Protokoll der Sitzung vom 06.10.2005

dramatischen Entwicklung bei vielen immer noch nicht die Einsicht gibt, dass radikales Umsteuern angesagt ist, dass wir Deutschland wieder auf Wachstumskurs bringen.

(Unruhe bei der Linkspartei.PDS)

Sie tragen Verantwortung, dass 70 Prozent der Deutschen auf die Frage „Soll sich unsere soziale Gesetzgebung nach dem Wünschenswerten oder nach dem finanziell Möglichen ausrichten?“ antworten: Natürlich nach dem Wünschenswerten. Dieses Denken ist Folge Ihrer Politikangebote nach dem Motto „Wunsch und Wolke“. Sie verhindern die Einsichtigkeit der Menschen, indem Sie ihnen den Blick auf die Dramatik verstellen. Sie vermitteln den Eindruck, als ob der Umverteilungsstaat nach wie vor eine Chance hat. In Wirklichkeit befindet sich Deutschland aber in der schlimmsten Wirtschafts- und Finanzkrise seit Jahrzehnten. Andere Länder in Europa haben diese Probleme bewältigt. Diese Länder können sich Gedanken über Verteilung machen. Diese Länder haben Überschüsse bei den Steuereinnahmen. Aber wir, meine Damen und Herren, wir müssen die Sozialleistungen in Deutschland erst wieder einmal verdienen und erwirtschaften, bevor wir sie verteilen können. Es kann nicht nach dem Wünschenswerten gehen. Wir müssen unsere Haushalte nach dem finanziell Möglichen ausrichten.

(Unruhe bei der Linkspartei.PDS)

Meine Damen und Herren von der Opposition, als Erhard Eppler Anfang der 70er-Jahre auf dem Parteitag der SPD dazu aufrief, die Belastbarkeit der Wirtschaft zu prüfen, da antwortete ihm der damalige Wirtschaftsminister Karl Schiller mit dem denkwürdigen Appell: „Genossen, lasst die Tassen im Schrank.“ Denken Sie einmal darüber nach. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einen anderen Kenner der damaligen Zeit zitieren. Er sagte zu Epplers Vorschlag, die Belastbarkeit der Wirtschaft zu testen: „Ich habe natürlich nicht im Traum solche Vorschläge ernst genommen, aber die Illusion, dass man das gut könnte, hatten einige damals. Oskar Lafontaine ist heute noch ein Anhänger dieses Unfugs.“ So weit der Altkanzler Helmut Schmidt. Alles übrigens nachzulesen im aktuellen Bestseller „Der Fall Deutschland - Abstieg eines Superstars“. Bleiben wir einen Moment bei diesem Buch. Wenn es ein Bestseller ist, dann beschäftigt das viele Menschen. Deutschland ist zwar Exportweltmeister, die Welt kauft unsere Produkte, weil sie gut sind und weil sie ihnen gefallen. So weit, so gut. Aber haben Sie schon mal Folgendes überlegt: Warum übernimmt denn die Welt nicht unsere sozialen Sicherungssysteme? Warum lehnen sogar europäische Nachbarn unsere Krankenversicherung und Rentenversicherung ab? Sind wir unsozial? Ist der Rest unsozial?

Das wohl nicht, meine Damen und Herren. „Um Wohlstand zu retten, muss man Wohlfahrt begrenzen“, erklärte jüngst der schwedische Ministerpräsident Göran Persson. Dieser Sozialdemokrat hat Recht, meine Damen und Herren. Der Mann hat nicht nur Recht, sondern sein Land ist auf einem erfolgreichen Weg. Nicht zuletzt müssen wir uns hier in Thüringen auch diese Frage stellen. Was ist sozial? Diese Frage müssen wir ehrlich beantworten. Sozial ist, wenn staatliche Unterstützung nach Hilfebedürftigkeit, nach Bedürftigkeit gegeben wird. Genau das werden wir tun. Aber wenn unsere Hilfe nicht gebraucht wird, wer selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen kann, wer die Unterstützung seiner Familie erfahren kann, der benötigt unsere Hilfe nicht und dem können wir sie auch nicht geben.

Meine Damen und Herren, dieses Prinzip führt mich zu einer klaren Trennlinie zwischen den politischen Lagern in Deutschland und auch hier in Thüringen, hier in diesem Haus. Das linke Lager will den Umverteilungsstaat, den kassierenden Staat, der alles regelt, alle Wohltaten ausschüttet, ständige Steigerung inklusive. Dieses Lager verschanzt sich in der Wagenburg der Vergangenheit, wobei immerhin ein Teil von Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren der SPD, diese Wagenburg inzwischen verlassen hat, ein anderer Teil befindet sich auf dem Weg und manche sind immer noch beim Umverteilen.

(Unruhe bei der SPD)

Unser Ministerpräsident hat Recht. Es ist zu Recht, dass er heute und morgen in diesen wichtigen Tagen für ganz Deutschland mit verhandelt und mit entscheidet, wie sich die neuen Länder in diese Verhandlungen einbringen.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb will ich das Wort des Ministerpräsidenten, das er vor wenigen Tagen in Meiningen gesagt hat, noch einmal dick unterstreichen, dass ein Staat, der den Menschen vermeintlich alles abnimmt, ihm letztlich alles nimmt. Genau das, meine Damen und Herren, ist für uns ein anderer Ansatz. Wir wollen Wachstum, wir wollen sozial nach Bedürftigkeit, nach Hilfebedürftigkeit einschätzen und nicht als bloßes Anspruchsdenken aller. Wir brauchen in Deutschland Reformen und nicht nur Reparaturen. Wir brauchen ein einfaches Steuersystem und wir brauchen eine Überarbeitung der Krankenversicherung und der Rentensysteme - ein tragfähiges soziales Sicherungssystem.

Die Entwicklung, meine sehr geehrten Damen und Herren, hier zitiere ich Herrn Erhard, der an Konrad Adenauer schrieb, Frau Präsidentin: „Die Entwicklung zum Versorgungsstaat wird nicht unwe

sentlich auch durch das Vordringen des Staates in immer weitere private und kulturelle und wirtschaftliche Bereiche gefördert. Das Ende ist das staatliche Zwangsüberversorgungssystem in der fragwürdigen Harmonie wachsender Armut.“ Diese ordnungspolitische Kernaussage von 1955 von Ludwig Erhard war klug und weitsichtig. Manchmal habe ich den Eindruck, wir sind 2005 in dieser Position, darüber noch einmal nachzudenken.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müssen verändern, wir müssen umsteuern. Die Menschen in diesem Land, wenn man ihnen die Wahrheit sagt, möchten das auch. Die Allensbacher Studie sagt eindeutig, 76 Prozent unserer Menschen sind überzeugt, dass wir Reformen brauchen. Nur ist es wie so oft, wenn es zum Schwure kommt, geht es nach dem Sankt-Florians-Prinzip. Solange es die anderen trifft, ist man gern zu Opfern bereit. Ich habe das hier in diesem Hause schon oft erlebt, wenn zuerst die Schuldenlast des Landes beklagt wird mit starken Worten und gleichzeitig - welche Ironie, welche Absurdität - die Sparmaßnahmen kritisiert werden. Deckungsvorschläge sind gefragt für alle Wohltaten, meine Damen und Herren von der Opposition. Ich bin sehr gespannt

(Beifall bei der CDU)

auf Ihre Vorschläge, für jeden einzelnen Vorschlag, den Sie verändern wollen, einen Deckungsvorschlag aus dem Landeshaushalt und kein Wolkenkuckucksheim.

(Zwischenruf Abg. Matschie, SPD: Die haben wir! Wir haben immer Deckungs- vorschläge. Fragen Sie Herrn Köckert.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir wollen mit diesem Sockelhaushalt den Reformkurs halten, Reformkurs halten, ausgehend von der Regierungserklärung, dem Reformhaushalt des Jahres 2005, dem Doppelhaushalt. Wir wollen weiter auch in schwierigster Zeit für Thüringen erfolgreich Politik gestalten mit knappen Mitteln, aber mit der Einsicht in die Notwendigkeit, dass wir nur das ausgeben können, was unsere Menschen jeden Tag verdienen. Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Frau Ministerin, Sie wollten noch die Frage des Abgeordneten Kuschel beantworten.

Ja.

Herr Abgeordneter Kuschel, bitte.

Frau Ministerin, wie bewerten Sie den Umstand, dass nicht nur der Ministerpräsident hier nicht zugegen ist, sondern während Ihrer Rede auch weniger als die Hälfte der Mitglieder Ihrer Fraktion und nicht mal der finanzpolitische Sprecher der CDUFraktion ständig Ihren Ausführungen gefolgt ist.

Herr Kuschel, Sie wissen ja, dass die Rede übertragen wird und auch in die Vorräume. Sicherlich kennen viele meiner Kollegen schon die Ausführungen und kennen die Rede in Teilen und die Grundaussagen. Ich glaube, dass Sie ganz interessiert die Rede nachlesen werden. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache und rufe als Ersten auf für die Fraktion der Linkspartei.PDS den Abgeordneten Hausold.

Verehrte Frau Präsidentin, meine verehrten Damen und Herren, verehrte Gäste, Frau Ministerin Diezel, Sie haben vorab angekündigt, dass Sie aus der wirtschaftlichen Gesamtsituation des Landes einen tief greifenden Politikwechsel als notwendig ansehen, und ich war davon ausgegangen, dass Sie sich heute dazu äußern. Ich muss allerdings deutlich sagen, von einem Politikwechsel habe ich wenig feststellen können, außer dass Sie Ihren seit Jahren angemahnten Kurs, den Sie Reformkurs nennen, sozusagen weitertreiben wollen. Darüber werden wir jetzt in die Debatte kommen können.

(Zwischenruf Diezel, Finanzministerin: Davon habe ich nicht gesprochen.)

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Ich muss Ihnen mal sagen, Sie beklagen sich darüber, dass niemand deutsche Sozialleistungen kaufen will - wie Sie sich ausdrücken. Ich muss Ihnen mal sagen, dieses Verständnis vom Umgang mit Sozialpolitik, mit sozialen Interessen, es auf den Verkaufstisch des Konsums zu legen, das finde ich unter allem Niveau.

(Zwischenruf Diezel, Finanzministerin: Ich hatte „übernehmen“ gesagt, nicht „verkaufen“.)

Das muss ich Ihnen sagen, Frau Ministerin,

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

wenn wir schon zum Verkaufen kommen, dann sind Sie im Augenblick nicht die Person, zu der ich dann das Vertrauen hätte, dass was wenigstens vernünftig verkauft werden kann. Da reden wir mal über die Jenoptik-Anteile. Das können wir mal tun.

Noch vor Jahren hat Ihr Ministerkollege Herr Trautvetter, in vielen verschiedenen Ämtern schon tätig, veröffentlicht, dass dieses Aktienpaket des Landes 220 Mio. € wert ist. Sie wollen es für 60 verkaufen - 160 Verlust. Da frage ich mich, was das für eine Politik und für ein Umgang mit Finanzen in diesem Land ist, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Ich muss Ihnen auch sagen, Ihr gesamter Haushaltsentwurf liegt genau auf dieser Linie und auf diesem Niveau. Unser Herr Ministerpräsident, das wurde heute schon angemahnt, ist heute hier nicht anwesend. Was bedeutet das eigentlich? Hat er so viel mit der Regierungsbildung in Berlin zu tun, dass man nicht mal zur Haushaltsberatung nach Thüringen kommen kann? Sind ihm die Thüringer Interessen so wichtig?

(Zwischenruf Abg. Kretschmer, CDU: Wo ist Ihr Fraktionsvorsitzender?)

Ja, unser Fraktionsvorsitzender, meine Damen und Herren, hat ein Bundestagsmandat gewonnen. Er hat nicht wie Sie, meine Damen und Herren...

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Also, er hat es nicht gewonnen. Er hat es ge- kriegt.)

Ich weiß doch, Sie hören das nicht gern. Bodo Ramelow wird Bundestagsabgeordneter. Bleiben wir mal bei der CDU, dann kann man das an dieser Stelle sagen: Sie haben am 18. September, meine Damen und Herren, die Landesregierung und auch die CDUFraktion in diesem Haus, die Quittung für Ihre Politik, die sich auch in diesem Haushalt widerspiegelt, abgefasst.

(Unruhe bei der CDU)

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Es heißt nämlich, Sie sind dritte politische Kraft in diesem Land geworden. Vielleicht nehmen Sie das mal zum Anlass, um darüber nachzudenken, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Die Seiten, die Sie benennen, sind die Wahlsieger in diesem Land. Das kann man deutlich sagen und das hat sehr viel mit Ihrer Landespolitik zu tun.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: So eine Kraftmeierei!)

Ja, Herr Mohring, das können Sie alles gern machen. Ich verstehe schon Ihre Unruhe, die verstehe ich durchaus, meine Damen und Herren von der Fraktion aus der Mitte des Hauses. Sie haben bei der Vorlage der heute zu beratenden Gegenstände im Grunde genommen schon wieder getrickst. Wir sind es auch nicht anders gewöhnt. Es scheint Methode zu sein, dass verbindliche Terminvorgaben der Landesregierung eben nichts bedeuten. Mit Verantwortungsbewusstsein für eine ordnungsgemäße Arbeit in diesem Landtag hätten Sie den Vorlagetermin September für die heute zu beratenden Dokumente durchaus einhalten können und somit den Menschen allerdings auch - und ich glaube, da liegt das Problem - vor der Bundestagswahl am 18. September öffentlich sagen müssen. So viel zur Ehrlichkeit, welches politische Programm Sie für die Zukunft vertreten, meine Damen und Herren. Und das ist eben keine ehrliche und keine Vertrauen erweckende Regierungspolitik. Das ist auch Ausdruck dieses Notstandshaushalts, den man natürlich in erster Linie dem Ministerpräsidenten anlasten muss. Unser Eindruck ist, dass Sie sich in letzter Zeit wirklich zu viel mit Berlin und zu wenig mit Thüringen und unserem Land befassen. Die Bevölkerung hat Ihnen dazu schon einen Denkzettel mit auf den Weg gegeben.

Aber zurück zu dem, was Sie den Menschen im Sommer tatsächlich vorenthalten haben, denn Sie kennen doch sehr wohl die katastrophale Situation im Einnahmebereich des Landes und darüber müssen wir reden.

(Zwischenruf Diezel, Finanzministerin: Jetzt kommt die Vermögenssteuer.)

Warten Sie noch ein Stück, Sie kommen noch auf Ihre Kosten.