Protokoll der Sitzung vom 08.12.2005

(Unruhe bei der SPD)

Sonst müsste ich in der Tat auch die Frage stellen, wie es bei Ihnen in der Partei mit Kandidaturen für Bundesvorstände und Ähnliches abgeht. Auch da ist, glaube ich, die Sozialdemokratische Partei nicht wirklich das, wo uns ein leuchtendes Vorbild hier am Horizont erscheint. Ich will Ihnen sagen, wir werden heute dieses Familienfördergesetz als CDU-Fraktion mittragen. Wir werden die Änderungsanträge, auch den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion nicht mittragen können.

Ich möchte Ihnen ganz zum Schluss nur ein Zitat mit auf den Weg geben, nicht von uns, sondern aus den Medien vom heutigen Tag. In der FAZ vom 08.12.2005 ist zu lesen, bezogen auf das, was wir als Familienoffensive diskutieren, ich zitiere: „Die Opposition fordert, dass nicht die Eltern frei entscheiden und verantworten sollen, sondern dass der Staat die Kinder unter vorgegebenen Bedingungen erziehen muss.“ Das schreibt die FAZ. Und die FAZ schreibt darüber hinaus, ich zitiere: „Thüringen schickt sich an, eine Familienpolitik zu betreiben, die selbst im europäischen Vergleich hervorsticht.“ Genau richtig. Genau das schreibt die FAZ völlig richtig, genau das ist unsere Auffassung an dieser Stelle. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Herr Abgeordneter Panse, der Abgeordnete Blechschmidt hat noch eine Frage an Sie. Gestatten Sie diese Frage? Dann bitte ich Sie, noch einmal nach vorn zu kommen. Frau Abgeordnete Taubert steht sicher auch zu einer Frage da. Gestatten Sie beide Anfragen?

Bitte schön.

Danke. Herr Kollege Panse, wir haben gestern Abend, Sie sprachen es selbst an, gemeinsam im Stadtrat in Erfurt gesessen. Dort wurde auch diese Frage debattiert. Unter anderem wurden von der Mehrheit Befürchtungen geäußert, was diese von Ihnen an verschiedener Stelle in Ihrem Beitrag angesprochenen Defizite der Kommunen, die auftreten werden, angeht. Die Erwartung meinerseits wäre ge

wesen, zu beschreiben, welche Defizite in welchen Höhen werden die Kommunen nach Ihren Aussagen auch weiterhin tragen müssen? Denn das sind große Befürchtungen, die nicht nur in der Stadt Erfurt, sondern darüber hinaus im Land existieren.

Zählt das jetzt als Frage oder war das ein Statement von Ihnen? Sie haben mich nichts gefragt. Ich würde das gern beantworten, wenn Sie mir eine Frage daraus formulieren würden. Gut, Sie fragen nach den Defiziten. Ich habe das ja vorhin gesagt. Da waren Sie augenscheinlich -

(Heiterkeit bei der SPD)

Sie versuchen es ja vielleicht als Frage zu formulieren. Es ist nicht exakt zu beziffern. Sie haben den Gesetzestext gelesen. Ich habe vorhin gesagt, allein durch die Übergangsregelung, was die Betreuung von behinderten Kindern in Regeleinrichtungen angeht, dadurch, dass die zusätzlichen Fachkräfte in diesen Einrichtungen weiter erhalten bleiben für die Dauer der nächsten ein, zwei, drei Jahre. Es kann keiner voraussagen, wie sich diese Zahlen entwickeln. Das ist nicht exakt zu beziffern. Es kann keiner exakt voraussagen, wie sich diese Betreuungsrelationen in den Städten entwickeln, was die Null- bis Zweijährigen angeht. Sie wissen, wir haben mit unserem Änderungsantrag, den wir vorgelegt haben, auch da einen Vorschlag unterbreitet, der insbesondere die Städte stärkt. Das ist bei allen Berechnungen bis jetzt von den Jugendämtern nicht einbezogen worden. Wir haben in den Städten eine andere Nachfrage nach Betreuungsplätzen für Null- bis Zweijährige, die besonders dann von Eltern, die in Erwerbstätigkeit sind, von allein Erziehenden, von in Ausbildung und im Studium befindlichen jungen Müttern in Anspruch genommen werden. Da ist in den Städten eine ganz andere Nachfrage als in den ländlichen Regionen. Wir haben einen Änderungsvorschlag unterbreitet, der sagt, auch da wollen wir wieter bedarfsgerecht in Städten, aber auch in ländlichen Regionen fördern. Auch da sind die Auswirkungen ungewiss. Es weiß keiner, wie da die Inanspruchnahme ist. Wir haben einen Eckrahmen, der in der Gesetzesabschätzung auf Seite 2 auch nachzulesen ist, was die Gesamtfinanzierungsentwicklung angeht. Ob das tatsächlich so exakt eintrifft, werden wir in der Tat erst mit der Abrechnung des Kindertagesstättenjahres 2006 oder 2007 wissen. Das war in der Tat auch momentan nicht viel anders, auch jetzt haben wir erlebt, dass die exakten Zahlen, was die Kosten auf kommunaler Ebene für eine Kindertagesstätte anging, erst am Jahresende überschaubar waren. Ich habe es vorhin auch erklärt, das korrespondiert ein Stückchen damit, wie viele Elternbeiträge eingenommen werden, wie viele Eltern unterhalb einer Ge

bührentabelle liegen, wie viele oberhalb einer entsprechenden Gebührentabelle liegen, also wie viel letztendlich an Einnahmen reinkommt. Insofern ist diese Frage - wenn es denn eine Frage war - nicht abschließend zu beantworten. Ich erläutere es Ihnen gern noch mal.

Frau Taubert.

Herr Panse, wir sind ja schon weit abgekommen von dem, was ich da fragen wollte.

Das weiß ich nicht, was Sie fragen wollten.

Ich durfte nicht fragen.

(Zwischenruf Abg. Köckert, CDU: Da fra- gen Sie doch!)

Sie hätten es sich ja aufheben können.

Sie haben vom besonderen verfassungsmäßigen Schutz der Familie gesprochen. Meine Frage richtet sich dahin: Welches Defizit gibt es denn momentan mit dem jetzigen gesetzlichen Status quo, der so verbesserungswürdig ist, dass man ihn jetzt ändern muss. Ich kann den nicht feststellen, deswegen würde ich das gern von Ihnen wissen wollen. Also, Sie haben offensichtlich ja ein Defizit festgestellt in dem besonderen Schutz von Familie, den Sie jetzt verbessern wollen. Das würde ich gern noch mal erläutert haben wollen.

(Beifall bei der SPD)

Frau Kollegen Taubert, ich bin überrascht über Ihre Fragen. Sie waren mal Sozialdezernentin. Ich glaube, Sie wissen um die Instrumente, Hilfen zur Erziehung, die wir haben, Sie wissen darum, wie die Instrumente, Hilfen zur Erziehung derzeit eingesetzt wurden, dass es da durchaus Verbesserungsmöglichkeiten gibt, dass die örtlichen Jugendämter selbstverständlich intensiver hinschauen müssen, auch reagieren müssen in den einzelnen Fällen. Das betrifft natürlich die Jugendämter, das betrifft aber auch, wie ich

es Ihnen vorhin versucht habe zu erläutern, uns alle, Nachbarn, Verwandte, Bekannte, die auch Hinweise geben müssen, da, wo Kindeswohlgefährdung im Raum steht. Da beklage ich schon ein Stückchen - Herr Matschie, Sie haben das aus dem „Freien Wort“ im April zitiert, das habe ich damals gesagt - dass wir als Gesellschaft uns da zu wenig insgesamt...

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Wo liegt das verfassungsmäßige Defizit?)

Herr Höhn, wenn Sie eine Frage stellen wollen, machen Sie das. Wenn nicht, beantworte ich das, was ich glaube, was Sie fragen wollen.

Es gibt kein verfassungsmäßiges Defizit. Wir haben aber gesagt, wir wollen die Umsetzung unserer Verfassung klar regeln. Wir wollen klar regeln, dass wir auch in häuslicher Pflege, in häuslicher Betreuung Familienstrukturen unterstützen wollen, dass wir genau deswegen das Landeserziehungsgeld auch bezahlen wollen, wenn Kinder zu Hause betreut und erzogen werden. Das ist der Unterschied. Ich habe nicht von einem Defizit der Verfassung gesprochen, um Gottes Willen. Wir haben die Verfassung gemeinsam beschlossen und da waren hier vielleicht einige noch nicht mit dabei, aber doch mit großer Einmütigkeit getragen und insofern suggerieren Sie doch bitte nicht, dass ich an dieser Stelle von Verfassungsdefiziten spreche. Wir können das im Protokoll der Sitzung nachlesen.

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Das kön- nen wir ja nachlesen.)

Das ist, denke ich, ein Vorschlag zur Güte.

Für die SPD-Fraktion hat sich Frau Abgeordnete Pelke zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, werter Kollege Panse, nach dem, was Sie hier alles so ausgeführt haben oder ausführen wollten, machen Sie es einem schon schwer, weil das, was Sie hier dargelegt haben, zeigt, dass es mit Familienpolitik nicht so ernst ist.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Aber was ich nicht gedacht hätte, Herr Panse, dass Sie sich immer noch steigern können. Was Ihre Überheblichkeit und Ihre Beratungsresistenz angeht, haben Sie sich tatsächlich noch gesteigert,

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

das muss man einfach mal feststellen. Sie haben aus der FAZ zitiert, lassen Sie mich aus der „Thüringer Allgemeinen“ zitieren. Man sollte sich immer mal auf die Dinge beschränken, die im eigenen Land stattfinden. Die „Thüringer Allgemeine“ beschreibt Ihre so genannte Offensive als das „Experiment“. Das Land probiert mal eben eine neue Familienpolitik an 1.370 Kindergärten und 80.000 Kindern aus. Genau das ist es. Sie haben über viele Dinge vorher nicht nachgedacht. Sie haben vielen Leuten nicht ernsthaft zugehört. Sie haben sich keine Gedanken gemacht und, ich glaube, Sie nehmen sich selbst nicht ernst. Insofern will ich noch mal darauf eingehen, was Sie vorhin angesprochen haben. Die Frage ist nicht, Herr Panse, ob Sie hier den Raum verlassen und damit an der Abstimmung nicht teilnehmen und sich damit vielleicht richtig verhalten. Nein, wenn Sie sich ernst nehmen mit all dem, was Sie bis zum 20. April gesagt haben, dann hätten Sie sowohl auf dem Parteitag ihrer Partei als auch hier die Hand heben müssen, um dagegen zu stimmen. Dann würde ich Sie ernst nehmen als ehrlichen Familienpoliker.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Sie haben - und das finde ich schon eine Unverschämtheit, weil Sie das immer wieder tun - uns unterstellt, dass wir den Eltern pauschal die Erziehungsfähigkeit absprechen. Das ist unverschämt. Wenn Sie ernsthaft in die Einrichtungen gehen, Sie haben selber gesagt und das weiß ich, dass Sie sich der Diskussion in vielen Fällen gestellt haben, aber dann müssten Sie auch mitbekommen haben, dass es für viele Familien - und ich will mich jetzt gar nicht auf die so genannten sozial schwachen oder bildungsfernen beziehen - tatsächlich schwierig ist, ihrem Erziehungsauftrag gerecht zu werden. Das ist so. Diesen Leuten müsste man helfen, wenn man es denn ehrlich meint mit einer vernünftigen Familienpolitik. Insofern ist das, was Sie jetzt als neue Wahlfreiheit in Ihrem Gesetz beschreiben, denn die Wahlfreiheit hat es ja vorher schon längst gegeben, deswegen hätten Sie sich hier gar nicht bemühen müssen, kann ich Ihnen nur sagen, es ist keine Wahlfreiheit, Herr Kollege Panse, das, was Sie hier betreiben, ist soziale Auslese.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Das ist soziale Auslese, weil ein Teil der Familien, über die wir reden, sich tatsächlich an den fiskalischen Bedingungen orientieren muss. Damit spreche ich Ihnen nicht die Erziehungsbereitschaft und die Erziehungsmöglichkeit ab, das ist einfach so. Sie verstärken das genau mit Ihrem Gesetz zum einen, weil Sie Geld denjenigen geben, Christoph Matschie hat das schon ausgeführt, die es gar nicht brauchen und Geld denjenigen beziehungsweise qualitative Erziehungsmöglichkeiten für ihre Kinder entziehen, die es

tatsächlich bräuchten.

Dann, wissen Sie, nervt es auch mittlerweile, dass Sie sich immer einen Träger aussuchen, den Sie aus ihrer Sicht als Antibeispiel darstellen wollen. Ach, das ist doch Quatsch. Sie können ja einmal mit der AWO in verschiedensten Einrichtungen diskutieren.

(Zwischenruf Abg. Panse, CDU: Auch das haben wir gemacht.)

Sie können ja mal in die kirchlichen Einrichtungen gehen, Sie könnten ja mal mit Frank-Michael Pietzsch reden als Landesvorsitzender der Volkssolidarität, wie die Träger mit der Entlohnung ihrer Mitarbeiter zurande kommen und wie die finanziellen Möglichkeiten sind. Sie müssten mal das, was Sie sich hier geleistet haben hinsichtlich der Mitarbeiter von Wohlfahrtsorganisationen, auch ehrlicherweise vor Ort sagen und mal gucken, wie dann die Diskussion weiterläuft.

Dann wollte ich Ihnen noch sagen als kleinen Einstieg, bevor ich darauf komme, dass Sie uns ja Arbeitsverweigerung unterstellt haben - wahrscheinlich haben Sie den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion nicht gelesen, das kann ja mal passieren -, wenn Sie tatsächlich bereit gewesen wären auf kritische Stimmen zu hören, dann hätten Sie heute verzichtet, dieses Gesetz verabschieden oder durchpeitschen zu wollen, wie auch immer.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Sie hätten sich unserem Antrag angeschlossen, dieses Gesetz zurückzuziehen, gänzlich zurückzuziehen, weil wir dieses Gesetz in sich überhaupt nicht wollen. Das ist richtig. Oder Sie hätten sich wenigstens dem Anliegen der Parität bzw. der Linkspartei.PDS-Fraktion anschließen können, wo es um ein Moratorium ging. Aber noch nicht mal das haben Sie ja im Sozialausschuss gewollt.

Was mich dann schon sehr verwundert, Herr Kollege, ist: Es wird ein Gesetz erarbeitet, im Vorfeld wird mit keinem darüber geredet. Es gibt Grundlagen im Thüringer Landtag, die viel sagen zur Frage Qualität in der Erziehung, Qualität in den Einrichtungen, das sind nämlich die Ergebnisse der Enquetekommission Erziehung und Bildung. Wenn ich mich recht erinnere, waren Sie Mitglied dieser Enquetekommission und auch Sie wissen, dass nahezu alle Empfehlungen einstimmig festgelegt worden sind. Und dann sagen Sie im Nachgang, Sie haben jetzt ein Gesetz machen wollen, das noch alles viel, viel besser macht, das sich an den Empfehlungen der Enquetekommission orientiert und tatsächlich steht im Gesetz das krasse Gegenteil.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben hier sehr viel über Gesetz und über Ihre Änderungsanträge geredet, aber eines haben Sie nicht gesagt, dass Sie schlichtweg, zumindest im ersten Durchgang, es kann noch mehr werden, den Einrichtungen, den Trägern der gesamten Kindertagesstättenlandschaft „zunächst mal“ 37 Mio. € entziehen. Das haben Sie nicht gesagt. Da war die Kollegin Lieberknecht schon viel ehrlicher. Die hat ganz offen in den Diskussionen gesagt, es ist ein Einsparungsgesetz. Sie erklären immer, alles wird besser. Dafür, dass es besser wird, müssen wir erst mal Geld wegnehmen.

Wenn man dann ein solches Gesetz durchzieht, Landesregierung, CDU-Fraktion, das ist ja in dem Punkt alles eins, dann verwundert es mich schon sehr, dass man, nachdem das Kabinett im zweiten Durchlauf dieses Gesetz sozusagen durchgewunken hat, im Nachgang ein Gutachten in Auftrag gibt, um dieses Gesetz, was man schon durchgewunken hat, noch mal bewerten zu lassen. Da nimmt man alles, was an Nettigkeiten zur Landesregierung, zum Super-Ministerpräsidenten, zum Super-Familienpolitiker Panse gesagt worden ist, positiv zur Kenntnis, aber den wichtigsten Satz, der drin steht, dass man durchaus in diesen Bereichen Veränderungen diskutieren kann und dass es durchaus möglich ist, über Veränderungen zu reden, Veränderungen umsetzen, dass es dazu zwei Dinge braucht, Zeit und Geld, und dass man nicht im Vorfeld dem System schon Geld entzieht, genau dieser eine Satz im Gutachten hat Ihnen nicht gefallen, auf den haben Sie sich nämlich überhaupt nicht bezogen.

Deswegen sage ich, wenn Sie sich und Ihr Gesetz so für super halten, gibt es einen schönen Spruch: Nicht jeder, der sich für super hält, ist auch ein Superheld.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)