Protokoll der Sitzung vom 05.05.2006

(Beifall bei der CDU)

Weitere Wortmeldungen von Abgeordneten liegen vor. Herr Abgeordneter Primas, CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kann einige Ausführungen von Frau Becker beim besten Willen hier nicht so stehen lassen. Das wäre fürs Protokoll furchtbar. Aus diesem Grunde melde ich mich noch einmal zu Wort.

Sehr geehrte Frau Becker, Sie haben das Biosphärenreservat Südharz so gelobt, als wäre es das Nonplusultra. Der Vorspann ist eine Studie, die in Auftrag gegeben wurde. Das ist keine Studie für das Biosphärenreservat, das ist eine Wirtschaftsverhinderungsstudie, aber nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für die Landwirtschaft. Da steht beispielsweise drin, Herr Kummer, die Goldene Aue, Landwirtschaft, das ist zu einer Agrarsteppe verkommen und die müsste sofort wieder zugepflanzt werden. Mit solchen Grundlagen kann man wirklich nicht arbeiten. Das ist die Studie für das Biosphärenreservat, Frau Becker. Das geht also beim besten Willen nicht. Dann bin ich selbstverständlich auch für einen Naturpark, auch im Südharz, aber er muss vernünftig vorbereitet werden. Es kann nicht so aussehen, wie es jetzt läuft. Deshalb bin ich froh, dass wir den Antrag der SPD ablehnen. Es kann nicht so sein, dass die Infrastruktur im Westen, in Niedersachsen steht und bei uns wird dann 50 Prozent Naturschutz ausgewiesen, wo man wandern gehen kann.

(Beifall bei der CDU)

Das kann beim besten Willen im Grenzbereich nicht möglich sein.

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Es kann aber sein, dass es dafür eine Mehrheit gibt.)

Naturpark innerhalb von Thüringen, da ist das nicht das Thema, aber gerade in diesem Grenzbereich ist das dieses Thema. Und wenn Sie es durchbringen im Kreistag mit der Mehrheit, die Sie ja mehrfach angeführt haben, ist das kontraproduktiv für die Region. Ich will Ihnen das noch mal deutlich sagen - kontraproduktiv.

(Beifall bei der CDU)

Die Waldbesitzer, die dort belastet sind, die sind nicht ein einziges Mal bis jetzt gefragt worden, nicht ein einziges Mal. Wir haben es gerade erst zurückge

kriegt. Das betrifft das Biosphärenreservat ganz genauso wie den Naturpark.

Ich will noch einen Satz sagen zu FFH: Das hat uns ja nun schon erfasst, FFH, dafür sind wir auch alle und Thüringen hat eine Tranche gemeldet, das war super.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Nein, alles war nicht super.)

Und dann sind wir in Brüssel angeschwärzt worden, wir hätten nicht genug gemeldet, wir müssen unbedingt nachmelden. Dann haben wir nachgemeldet. Da haben wir beispielsweise im Bereich Bleicheröder Berge Buchenwald nachgemeldet als FFHGebiet und die Hainleite noch mal auf beiden Seiten. Und jetzt haben wir vor zwei Tagen gerade gehört, genau diese FFH-Ausweisung hat den Bau der Autobahn mindestens um ein Jahr verzögert. Das ist das Problem, was wir nicht wollen. Und das kann nicht sein. Es muss vernünftig miteinander umgegangen werden und wir dürfen die Leute dabei nicht veralbern.

(Beifall bei der CDU)

Wenn wir Naturschutz machen wollen, dann muss das vernünftig über die Bühne gehen, wie Frau Tasch das eben gerade geschildert hat mit dem Naturpark Eichsfeld, wo das wunderbar läuft. Aber einfach nur drüberstülpen und sagen, jetzt wollen wir das so, so läuft das nicht. Wir müssen die Menschen einfach auf diesem Weg mitnehmen und es müssen alle was davon haben. Danke.

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Mehr- heiten sind keine Menschen.)

Weitere Wortmeldungen von Abgeordneten liegen mir nicht vor. Die Landesregierung möchte auch nicht mehr reden. Dann gehe ich davon aus, dass das Berichtsersuchen erfüllt ist. Gibt es dagegen Widerspruch? Das ist nicht der Fall. Dann ist das Berichtsersuchen erfüllt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD. Ausschussüberweisung ist nicht beantragt worden, demzufolge stimmen wir direkt über den Entschließungsantrag in Drucksache 4/1934 ab. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. Danke schön. Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? Damit ist der Antrag mit Mehrheit abgelehnt und ich schließe diesen Tagesordnungspunkt.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 12

Rechtsextremismus und demokra- tische Gegenwehr Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der Linkspartei.PDS und der Antwort der Landesregierung - Drucksachen 4/1171/1404 - auf Antrag der Fraktion der Linkspar- tei.PDS dazu: Unterrichtung durch die Präsi- dentin des Landtags - Drucksache 4/1895 -

Ich eröffne die Aussprache und als Erste hat das Wort Frau Abgeordnete Berninger, Die Linkspartei.PDS-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben mit dem gemeinsamen Antrag gegen Extremismus und Gewalt im letzten Plenum einen ersten Schritt hin zu einer vertieften Auseinandersetzung mit den aktuellen Gefährdungen durch den Rechtsextremismus unternommen.

An die Debatte um diesen Antrag und seine politischen Schlussfolgerungen für die alltägliche Arbeit möchte ich jetzt anschließen und die Aussprache zu unserer Großen Anfrage „Rechtsextremismus und demokratische Gegenwehr“ dazu nutzen, eine sorgfältige Analyse und eine offene Debatte über Erfolge und Misserfolge des derzeitigen sowohl staatlichen als auch bürgerschaftlichen Engagements gegen Neonazismus anzuregen.

Ich möchte gleich zu Beginn auf ein Argument reagieren, das oft als Totschlagargument benutzt wird. Unser Angebot zu bzw. unsere Forderung nach einer gründlichen inhaltlichen Auseinandersetzung wird oftmals mit dem Hinweis ausgeschlagen, die Linkspartei bausche das Problem Rechtsextremismus auf, die Linkspartei betreibe Panikmache. Ja, manchmal wird Gegnern des Rechtsextremismus gar vorgeworfen, sie würden das Problem durch die Thematisierung erst herbeireden und den Alt- und Neonazis eine Plattform bereiten.

Deshalb, sehr geehrte Abgeordnete und sehr geehrte Mitglieder der Landesregierung, wenn Sie unseren Argumenten und Einschätzungen, die ich hier jetzt darlegen werde, skeptisch gegenüberstehen, dann befragen Sie einfach in den nächsten Wochen bitte mal die Kollegen der Staatsschutzabteilung und der Polizei oder Ihre parlamentarischen Kollegen in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern oder die Akteure gegen Rechtsextremismus in den Kommunen, oder

auch die Sachverständigen aus Schulen und aus Einrichtungen der politischen Bildung. Dort wird Rechtsextremismus als dringendes Problem angesehen und diese Einschätzung divergiert in zentralen Punkten von der, die wir in der Antwort zur Großen Anfrage bekommen haben.

Auf einen zweiten Punkt möchte ich ebenfalls zu Beginn gleich zu sprechen kommen, wobei ich deutlich machen will, dass wir bei dem Thema nicht von Entwarnung sprechen dürfen. Ob im Bund oder im Freistaat, 2005 war das Jahr der Konsolidierung im rechtsextremen Lager. Die Zahlen sind eindeutig. Wir haben mehr Mitglieder der NPD, mehr gewaltbereite Neonazis, mehr rechtsextreme Straf- und Gewalttaten, mehr Skinhaed-Konzerte, mehr Veranstaltungen und Aktionen von Neonazis und gleichzeitig eine Besorgnis erregende Verfestigung rassistischer und auch rechtsextremer Einstellungen in der Bevölkerung. Unser Bundesland, der Freistaat Thüringen, ist Teil dieser Entwicklung. In einigen Bereichen, zum Beispiel bei der Durchführung von SkinhaedKonzerten, steht Thüringen sogar ganz vorn in der Statistik. Dies muss erst einmal anerkannt werden, damit wir dann aus einer fundierten Analyse heraus auch die richtigen Schlüsse für den Kampf gegen Rechtsextremismus ziehen können, und das hat mit Panikmache nichts zu tun.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte im Folgenden unsere Einschätzung zur Entwicklung des Rechtsextremismus in Thüringen darstellen, dann die Unterschiede zur Sicht der Landespolitik benennen und einige Gedanken zu daraus resultierenden Konsequenzen ableiten. Die zentralen Thesen zur Situation lauten:

1. Der Rechtsextremismus in Thüringen hat die Kommunen erreicht.

2. Neonazis versuchen in allen Lebensbereichen Einfluss zu erlangen.

3. Thüringen spielt neben Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern die zentrale Rolle in der Strategie des Neonazismus.

4. Rechtsextreme und rassistische Einstellungen in der Bevölkerung bestärken Neonazis und können von ihnen als Wählerreservoir erschlossen werden.

Zu den einzelnen Punkten:

1. Der Rechtsextremismus hat die Thüringer Kommunen erreicht. Neonazis sind dabei, die Kommunen für sich zu erobern, und das meine ich in zweierlei Hinsicht. Zum einen gibt es inzwischen in Thüringen ein flächendeckendes Netz von Naziorganisationen. Die NPD hat die Anzahl ihrer Kreisverbände auf 12

erhöht und ist dabei, eine Jugendorganisation im Land aufzubauen. Auf Funktionärsebene wurde ein Generationenwechsel eingeleitet. Junge Neonazis aus den so genannten Freien Kameradschaften mit entsprechenden organisatorischem sowie ideologischem Hintergrund sind in der NPD in verantwortliche Positionen gekommen. Die NPD hat ihre Aktivitäten deutlich gesteigert, sie ist in den Kommunen präsenter geworden und sie geht strategisch gezielt auf junge Menschen zu. Profitiert vom rechtsextremen Zusammenschluss aus NPD und Kameradschaften haben beide Seiten. Das Netz der Freien Kameradschaften ist enger geknüpft und zahlreiche rechtsextreme Gruppen sind neu in solchen Regionen hinzugekommen, die bisher für Neonazis strukturell eher unbedeutend waren. Die Kameradschaften professionalisieren sich zunehmend. Beleg dafür ist ihre Fähigkeit, politische Kampagnen über längere Zeiträume zu führen, und auch ihr kontinuierliches Agieren vor Ort. Die Braunen Kameradschaften verfügen über eigene Publikationen wie beispielsweise der „Ilm-Kreis national“ aus meinem Wahlkreis oder dem „Rennsteigboten“. Sie sind maßgeblich an der Verteilung von Gratis-CDs und Jugend- oder Schülerzeitungen beteiligt.

Ich widerspreche ganz entschieden der Einschätzung der Landesregierung, nach der es in Thüringen lediglich sechs Kameradschaften gebe und dass viele weitere Kameradschaften, die in Thüringen derzeit aktiv sind, lediglich Jugendcliquen oder Mischszenen darstellen würden. Sicherlich gibt es vereinzelt instabile und auch einflusslose Zusammenschlüsse. Aber ob im Ilm-Kreis, in Jena, in Sömmerda, in Süd- oder Nordthüringen, wir haben es dort mit rechtsextremen Kameradschaften zu tun, die teilweise auch über Thüringen hinaus vernetzt sind, die mit anderen Neonaziorganisationen zusammen Veranstaltungen durchführen, die über eigene Publikationen und Treffpunkte verfügen, die einen erheblichen, zum Teil auch gewalttätigen Verdrängungsdruck gegenüber nicht rechten Jugendlichen ausüben und die teilweise schon seit Jahren Bestand haben. Diese Kameradschaften bilden das Rückgrat der rechtsextremen Strukturen in Thüringen und es gibt keinen fachlichen oder politischen Grund, dies zu verharmlosen oder zu negieren. Ganz im Gegenteil, man muss schon ganz schön lange überlegen, damit einem in Thüringen eine Region einfällt, in der keine Kameradschaft aktiv ist. Die Kommunen erobern die Neonazis aber nicht nur durch Gründung von Organisationen, sie erobern die Kommune auch durch das Aufgreifen kommunaler Themen. Eine Strategie, die langfristig zur Verankerung im unmittelbaren Lebensbereich und zur Akzeptanzgewinnung führen kann, eine Strategie, die zum Beispiel in Sachsen den langjährigen Vorlauf zu den Wahlergebnissen von 2004 gebildet hat. Neonazis in Thüringen kämpfen gegen Windräder vor der Wartburg,

gegen die Schließung von Kindergärten, gegen Müllverbrennung in Südthüringen und sie bieten sich in den Kommunen in der ehrenamtlichen Arbeit an. Dabei besetzen sie Themen mal nationalistisch, mal rassistisch, dann wieder völkisch oder deutschtümelnd. Die Abgrenzung fällt den Demokraten vor Ort oft schwer. In der Regel erfahren die Neonazis eine strikte Ablehnung, aber manchmal lässt man sie auch gewähren und manchmal wird ihr Engagement, wie beispielsweise in Lauscha, sogar gewürdigt. Ein gefährliches Einfallstor für Bestrebungen der Neonazis nenne ich das, sie versuchen zum Beispiel bei Kommunalwahlen zu punkten, jetzt auch bei Bürgermeisterwahlen und damit die Grundlage für einen Wahlantritt zu den Landtagswahlen in 2009 in Thüringen zu schaffen. Die sukzessive Eroberung von Räumen durch Neonazis spielt sich aber nicht allein in der Politik ab.

Damit komme ich zu der zweiten der von mir genannten Thesen - Neonazis versuchen in allen Lebensbereichen Einfluss zu erlangen. Sie ringen zum Beispiel um Akzeptanz und Normalität, indem sie gezielt in gesellschaftlich wichtige Institutionen eintreten, wie beispielsweise Feuerwehr oder Sportvereine, sie streben danach, an öffentlichen kulturellen oder sportlichen Veranstaltungen teilzunehmen, oft mit Erfolg. Mit Unkenntnis und Unsicherheit wird diesem strategischen Vordringen der Neonazis in den vorpolitischen Raum oft begegnet und oft dauert es einfach noch viel zu lange, bis ein Torhüter nicht mehr mit der 88 auf dem Rücken auflaufen darf

(Beifall bei der SPD)

oder bis sich Bürgerbündnisse erfolgreich dagegen wehren können, von Nazis vereinnahmt zu werden. Gesehen wird diese Entwicklung, wohl auch durch die Landesregierung. Doch kann die Landesregierung in dieser Entwicklung, wie zum Beispiel aus der Antwort auf meine Kleine Anfrage zu Neonazis und Sport hervorgeht, keine Strategie erkennen und meint daher anscheinend, dass man die Rechtsextremen gewähren lassen müsse. Wir meinen das nicht, sehr geehrte Damen und Herren. Es hat lange gedauert, bis die offizielle Politik die Bedeutung des Rechts-Rock erkannt hat. Wir dürfen nun keine Zeit verschenken und müssen anerkennen, dass auch andere Lebensbereiche neben der Musik, wie Freizeit und Sport, zunehmend durch Rechtsextreme als Bereiche erkannt werden, wo Ideologie problemlos transportiert werden kann, zumal sich der Staat zunehmend aus solchen Bereichen zurückzieht. Thüringen ist mit 31 in 2005 stattgefundenen Skinhead-Konzerten im Bereich des Nazi-Rock schon gleichauf mit Bayern und kurz hinter Sachsen an der Spitze der Statistik. Hier, sehr geehrte Vertreter des Innenministeriums, kann ich nicht nachvollziehen, warum Sie an der Zahl 20 festhalten, die Sie ver

öffentlicht haben und damit die Recherchen versierter Fachjournalisten ignorieren.

Sehr geehrte Damen und Herren, bei Neonazi-Aktivitäten wie Fußballturnieren, Wanderungen, Geländespielen, Kinderfesten, Zeltlagern, Kampfsportevents, Städtetouren und Bildungsreisen, wollen wir Thüringen in der Statistik nicht auf den vorderen Plätzen sehen.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, eindringlich möchte ich auf den von mir als dritte These genannten Punkt eingehen, nämlich der bundesweiten Bedeutung der Thüringer Neonazis. Zufällig, dieses Wort müssen wir immer dann hören, wenn es um die Frage geht, warum Großveranstaltungen wie der NPD-Bundesparteitag 2004 oder das Abschiedskonzert des rechtsextremen Sängers Michael Regener in Thüringen ausgetragen werden. Aktuellstes Beispiel darüber, dass keine Strategie gesehen wird, ist eine Antwort auf eine Kleine Anfrage von mir zu den bundesweiten Naziveranstaltungen Mitte März in Thüringen. Ich habe danach gefragt, welche Gründe der Landesregierung bekannt sind, warum Thüringen als Bundesland für diese überregionalen Veranstaltungen ausgesucht würde. Antwort: Die Gründe sind der Landesregierung nicht bekannt. Noch immer hält sich die Mär von einer auf das Land Thüringen beschränkten Naziszene, die kaum bundesweit vernetzt sei. Auch wenn es uns nicht gefällt, das, was in Sachsen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern im Bereich des Neonazismus geschieht, ist von zentraler Bedeutung für die ganze Bundesrepublik und unsere Erfolge und Misserfolge, unsere Thüringer Erfolge und Misserfolge in der Auseinandersetzung haben über das Land Thüringen hinaus Auswirkungen.

Ich will Ihnen kurz an einigen Beispielen erläutern, woran wir diese Rolle der Thüringer Nazis festmachen. Zum einen führt die Szene im Freistaat seit geraumer Zeit solche Großveranstaltungen durch wie zum Beispiel das Fest der Völker, was jetzt wieder im Juni in Jena stattfinden soll, oder das NaziOpenair in Gera. Zu diesen Veranstaltungen wird überregional, bundesweit, sogar europaweit mobilisiert. Zum anderen bauen Neonazis in Thüringen Strukturen auf, die über die Landesgrenzen hinaus Anziehungskraft besitzen, wie zum Beispiel das Schützenhaus in Pößneck. Dazu kommt die vielfältige Verankerung Thüringer Neonazis in bundesweiten Organisationen, zum Beispiel in den Komitees zur Vorbereitung von Nazigroßveranstaltungen, zum Beispiel in Halbe oder in Dresden. Falls Thüringer Verfassungsschützer oder Staatsschutzbeamte beim Marsch von Alt- und Neofaschisten am 11. Februar in Dresden dabei waren, dann konnten sie beobachten, wie die Thüringer Neonazis gleich hinter der lokalen Demospitze marschieren durften.

Sehr geehrte Damen und Herren, zu meiner vierten These - Rechtsextreme und rassistische Einstellungen in der Bevölkerung bestärken Neonazis und können von ihnen als Wählerreservoir erschlossen werden: Gelegentlich unterläuft auch uns der Fehler, zu sehr auf den Bereich der rechtsextremen Handlungen, zum Beispiel auf Mitgliedschaft in rechtsextremen Strukturen oder Parteien, auf Teilnahme an Veranstaltungen oder Wahlverhalten, zu achten und den Bereich der rechtextremen Einstellungen zu vernachlässigen. Der einmal im Jahr in diesem Haus diskutierte Thüringen-Monitor gibt zwar immer wieder seit Jahren Anlass zur Sorge, aber zu wenig werden hieraus konkrete Schlussfolgerungen, zum Beispiel für die Bildungs- oder Jugendarbeit oder gar für die Landespolitik gezogen. Sicherlich gibt es auch keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Erstarken des Rechtsextremismus und der Konsolidierung der entsprechenden Einstellungen in der Bevölkerung, aber einen indirekten Bezug gibt es und dieser muss uns ebenfalls beunruhigen.

Die im Ergebnis des Monitors dokumentierten Einstellungen beflügeln die rechtsextreme Szene in ihrer Annahme, dass sie keine randständige Minderheit ist. Sie geben ihnen das Gefühl, Vollstrecker einer still, aber weit verbreiteten Auffassung in der Bevölkerung zu sein. Diese Einstellungen sind auch mit verantwortlich dafür, dass braune Hetze und rassistische und völkische Parolen oft unwidersprochen hingenommen werden und dass bei rassistischen Ressentiments nicht eingegriffen wird. Den Neonazis das Gegenteil klarmachen, können wir nur, wenn wir ihnen diesen Resonanzboden entziehen, wenn sich die übergroße Mehrheit der Thüringer Bevölkerung offen gegen Rassismus, Nationalismus und Rechtsextremismus ausspricht.

Einen weiteren Beleg liefert der Thüringen-Monitor. Er belegt das nicht geringe Wählerreservoir, über das Neonazis verfügen könnten. Mit 4,4 Prozent Stimmen für rechtsextreme Parteien bei der letzten Bundestagswahl in Thüringen und punktuell deutlich höheren Zustimmungswerten in den Erststimmen in verschiedenen Orten und Regionen sind unübersehbare Alarmzeichen gesetzt. Wir müssen bei den in diesem Jahr noch anstehenden Wahlen, zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern, mit einem Einzug rechtsextremer Parteien in weitere Landes- oder auch Kommunalparlamente rechnen. Lassen wir es in Thüringen nicht so weit kommen. Dafür muss nicht nur der Blick auf das Problem, sondern es müssen auch die Instrumente der Auseinandersetzung geschärft werden.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte noch einmal deutlich machen, warum meine Fraktion eine so ausführliche Analyse für notwendig erachtet. Es geht uns weder um Erbsenzählerei noch um Panik

mache. Wir müssen auf einer angemessenen Analyse der Situation bestehen, damit wir erfolgreich Gegenkonzepte entwickeln können. Zu sagen, was ist, muss der erste Schritt sein. Wir brauchen eine wirklichkeitsnahe Beschreibung der Situation und kein Wünsch-dir-Was. Erst mit dieser genauen analytischen Beschreibung kann Politik aus der Rolle der Feuerwehr heraustreten und vorausschauende präventive Konzepte entwickeln, spezifisch auf die Problemstellung Rechtsextremismus eingehen.