Protokoll der Sitzung vom 11.10.2007

und zweitens die Landesregierung aufzufordern, deutlich mehr dafür zu tun, die Arbeitsplätze am Standort zu erhalten. Seit 1986 werden in der Freiherr-vom-Stein-Straße in Nordhausen Fahrräder produziert. Mit der Übernahme von Bike Systems durch eine Tochtergesellschaft des Texanischen Hedgefonds Lone Star Ende 2005 kam nicht die Sicherung und Entwicklung des Standortes, sondern - wie die Belegschaft jetzt leidvoll erfahren musste - der Anfang vom Ende. Das - wie ich hoffe - vorläufige Aus, also die Einstellung der Produktion, kam dann am 30.06. dieses Jahres. Seit dem 10.07., 14.00 Uhr halten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren Betrieb besetzt. Für ein solches Engagement zum Erhalt ihrer Arbeitsplätze kann ich ihnen nur meinen Respekt und meine Anerkennung zollen.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Natürlich möchte ich hier unsere Hoffnung zum Ausdruck bringen, dass das lange Ausharren am Ende erfolgreich sein wird.

Aber, meine Damen und Herren, was hat die Landesregierung getan? Was haben Sie persönlich, Herr Reinholz, als Wirtschaftsminister getan, um die Arbeitsplätze vor Ort zu erhalten und die Produktion am Standort fortzuführen? Wenn man sich bei den Mitarbeitern erkundigt, bleibt da außer einigen unverbindlichen Gesprächen nicht allzu viel. Geholfen haben sich die Mitarbeiter erst einmal selbst mit ihrer einfallsreichen Idee vom roten „Strike-Bike“. Die Produktion beginnt, wenn nichts mehr dazwischen kommt, in wenigen Tagen, nämlich am 22.10. Die Belegschaft, die eigens dazu einen Verein gegründet hat, zeigt damit, dass das Werk produktionsfähig ist. Es ist bewundernswert, dass die Belegschaft bereit ist, hier das unternehmerische Risiko zu tragen. Über 1.800 Bestellungen liegen vor.

Herr Reinholz, ich kann Sie hier nur noch einmal auffordern, tun Sie endlich etwas für den Erhalt der Arbeitsplätze, den Erhalt des Werkes in Nordhausen. Da reicht es eben nicht, wenn man Gespräche ankündigt und die LEG sich bemüht, die Belegschaft

anderweitig unterzubringen. Diese Möglichkeit steht in der Prioritätenliste der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Bike Systems nicht an erster Stelle. Nein, die Mitarbeiter wollen auch zukünftig in ihrem Werk ihren Lebensunterhalt erarbeiten. Solange es dafür auch nur einen kleinen Funken Hoffnung geben sollte, muss die Landesregierung alle Anstrengungen darauf ausrichten und die Mitarbeiter von Bike Systems dabei unterstützen.

(Beifall SPD)

Übrigens, am Rande sei Ihnen gesagt, Herr Reinholz, dass es meines Erachtens im Moment auch nicht Aufgabe der LEG sein kann, sich um eine Auffanggesellschaft zu bemühen oder die Belegschaft anderweitig unterzubringen. Nein, erste Pflicht ist es jetzt, sich um Investoren zu kümmern. Sie sind doch die Partei der Kümmerer, also kümmern Sie sich, denn in Nordhausen ist Ihr Engagement gefragt und nicht bei der Produktion von Luftnummern à la Lufthansa, mit denen Sie nur potenzielle Investoren vergraulen.

(Beifall SPD)

Als nächster Redner hat das Wort Abgeordneter Kretschmer, CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kollege Schubert, eine tapfere Rede, toll. Respekt und Anerkennung den Beschäftigten zu zollen, das ist okay,

(Beifall CDU)

aber dann noch den Eindruck zu erzeugen, man muss nur wollen und man kann das Werk erhalten, die Belegschaft möglicherweise auch im falschen Weg zu bestärken, das will ich Ihnen deutlich sagen. Ich habe Herrn Kollegen Matschie heute früh in Antenne Thüringen gehört, das hörte sich so an: Der Erhalt des Werkes oder der Fahrradproduktion ist an sich eine relativ einfache Geschichte, man muss nur wollen. Diesen Eindruck bedient im Grunde genommen auch ihre Aktuelle Stunde, Aktivitäten der Landesregierung zur Weiterproduktion in der Firma Bike Systems. Wenn das Thema nicht traurig und ernsthaft genug wäre, hätte ich sagen können, wenn Sie den Text lesen, hört es sich so an, als ob Herr Minister Reinholz oder vielleicht Herr Minister Zeh und wer auch immer in die Firma geht und soll mit montieren oder so was. Was an Aktivitäten möglich ist …

(Unruhe SPD)

Ich komme schon noch mit weiteren Dingen, wo Sie auch sehen, dass sie den Beschäftigten in Nordhausen mit der Bestärkung des falschen Weges überhaupt nicht helfen werden, das werden Sie auch noch feststellen, meine Damen und Herren.

(Zwischenruf aus dem Hause)

Ja, das haben Sie ja gesagt, und die Wege, die zu unternehmen sind, sind einesteils Investorensuche und zum Zweiten, wenn man auch sieht, dass es schwierig ist, eine Produktion dort zu etablieren, dass man auch sagt, im Interesse der Beschäftigten mit einer Auffanggesellschaft, beispielsweise das, was Sie, Herr Schubert, hier auch genannt haben, die Möglichkeit zu schaffen, dass sie ihren Lebensunterhalt weiter verdienen können, das ist ganz deutlich. Aber, meine Damen und Herren, ich will mit Aussagen von Beteiligten dort deutlich machen, dass das eben nicht mit einem Fingerschnips geht, und schon gar nicht mit dieser sehr plakativen und sehr interessanten Aktion, diese Fahrräder zu bauen, wo sie deutlich wissen, mit diesen Fahrrädern - 1.800 Streikrädern - können sie keinen dauerhaften Marktzugang erreichen. Sie können über den Investor reden, wie Sie wollen, aber immerhin hat dieser Investor im Jahre 2006 1,2 Mio. € Verlust in diesem Engagement gemacht. Das hat er sich vielleicht auch nicht überlegt, als er das übernommen hat. Aber deutlich ist, dass Sie an dieser Stelle mit diesem Standort zumindest nicht marktfähig arbeiten können. Ich will Ihnen mal deutlich sagen, Sie wissen, Herr Rechtsanwalt Jürgen Metz, der den Betriebsrat dort betreut, hat sehr deutlich gesagt zur Produktion in eigener Regie - es ist ein Interview in der „Jungen Welt“ gewesen, wenn Sie vielleicht darauf vertrauen, dass ich mich auf diese Basis beziehe -: „Unter den konkreten Voraussetzungen ist es unmöglich, dort eine Produktion in eigener Regie durchzuführen.“ Das heißt, in der Fahrradbranche muss mit enormen Kapitalressourcen gearbeitet werden, weil kurzfristige Aufträge eingehen, die intensive, kapitalintensive Vorratshaltung brauchen. Auch, meine Damen und Herren, ein anderer Anwalt, und zwar der Insolvenzverwalter, Herr Wutzke aus der Kanzlei Wutzke & Förster, sagt: „Es gibt keine ernsthaften Interessenten, die dort auftreten, weil der Standort von seiner Struktur her sehr schwierig ist.“ Einerseits kein eigener Vertrieb und keine eigene Entwicklung und andererseits Fahrradproduktion nur im Halbjahresgeschäft; im Herbst kommen die Aufträge und im Frühjahr müssen die Räder fertig sein, meine Damen und Herren. So viel zunächst erst einmal zum Umfeld, in dem wir uns bewegen.

Wissen Sie, Herr Matschie, Ihre Ansprache heute früh im Radio habe ich vernommen, wie gesagt, den Eindruck schaffen, ja, das muss nur gemacht werden und dann läuft das. Ich bin recht froh, weil, auch das ist wiederum unverfänglich, Sie haben heute den Ar

tikel und den Kommentar in der „Thüringer Allgemeinen“, den Artikel von Frau Klein „In der Warteschleife“, die darauf hinweist, so sicher ist das noch nicht, dass die Produktion beginnt. Denn das ist eigentlich die Crux: Fahrräder auf Vorkasse produzieren zu wollen, aber die Möglichkeiten noch nicht zu haben, weil man weder über die Hallen noch über das Material verfügt, das ist doch eine andere Geschichte.

Und das Zweite, was Herr Grosser dazu schreibt, dass man eben auch sagt, was will ich: Eine schöne Aktion, die das Herz erwärmt und die auch die Solidarität betrifft mit einer Anarcho-Gewerkschaft, die sich am Ende des Weges nicht einbringen wird, wie es weitergeht, oder sagt, es lässt sich im Augenblick eine effektive Produktion mit den Fahrrädern dort nicht gewährleisten, denn dann müssen sie 200.000 Stück mindestens haben? Das ist zumindest mein Eindruck, den ich aus den Unterlagen von Ihnen gewonnen habe, sich dem Weg, den die LEG beispielsweise aufbaut, zu verwehren, in einer Auffanggesellschaft, wo Fachleute auch in der Region gebraucht werden, beispielsweise dann weitere Arbeit zu finden. Also, ich sage es noch einmal, Herr Kollege Matschie, Sie tun sich selbst keinen Gefallen, denn wenn Sie wissen, wer jetzt die Leute unterstützt, das geht von NPD bis Linksextremismus, dann wissen Sie ganz genau...

(Unruhe SPD)

Ach, schauen Sie doch einmal in die Unterlagen dieser Union hinein, da kommen Sie doch überhaupt nicht gut bei weg.

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Ach, Herr Kretschmer.)

Sie machen doch falsche Hoffnungen am Ende des Weges.

(Zwischenruf Abg. Matschie, SPD: Es geht um die Beschäftigten, um ihnen eine Lösung zu bieten.)

Ja, Sie finden aber keine Lösung, wenn Sie den Leuten nicht reinen Wein einschenken, und deshalb sage ich deutlich, man muss auf das, was machbar ist, hindeuten und die Möglichkeiten der Landesregierung, die sowohl über den Minister als auch die Landesentwicklungsgesellschaft dargestellt werden, nutzen. Danke schön.

(Beifall CDU)

Weitere Wortmeldungen von Abgeordneten liegen mir nicht vor. Dann hat das Wort Minister Reinholz.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat eine Aktuelle Stunde zum Thema „Aktivitäten der Landesregierung zur Weiterproduktion in der Firma Bike Systems Nordhausen“ beantragt. Ich begrüße das ausdrücklich, denn angesichts der sehr realitätsfremden Vorschläge und wohlfeilen Forderungen, die ich in den letzten Wochen von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, und hier ganz besonders von Frau Becker und Herrn Matschie gehört habe, wird es, glaube ich, höchste Zeit, dass Sie einige einfache, aber grundlegende Tatsachen zur Kenntnis nehmen.

1. Die Möglichkeiten der Landesregierung, die Fahrradproduktion am Standort sicherzustellen, sind äußerst begrenzt. Die Landesregierung kann zunächst versuchen, einen Investor für den Standort zu finden. Das ist in der Tat auch geschehen, die LEG hat es im Auftrag des TMWTA übernommen, ernsthaft - ich betonte: ernsthaft - in Betracht kommende Interessenten für eine Übernahme zu identifizieren und als Investoren zu gewinnen. Die Bemühungen der LEG waren bislang leider nicht so erfolgreich, wie wir uns das sicher alle wünschen würden. Wer mit den Verhältnissen am Fahrradmarkt aber vertraut ist, den wird das allerdings auch nicht überraschen, denn der inländische Markt gilt nun einmal als überbesetzt. In der Branche wird die Schließung von Bike Systems, so traurig das ist, sogar als willkommene Marktbereinigung gesehen. Bitte beachten Sie, dass diese Einschätzung nicht von mir stammt, aber sie steht nun einmal im Raum und wir müssen Sie zumindest auch zur Kenntnis nehmen.

2. Vor diesem Hintergrund kann die Landesregierung nur ihre selbstverständliche Bereitschaft unterstreichen, jeden ernsthaften Investor, der sich für die Weiterproduktion in Nordhausen interessiert, zu unterstützen, und das tun wir, meine Damen und Herren. Ich betone aber dabei nochmals die Worte „ernsthaften Investor“, weil vorgeschobene, unrealistische oder aus sonstigen Gründen nicht in Betracht kommende Offerten, wie sie auch in diesem Fall bereits mehrfach diskutiert wurden, wirklich niemandem nützen.

Herr Matschie, Sie haben per Pressemitteilung Ihr breites Unverständnis darüber bekundet, dass die Landesregierung in der beschriebenen Weise verfährt. Dazu kann ich nur sagen: Nicht zu verstehen, wovon Sie reden, ist natürlich Ihr gutes Recht, genauso wie es das Recht der Opposition ist, mit populistischen Wünsch-dir-was-Parolen aus dem Thema Bike Systems politisches Kapital schlagen zu wollen.

(Beifall CDU)

Meines Erachtens, meine Damen und Herren, ist jetzt die Grenze aber deutlich überschritten. Wenn Sie und andere vor Ort das Schicksal der Bike-Systems-Beschäftigten für Ihre Zwecke instrumentalisieren, indem Sie den Mitarbeitern, die es im Moment ohnehin schwer genug haben, vormachen oder sie in der Auffassung bestärken, der Erhalt des Unternehmens könnte dauerhaft erzwungen werden,

(Beifall CDU)

indem Sie die Mitarbeiter dazu auch noch um sinnvollere und realistischere Lösungsalternativen bringen und indem Sie die Mitarbeiter obendrein noch in juristisch äußerst fragwürdige Abenteuer stürzen,

(Beifall CDU)

tragen Sie dafür, Herr Matschie, mit ein gutes Stück Verantwortung. Ich sage es Ihnen ehrlich: Ich finde es einfach zynisch, wenn Sie aus rein parteipolitischem Kalkül mit dem Schicksal von Menschen spielen.

(Beifall CDU)

Denn am Ende bleibt es eben doch bei der Erkenntnis, dass es im Interesse der Belegschaft von Bike Systems das Beste gewesen wäre und auch noch immer ist, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer individuell zu qualifizieren -

(Zwischenruf Abg. Matschie, SPD: Überlegen Sie sich noch, was Sie da sagen?)

das habe ich bereits Anfang Juli vor meinem Urlaub angeboten - und sie im Anschluss bei der Aufnahme einer Beschäftigung am regionalen Arbeitsmarkt zu unterstützen. Angebote und Interessenbekundungen von Unternehmen aus der Region lagen damals vor. Ihr Taktieren, meine Damen und Herren von der SPD und auch der Gewerkschaft vor Ort, könnte diese Chancen aber inzwischen verspielt haben. Ich kann daher nur die dringende Empfehlung an alle Bike-Systems-Mitarbeiter wiederholen, die sowohl Herr Staatssekretär Juckenack als auch ich selbst in verschiedenen Gesprächen ausgesprochen haben: Nehmen Sie die Möglichkeit einer Transfergesellschaft in Anspruch, auch wenn die Voraussetzungen dafür heute nicht mehr so gut sind, wie sie Anfang Juli waren.

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Wieso waren die denn gut?)

Offenbar hat sich diese Erkenntnis auch pünktlich zur heutigen Landtagssitzung dann durchgesetzt,

wenn die diesbezüglichen Mitteilungen von Antenne Thüringen und TA stimmen. Genau das wäre aber schon vor einem Vierteljahr möglich gewesen und besser, Frau Becker, betriebswirtschaftlich besser einfach damals, weil die Masse größer war, weil die finanzierbare, verfügbare Masse des Unternehmens deutlich größer war als heute.

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Das hätte aber nicht gereicht.)

Ich betone, meine Damen und Herren, ich habe volles Verständnis für die Belegschaft, die um die Arbeitsplätze und eine berufliche Zukunft ringen. Ich habe aber überhaupt kein Verständnis für all diejenigen, die dieses Engagement zur eigenen politischen Profilierung nutzen und damit den Karren immer tiefer in den Dreck fahren. Das betrifft übrigens auch die sehr fragwürdige Aktion „Strike-Bike“, abgesehen davon, dass die Aktion lediglich Zeit kostet, die besser zur Schaffung neuer beruflicher Perspektiven für die Beschäftigten genutzt werden sollte.

Meine Damen und Herren von der Opposition, haben Sie sich denn schon mal die Frage gestellt, ob Vereinsmitglieder, die ein Unternehmen gründen, nicht auch mit ihrem gesamten persönlichen Hab und Gut für alle möglichen Defizite haften müssen? Was also, wenn nach der Aktion „Strike-Bike“ unbezahlte Rechnungen übrig bleiben? So etwas soll es ja durchaus geben. Ich gehe davon aus, dass Sie den Leuten vor Ort dann erklären werden, warum sie gegebenenfalls mit persönlicher Verschuldung und privater Insolvenz für Ihre Spielchen aufkommen müssen. Haben Sie sich denn schon mal gefragt, ob die Produktion von Fahrrädern in besetzten Räumlichkeiten und unter Einsatz von Anlagen, die zur Insolvenzmasse gehören, rechtlich wirklich unbedenklich ist? Haben Sie eine einigermaßen brauchbare Antwort auf die nahe liegende Frage: Woher kommen eigentlich die Folgeaufträge für das „Strike-Bike“? Haben Sie also eine einigermaßen glaubwürdige Antwort auf die Frage, wozu diese Aktion gut sein sollte, außer dafür, dass sich bestimmte Personen damit politisch in Szene setzen? Ich habe bisher jedenfalls keine gehört und deshalb sage ich Ihnen auch: Sie stehen nicht auf der Seite der Belegschaft von Bike Systems, sondern Sie stehen auf der Seite derjenigen, die auf dem Rücken der Belegschaft politischen Profit machen wollen.

(Beifall CDU)

Ich fordere Sie deshalb auf, stürzen Sie die Mitarbeiter von Bike Systems und deren Familien mit Ihrem politischen Egoismus nicht einfach in das Unglück.

(Zwischenruf Abg. Dr. Klaubert, DIE LINKE: Das ist aber zynisch!)