Protokoll der Sitzung vom 14.12.2006

Da komme ich auf den zweiten Komplex, ich habe es erwähnt, der Verfassungsgebungsprozess, der sogenannte Verfassungsvertrag: Man muss ganz offen sagen, ob diese Verfassung jemals in der vorliegenden Form in Kraft treten wird, ist nicht so ganz sicher. Aber eines, meine Damen und Herren, ist sicher: Europa braucht diese neue Verfassung, um überhaupt arbeitsfähig zu bleiben. In einer EU der „27“ ab 1. Januar gelten nach wie vor Entscheidungsregeln im Miteinander der Staaten, wie in der Europäischen Union der „6“, also bei der Gründung der Staaten.

Stichwort Einstimmigkeitsprinzip: Diese Dinge hatte der Verfassungsvertragsentwurf unter anderem auch zum Inhalt. Sie wären eine sehr dringende Voraussetzung für ein neues, erweitertes Europa gewesen. Wir sind der Meinung, dass es nicht angebracht ist, vor dem Abschluss dieser Debatte über die Zukunft Europas etwaigen Schlussfolgerungen vorzugreifen oder mögliche Optionen auszuschließen. Denn obwohl dieser Prozess in einer Sackgasse ist, müssen wir uns vor Augen halten - und ich bin dem Kollegen von vorhin ganz dankbar, er hat es noch mal deutlich gesagt -, die Werte und Prinzipien, die in diesem Verfassungsvertragsentwurf festgeschrieben sind, nicht nur, aber unter anderem auch die Charta der Menschrechte, die sind weiterhin gültig und die brauchen wir auch weiterhin, um die Maßnahmen entsprechend unseren Prioritäten durchzusetzen. Diese Verfassung würde für mehr Klarheit über Charakter und Zielsetzungen der Union sorgen, für mehr demokratische Rechenschaftspflicht - ein ganz wichtiger Punkt -, für mehr Effektivität und vor allem, es würde unsere Rolle im Vergleich zu den anderen Weltregionen unglaublich stärken.

Meine Damen und Herren, große Hoffnungen auf den Fortgang dieses Verfassungsgebungsprozesses liegen in der nun ab 1. Januar bevorstehenden deutschen Ratspräsidentschaft. Ich teile diese Hoffnung, möchte aber gleichzeitig meine Skepsis zum Ausdruck bringen, dass Deutschland, und ich bin da völlig ohne Zweifel, dass es intensive Bemühungen seitens der Bundesregierung darüber geben wird, aber dass es uns gelingt, in diesem halben Jahr diesem Prozess so gerecht werden zu können. Denn das geht nicht ohne das Zutun der anderen Staaten, vor allen Dingen nicht der Staaten, die diesen Verfassungsprozess momentan zum Erliegen gebracht haben. Wir wissen ja, die Gründe für die Referenda in den Niederlanden und in Frankreich, die letztendlich zur Ablehnung in diesen Ländern geführt haben, lagen nicht unbedingt im eigentlichen Inhalt dieses Verfassungsentwurfs, sondern waren im Wesentlichen

- zumindest ist das bei Frankreich von allen führenden Politologen mittlerweile bestätigt - in weitaus mehr innenpolitischen Gründen. Aber nichtsdestotrotz, die Entscheidung ist gefallen damals und wir haben die Pflicht - und Deutschland hat, wie gesagt, im nächsten halben Jahr eine besondere Pflicht -, diesen Prozess wieder in Gang zu bringen.

Nächstes Stichwort, und das hat uns auch hier im Thüringer Landtag einige Male beschäftigt, das Stichwort „Dienstleistungsrichtlinie“. Diese Dienstleistungsrichtlinie war ja wohl die bisher am heftigsten umstrittene Frage, aber man muss sagen, die jetzt beschlossene Form war wohl auch einer der größten Erfolge europäischen Parlamentarismus. Denn das Parlament hat gezeigt, dass es mitnichten bereit ist, jede Richtlinie, jede Vorlage aus der Kommission widerspruchslos und anspruchslos abzunicken. Es ist deshalb gelungen, eine grundsätzliche inhaltliche Richtungsänderung bei dieser Dienstleistungsrichtlinie durchzusetzen. Man könnte auch etwas hochtrabend formulieren: Aus einer weitgehend neoliberalen wurde eine sozial orientierte Richtlinie. Dazu haben im Übrigen, das muss man auch fairerweise der Vollständigkeit halber bemerken, alle Fraktionen des Europäischen Parlaments beigetragen. Der Stein wurde durch die Sozialdemokraten ins Rollen gebracht und eine große Mehrheit wurde gewonnen, dass jedes Risiko für das Recht auf Arbeit ausgeschlossen worden ist und die geltenden Bestimmungen für die Entsendungen von Arbeitnehmern beibehalten worden sind, das berühmt-berüchtigte Herkunftslandprinzip, den Geltungsbereich der Richtlinie durch den Ausschluss von bestimmten Bereichen, wie z.B. Gesundheit, Soziales und andere Dienstleistungen, einzuschränken sowie verschiedene Ausnahmeregelungen für öffentliche Dienstleistungen zu sichern. Hier hat sich gezeigt, dass durch ein lebendiges Parlament die Grundlage für transparente Entscheidungen im Sinne der Bürgerinnen und Bürger Europas getroffen werden kann. Zu diesen öffentlichen Dienstleistungen im Allgemeinen vertreten wir noch einen ganz anderen, ganz klaren Standpunkt. Der Zugang zu qualitativ hochwertigen öffentlichen Diensten ist ja auch eine entscheidende politische Frage und ein wesentliches Element des europäischen Gesellschaftsmodells. Gute Schulen wollen wir alle. Sauberes Wasser ist Voraussetzung für alle. Sichere und zuverlässige Verkehrsmittel und eine sichere Energieversorgung setzen wir alle voraus und sie sind Ausdruck bzw. Definition einer guten Lebensqualität von uns allen Europäern. Dies zu sichern, das ist Aufgabe der öffentlichen Dienstleistungen in der gesamten Europäischen Union. Die Befürchtungen - und das kommt auch in der Antwort auf die Große Anfrage durch die Landesregierung zum Ausdruck -, dass in Thüringen das Handwerk und die Dienstleister durch die Richtlinie zukünftig Umsatzeinbußen und sonstige Nachteile erleiden

würden, wurden selbst durch die Feststellungen der Landesregierung in dieser Antwort nicht bestätigt.

Meine Damen und Herren, ich will es bei diesen drei Komplexen belassen. Wir haben noch einen langen Weg vor uns, um zu einem wahrhaft gemeinsamen „Haus Europa“ zu kommen. Diesbezüglich, meine Damen und Herren, bin ich durchaus Optimist. Ein Optimist ist jemand, der glaubt, es könnte immer noch schlechter gehen. Es gibt aber in der Tat in Europa nicht nur Positives zu vermelden, einige Bereiche habe ich versucht zu umreißen, aber es wurde wirklich schon viel geschafft in den letzten 40 Jahren. Das wichtigste Vorhaben nach meiner Auffassung ist für die Zukunft eine gemeinsame europäische Verfassung. Dazu können auch wir in Thüringen und in Deutschland einen Beitrag leisten. Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Abgeordneter Bergemann, CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, vor etwa fünf Jahren haben wir in der Großen Anfrage zu den anstehenden europapolitischen Herausforderungen hier eine lebhafte Debatte geführt. Damals waren wir 15 Länder in der Europäischen Union, heute sind wir fast 27, also fast eine Verdoppelung, die das Problem doch ziemlich deutlich werden lässt. Mit der Großen Anfrage in unserer Drucksache 4/2029 „Thüringen in Europa - Chancen und Perspektiven“, denke ich, haben wir auch als CDU-Fraktion noch mal deutlich gemacht, dass wir zu den brennenden Fragen in der Europapolitik Stellung beziehen wollen. Ich bin der Landesregierung sehr dankbar, denn zwischenzeitlich - das haben vor allen Dingen auch die Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten erhalten - ist das Europapolitische Strategiepapier in gedruckter Form vorgelegt worden und es ist auch die Beantwortung der Großen Anfrage erfolgt, umfassend und ausführlich, wie ich finde, und mit einem, glaube ich, ausgezeichneten Ergebnis, das zur Diskussion einlädt. Diese ganzen Fragen, diese ganzen Probleme, die anstehen, sind natürlich nicht heute hier in so einer Debatte zu lösen. Deshalb sage ich es gleich vorweg, ich würde dann natürlich auch die Überweisung an den Ausschuss beantragen, weil ich glaube, diese Thematik unter dem Gesichtspunkt auch der deutschen Ratspräsidentschaft muss weiter diskutiert werden.

Herr Kollege Kubitzki, ich habe Ihre Rede auch aufmerksam verfolgt. Der Tenor war durchgängig leider nicht sehr positiv, ich will es einmal vorsichtig sagen, sondern sehr, sehr viele Kritikpunkte. Es ist auch sicherlich an vielen Stellen berechtigt, aber ein Stück Optimismus muss auch dazu gehören. „Wir wollen, wir wollen, wir wollen“ - das ist so, wenn mein Enkelkind immer schreibt, ich wünsche mir vom Weihnachtsmann und hat 20 Sachen aufgeschrieben, die es alle haben will. Unter welchen Bedingungen wir das hier in Thüringen realisieren müssen, was Sie alles aufgeführt haben - ich will nur mal einen Punkt zu den Sozialstandards und Angleichungen herausgreifen. Da bin ich sehr beim Außenminister Steinmeier. Er hat sich vor zwei Monaten in einer europapolitischen Tagung mit der Bundestagsfraktion der SPD zu dem Punkt geäußert und ganz klar gesagt, dass sich Brüssel aus Strukturen der sozialen Sicherungssysteme heraushalten soll. Er hat dort ganz klar Position bezogen dazu. Ich finde, das ist auch genau der Punkt. So ein einheitliches europäisches Sozialmodell, wo soll es denn beginnen und wo hört es auf, zwischen den Standards in Deutschland und zwischen den Standards in Rumänien? Die Sorge haben die Menschen draußen, wenn man mit ihnen spricht. Das ist nämlich genau diese Schwierigkeit, die wir ein Stück anders sehen. Ich bin Herrn Kollegen Höhn dankbar mit Blick auf die Dienstleistungsrichtlinie. Natürlich ist ja inzwischen auch ein anderer Zeitpunkt eingetreten, die ist jetzt verabschiedet, mit den Fraktionen gemeinsam auch auf einen vernünftigen Weg gekommen. Man muss ja schauen, wir haben es schon das dritte Mal verschoben. Eigentlich hätten wir das ja schon im September beraten, jetzt sind wir aber schon am Jahresende. Da ist die Zeit drüber hinweggegangen, das ist ja auch gut so. Ich denke, da sind wir auf der gleichen Wellenlänge.

Vielleicht muss man sich auch noch einmal etwas an dieser Großen Anfrage entlanghangeln. Die Vielfalt zeigt ja wirklich diese Riesenkomplexität auf. Deshalb finde ich die Antwort auch aus dem Strategiepapier so wichtig, weil alle Ministerien dabei sind. Es ist jetzt nicht nur eine reine Aufgabe der Staatskanzlei gewesen, sondern es sind alle Fachressorts einbezogen in die Beantwortung dieser Fragen, so dass man darauf auch gut zurückgreifen kann. Ich denke, auch die Mitarbeiter in der Staatskanzlei, alle, die damit befasst waren in den anderen Häusern rundherum, bei denen darf man mal Danke sagen. Es ist ein ausgezeichnetes Material, finde ich, für die Arbeit in den Ausschüssen, in allen Ausschüssen und natürlich auch in der Öffentlichkeit, vor Ort in den Schulen, bei den Bürgern, mit denen wir in die Diskussion kommen müssen. Es ist heute mehrfach angeklungen, das Misstrauen ist da. Man merkt es ja selbst, wenn man draußen vor Ort mit den Leuten redet. Aber man muss auch ein Stück offensiv

und konstruktiv an den Prozess rangehen, sonst werden wir Europa nie nach vorn bringen, so wie wir es wollen. Für mich bedeutet das schon so ein Stück auch die Balance zwischen Liberalisierung und Wettbewerb - Herr Höhn hat es angesprochen - einerseits, aber natürlich auch das notwendige Maß an sozialem Schutz andererseits. Das steht außer Frage, da sind wir alle beieinander. Das muss natürlich zu wahren sein, sonst ist das nicht zu machen. Wir haben uns in unserer Großen Anfrage an diesen sieben großen Themenkomplexen orientiert: an der Erweiterung, an dem Verfassungsvertragsentwurf, an den wirtschaftspolitischen Herausforderungen, den strukturellen und institutionellen Anforderungen, der Europatauglichkeit auch der Landesverwaltungen insgesamt, Regionalpartnerschaften und Öffentlichkeitsarbeit. Ich will natürlich jetzt nicht zu diesen sieben Themen und 51 Fragen reden, das ginge zu weit.

Aber vielleicht noch zur Erweiterung ein Gedanke: Natürlich ist es schon so, die Europäische Union hat ohne einen gültigen Verfassungsvertragsentwurf die Grenzen ihrer institutionellen Aufnahmefähigkeit erreicht. Herr Kollege Höhn hat ja die Länder angesprochen, er hat zur Türkei was gesagt, er hat Kroatien, Mazedonien angesprochen. Ich glaube schon, der Fehler von Nizza muss korrigiert werden. Wenn uns das insgesamt nicht gelingt - und im Moment sieht es so aus -, dann muss man sich die Frage stellen: Was ist entscheidend für die Zukunft Europas? Es kann doch nicht die Größe sein, sondern es muss doch die innere Stärke dieser europäischen Vereinigung sein, die wir erreichen wollen. So Koppelgeschäfte, wie sie in der Vergangenheit bei allen Aufnahmen oder Beitritten immer üblich gewesen sind, wo ein gemeinsamer Verhandlungsbeginn natürlich auch gleichzeitig den Beitritt nach sich zieht, das darf und soll es auch in Zukunft, nach unserer Ansicht jedenfalls, nicht wieder geben.

Die ENP, diese Europäische Nachbarschaftspolitik, ist schon von Bedeutung für die Zukunft, denn - auch das ist klar - nicht alle Beitrittswünsche werden erfüllt werden können, die vorliegen. Was brauchen wir für eine erfolgreiche Europäische Union - 450 Mio. Menschen, das ist eine gewaltige Zahl. Subsidiarität als Konzept für partnerschaftliches Miteinander, das stelle ich einmal ganz vorn an. Es muss uns gelingen - auch da sind wir uns einig -, dass wir gerade auf den Politikfeldern lokale Ebene, regionale Ebene, nationale wie europäische Ebene das bürgernah gestalten. Das muss eigentlich nach wie vor das entscheidende Ziel sein. Artikel 5 im EG-Vertrag schreibt die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips genau vor. Da steht es genau drin. Nicht jedes Problem in Europa ist auch ein Problem für Europa. Das muss man einfach auch in Zukunft viel mehr beherzigen. Ich glaube, das darf auch nicht nur ein

Lippenbekenntnis sein. Es gibt genug Beispiele dafür. Wir werden noch intensiver darüber sprechen, wo es halt genau umgedreht der Fall ist. Deshalb begrüße ich auch in diesem Zusammenhang den Aufbau eines solchen Subsidiaritätsnetzwerks mit Unterstützung des Ausschusses der Regionen. Länder, Kommunen, die EU-Recht umsetzen müssen, haben auf diese Weise auch die Chance, ihren Sachverstand einzubringen. Kollege Schröter und ich waren in der letzten Legislatur auch Mitglieder in diesem AdR. Herr Minister Wucherpfennig ist für die Landesregierung dabei. Das haben wir doch miterlebt, wie das durchaus möglich ist, genau die Empfindungen und Befindlichkeiten aus der lokalen, regionalen Ebene dort einzubringen mit den Partnern europaweit aus allen Ländern. Das macht schon Sinn. Deshalb ist der AdR für mich auch eine sehr wichtige Institution.

Eine grundlegende Neuordnung dieses Kompetenzgefüges, wie es von den Bundesländern angestrebt wurde, ist natürlich im Verfassungsvertragsentwurf nicht erreicht worden. Dafür hat aber dieses sogenannte Frühwarnsystem Eingang gefunden. Ich glaube schon, das ist eine Chance, damit auch zu bürgernäheren Entscheidungen zu kommen. Dazu gehören natürlich auch öffentliche Tagungen des Rates. Herr Kubitzki, inzwischen ist es so, die Kommission macht nur die Vorschläge, die entscheidet nicht. Entscheiden tut dann immer noch der Rat. Das ist genau die Grundlage dafür. Das Parlament ist schon deutlich gestärkt worden, wenn man das mal vergleicht. Ich denke nur an die finanzielle Vorausschau, an die Haushaltsdebatten in den letzten Monaten jedenfalls.

(Zwischenruf Abg. Kubitzki, Die Links- partei.PDS: Aber letzten Endes entschei- det der Rat, Herr Bergemann.)

Ja, aber Sie haben gesagt, wenn Sie Ihre Rede einmal nachlesen, Sie haben gesagt, die Kommission entscheidet und der Rat. Die Kommission entscheidet es nicht, die macht Vorschläge.

Sobald gerade dieser Frühwarnmechanismus - wenn erkennbar ist, dass der in den weiteren Bemühungen, die ja bis 2009 kommen werden und auch kommen müssen, da bin ich mir ziemlich sicher - in Kraft tritt, dann sollten wir uns als Landesparlament um Details schon kümmern, wie wir einbezogen werden können. Genau das ist nämlich der Ansatzpunkt, wo wir dann praktisch mitwirken können. Zurzeit vermag da sicherlich keiner über einen konkreten oder genauen Zeitpunkt zu sprechen. Die Meinung der Thüringer Landesregierung, dass dieses Frühwarnsystem unabhängig vom Inkrafttreten des Verfassungsvertragsentwurfs auf Basis des geltenden Rechts eingeführt werden sollte, kann ich nur unterstützen, zumal das keine Ratifizierung durch die Mitglied

staaten erfordert, sondern da reicht eine interinstitutionelle Vereinbarung der europäischen Organe. Das wäre für meine Begriffe zumindest ein Ansatzpunkt, wenn es jetzt nicht weitergehen sollte an der Stelle. Zu diesen strukturellen institutionellen Anforderungen ist die Große Anfrage in den Punkten 22 bis 31 ziemlich ausführlich und gibt auch gute Informationen weiter.

Noch mal ein Wort zur Europatauglichkeit der Landesverwaltung. In Deutschland tragen Bund, Länder und Gemeinden eine große Verantwortung bei der Umsetzung des Anwendens von EU-Recht. Grundsätzlich werden alle Bereiche der Thüringer Landesverwaltung vom europäischen Recht tangiert. Eine gewisse Umsetzung bedeutet dabei aber nicht, noch über europarechtliche Vorgaben hinauszugehen - das ist ein Problem, das wir in der Vergangenheit hier im Hause oft diskutiert haben -, sondern es soll die Einhaltung des Rechts sichergestellt werden. Bei der Umsetzung von EU-Richtlinien in Landesrecht gilt für uns, wir schaffen keinen zusätzlichen bürokratischen Aufwand, sondern man muss grundsätzlich diese Vorgaben auch eins zu eins umsetzen, denn das, meine Damen und Herren, glaube ich, gewährleistet der Wirtschaft im europäischen und auch im globalen Wettbewerb nicht unnötigen zusätzlichen Belastungen ausgesetzt zu sein.

Regelungen, für die dem Bund die Gesetzgebungskompetenz primär zusteht, den Ländern daneben aber ein eigener Regelungsspielraum verbleibt, sind problematisch. Im Rahmen der Föderalismuskommission werden wir auch künftig finanziell Verantwortung tragen müssen, wenn der Europäische Gerichtshof Deutschland wegen Nichtumsetzung von EURecht zur Zahlung von Sanktionsgeldern verurteilt. Um deshalb die Europatauglichkeit der Verwaltung in Zusammenarbeit mit den einzelnen Fachbereichen zu erhöhen - so ist es aus der Anfrage auch zu erkennen -, wurde die Einrichtung eines Stellenpools beschlossen. Wir haben ja gestern und vorgestern erst dazu wieder gehört, dass der Stellenpool gut angenommen wird, und dass wir auf der Thüringer Seite auch gegenüber den Jahren zuvor ein ganzes Stück weitergekommen sind.

Eins ist auch klar: Diese Europäische Union wird natürlich auch von den Bürgern nach wie vor immer noch als fremdes Gebilde wahrgenommen. Das merkt man ziemlich deutlich. Deswegen sind auch konkrete Projekte wichtig, Projekte, die man möglicherweise auch im Rahmen von Partnerschaften untersetzen kann. Unser Freistaat hält viele Partnerschaften. Wir kennen die Regionen, ob es Kleinpolen ist, ob es Picardi, Essex ist oder die gemischte Kommission mit Ungarn ist, ob es France Komitee ist. Ich glaube, diese Beziehungen zu diesen Ländern sind auch ein Baustein für das Interesse die

ses Zusammenwachsens in Europa. Es wird auch gelebt von den Menschen im Land. Wer mit solchen Partnerschaften eng verbunden ist, weiß, wie der Austausch stattfindet. In vielen Regionen Thüringens fahren die Bürger zu Festen dorthin. Es kommen die Freunde hierher. Es gibt interessante Kontakte auf allen Ebenen und besonders natürlich wird die Partnerschaft auch mit Regionen in Polen gepflegt, wenn man das einmal insgesamt sieht, dass Thüringer Städte und Gemeinden über 200 Partnerschaften mit Gemeinden in mehr als 20 Ländern der ganzen Welt pflegen, 37 Prozent mit französischen, 11 mit polnischen aber speziell unsere Partnerregion Malopolska. Ich glaube, hier ist Thüringen auf einem guten Weg. Auch dazu gibt die Große Anfrage eine ziemlich ausführliche Auskunft. Erlauben Sie mir an der Stelle vielleicht noch einen kleinen Hinweis oder einen Dank an die Parlamentspartnerschaft, die wir mit Litauen betreiben.

(Beifall bei der CDU)

Sie ist jetzt dort nicht extra aufgeführt, weil es eine Partnerschaft des Parlaments ist und ich danke auch vor allem den Kolleginnen und Kollegen, die fraktionsübergreifend hier mitmachen. Es ist sicherlich ein kleiner Kreis, leider, aber trotzdem ist das Engagement aller, die dort drin sind, fraktionsübergreifend zu loben, denn ich habe es gesagt, Partnerschaften leben vom Begegnen. Wir sind auch mit einer Delegation im letzten Jahr unter Führung der Landtagspräsidentin in Litauen gewesen, im April zu Ehren des Nationalfeiertages in Vilnius, haben dort einige Dinge besprochen, auch Projekte besprochen. Ich will nur sagen, vor wenigen Tagen fand hier die Expertentagung im ThILLM statt, unter dem Motto „Schule mitverantworten und mitgestalten“. Auch litauische Bildungsexperten haben teilgenommen. Das sind solche Dinge, die dann auch diese Partnerschaften lebendig machen. Wir bereiten im Freundeskreis die Unterzeichnung des Partnerschaftsvertrages vor, der ja 1997 im April unterzeichnet wurde von Prof. Landsbergis und unserem damaligen Landtagspräsidenten Dr. Michael Pietzsch. Ich darf Sie heute schon zu dieser Festveranstaltung einladen, die wir durchführen werden, weil ich glaube, dass da auch Litauer wieder mit dabei sein werden.

Letzter Punkt, noch etwas zur Öffentlichkeitsarbeit: Ich denke, die Ergebnisse des Eurobarometers, wenn man die mal hört und auch die Informationsdefizite wahrnimmt, die nach wie vor vorhanden sind, müssen wir darüber nachdenken, wie kann man das besser gestalten. Es gibt einige interessante Ansätze in der Großen Anfrage. Wie beziehen wir die Bürger in solche Entscheidungen ein, weil sie natürlich immer das Gefühl haben, es sind Brüssel-Entscheidungen vor Ort, das ist weit weg, wir haben keine Chance. Es fehlt also auch an entsprechender Ver

mittlung auf diesen vorhin genannten Ebenen bis runter in die lokale Ebene hinein. Ich denke, gerade das Weißbuch der Kommission über die europäische Kommunikationspolitik ist deshalb auch ein ganzes Stück wichtig in der Zukunft für den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern, der ja da speziell in den Vordergrund gestellt wird, wo auch Fördermittel, wo auch finanzielle Unterstützungen da sind, gerade für junge Menschen, um einfach hier die Europäische Union etwas besser in das Licht zu rücken. Denn den jungen Menschen - vorhin saßen hier ja jede Menge junge Menschen - fehlt ein Stückchen schon die Basisinformation. Dass die EU kein Renner an Schulen ist, das merkt man selber, wenn man mit den Schulen ins Gespräch kommt. Deshalb finde ich es ganz gut, das darf ich an der Stelle auch noch einmal sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen, am 22. Januar veranstaltet ja im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft die EU auch einen EUProjekttag in den Schulen. Es wäre gut, wenn wir als Kollegen uns dort in den entsprechenden Stimmkreisen mit Schulen in Verbindung setzen, denn oft ist der Weg andersherum nicht der geeignete. Wir müssen initiativ werden, um dort auch mit den Schülern ins Gespräch zu kommen, gerade bezüglich auch dieser deutschen Ratspräsidentschaft. Aus diesem Grunde ist es auch für mich sehr wichtig, was im EIZ geleistet wird. Die Bilanz ist auch nachzulesen. Ganz wichtig, weil gerade diese Einrichtung, Europäisches Informationszentrum, von sehr vielen jungen Menschen aufgesucht wird und auch die Landeszentrale für politische Bildung, ganz wichtig auch das Thüringer Büro in Brüssel. Ich denke, wer das schon einmal in Anspruch genommen hat, man kann es auch von hier aus tun bei bestimmten Sachen, es ist eine kompetente Anlaufstelle vor Ort in Brüssel. Wir als Mitglieder des Ausschusses haben das auch schon einmal erleben dürfen und ich glaube, das Büro hat seine Funktion als Türöffner und auch als Schaufenster für Thüringen dort bisher hervorragend umgesetzt. Dass die Ratspräsidentschaft, die angesprochen worden ist, natürlich auch einen Schub bringen wird, das merkt man auch an der Öffentlichkeitsarbeit. Wer sich die Mühe macht und einmal nachliest, das ist ja auch aus dem Internet überall herauszuholen, welches Ziel sich die Bundesregierung gestellt hat bei dieser Ratspräsidentschaft, sehr, sehr umfangreich, sehr, sehr ehrgeizig, der wird natürlich schon merken, das ist eine große Aufgabe. Das ist von allen Vorrednern natürlich auch schon gesagt worden und Thüringen beabsichtigt ja auch die Verlinkung der Homepage der deutschen Ratspräsidentschaft zum Internetauftritt des Freistaats zu schalten. Das ist auch eine Kommunikationsmöglichkeit. Deshalb, glaube ich, müssen und werden wir Erfolg haben, denn die deutsche Bundesregierung hat ja in der Richtung jetzt erst mal einen Vorteil: Man ist dazu übergegangen, dass man auch ein Stück vorausschaut, die Portugiesen und Slowenen

mit ins Boot holt, die die nächsten Präsidentschaften antreten werden, weil ein solcher umfangreicher Katalog, wie er aufgerufen ist, nur um einiges zu nennen, den Verfassungsvertrag voranbringen bis 2009, ist eine der wichtigsten Aufgaben. Aber Entbürokratisierung, an der Stelle bin ich sehr bei Herrn Verheugen, der hat sich ja unlängst auch mal ganz klar ins Benehmen gesetzt und hat gesagt, die Bürokratie muss ausgemistet werden. Da hat er zweifelsohne Recht, man muss das Thema angehen. Wenn man ca. 25 Prozent der Gesetze abspecken will und auch entbürokratisieren will, dann ist das der richtige Weg dorthin. Es sind die Energiefragen drauf, es ist der Klimaschutz drauf, natürlich vor allen Dingen auch Wachstum und Beschäftigung in der Europäischen Union. Ich denke, meine Damen und Herren, all diese Themen werden uns in den nächsten Wochen und Monaten noch beschäftigen. Deshalb bitte ich um Überweisung unserer Anfrage an den Ausschuss, bedanke mich noch mal bei denen, die diese Große Anfrage sehr umfangreich beantwortet haben, fachlich ausgezeichnet, weil sie für uns eine gute Grundlage darstellt, auch in Bezug auf die Öffentlichkeit mit Fakten und Daten zu argumentieren. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat Minister Wucherpfennig.

Frau Landtagspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, ich bin der CDU-Fraktion dankbar, dass sie die Anfrage „Thüringen in Europa - Chancen und Perspektiven“ gestellt hat. Sie gibt uns die Möglichkeit, die Zukunftsperspektive des Freistaats in Europa darzustellen.

Europa ist nach wie vor zunächst einmal ein einzigartiges Modell für Frieden und Wohlstand mit enormer Anziehungskraft. Am 1. Januar 2007 kommen mit Bulgarien und Rumänien zwei neue Mitgliedstaaten dazu. Slowenien wird am selben Tag den Euro einführen. Gleichwohl lässt sich nicht leugnen, dass Europa in einer Krise steckt. Die innereuropäische Zustimmung schwindet, europäische Regelungen werden von vielen zunehmend als Fessel wahrgenommen. Der Luxemburger Premierminister Joan Claude Juncker hat es in einem Interview im Juni dieses Jahres auf den Punkt gebracht. Er sagte: „Die Krise besteht darin, dass ein Teil der Bevölkerung denkt, wir hätten nicht genug Europa, der andere Teil der Bürger denkt, wir hätten längst zu viel Europa.“ Hier prallen somit unterschiedliche Perspektiven aufeinander, die in Einklang gebracht werden müssen.

Das ist nicht einfach, denn Erweiterungsskepsis, Bürokratieverdrossenheit und der Zweifel an der Vereinbarkeit von Erweiterung und Vertiefung machen es zunehmend schwer, für die europäische Sache zu streiten. Kraftlosigkeit, Unverständnis und Widerstreben empfinden manche, wenn es um Europa geht. Euroskeptiker eurakeln, der Faden der europäischen Erfolgsgeschichte sei abgerissen. Was wir aus meiner Sicht deshalb mehr denn je brauchen, ist eine überzeugende Antwort darauf, warum es sich lohnt, die europäische Integration voranzutreiben und Kräfte zu mobilisieren.

Meine Damen, meine Herren, ich behaupte trotz aller Skepsis, Europa ist bei tiefgründiger Betrachtung eine Erfolgsgeschichte. Vor gut zwei Monaten haben wir in Jena den Tag der Deutschen Einheit gefeiert. Vor 16 Jahren ist Deutschland wieder ein Ganzes geworden. Mehr noch, die neuen Länder wurden mit der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahr 1990 im Gegensatz zu den anderen Staaten des Warschauer Paktes sofort Teil der europäischen Gemeinschaft mit allen damit verbundenen Vorteilen. Nach den Erfahrungen der jahrzehntelangen Teilung und der Unfreiheit ist das zweifelsfrei ein unschätzbares Geschenk. Genau darauf, auf dieses Glück, sollten wir uns besinnen. Gerade weil das in der heutigen Zeit zu selbstverständlich ist, betone ich dieses auch. Was ist nicht alles nach 1990 geschehen? Mit dem Vertrag von Maastricht vom 7. Februar 1992 wurde die Europäische Union geschaffen, der gemeinsame Markt ist vollendet, es gibt keine lästigen Grenzkontrollen mehr und der Euro ist das stabile gemeinsame Zahlungsmittel in bald 13 Staaten Europas. Nachdem 2004 zehn neue Mitgliedstaaten beigetreten sind, setzt sich die Einigung Europas mit dem Beitritt von Bulgarien und Rumänien fort. Das alles sollte uns veranlassen, sich auf die europäische Erfolgsformel zu besinnen, nach vorn zu schauen und die offenen Fragen zu klären. In wenigen Tagen wird Deutschland bekanntlich die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union übernehmen, angesichts der schwierigen europapolitischen Situation sind daran besondere Erwartungen geknüpft.

Das am 29. November 2006 verabschiedete Präsidentschaftsprogramm der Bundesregierung nennt 4 Schwerpunkte:

1. die Weiterentwicklung der Europäischen Union und die Fortsetzung des Reformprozesses,

2. die Förderung von Wachstum und Beschäftigung,

3. die Stärkung der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und

4. die Gestaltung der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.

Die Länder haben frühzeitig eigene Vorstellungen für die Schwerpunkte der Ratspräsidentschaft eingebracht. Sie finden sich im entsprechenden Programm wieder. Ich bin zuversichtlich, dass die Bundesregierung die EU-Ratspräsidentschaft nutzen wird, um für die Mitwirkungsnotwendigkeiten föderal strukturierter Staaten zu werben. Abzuwarten bleibt, ob sich die Bundesregierung unabhängig vom Inkrafttreten des Verfassungsvertrags - wie von den Ministerpräsidenten der Länder gefordert - für eine gegebenenfalls vorgezogene Einführung des Subsidiaritäts-Frühwarnsystems einsetzen wird.

Stichwort Erweiterung: Das ist eine der wichtigsten Fragen im Hinblick auf die künftige Perspektive Europas. Wo liegen die Grenzen unseres Kontinents? Wo wollen wir sie ziehen? Hier geht es weniger um geografische Antworten, denn Europa ist nicht nur eine geografische Größe, sondern vor allen Dinge ein gemeinsamer Kulturraum und eine Wertegemeinschaft. Eine Tatsache, die in der Diskussion um den möglichen Beitritt der Türkei berücksichtigt werden muss.

Zahlreiche Problembereiche stehen einer Vollmitgliedschaft der Türkei aus heutiger Sicht entgegen, die ungeklärte Zypern-Frage ist nur eine davon. Bundeskanzlerin Merkel hat bei ihrem Türkei-Besuch im Oktober nochmals betont, dass Deutschland und die Türkei auf vielfältige Weise Partner sind und dass Deutschland deshalb auch ein ganz besonderes Interesse an der Annäherung der Türkei an die Europäische Union hat. Dieser Annäherungsprozess muss allerdings ergebnisoffen geführt werden. Ich denke, dass diese Verhandlungen schwierig und langwierig sein werden. Dies gilt umso mehr, als bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Zweifel an der Integrationsbereitschaft der Türkei immer stärker werden. Ich unterstütze den Beschluss des Rates, die Verhandlungen teilweise auszusetzen, allerdings hätte ich mir auch einen schärferen Beschluss vorstellen können, wie er zwischen Bundeskanzlerin Merkel und den Präsidenten Frankreichs und Polens beim Treffen des Weimarer Dreiecks vor wenigen Wochen diskutiert wurde. Demnach hätten die EUStaats- und Regierungschefs auf der Grundlage eines neuen Fortschrittsberichts über die Fortsetzung der Verhandlungen mit der Türkei entscheiden müssen. Ich bin der festen Überzeugung, dass sich die Europäische Union unter der deutschen Präsidentschaft grundsätzlich darüber verständigen muss, was erweiterungspolitisch noch machbar und der Bevölkerung noch vermittelbar ist, denn die Anziehungskraft Europas ist nach wie vor ungebrochen und vor allem die Ukraine und die Staaten des ehemaligen Jugoslawiens drängen in Richtung EU.

Europa sollte aber, so meine ich, auf absehbare Zeit keine neuen Zusagen machen, denn ein nicht mehr

zu steuernder Riesentanker Europa nutzt nämlich keinem etwas und es gilt aufzupassen, dass das europäische Schiff nicht Leck schlägt.

Stichwort Verfassungsvertrag: Meine Damen, meine Herren, vor einer Erweiterung der EU muss die Vertiefung stehen, das ist hier jetzt auch mehrfach gesagt worden. Europa muss in nächster Zeit erst einmal alles daran setzen, sich darauf zu verständigen, wie es mit dem Europäischen Verfassungsvertrag weitergeht. Auch das ist gesagt worden. Dass die Referenda in Frankreich und den Niederlanden gescheitert sind, war ein herber Rückschlag und leider gibt es bislang keine gemeinsame Strategie trotz der selbst verordneten Denkpause. In den meisten Mitgliedstaaten herrscht eher eine Haltung des Abwartens und Beobachtens vor, weniger des Nachdenkens. Die Hoffnungen konzentrieren sich jetzt auf Deutschland. Im Programm der deutschen Präsidentschaft steht der weitere Umgang mit dem EU-Verfassungsvertrag ganz oben auf der Agenda. Ich denke, das ist auch gut so. Kommissionspräsident Barroso setzt große Hoffnungen in Deutschland, wenn er fordert, das, was zum Schluss da steht, muss ein Gebilde sein, das das Wort „Verfassungsvertrag“ verdient und nicht nur einfach eine institutionelle Regelung, wie in Zukunft abgestimmt wird. Bundeskanzlerin Merkel hat zugesagt, einen Fahrplan aufzuzeigen, wie ein Verfassungsvertrag in Europa Realität werden kann. Tatsache ist, dass Deutschland diese Herausforderung nicht allein meistern kann. Sechs Monate sind eine zu kurze Zeit und eine Lösung der Verfassungsfrage kann nicht nur auf den Schultern von Deutschland gemeistert werden, dafür bedarf es mehrerer Präsidentschaften. Wir dürfen deshalb die Erwartungen an die deutsche Präsidentschaft nicht in unerfüllbare Höhen schrauben, denn eine zuverlässige politische Ordnung Europas in Form einer neuen primärrechtlichen Grundlage gelingt nur im Konzert aller Mitgliedstaaten, das bedeutet einschließlich der Niederlande, wo die Auswirkungen der dortigen Parlamentswahlen auf den Fortgang des Verfassungsvertrags kaum absehbar sind, und Frankreichs, wo im kommenden Frühjahr Parlamentswahlen stattfinden.

Meine Damen, meine Herren, nicht nur aus Sicht der Thüringer Landesregierung steht fest, dass der Entwurf des Verfassungsvertrags einen Meilenstein für die europäische Integration darstellt. Er ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Bürgernähe, Demokratie, Transparenz, Effizienz und Subsidiarität. Der Vertrag von Nizza ist demgegenüber nicht dauerhaft haltbar, er ist nicht auf 25 Mitgliedstaaten dimensioniert und mit diesem Regelwerk lässt sich ein halbes Dutzend Staaten regieren, aber keine Europäische Union mit bald 27 Mitgliedstaaten. Herr Abgeordneter Höhn hat das ähnlich gesehen. Wie dem auch sei, ich habe die Hoffnung auf den Verfassungsvertrag noch nicht auf

gegeben.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Die Hoffnung stirbt zuletzt.)

Stichwort „Europa im globalen Wettbewerb“: Europa muss in vielerlei Hinsicht nach vorn gebracht werden, denn Europa steht bekanntlich mit anderen Kontinenten in einem harten Wettbewerb. Denken Sie an die dynamischen Länder in Asien, z.B. an Indien oder China. Diese Konkurrenzsituation kann man beklagen, allerdings ist Wettbewerb das beste Mittel, um unsere wirtschaftliche Dynamik zu verbessern. Dabei spielt der europäische Binnenmarkt eine tragende Rolle, zumal sich Europa im internationalen Wettbewerb nur durch einen echten Binnenmarkt behaupten kann. Auch wenn das ein heißes Eisen ist, das funktioniert nicht ohne die Liberalisierung der einzelnen Märkte. Europa muss sich auf seine Stärken besinnen, wenn wir im 21. Jahrhundert bestehen wollen. Das heißt, Technologie und Innovation eine hohe Priorität einräumen, so wie es auch die Lissabon-Strategie der EU vorsieht. Die LissabonStrategie ist zwar ein ziemlich theoretisches, aber auch ein sehr ambitioniertes und richtiges Unterfangen. Die Landesregierung richtet ihre Politik an den Zielen dieser Strategie aus. Wir versuchen den Haushalt zu konsolidieren, investieren dabei dennoch in zukunftsträchtige Bereiche. Wir überprüfen die öffentlichen Aufgaben, wir durchforsten den Regelungsbestand, verschlanken die Verwaltung und vereinfachen die Verwaltungsverfahren. Ähnliche Ziele verfolgt die Europäische Kommission. Mit den Plänen zur besseren Rechtsetzung will die Kommission in den kommenden Jahren mehr als 1.400 geltende EU-Rechtsvorschriften aufheben, überarbeiten oder vereinfachen. Das ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings lassen erste Zwischenberichte erkennen, dass es mit der Entbürokratisierung langsamer geht, als die Kommission sich das vorgestellt hat. Bei allen Maßnahmen zur Entbürokratisierung ist darauf zu achten, dass nicht wieder neue Bürokratie zum Aufbau derselben geschaffen wird. So wird es eine wichtige Aufgabe der deutschen Präsidentschaft sein, gerade dieses Thema voranzubringen. Der Abbau von Überreglementierung ist auch der wesentliche Schwerpunkt unserer europapolitischen Aktivitäten.