quelle für mehr Beschäftigung wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit unserem Leitbild für Thüringen setzen wir auf einen Staat, der bezahlbar bleibt, einen Staat, der den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes optimale Entfaltungschancen bietet, der allerdings auch mit ihrem Freiheitswillen und ihrem Verlangen nach Gestaltungsspielräumen und Selbstverantwortung rechnet. Das ist ein zweiter Schritt über das hinaus, was wir bisher gewohnt waren. Ziemlich genau, auch daran möchte ich in diesen Tagen durchaus erinnern, vor 15 Jahren, im September 1989, begann die friedliche Revolution in der DDR. Sie war der Wunsch nach Freiheit, nach Wohlstand und Einheit unseres Vaterlands. Wir haben damals den vormundschaftlichen Staat verlassen, der uns von der Wiege bis zur Bahre auf allerdings kläglichem Niveau gelenkt und geleitet hat, der uns aber auch bevormundete. Er folgte einem Gerechtigkeitsbegriff, der sehr weit gehend mit dem Gleichheitsbegriff zur Deckung kam. Die herrschende Partei leitete daraus das Recht ab, alles und jedes zu reglementieren. Freiheit hatte darin keinen Platz, das wollen wir auch nicht vergessen. Dieses Freiheitsstreben, was damals der Anfang der Bewegung war und was oft noch heute in vielen Bereichen in den Hintergrund gerät, wir brauchen das wieder, das Streben nach Freiheit, was aktivem Mitgestalten auch einer aktiven Gesellschaft in diesem Land letztlich zugute kommt und worauf wir auch setzen bei all dem, was jetzt notwendig ist. Wir haben die Unfreiheit abgeschüttelt. Viele Menschen haben ihre Chance ergriffen, fast alle haben Veränderungsbereitschaft gezeigt, die deutlich macht: Wir können Umbrüche bewältigen. Zum Beispiel haben wir ja diese Auseinandersetzung auch im deutsch-deutschen Verhältnis. Den ganzen Sommer kamen irgendwelche Befunde und Umfrageergeb

nisse, demoskopische Erhebungen. Wenn uns immer vorgeworfen wird, dass wir hier nur jammern würden und dass wir nicht zu den notwendigen Veränderungen bereit sind, habe ich konsequent dagegen gehalten und habe gesagt: Der Jammerossi, der nach dem Vater Staat ruft, wenn es eng wird, ist eine böswillige Karikatur, gegen die man sich entschieden wehren muss. Die Veränderungsbereitschaft, das ist die neue Qualität, in der wir stehen, betrifft eben nicht nur uns, wir sind hier nur 14 Jahre voraus, sondern sie betrifft inzwischen ganz Deutschland und auch die Bürgerinnen und Bürger in den alten Ländern, denn auch dort ist der Sozialstaat finanziell und organisatorisch ständig expandiert, das Gemeinwesen darüber in die Krise geraten. Das macht es auch so schwer, weil unsere Fragen, die wir in Thüringen lösen müssen, letztlich Fragen sind, die für ganz Deutschland anstehen. Während der Sozialstaat sich immer feiner verästelt hat, ist so etwas wie Sozialkultur darüber verblasst. Es ist ein Paradoxon: Auf der einen Seite haben wir ein ständig ausgedehnteres System und Finanzlasten zu bewältigen im Blick auf unser Sozialsystem. Auf der anderen Seite wird das Empfinden sozialer Kälte immer größer. Das geht doch nicht zusammen, hier muss man grundlegend wieder anfangen, vom Gedanken der Freiheit her zu denken, von der Mitverantwortung zu denken und tatsächlich auch wieder soziale Kultur unter den Bürgerinnen und Bürgern letztlich ein Stückchen zu aktivieren, so dass dieser Spruch von sozialer Kälte der Vergangenheit angehören sollte. Es ist richtig, für die Zukunft die Prinzipien Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität, Subsidiarität neu zu definieren, und zwar nicht von den Besitzständen her, wie wir das bisher getan haben - auch das ein Paradigmenwechsel -, sondern von der Bedürftigkeit her zu denken, denn alles andere wird nicht mehr gehen. Gerechtigkeit ist zu einem wesentlichen Teil auch Generationengerechtigkeit. Auch das wurde über Jahre außer Acht gelassen. Wer die Verantwortung für die Zukunft verweigert, verweigert diese elementare Form der Gerechtigkeit, die wir nicht außer Acht lassen dürfen. Ich sage es noch einmal: Dieser Weg ist nicht leicht, weder hier in Thüringen noch anderswo. Wir müssen umdenken. Wir werden den Staat kleiner, Bürgersinn, gesellschaftliches Engagement, Ehrenamt größer schreiben, denn nur so werden wir uns in Zukunft die Möglichkeit erhalten, den Schwachen helfen zu können. Vor allem aber verspreche ich mir davon einen neuen Aufbruch, einen neuen Schwung für unser Land.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch meine Vorredner haben darauf hingewiesen, haben das ja an den Anfang ihrer Reden gestellt: Ich schließe mich dem Dank an all diejenigen, die in Weimar geholfen haben, die gerettet haben die ganze Nacht hindurch und auch in der Folge, in vollem Umfang an und will auch an diesem Beispiel sagen, dass hier deutlich gewor

den ist, dass diese Katastrophe eine Kehrseite mit vielen Gesichtern hat, die uns angesichts dieser Katastrophe auch Mut macht, eine Kehrseite mit vielen Gesichtern, die Menschen, die im Funkenflug Bücher retten, Benefizkonzerte veranstalten, Spenden überweisen. Diese Bilder machen schlaglichtartig deutlich, welches Potenzial doch in dieser Bürgergesellschaft steckt und wie diese Bürgergesellschaft in der Lage ist zu leben. Bilder wie diese machen zugleich deutlich, was in Thüringen an vielen anderen Stellen auch tagtäglich, oft im Verborgenen, geschieht. Ich will nur die Zahlen nennen: 600.000 Menschen engagieren sich ehrenamtlich - erfasst -, wie viele andere gibt es ehrenamtlich in sozialen, in karitativen Diensten, in der Jugendarbeit, im Sport, in Kirchen, in Feuerwehren, in Chören, in Kunstvereinen - alles Menschen, die bereit sind, sich für dieses Land einzubringen, mit uns als gesellschaftliche Akteure zu wirken, auch für einen Paradigmenwechsel in diesem Land, meine ich, aber auch hin zu einem schlankeren, zu einem bürgerfreundlicheren Staat, hin zu einer Gesellschaft, die sich mehr zutraut. Ich unterstreiche noch einmal: Das alles ist nicht einfach. Wer zu neuen Ufern aufbrechen will, muss zunächst einmal loslassen. Ob und wie das gelingt, ist auch eine Frage des Vertrauens. Um dieses Vertrauen muss immer wieder neu geworben werden, nicht nur vor Wahltagen. Vertrauen ist dabei nicht zuletzt auch eine Frage der Glaubwürdigkeit. Vor uns liegen Diskussionen, die wir ohne Tabus führen werden und führen müssen. Die Position der CDU-Fraktion dazu hatte ich ja schon gesagt: Es muss alles auf den Prüfstand, wir verschließen uns nicht und werden auch nach unseren eigenen Erfahrungen aus den Wahlkreisen, aus den einzelnen Fachbereichen versuchen, weitere Beiträge zu leisten.

Es war noch ein weiterer Punkt, der uns bewegt hat, auch gestern in unserer Fraktionssitzung, die wir hatten, dass die CDU-Fraktion sich gestern in großer Einmütigkeit auf ein Diätenmoratorium für die kommenden zwei Jahre verständigt hat. Wir wollen darüber auch selbstverständlich mit den anderen Fraktionen ins Gespräch kommen. Für erste positive Reaktionen bin ich hier auch schon dankbar, damit wir die notwendige Mehrheit in diesem Haus dafür erreichen. Ein solches Moratorium, auch das will ich sagen, bedeutet Verzicht für die Zeit, auf die es angelegt ist. Es schlägt sich natürlich, weil es hier schon in der öffentlichen Darstellung zu Missverständnissen gekommen ist, auch in den Folgejahren nieder, bis hin zur Bemessungsgrundlage künftiger Altersbezüge. Es wird also nicht irgendetwas verschleiert oder verdeckt, sondern es ist ganz klar, was in den nächsten zwei Jahren da passiert, wo wir keine Erhöhung haben, wirkt natürlich fort in den Folgejahren bis hin zu den Altersbezügen. Weil wir auch für die Zukunft Gestaltungsspielräume sichern wollen, um unseren erfolgreichen Weg weiter gehen zu können, müs

sen wir vielen etwas abverlangen und wir nehmen uns dabei nicht aus. Wir nehmen unsere Zukunft in die Hand. Wir werden in den kommenden Monaten anhand mancher Gesetze über einen Entwurf dieses Landes beraten, der bis weit in dieses Jahrhundert hinein tragen soll am Beginn dieses 21. Jahrhunderts. Es ist eine Wegscheide, es ist eine neue Zukunft und es sind Zukunftvisionen gefragt. Das Ziel ist ein Thüringen als Land der Chancen und Perspektiven, das seinen Bürgerinnen und Bürgern Entfaltungsmöglichkeiten, Arbeit, Auskommen und Lebensqualität bietet. Ich denke, wir brauchen uns auch nicht zu scheuen in Anbetracht der Rahmenbedingungen, die ich genannt habe, vor internationalen Märkten, grenzenlosen Märkten. Thüringerinnen und Thüringer, auch die Unternehmerinnen und Unternehmer haben in vielen, vielen Fällen gezeigt, wie sie dies als Chance begreifen. Aber Thüringen soll sich auch als ein Land darstellen, in dem es möglich ist, durch viel Innovation, durch ganz praktisches Handeln, durch unkompliziertes, unbürokratisches Handeln zu zeigen, dass Dinge gehen, die anderswo vielleicht nicht gehen, und dass es deshalb auch interessant ist für kreative Köpfe, und als ein Land, das zu einem konstruktiven und nicht nur reaktiven Umgang mit den Herausforderungen aufruft, ob es die demographischen, die ökonomischen oder sozialen Herausforderungen sind. Wir wollen und werden die Dinge vorantreiben und dabei selber nicht zu Getriebenen werden. Deswegen treiben wir selbst voran, wir nehmen das Heft des Handelns in die Hand und wir müssen aus der um sich greifenden Verzagtheit, der Lethargie, den Lähmungen herauskommen, denn nur wenn wir entschlossen sind, werden wir das Ziel erreichen. Die Landesregierung hat diese Zielmarke heute hier definiert, in der Regierungserklärung uns vorgetragen und die CDU-Fraktion wird die Landesregierung in diesem Kurs mit aller Entschlossenheit unterstützen, weil er folgerichtig ist und wir vom Erfolg überzeugt sind. Wir schielen nicht auf Szenenapplaus heute oder morgen, das wäre kurzsichtig und verantwortungslos, aber wir setzen auf einen Schlussbeifall am Ende der Legislaturperiode und in diesem Sinne danke ich Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Als nächster Redner hat sich der Abgeordnete Huster, PDS-Fraktion, zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Ministerpräsident hat in seiner Rede einen Satz gesagt, mit dem ich meine Ausführungen beginnen möchte. Er hat gesagt oder er hat die Menschen benannt, die laut Umfrage mit der Aussage

sehr gut leben können, wonach jeder seines Glückes Schmied ist. Ich kann mit diesen Menschen sehr gut leben, im individuellen Gespräch ist es sicherlich Ausgangspunkt für eine spannende Diskussion und zeigt vielleicht, dass Menschen in heutigen Zeiten grundsätzlich bereit sind, sich anzustrengen und sich weiterzuentwickeln. Ich will aber auch klar sagen, dass ich Sorge vor einer Gesellschaft und einem Staat habe, die dieses Bild oder der dieses Bild zum Leitbild erhebt und letztlich dafür sorgt, dass zunehmende Armut in dieser Gesellschaft akzeptiert wird. Das ist der entscheidende Punkt, meine Damen und Herren, den die CDU immer in der Auseinandersetzung vergisst, wir leben nicht nur in einem Land, in dem Armut zunimmt, sondern wir leben auch in einem Land, das immer noch vermehrt volkswirtschaftlichen Reichtum produziert, nur ist dieser Reichtum zunehmend und höchst ungleich verteilt.

(Beifall bei der PDS)

Es bleibt dabei, die Schwachen in einer Gesellschaft brauchen einen handlungsfähigen Staat. Dafür muss man etwas tun und das ist meiner Meinung nach der Ausgangspunkt von Politik und sollte auch der Ausgangspunkt einer Regierungserklärung für die nächsten fünf Jahre im Lande Thüringen sein.

Frau Lieberknecht, genau das ist keine alte sozialistische Träumerei, sondern das ist eine notwendige Vision, die diese Gesellschaft zusammenhalten soll, wenn schon in aller Welt und auch im eigenen Land die Verteilungskämpfe größer werden. Das ist notwendige Vision, meine Damen und Herren, um diese Gesellschaft zusammenzuhalten.

(Beifall bei der PDS)

Dafür braucht es einen handlungsfähigen Staat. Dieser handlungsfähige Staat braucht finanzielle Spielräume. Ich will an dieser Stelle schon einführen, handlungsfähig heißt nicht, starker Staat im alten Sinne, sondern handlungsfähiger Staat soll auch bürgernah, soll auch entbürokratisiert heißen, aber vor allen Dingen braucht dieser handlungsfähige Staat finanzielle Spielräume, um für die Menschen, für die Betroffenen etwas tun zu können. Und da möchte ich mich mit einer Aussage auseinander setzen, die hier, finde ich, relativ unverschämt im Raum steht. Da heißt es in der Regierungserklärung: Die öffentlichen Kassen, auch die in Thüringen, sind leer. Da fällt aber zunächst kein Wort, warum die leer sind. Da wird so...

(Zwischenruf Abg. Lieberknecht, CDU: Weil kein Geld da ist.)

Weil kein Geld da ist, wunderbar, das ist traumhaft. So, dann frage ich: Ist es denn ein Naturereignis,

dass kein Geld mehr da ist? Ist es nicht. Meiner Meinung nach sind die leeren Kassen

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Da sind die Meinungen aber geteilt, Herr Kollege!)

richtig, da sind sie wirklich geteilt, Herr Höhn - vor allen Dingen politisch verursacht. Man hat sich doch bewusst entschieden, mit den Steuerentlastungsgesetzen, mit der so genannten großen Steuerreform genaue Steuerentlastungen für die Vermögenden dieser Gesellschaft, für Großunternehmen in dieser Gesellschaft, für Kapitalgesellschaften, Banken und Versicherungen, damit zu beginnen, weil man glaubte, weil man hoffte, dass diese Steuerentlastungen am Ende zu mehr Investitionen, zu mehr Arbeitsplätzen und - daraus folgend - auch wieder zur Konsolidierung der Steuereinnahmen führen würden. Und nun nach fünf Jahren dieser Politik, also spätestens nach fünf Jahren dieser Politik - sie hält ja im Kern schon länger an - müsste man doch mal kritisch überprüfen und sagen, dass genau diese Richtung von Politik falsch war, weil die Ergebnisse so verheerend sind. Das geht natürlich auch an die Adresse von SPD, weil ich denke, da haben in den letzten Jahren SPD und CDU Seite an Seite gekämpft in dieser falschen Richtung.

(Beifall bei der PDS)

Wenn wir davon reden, Frau Lieberknecht, dass es in der Welt zu verschärften Wettbewerbssituationen gekommen ist, dem müssen wir alle Rechnung tragen. Wenn wir sagen, wenn wir wissen aus den geschichtlichen Erfahrungen, dass Marktwirtschaft per se diesen Ausgleich zwischen verschiedenen Interessen nicht hinbekommt, sondern dass es dazu genau einen Staat braucht. Und wir stellen noch in Rechnung, was wir in den letzten fünf Jahren erlebt haben, dass der Staat nicht bloß dieser natürlichen Umverteilung zugesehen hat, nein, er hat ihn noch aktiv befördert und hat dafür gesorgt, dass die Armut auf der einen Seite gestiegen ist, während auf der anderen Seite der Reichtum exorbitant nach oben gegangen ist. Sie haben wie ich sicher in den letzten Tagen verfolgt, dass die Managergehälter in diesem Land wieder gestiegen sind, dass sich die entsprechenden Manager aber immer noch weigern, ihre Gehälter vernünftig zu veröffentlichen. Sie haben sicherlich verfolgt, dass es vor eins, zwei Jahren die Anzeige von Millionären in Deutschland gegeben hat, die gesagt haben, wir haben diesem Land, diesem Land Deutschland so viel zu verdanken, wir wollen in diesem Land eine Vermögenssteuer zahlen. Ergebnis von Politik, es wird immer mal in SPD-Kreisen kurz, wenn der Sumpf am tiefsten ist, in die öffentliche Diskussion geworfen, aber ernsthaft hat man sich mit dieser Frage, wie man Reichtum in dieser

Gesellschaft begrenzt und wie man diesen Reichtum produktiv macht, nicht befasst, sondern man hat immer nur einseitig Steuergeschenke an die Großen und die Privilegierten in dieser Gesellschaft verteilt.

(Beifall bei der PDS)

Die Zahl hatten wir Ihnen in einer der letzten Sitzungen schon genannt. Die Verdopplung der reinen Geldmillionäre auf die Zahl von 755.000 im Jahr 2002 muss doch nun auch den Letzten zum Nachdenken anregen, hier etwas zu ändern. Wenn Sie fragen, was das alles mit Landespolitik zu tun hat ich denke, hier werden die Grundlagen von Politik gelegt. Über den Einfluss auf die Bundespolitik wird entschieden, wie viel Geld zum Schluss sowohl bei den Menschen verbleibt, bei den Unternehmen verbleibt, aber auch in den öffentlichen Kassen und dazu gehört auch der Landeshaushalt Thüringen und dazu gehören auch unsere Kommunen, mit den Wirkungen dann für Investitionen, für Arbeitsplätze und für Steuereinnahmen.

Frau Lieberknecht, internationaler Wettbewerb: Warum schaffen es denn die Franzosen, die sich auch diesem internationalen Wettbewerb stellen müssen, dass seit Jahren die Binnennachfrage beständig steigt? Wer in diesem Land stellt sich ernsthaft diese Frage und stellt sich dann die Frage, ob es vielleicht mit der Richtung dieser Politik in Deutschland zu tun hat, die nicht richtig ist? Wir sind der Auffassung, dass die, die viel haben, auch mehr schultern sollen als die, die wenig haben. Und die Beispiele sind im Raum. Die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer auf Bundesebene, den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entsprechend, das wäre ein Weg, nicht mehr als ein Weg, aber wenigstens ein Weg, Veränderungen in der Erbschaftsbesteuerung. Zum jetzigen Zeitpunkt könnte durchaus das Signal ausgehen, den Spitzensteuersatz nicht zu senken. Da würde ich sagen, Ihre Ankündigung die Diäten im Thüringer Landtag betreffend in allen Ehren, aber das wäre mal ein Signal, sozusagen das Signal in der Stunde jetzt zu zeigen, es geht uns nicht um eine gewisse Symbolik, sondern es geht uns wirklich darum, hier in der Verteilung etwas zu verändern.

Meine Damen und Herren, wir haben einen Kassensturz in Thüringen gefordert, der das wahre Ausmaß der Schulden und Verbindlichkeiten darstellt. Kollege Ramelow hat dazu Stellung genommen. Und da will ich Ihnen sagen, dass ich schon relativ enttäuscht bin, dass hier am Beginn der Legislatur mit schonungsloser Analyse nichts zu vernehmen ist. Ich meine, es muss Schluss sein mit der Schönfärberei. Frau Diezel, an Ihre Adresse, wenn Sie in einer Presseerklärung davon reden, dass Sie jederzeit die notwendigen Maßnahmen ergriffen hätten, um

sozusagen das Haushaltsrisiko zu mindern, und wenn es so wäre, wie Sie es behaupten, ich nehme an, es ist nichts anderes als eine Schutzbehauptung, wenn das so wäre, dann wären wir jetzt nicht in dieser katastrophalen Situation mit dem Nachtragshaushalt, mit 1 Mrd. " 1   kündigten 1 Mrd. &

(Zwischenruf Diezel, Finanzministerin: Sie können mir nicht vorwerfen, nicht gehandelt zu haben!)

Nein, mein Vorwurf ist, dass Sie die Probleme, die politisch zum Großteil verursacht sind, nur verwalten und dass Sie nur reagieren auf Steuerschätzungen...

(Zwischenruf Diezel, Finanzministerin: Ich muss reagieren.)

Sicherlich müssen Sie reagieren, aber Sie verwalten nur noch die Probleme des Landes. Das ist doch der Vorwurf, den ich Ihnen mache. Und dann will ich Ihnen noch sagen, was die Neuverschuldung betrifft, das war auch im Raum, die Kollegen der CDU werden sich erinnern, wie Sie uns verteufelt haben, als wir einen langsameren Abbaupfad bei der Nettoneuverschuldung vorgeschlagen haben. Da ging es um 100 Mio. 2 (   3+ voller, mit Geld am Jahresanfang zu arbeiten, das für notwendige Investitionen einzusetzen und dann am Jahresende einen gewissen Ertrag einzufahren, als nicht zu handeln, Ausgaben undifferenziert zu kürzen und am Jahresende in eine Situation zu kommen, dass die Löcher wieder größer geworden sind, dass man neue Schulden aufnehmen muss, aber nicht, um das Geld arbeiten zu lassen, sondern nur, um Löcher zu stopfen? Ich räume auch ein, dass die jetzige Situation so katastrophal ist, dass dieses Konzept kein Konzept mehr für die Zukunft ist. Ich will aber auch deutlich machen, und das hatte ich versucht auch mit meinen Eingangsbemerkungen zu machen, unsere Vorschläge waren immer darauf ausgerichtet, auf der einen Seite aktive Investitionen voranzutreiben, und auf der anderen Seite haben wir Vorschläge gemacht, wie man die Einnahmesituation der öffentlichen Haushalte in Deutschland generell verbessern kann. Und das ist das Problem. Da haben Sie sich bisher vehement dagegen gesträubt.

(Zwischenruf aus dem Hause)

Ach, das ist doch mit 200 Beamten mehr, Frau Diezel. Fakt ist, wir haben unsere Vorschläge gegenfinanziert,

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: 921 Mio.    Haushalt.)

(Zwischenruf Abg. Kummer, PDS: Aber für Sie lohnt es sich, 10  der Arztpraxis zu kassieren!)

gegendargestellt und an die Verbesserung der Einnahmesituation in Deutschland gebunden, Herr Mohring. Meine These ist: Wenn wir es nicht schaffen, die Einnahmesituation in Deutschland auch unter Gerechtigkeitsaspekten zu verbessern, dann wird die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte in Deutschland scheitern.

(Beifall bei der PDS)

Da rede ich noch nicht über den Abbau der aufgehäuften Schulden. Da rede ich zunächst einmal nur über die Reduzierung der geplanten Nettoneuverschuldung und ich rede darüber, Ausgaben in einem verantwortbaren Maße zu reduzieren. Wenn wir das nicht schaffen, Stabilität in die Einnahmesituation aller Ebenen hineinzubekommen, dann wird das scheitern, weil jede Ausgabenkürzung dazu führt, dass irgendwo Arbeitsplätze wegfallen, dass Investitionen gestreckt werden und dass letztlich wieder weniger Steuereinnahmen in die Haushalte hineinkommen. Das wissen Sie so gut wie ich und das wissen Sie, wenn Sie sich die Ergebnisse der letzten Jahre Ihrer Politik anschauen.