Protokoll der Sitzung vom 04.05.2006

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, in der letzten Zeit - und das wurde auch hier im Saal gesagt - konnten wir aus zahlreichen Presseveröffentlichungen und auch aus der Berichterstattung in den zuständigen Ausschüssen erfahren, Thü

ringen bekommt in der Förderperiode 2007 bis 2013 weniger Geld. Statt der bisher 2,4 Mrd. € für EFRE- und ESF-Mittel werden es nur 2,2 Mrd. € sein. Wenn ich dann noch die 20 Prozent beabsichtigten Vorwegabzug der Bundesregierung sehe für die so genannten Mittel EFRE und ESF, so werden nach der letzten Berichterstattung im Ausschuss wahrscheinlich ungefähr 18,4 Mrd. € in Thüringen dazu zur Verfügung stehen. Gerade weil es weniger Geld ist, meine Damen und Herren, und auch im letzten Tagesordnungspunkt hat Geld eine Rolle gespielt, kommt es darauf an, dass diese Mittel effektiv und für die Nachhaltigkeit in Thüringen eingesetzt werden. Das, meine Damen und Herren, ist nicht nur eine Verwaltungsaufgabe, sondern das ist eine politische Aufgabe, die wir hier zu erfüllen haben.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Richtig ist, dass entsprechend der EU-Verordnung dafür Organe geschaffen werden, die die Operationellen Programme begleiten und kontrollieren, nämlich der Begleitausschuss. Richtig ist auch, dass der Begleitausschuss für die Förderperiode, für die neue Förderperiode, noch bestimmt werden muss. Wir wollen mit unserem Antrag aber dazu schon ein politisches Zeichen setzen. Ich möchte entsprechend der Verordnung des Rates zu den allgemeinen Bestimmungen über die europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds und den Kohäsionsfonds aus dem Artikel 64 noch einmal die Aufgaben dieses Begleitausschusses darlegen. Wir werden erkennen, es sind nicht nur Verwaltungsaufgaben, meine Damen und Herren, nämlich zu seinen Aufgaben gehört, er prüft und billigt binnen 4 Monaten nach der Genehmigung der Operationellen Programme die Kriterien für die Auswahl der kofinanzierten Operation. Es ist uns bekannt, dass Thüringen Probleme in der Kofinanzierung von Projekten mit EU-Förderung hat. Eine weitere Aufgabe, er evaluiert auch anhand der vorgelegten Unterlagen von den Verwaltungen regelmäßig, welche Fortschritte bei der Verwirklichung der spezifischen Ziele dieser Programme erzielt wurden. Er prüft die Ergebnisse der Durchführung und dabei besonders, inwieweit Schwerpunkte der festgelegten Ziele verwirklicht wurden, und er prüft und billigt jeden Vorschlag zur inhaltlichen Änderung der Entscheidungen der Kommission zur Fondsbeteiligung. Aber eine wesentliche Aufgabe dieser Begleitausschüsse ist, er kann der Verwaltungsbehörde Anpassung oder Änderung des Operationellen Programms vorschlagen, die geeignet sind zur Verwirklichung der Fondsziele. Gerade diese Aufgabe, meine Damen und Herren, wer das nur als eine verwaltungstechnische Aufgabe betrachtet, der reduziert, glaube ich, hier diese Bedeutung des Begleitausschusses, nämlich gerade die Evaluierung, die Neuausrichtung der Fondsprogramme. Das ist, wenn wir das Prinzip der Nach

haltigkeit hier auch einbeziehen, eine politische Aufgabe. Ich glaube, anhand dieser Aufgaben ist die Bedeutung des Begleitausschusses klar. Während einer der letzten Landtagssitzungen hat das auch der Kollege Kretschmer von der CDU-Fraktion noch einmal eindeutig hervorgehoben. Gerade die Einschätzung der Wirksamkeit der Förderung und mögliche Korrekturen, das ist nicht nur Verwaltung, das ist politische Aufgabe. Es hier schon mehrmals aufgezählt worden, wer Mitglied dieses Begleitausschusses sein sollte entsprechend dieser Richtlinien bzw. der Verordnungen der EU. Richtig ist, die so genannten WISO-Partner, also Partner aus Wirtschaft und Sozialem, und, es wird auch von kompetenten Einrichtungen der Zivilgesellschaft gesprochen, die Umweltorganisationen, Nichtregierungsorganisationen, auch die Forderungen von Gleichstellung von Mann und Frau. Es heißt aber auch in dieser Verordnung in Artikel 10 c: „Der Mitgliedstaat bestimmt die repräsentativsten Partner auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene sowie in Wirtschaft und Gesellschaft und in anderen Bereichen“. Ich wiederhole noch einmal, der repräsentativste Partner, da muss ich jetzt die Frage stellen: Sind wir als Thüringer Landtag, als Landtag kein repräsentativer Partner hier in diesem Land, wenn es um politische Entscheidungen geht, was die EU-Fondsförderung betrifft? Auch Minister Reinholz hat in einer der letzten Landtagssitzungen gesagt: Der Struktur- oder die Strukturfonds sollten der nachhaltigen Entwicklung dienen. Er spricht dort für einen Zeitraum von 20 bis 30 Jahren. Ist das nicht eine politische Ausrichtung dieses Landes? Liegt es nicht in der Verantwortung des Landtags, wie sich Thüringen nachhaltig entwickeln soll? Insbesondere, weil wir in der letzten Zeit Veröffentlichungen lesen konnten, wo Minister Reinholz von Veränderungen der Wirtschaftsförderung spricht und diese ankündigt und auch von Änderungen - das wurde hier schon mal dargelegt - der Aufteilung der EU-Mittel, nämlich 70 Prozent EFRE und 30 Prozent für ESF. Nach den Veröffentlichungen des Wirtschaftsministeriums hat man sich zur Aufgabe gestellt: Schaffung und Erhalt von Arbeitsplätzen. Das ist richtig und entspricht den EU-Forderungen. In dem Papier des Wirtschaftsministeriums heißt es dazu, ich darf zitieren: „Die Förderung soll sich künftig aus einem Basisfördersatz und flexiblen zielorientierten Zuschlägen zusammensetzen. So wäre es denkbar, Zuschläge z.B. für Neuansiedlungen, für die Schaffung sehr vieler Arbeitsplätze, für Investitionsvorhaben besonders innovativer oder exportorientierter Unternehmen oder für Unternehmen in ausgewiesenen zukunftsfähigen Branchen zu geben.“ So weit, so gut und so weit auch zu befürworten. Aber wenn es schon um die Erhaltung von Arbeitsplätzen bzw. um die Schaffung von Arbeitsplätzen geht und damit um die Verwendung von EU-Fondsmitteln, dann sollte auch fest verankert werden, dass diese Schaffung von Arbeitsplätzen verbunden sein muss mit der Forderung: Wer EU-Mittel

bekommt und Arbeitsplätze abbaut bzw. nicht in der Lage ist, langfristige nachhaltige Arbeitsplätze zu schaffen, sollte gefälligst diese EU-Mittel wieder an das Land zurückzahlen, um diese neu auszurichten. Auch das hat nichts mit Verwaltung zu tun, meine Damen und Herren, sondern das ist eine politische Forderung und auch eine politische Aufgabe. Aber bei all diesen Ausrichtungen, meine Damen und Herren, wir als Abgeordnete sind nicht dabei. Wenn es um die Evaluierung der Wirksamkeit der eingesetzten Fördermittel geht und um Festlegung der möglichen Ausrichtung - wir als Landtag sind nicht dabei. Uns geht es um Transparenz bei der Förderung und bei der Verwendung der EU-Mittel. Dazu sollten wir in den Fraktionen und nicht nur in der Fraktion der Regierungspartei über die notwendigen Informationen verfügen. Und dazu, was die Argumente waren, was andere ostdeutsche Länder betrifft, es ist richtig, in keinem ostdeutschen Parlament wird bisher so verfahren. Wenn wir als Thüringen immer uns darstellen oder Thüringen dargestellt wird von Seiten der Landesregierung: „Wir sind Spitze!“ - warum wollen wir dann nicht, gerade wenn es um parlamentarische Kontrollen geht, wenn es um Demokratieverständnis geht, wenn es um Mitwirkung des Landtags geht, auch in dieser Beziehung mal Spitze sein? Denn es ist für eine Oppositionspartei ganz einfach legitim, zu fordern, genau den gleichen Informationsfluss zu erhalten wie eine Regierungspartei. Wie Berichterstattungen stattfinden, meine Damen und Herren, das konnten wir hier in dem Landtag schon oft genug erleben, wenn die Landesregierung Bericht erstattet hat. Man berichtet von dem Positiven und das, was weniger positiv ist, das lassen wir erstmal weg. Das bedarf dann intensiver Anstrengungen und Nachfragen von Seiten der Opposition. Es kann nicht Maßstab sein, dass man nur über Dritte Aussagen über die Arbeit des Begleitausschusses erhält oder wenn man intensive Nachfragen in zuständigen Ausschüssen stellt. Es ist nicht nachvollziehbar, warum Gewerkschaften, der Landesfrauenrat, die LIGA einbezogen werden, was richtig und wichtig ist in dem Begleitausschuss, aber das Landesparlament bleibt außen vor.

Gerade im Rahmen der Arbeit der Enquetekommission „Wirtschaftsförderung in Thüringen“, meine Damen und Herren, hat sich gezeigt, wie fruchtbringend die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Parlament sein kann. Also warum auch nicht im Begleitausschuss, warum ist die Landesregierung der Meinung, der Landtag sollte nicht vertreten sein, warum sind wir außen vor? Mögliche Antworten, meine Damen und Herren:

Erstens, wir sind entsprechend Artikel 10 der EU-Verordnung nicht repräsentativ und können keinen Beitrag im Ausschuss leisten.

Zweitens, wir sind zu dumm.

Drittens, die Möglichkeit besteht, wir sind zu faul.

Das könnte man meinen, wenn Herr Kretschmer letztens hier im Plenum sagte, wo es um die Operationellen Programme ging, sinngemäß, dass es ausreicht, dass die Sozialpartner im Begleitausschuss vertreten sind, als ein Beleg, wie gut die Interessen des Freistaats vertreten werden. Also da frage ich mich, meine Damen und Herren, wer vertritt die Interessen des Freistaates nicht besser als der Landtag? All diese Gedanken wollen wir allerdings der Landesregierung und auch Herrn Kretschmer nicht unterstellen. Also gibt es einen vierten Punkt, warum es nicht sein soll: Die Opposition soll ausgegrenzt werden und von Informationen fern gehalten werden. Wir sollen nicht mitbekommen, wie die Fördergelder nicht vollständig abgerufen werden, wie die Landesregierung vielleicht keine nachhaltige Förderung betreibt, sondern lieber mit EU-Mitteln Haushaltslöcher stopft. Oder wir sollen nicht mitbekommen wie es nicht möglich ist, entsprechende Kofinanzierungen auf den Weg zu bringen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Das ist vielleicht das Anliegen, warum wir nicht beteiligt werden sollen. Für uns bedeutet das Opposition Ausgrenzung von der Kontrolle. Ich wiederhole noch einmal Artikel 10, die repräsentativsten Partner sollen vertreten sein in diesen Sachen. Kontrollverfahren der EU-Kommission gegen Förderpraktiken in Thüringen zur Wirtschaftsförderung oder zur Förderung von Landesgesellschaften belegen, wie wichtig eine parlamentarische Begleitung sein sollte. Auf Fragen zur mangelhaften Förderung sozialer Betriebe gab es mangelhafte Antworten von Seiten der Landesregierung. Wie war es nun? Wollte die EU diese Förderung nicht oder wollte es die Landesregierung nicht? Diese Fragen blieben nicht mit einem faden Beigeschmack offen, meine Damen und Herren, wenn wir als Abgeordnete in der Begleitung der Förderperiode in den zuständigen Gremien vertreten werden.

Ich muss noch einmal Herrn Kretschmer sinngemäß aus dem letzten Plenum zitieren. Er sagte dort bei der Beratung unseres Antrags, wie gesagt, Operationelle Programme: Wir sind nicht Herr des Verfahrens. Meine Damen und Herren, wir wollen aber Herr des Verfahrens werden. Wenn Sie es aus der Mitte des Hauses wollen, können sich die Abgeordneten der drei Fraktionen in die Diskussion und Kontrolle einbringen und so die Entwicklung mit beeinflussen. Wir wollen, dass der Landtag in die gestalterische Arbeit des Begleitausschusses einbezogen wird. Das würde Offenheit schaffen, Kompetenz einbringen und vor allem auch Misstrauen abbauen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Dagegen dürften doch die Landesregierung und die hier im Haus vertretenen Parteien nichts einzuwenden haben. Wenn Sie dazu noch Diskussionsbedarf haben, meine Damen und Herren der Fraktion der CDU oder der SPD, dann sind wir auch gern bereit, diesen Antrag nochmals in den zuständigen Ausschüssen zu diskutieren. Wir sind aber der Meinung, dass der Antrag heute hier direkt positiv entschieden werden sollte. Es geht immerhin um eine mögliche Summe von 18,4 Mrd. €, meine Damen und Herren. Diese Summe und die Entscheidung über den Einsatz dieser Gelder sollten wir der Landesregierung nicht allein überlassen. Es geht hier auch um Mitsprache des Parlaments in der Förderpolitik und es geht auch um Mitwirkung. Da erwarte ich eigentlich so ein Demokratieverständnis, dass der Landtag in diese Beziehung einbezogen wird. Die Regierung sollte dankbar sein, wenn sie in der Entscheidungsfindung Hilfe durch den Landtag bekommt, deshalb bitte ich um Zustimmung für unseren Antrag.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Für die Landesregierung hat sich Minister Reinholz zu Wort gemeldet.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, auch in der kommenden EU-Förderperiode sind nach dem Entwurf für eine neue Strukturfondsverordnung Begleitausschüsse für die Operationellen Programme einzusetzen. Zusammen- und eingesetzt wird der Ausschuss vom Mitgliedstaat im Einvernehmen mit der jeweiligen Verwaltungsbehörde - in Thüringen also mit dem Wirtschaftsministerium - bis spätestens drei Monate nach Genehmigung der Programme. Das wird voraussichtlich im Laufe des Jahres 2007 erfolgen. Aufgabe des Begleitausschusses ist es, zusammen mit der Verwaltungsbehörde über die ordnungsgemäße und effiziente Durchführung eines Operationellen Programms zu wachen. Der Ausschuss bewertet Fortschritte und Ergebnisse der Durchführung im Hinblick auf die im Operationellen Programm festgelegten Ziele. Diese Begleit- und Prüftätigkeiten sind Aufgaben auf der Verwaltungsebene. Es handelt sich bei dem Begleitausschuss also um einen Verwaltungsausschuss, es geht letztlich um Verwaltungsvollzug.

Meine Damen und Herren, gemäß Artikel 70 der Verfassung des Freistaats Thüringen obliegt die vollziehende Gewalt der Landesregierung. Aufgabe des Landtags - Artikel 48 Abs. 2 der Verfassung - ist es,

die Exekutive zu überwachen. Er nimmt selbst keine exekutiven Aufgaben wahr. Das heißt, dass die Legislativebene nicht in Verwaltungsausschüssen mitarbeitet. Das, meine Damen und Herren von der Opposition, entspricht dem Grundsatz der Gewaltenteilung. Diesem Grundsatz widerspricht auch nicht der von Ihnen in der Antragsbegründung zitierte Artikel 10 des Verordnungsentwurfs. Der Artikel enthält nicht mehr und nicht weniger als eine allgemeine Regelung zum Verhältnis zwischen der Europäischen Kommission und dem Mitgliedstaat sowie zu anderen Partnern. Er weist im Übrigen bezüglich der Ausgestaltung der Partnerschaften ausdrücklich auf die einzuhaltenden institutionellen, rechtlichen und finanziellen nationalen Regelungen hin. Eine Übernahme exekutiver Aufgaben durch die Legislative ist hier nicht vorgesehen und lässt sich daraus, meine Damen und Herren, auch nicht ableiten. Meines Wissens ist deshalb bisher auch in keinem anderen Bundesland ein Vertreter der Legislative Mitglied eines Begleitausschusses.

Die Landesregierung, meine Damen und Herren, informiert das Parlament von sich aus über die Programmplanungen, Änderungen und Ergebnisse, so dass der Landtag seiner Überwachungsaufgabe gerecht werden kann. Ihm steht darüber hinaus - und das wissen Sie - eine Reihe von parlamentarischen Mitteln für Informationsbegehren zur Verfügung. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Mir liegen keine weiteren Redeanmeldungen vor. Herr Abgeordneter Kubitzki, ich habe Sie nicht so verstehen sollen, dass der Antrag auf Ausschussüberweisung gestellt worden ist? Dann stimmen wir also direkt über den Antrag...

(Zwischenruf Abg. Schröter, CDU: Geschäftsordnungsantrag!)

Ein Geschäftsordnungsantrag? Herr Abgeordneter Schröter.

Frau Präsidentin, namens der CDU-Fraktion beantrage ich namentliche Abstimmung.

Dann stimmen wir in namentlicher Abstimmung über den Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS in Drucksache 4/1798 ab und ich bitte darum, dass die Schriftführer die Stimmkarten einsammeln.

Ich gehe davon aus, dass jeder seine Stimmkarte abgeben konnte, und bitte darum, dass das Auszählen beginnt.

Mir liegt das Ergebnis der namentlichen Abstimmung vor. In der Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 3 und zu Drucksache 4/1798 wurden 74 Stimmen abgegeben; mit Ja haben 23 gestimmt, mit Nein 51; es gab keine Stimmenthaltungen (namentliche Ab- stimmung siehe Anlage). Damit ist der Antrag abgelehnt.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 3 und rufe vereinbarungsgemäß den Tagesordnungspunkt 11 auf

Bekanntgabe der Entscheidung des Erweiterten Gremiums zum Ab- schluss der Einzelfallprüfung be- züglich der Abgeordneten Leukefeld gemäß § 7 Abs. 1 des Gesetzes zur Überprüfung der Abgeordneten des Thüringer Landtags auf eine haupt- amtliche oder inoffizielle Zusammen- arbeit mit dem Ministerium für Staats- sicherheit oder dem Amt für Nationa- le Sicherheit

Ich bitte die Vorsitzende des Erweiterten Gremiums, Frau Prof. Schipanski, um die Bekanntgabe der Entscheidung.

Meine Damen und Herren Abgeordneten, ich möchte Ihnen die Entscheidung des Erweiterten Gremiums des Landtags in der Einzelfallprüfung der Abgeordneten Leukefeld bekannt geben:

Zum Abschluss der Einzelfallprüfung hat das Erweiterte Gremium gemäß § 6 Abs. 1 Thüringer Abgeordnetenüberprüfungsgesetz mit den Stimmen von zwei Dritteln der stimmberechtigten Mitglieder aufgrund der Sitzungen am 16. März 2006, am 1. April 2006 und am 24. April 2006 festgestellt: Die Abgeordnete Ina Leukefeld, Mitglied des Landtags, hat wissentlich als inoffizielle Mitarbeiterin der Kriminalpolizei mit dem Ministerium für Staatssicherheit zusammengearbeitet und ist deshalb unwürdig, dem Landtag anzugehören. Ich verlese Ihnen die Begründung:

Mit Schreiben vom 07.10.2004 habe ich als Präsidentin des Thüringer Landtags die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 des Thüringer Abgeordnetenüberprüfungsgesetzes bezüglich aller Mitglieder des Thüringer Landtags um die Übermittlung von Unterlagen zum Zweck der Überprüfung nach § 1 Thüringer Abgeordnetenüber

prüfungsgesetz gebeten.

Mit Schreiben vom 12.09.2005 übersandte die Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen als Ergebnis der Recherche zu der Abgeordneten Leukefeld eine Mitteilung sowie Unterlagen mit Hinweisen auf eine Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit.

Am 17.11.2005 trat das Gremium gemäß § 3 Abs. 2 Thüringer Abgeordnetenüberprüfungsgesetz zusammen, um über die Einleitung einer Einzelfallprüfung zu beraten. Es beschloss gemäß § 3 Abs. 3 Seite 2 einstimmig eine Verfahrensordnung und stellte nach Beratung der von der Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen übermittelten Unterlagen in einer zweiten Sitzung am 23.11.2005 wiederum einstimmig fest, dass im Fall der Abgeordneten Leukefeld aufgrund der übermittelten Unterlagen die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 des Thüringer Abgeordnetenüberprüfungsgesetzes für die Einleitung einer Einzelfallprüfung gegeben sind.

Mit Schreiben vom 24.11.2005 habe ich die Abgeordnete Leukefeld über den Beschluss des Gremiums und ihre Verfahrensrechte unterrichtet sowie auf die Gelegenheit zur Einsichtnahme in die Unterlagen und die Möglichkeit zur Stellungnahme hingewiesen.

Mit Schreiben vom 29.11.2005 wurde die Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen aufgrund erkennbarer Lückenhaftigkeit der übermittelten Unterlagen gebeten, die vollständigen Unterlagen zu der Abgeordneten Leukefeld zur Verfügung zu stellen sowie ergänzende Fragen zu beantworten, insbesondere wann und aus welchen Gründen eine inoffizielle Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit beendet wurde, wenn der inoffizielle Mitarbeiter hauptberuflich in eine Parteifunktion einrückte.

Mit Schreiben vom 19.01.2006 übersandte die Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen die vollständigen zu Frau Leukefeld vorhandenen Unterlagen. Zum beruflichen Wechsel eines inoffiziellen Mitarbeiters in eine Staats- oder Parteifunktion teilte die Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen mit, dass IM-Vorgänge zum Schutz des SED-Parteiapparats vor Ausforschung regelmäßig gemäß der Richtlinie zur IM-Tätigkeit 1/68 einzustellen waren. Im parallel zu bewertenden Bereich des Arbeitsgebiets 1 der Kripo habe dies gemäß der Richtlinie 001/78 entsprechend gegolten.

Mit Schreiben vom 14.12.2005 benannte Frau Leukefeld als Vertrauensperson den Abgeordneten Buse, Mitglied des Landtags, und legte eine Erklärung zu einer inoffiziellen Tätigkeit für die K 1 vor, die sie bereits am 11.11.2005 mir persönlich übergeben hatte.

Das Erweiterte Gremium zur Durchführung der Einzelfallprüfung setzte sich daher aus folgenden Mitgliedern zusammen: Stimmberechtigte Mitglieder sind einmal ich, dann Frau Dr. Klaubert, Frau Pelke, Herr Schröter und Frau Walsmann. Ständige Ersatzmitglieder ohne Beratungs- und Stimmrecht: Frau Groß, Frau Jung, Herr Höhn, Herr Carius und Herr Köckert. Beratende Mitglieder sind der Fraktionsvorsitzende und die Vertrauensperson, dies waren Herr Hausold und Herr Buse.

Allen Mitgliedern des Erweiterten Gremiums sowie der Abgeordneten Leukefeld wurde ausreichend Gelegenheit gegeben, sich mit Grundlagen und Ablauf des Verfahrens sowie den vorliegenden Unterlagen vertraut zu machen.

Das Erweiterte Gremium hat drei Sitzungen durchgeführt. In der ersten Sitzung am 16.03.2006 wurde Frau Leukefeld die Mitteilung der Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen eröffnet. Sie gab dazu eine mündliche Stellungnahme ab. Nachdem die stimmberechtigten Mitglieder des Erweiterten Gremiums aufgrund der Unterlagen und der Äußerungen von Frau Leukefeld keine weiteren Fragen zur Feststellung und Bewertung des Sachverhalts hatten, wurde der Abgeordneten Leukefeld mit Schreiben vom 21.03.2006 Gelegenheit zur Einsichtnahme in das Protokoll gegeben. In der zweiten Sitzung des Erweiterten Gremiums am 01.04.2006 wurden die vorliegenden Erkenntnisse beraten und die daraus folgende Bewertung abgestimmt. Dieses Ergebnis wurde Frau Leukefeld gemäß § 5 Abs. 2 Thüringer Abgeordnetenüberprüfungsgesetz eröffnet. Frau Leukefeld nahm das Ergebnis zur Kenntnis und sah von einer Stellungnahme bzw. Erörterung in der Sitzung ab. Mit Schreiben vom 11.04.2006 erhielt Frau Leukefeld Gelegenheit zu einer weiteren Stellungnahme bis zum 21.04.2006. Eine weitere Stellungnahme erfolgte nicht.

In der dritten Sitzung am 24.04.2006 hat das Erweiterte Gremium die schriftliche Fassung der Entscheidung beraten und abschließend abgestimmt. Das Erweiterte Gremium hat diesen Beschluss gemäß § 6 Abs. 1 Thüringer Abgeordnetenüberprüfungsgesetz mit zwei Dritteln der stimmberechtigten Mitglieder bei einer Gegenstimme gefasst.

Aus den von der Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen übermittelten Unterlagen ergibt sich folgender Sachverhalt:

Nach einer Vorlaufphase, beginnend mit der Erfassung, Überprüfung und Kontaktierung, wurde Frau Leukefeld vom 05.06.1985 bis 09.10.1986 vom Volkspolizeikreisamt Suhl, Arbeitsgebiet 1 der Kriminalpolizei, als IKMO - inoffizieller kriminalpolizeilicher Mitarbeiter für operative Aufgaben - geführt. Ziel des

IM-Einsatzes war gemäß dem Werbungsvorschlag die operative Bearbeitung von Personen, die einen Antrag auf Übersiedlung in die BRD gestellt haben, die Absicherung von politischen und gesellschaftlichen Höhepunkten sowie Groß- und Sportveranstaltungen mit nationalem und internationalem Charakter, ständig wiederkehrender Veranstaltungen und die Gewährleistung eines hohen allgemeinen Informationsaufkommens über Stimmungen und Meinungen. Hierfür erschien Frau Leukefeld aufgrund ihrer beruflichen Stellung als Stadträtin für Jugendfragen, Körperkultur und Sport bei der Stadt Suhl besonders geeignet.

Ein erstes Kontaktgespräch fand am 27.02.1985 in der Wohnung von Frau Leukefeld statt. Sie erklärte sich zur Erteilung von Auskünften zum Pfingsttreffen der Jugend, zu Übersiedlungsantragstellern aus dem VEB Hauswirtschaft Suhl und dem Wohngebiet Aue I bereit. Sie teilte die Namen von drei Antragstellern mit und gab eine Verhaltens- und Persönlichkeitseinschätzung ab. Bei einem vermutete sie Probleme mit seinen zwei Söhnen, bei einer anderen Schwierigkeiten mit Männern. Im zweiten Kontaktgespräch am 18.03.1985 beantwortete Frau Leukefeld einen Fragenkatalog zur Situation der Jugend unter politisch-ideologischen Aspekten. Bei einem weiteren Kontaktgespräch am 10.05.1985 berichtete Frau Leukefeld u.a. über die Situation von zwei Antragstellerfamilien in Zella-Mehlis.