Protokoll der Sitzung vom 19.10.2006

partei.PDS auch Ihnen diesbezüglich die Beschlussinitiative überlassen.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: So eine Großzügigkeit.)

So sind wir eben, Herr Fiedler, genau so sind wir.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, also besonders abenteuerlich finde ich es, wenn formuliert wird: Weil bestimmte Bürgermeister, insbesondere mit Linkspartei.PDS-Mandat, bereits eine Bürgerbeteiligung praktizieren, die unseren Vorstellungen sehr nahe kommt, brauchen wir keine gesetzliche Regelung.

(Zwischenruf Abg. Buse, Die Linkspar- tei.PDS: Was wäre die Schlussfolge- rung? Wir brauchen aber PDS-Bürger- meister.)

Das wäre u.a. genauso, als wenn wir sagen, weil sich die meisten Menschen ordentlich in der Gesellschaft bewegen, brauchen wir kein Strafgesetzbuch, oder weil ein Großteil der Verkehrsteilnehmer innerhalb der Ortschaften sich an die 50-km/h-Regelung hält, brauchen wir keine Regelung im Verkehrsrecht, die eine Überschreitung dieser Geschwindigkeit als Ordnungswidrigkeit definiert. Also wo kämen wir denn da hin!

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Da müssen Sie sich schon andere Argumente einfallen lassen, um sich mit uns auseinanderzusetzen. Dieses Argument ist nicht überzeugend.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Landesregierung hat nicht nur Bedenken vor der Transparenz kommunalen Handelns und der Bürgerbeteiligung, sondern diese Landesregierung hat auch Probleme mit der Demokratie, indem sie formuliert, die Thüringer Bürger wären noch nicht so weit, um demokratische Regelungen, wie sie z.B. in Bayern gelten, auch in Thüringen zur Anwendung zu bringen.

(Unruhe bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Das muss ausgerechnet die PDS sagen.)

Also das ist eine Bewertung, die sollte umgehend durch die Landesregierung klargestellt werden, weil mit dieser Bewertung nicht nur die Mehrzahl der Thüringer Bürger diskreditiert wird, sondern die Landesregierung würde sich, wenn das stimmen würde, selbst infrage stellen. Denn vielleicht wäre ja die Wahl

der CDU zur stärksten Partei in diesem Landtag nur damit zu erklären, dass die Thüringer Bürger demokratisch unreif sind. Das wollen Sie doch bestimmt nicht.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Also bereits aus eigenem Interesse heraus sollten Sie zugestehen, dass die Thüringer Bürger ein gleiches Demokratieverständnis und Demokratiebewusstsein haben wie alle anderen Bürger in den anderen Ländern der Bundesrepublik.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir hoffen auch nicht, dass möglicherweise aus Demokratiedefiziten innerhalb der CDU-Landtagsfraktion oder der Landesregierung geschlussfolgert wird, dass in Thüringen diese Demokratiedefizite auch bei den Bürgern bestehen. Eine solche Übertragung halten wir für nicht zulässig.

(Unruhe bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Schröter, CDU: Das machen Sie doch!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn ein Innenstaatssekretär über Demokratiefragen redet wie in der ersten Lesung, dann sollte er sich zunächst fragen, ob er dafür der geeignete Mann ist.

(Unruhe bei der CDU)

Bekanntlicherweise hat er ja Probleme damit, dass er der Auffassung ist, dass die Umwandlung von potenzieller in kinetische Energie bei der Bewegung von Flaschen und Stereoanlagen

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Jetzt wird es aber langsam …)

durchaus ein geeignetes Mittel zur Bewältigung von Nachbarschaftskonflikten darstellen könnte.

(Glocke der Präsidentin)

Abgeordneter Kuschel, reden Sie zur Sache.

Insofern mahnen wir hier einfach an, dass die Landesregierung zurückhaltender mit Demokratiebewertungen umgehen sollte und insbesondere, was die Belehrung unserer Fraktion betrifft.

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Sie haben die Leute bespitzelt.)

Wir sind alle lernfähig, aber die Belehrungen der Landesregierung sind unangemessen und gehen an den Tatsachen vorbei.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, darüber hinaus erwarten wir, dass die Landesregierung auch einheitlich agiert. Der Innenstaatssekretär hat in der ersten Lesung die stärkere Bürgerbeteiligung als eine Gefährdung der repräsentativen Demokratie dargestellt. Der Umweltstaatssekretär hat gestern beim 8. Kommunalen Agendatag in Jena ausgeführt, dass die Erfahrungen mit dem Bürgerhaushalt in Hamburg und Berlin als Bestandteil der lokalen Agenda für ihn positive Aspekte hervorgebracht haben. Also jetzt frage ich Sie wirklich, meine Damen und Herren, sowohl von der Landesregierung als auch von der Mehrheitsfraktion: Was stimmt denn nun - die Aussage des Innenstaatssekretärs oder die des Umweltstaatssekretärs? Wir gehen davon aus, dass sich der Innenstaatssekretär wieder mal geirrt hat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die üblichen Belehrungen des Innenministers oder des Staatssekretärs werden auch durch die ständigen Wiederholungen nicht besser und falsche Tatsachen erlangen damit nicht die Qualität von Wahrheit. Aber sie führen, das gebe ich zu, zu einer Verunsicherung und Verunsachlichung der Diskussion und Sie müssen sich fragen: Wollen Sie das? Wollen Sie das tatsächlich?

Meine Damen und Herren, bei der Situationsbeschreibung, was die kommunalen Finanzen betrifft, hat uns der Innenstaatssekretär in der ersten Lesung vorgeworfen, wir würden diese Situationsbeschreibung falsch vornehmen. Allerdings blieb der Gegenbeweis im Wesentlichen aus und wir gehen davon aus, die Bewertungen der Landesregierung und auch der CDU-Fraktion, die hier durch Frau Lehmann geäußert wurden, sind sehr weit weg von den Realitäten. Sie müssen doch zur Kenntnis nehmen, dass die kommunalen Investitionen zusammengebrochen sind. Sie müssen doch zur Kenntnis nehmen, dass es einen neuen kommunalen Investitionsstau gibt, dass also Geld fehlt, um kommunale Einrichtungen wie erforderlich vorzuhalten. Wenn sich die Finanzlage der Kommunen jetzt schrittweise verbessert, dann immer im Vergleich zum Zeitraum 2000 bis 2004. Dort wissen wir, dass im Zusammenhang mit der Steuerreform der rot-grünen Regierung die prognostizierten Mehreinnahmen nicht gekommen sind, sondern die kommunalen Steuereinnahmen stagnierten. Es bleibt der Fakt, in Thüringen ist die kommunale Steuerquote immer noch unter 20 Prozent, das heißt, nicht einmal 20 Prozent der Ausgaben der Kommunen werden durch eigene Steuereinnahmen gedeckt. In dem Zusammenhang von der jetzt durchaus po

sitiven Entwicklung zu schlussfolgern, wir würden eine falsche Situationsbeschreibung betreiben, ist ebenso weit weg von der Realität.

(Zwischenruf Dr. Sklenar, Minister für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt: Genau so; genau so.)

Hier, glauben wir, sollte die Landesregierung auch mit Blick auf das, was wir uns nächstes Jahr vornehmen, nämlich die Neuordnung des Finanzausgleichs, die Realität in einen höheren Blick nehmen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Frau Lehmann hat heute zur zweiten Lesung formuliert, das Anliegen unseres Gesetzentwurfs würde bei der kommunalen Ebene keine Rolle spielen und es finden keine Diskussionen statt. Ich weiß nicht, mit welchen Kommunalpolitikern Sie Gespräche führen. Uns erreichen täglich immer wieder Appelle der kommunalen Ebene, insbesondere hinsichtlich der kommunalen Investitionen. Es gibt eine Vielzahl kommunaler Projekte, die nicht realisiert werden können, eben weil das jetzige Haushaltsrecht dort viel zu starr ist. Herr Rusch vom Thüringer Gemeinde- und Städtebund hat nach der Veröffentlichung unseres Gesetzentwurfs hinsichtlich der rentierlichen Investitionen formuliert, es ist eine interessante Idee. Mehr behaupten wir ja nicht. Wir wollen die Diskussion darüber und die Diskussion können wir natürlich hier nicht im Detail führen, sondern nur in den Ausschüssen und dem verweigern Sie sich. Sie müssten sich auch fragen: Warum versuchen denn jetzt viele Kommunen, über riskante sogenannte alternative Finanzierungsmodelle wie die PPP-Modelle Investitionen auf den Weg zu bringen, wenn nach Ihrer Sicht doch auf der kommunalen Ebene alles in Ordnung wäre? Nein, für uns ist diese Flucht in diese alternativen Finanzierungsmodelle die unmittelbare Folge des jetzt starren Haushaltsrechts und das wollen wir aufbrechen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie haben also, sowohl in erster Lesung der Staatssekretär als auch Frau Lehmann in der zweiten Lesung, noch einmal dargestellt, dass es angeblich möglich ist, dass in den Einwohnerversammlungen bereits über Haushaltsfragen diskutiert wird. Also, zunächst erst einmal nehmen wir zur Kenntnis, dass diese Einwohnerversammlungen, die ja gesetzlich vorgeschrieben sind, nicht überall stattfinden. Das ist leider immer noch Realität, selbst nach nun fast 15 Jahren Thüringer Kommunalordnung. Hinzu kommt natürlich, dass dabei bisher immer über Einzelprojekte diskutiert wurde, aber nie über die gesamte Breite der Finanzsituation der Gemeinde. Ich will Ihnen das an einem Beispiel zeigen.

Nach aktuellen Diskussionen aus der Stadt Ilmenau, da kommt der letzte Oberbürgermeister Thüringens von der CDU, Herr Seeber, ein aus meiner Sicht durchaus couragierter Kommunalpolitiker. Dort wird über unterschiedliche Modelle bei den Veränderungen der Kindertagesstättengebühren diskutiert - ein Thema, das viele Bürger, vor allem die betroffenen, interessiert. Die Verwaltung weigert sich, die unterschiedlichen Modelle offen zu diskutieren, sondern sie leitet nur einen Vorschlag, nämlich den aus Sicht der Verwaltung geeigneten Vorschlag an den Stadtrat weiter. Also nicht einmal der Stadtrat erfährt alle Alternativrechnungen, geschweige denn die Bürger und es kommt kein Dialog zustande. Dass das unbefriedigend ist, das müssen selbst Sie, Frau Lehmann, sicherlich einsehen.

Die von uns geforderte vierteljährliche Berichterstattung zum Vollzug des Haushalts ist auch deshalb berechtigt, weil die jetzigen Möglichkeiten, auf die der Innenstaatssekretär hingewiesen hat - nämlich § 22 Abs. 3 Kommunalordnung, das ist die Forderung, dass der Bürgermeister über den Beschlussvollzug berichten muss, oder § 35 Abs. 4, also Aufnahme in die Tagesordnung -, keine äquivalenten Mittel sind. Sie wissen ganz genau, diese Formen kommen nur zur Anwendung, wenn ein Viertel der Gemeinderatsmitglieder oder bei der Tagesordnung eine Fraktion es verlangen. Damit hat nicht einmal das einzelne Gemeinderatsmitglied das Recht, aber der Bürger hat das Recht schon gar nicht. Ich betone noch mal, wenn Sie unseren Gesetzentwurf richtig zur Kenntnis nehmen, regeln wir neue Dinge aus Sicht des Bürgers, nicht aus Sicht des Gemeinderats und nicht aus Sicht des Bürgermeisters, sondern aus Sicht des Bürgers. Der Bürger hat gegenwärtig eben keine Möglichkeit zu erfahren, wie der Haushaltsplan umgesetzt wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es wurde der Vorwurf unterbreitet, die Aufnahme des Verfahrensschrittes, dass bereits der Entwurf des Haushaltsplans öffentlich ausgelegt wird und die betroffenen Abgabepflichtigen und Bürger Einwände und Hinweise geben können, würde ein aufwendiges formalisiertes Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahren darstellen, das die Verwaltung völlig überfordert.

Meine sehr geehrten Damen und Herren der Landesregierung und der CDU, ich empfehle dort einfach eine Rücksprache mit Ihren sächsischen Kollegen. Wir haben bewusst hier nur die sächsische Regelung übernommen, nicht mehr und nicht weniger.

(Zwischenruf Abg. von der Krone, CDU: Die gibt es in nur zwei Bundesländern.)

Die Bestätigungen aus Sachsen belegen, dass sie mit diesem Verfahren sehr wohl gut zurechtkommen,

ohne dass die Verwaltung überfordert wird. Sie geben den Bürgern und den Abgabepflichtigen die Möglichkeit, vor der Beschlussfassung überhaupt mal mitreden zu können. In Thüringen ist Realität, erst der beschlossene Haushaltsplan wird 14 Tage ausgelegt. Da braucht man sich nicht zu wundern, dass sich Bürger daran nicht mehr beteiligen, dass sie weder in die Verwaltung gehen und dort die Unterlagen einsehen, noch in Einwohnerversammlungen oder Ähnlichem diese thematisieren. Da ist nämlich schon alles beschlossen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch der Vorwurf, dass angeblich politische Wunschvorstellungen in die Debatte einfließen würden und der Haushalt dadurch völlig auf den Kopf gestellt werden würde, lässt sich in der kommunalen Praxis nicht belegen. Selbst die Bertelsmann Stiftung, die das Projekt „Bürgerhaushalt“ begleitet, hat dem eindeutig widersprochen. Die Erfahrungen der Bürgerbeteiligungen in Bayern sind zehn Jahre nachvollziehbar. Seit zehn Jahren kann belegt werden, dass es keinerlei Bürgerbegehren oder keinerlei Bürgerentscheide gab, die unverantwortlich in den kommunalen Haushalt eingegriffen hätten. Es muss doch mal gefragt werden, warum z.B. die Bürger von München entscheiden konnten, ob die Stadt 123 Mio. € Infrastrukturmittel im Zusammenhang mit dem Bau der Bayernarena (Allianz Arena) zum Einsatz bringen konnte und in Thüringen nicht mal darüber abgestimmt werden kann, ob der Straßenname umbenannt wird, weil die Verwaltung sagt, das ist mit Kosten hinsichtlich der Erneuerung von Straßenschildern verbunden. Da müssen Sie doch mal fragen, warum dieses Defizit jetzt immer noch aus Ihrer Sicht gerechtfertigt ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Innenstaatssekretär hat in der ersten Lesung erneut den Vorwurf erhoben, wir hätten ein distanziertes Verhältnis zur Demokratie, insbesondere zur repräsentativen Demokratie. Auch hier sollte er mit dem bayerischen Innenminister Beckstein noch einmal Rücksprache nehmen, weshalb er auf der Festveranstaltung „10 Jahre Bürgerbeteiligung in Bayern“ ausgeführt hat, dass er die Elemente der direkten Demokratie als eine sinnvolle Ergänzung der repräsentativen Demokratie begreift, warum das in Bayern möglich sein soll und in Thüringen angeblich nicht.

Meine Damen und Herren, Herr Baldus hat zu Recht in der ersten Lesung ein Anliegen unseres Gesetzentwurfs erkannt, aber leider falsch interpretiert. Er hat also sinngemäß ausgeführt: Das Gesamtdeckungsgebot für den kommunalen Haushalt verbietet gegenwärtig die Einzelbetrachtung von Investitionen und damit die Möglichkeit der Ausreichung von Krediten für rentierliche Investitionen. Genau, Herr Innenstaatssekretär, diesen Grundsatz wollen wir durchbrechen. Tatsächlich, zurzeit ist es sehr schwer möglich - dass

es möglich ist, hat das Land bewiesen. Ich hatte schon mal darauf verwiesen, beim Programm „Sanierung der Plattenbauschulen“ wurde die Kreditgenehmigung für die Schulträger - also die Landkreise und kreisfreien Städte - separat betrachtet, als rentierliche Investition bewertet und außerhalb der allgemeinen Kreditbewilligungen wurden diese Kredite durch die Kommunalaufsichten bestätigt. Wir wollen die dabei gesammelten Erfahrungen, die durchaus positiv sind, auf andere Projekte übertragen. Es bleibt dabei, dass die Kommunalaufsichten nach wie vor dabei die Gesamtsituation der Kommune betrachten; aber wenn sich durch die rentierliche Investition das Gesamtbild verbessert, selbst wenn die Leistungsfähigkeit dann insgesamt noch nicht hergestellt ist, sollte geprüft werden, ob für eine solche Investition ein gesonderter Kredit auszureichen wäre. In dem Zusammenhang ist es auch nicht richtig, Herr Baldus, wenn Sie in Ihrer Rede zur ersten Lesung ausführen, dass wir mit unserer Regelung einen Zustand herbeiführen würden, dass wir Gemeinden Kredite genehmigen, obwohl wir wüssten, dass sie gar nicht zurückgezahlt werden können. Unser Verfahren schließt das - also Ihre Vermutung - grundsätzlich aus. Im Übrigen: Die jetzige Gesamtbetrachtung des Haushalts und die Gesamtkreditgenehmigung haben diese Zustände auch nicht verhindert. In Thüringen gibt es bekanntermaßen bereits jetzt Gemeinden, die keinen ordnungsgemäßen Haushalt mehr haben, also die Kreditfinanzierungen aus den laufenden Haushalten schon lange nicht mehr darstellen können. Ihr jetziges Verfahren hat diese Situation auch nicht verhindert. Unser Verfahren verschlechtert die jetzige Situation aber zumindest nicht. Ob sie sie verbessert, muss die kommunale Praxis zeigen. Wir gehen jedenfalls davon aus.