Protokoll der Sitzung vom 12.10.2007

und Vorbildwirkung zu tun, wie sich Abgeordnete in diesem Hause äußern.

Ich bin der festen Überzeugung, der Sozialstaat muss die Menschen und die Gemeinschaft zur Selbsthilfe und zur Mobilisierung ihrer inneren Kräfte anregen und es ist eben nicht so, dass man mit einem ausufernden und hochverschuldeten Sozialstaat hilft. Niemandem ist damit geholfen und schon gar nicht dem kleinen Mann. Ich will mich auf die beiden Punkte beziehen in dem Antrag der SPD und das ist ja dann teilweise auch deckungsgleich mit dem Antrag der LINKEN, wo es um Essenversorgung und um die Frage der Versorgung mit Arbeitsmitteln geht.

Zur kostenlosen Essenversorgung in Kindergärten und Schulen:

Erstens halte ich hier auch einmal entgegen: Kinder, insbesondere aus sozial schwachen und bildungsfernen Familien sind in Deutschland und besonders in Thüringen nicht unterernährt, sondern sie sind überproportional übergewichtig und adipös.

(Zwischenruf Abg. Ehrlich-Strathausen, SPD: Aber warum denn?)

(Zwischenruf Abg. Dr. Scheringer-Wright, DIE LINKE: Fehlernährung.)

Es steht da von Unterernährung und Fehlernährung. Zur Fehlernährung komme ich auch noch. Ich wollte es Ihnen nur noch einmal gesagt haben. Wir hatten ja neulich den Antrag hier im Landtag, in dem es um die Frage ging, wie können wir zu mehr Bewegung, zu mehr Sportlichkeit bei den Kindern kommen? Da hatten wir uns auch Argumente von den Wissenschaftlern geholt. Ich erinnere auch daran, dass gerade in diesen Familien die PCs und die Fernseher überproportional vertreten sind und wie negativ der Konsum dieser Angebote ist.

(Zwischenruf Abg. Bärwolff, DIE LINKE: Das zeigt, dass Sie keine Ahnung ha- ben.)

Es ist sicherlich richtig, dass in einzelnen Fällen ein Kind auch einmal zu wenig Essen bekommt. Das geht aber auch einher mit anderen Formen der Vernachlässigung. Ich möchte auch einmal in den Fokus rücken, wenn wir über Armut reden, dann wird hier immer nur über die Fragen von Finanzen geredet.

Armut hat aber auch und, ich denke, viel häufiger etwas mit Vernachlässigung und mit emotionaler Armut und sozialer Kälte zu tun.

(Zwischenruf Abg. Ehrlich-Strathausen, SPD: Sie können ja alle Kinder beku- scheln.)

Das sollten Sie auch einmal so darstellen. Das hängt eben nicht in erster Linie und nur von den Einkommen der Familien ab. Ich denke, an den Stellen, wo Kinder tatsächlich zu wenig zu essen bekommen, einzelne Fälle gibt es, ist es eine Frage der Familienhilfe und wie es gelingt, dass die einzelnen Institutionen des Staates, zum Beispiel Schule und Familienhilfe sowie Jugendämter, miteinander kooperieren. Dass es hier Reserven gibt, das ist uns, denke ich, allen klar und dass im Zusammenwirken und Kooperieren dieser einzelnen Einrichtungen große Reserven nach wie vor bestehen.

Zweitens: Der Antrag täuscht aus meiner Sicht auch über die tatsächliche Situation im Freistaat hinweg, denn es gibt sehr wohl an sehr vielen Schulen diese Essenversorgung und dort, wo es ganztägige Angebote unserer Schulen gibt, gibt es die Essensversorgung sowieso.

(Zwischenruf Abg. Bärwolff, DIE LINKE: Aber nicht kostenlos.)

Die Entscheidung über das Wie und das Ob dieser Essenversorgung wird auf kommunaler Ebene entschieden. Ich denke, dort gehört es auch hin. Immer mehr wird uns deutlich, dass kommunale Bildungsverantwortung vor Ort wahrgenommen werden muss. In Sachen Essenversorgung halte ich das dort für absolut richtig angesiedelt.

In Kindertagesstätten, meine Damen und Herren, die bei uns im Wesentlichen auch ganztägig im Angebot sind, ist die Essenversorgung sowieso selbstverständlich. In der Kindertagesstätte meiner Tochter geben die Eltern das Essen für das Frühstück und für die Vesper selbst mit. Das dient dazu, dass man sich über die Güte des Essens, die Qualität und die Art und Weise, wie man sich ernährt, unterhält, und dass man auch einmal darüber redet, wie und zu welchem Zeitpunkt Mahlzeiten in Familien eingenommen werden sollten. Hier wird Kommunikation in Gang gesetzt zwischen der Kindertagesstätte und den Eltern. Ich konnte nirgends beobachten, dass Kinder hier unterernährt sind. Alles in allem, denke ich, wird hier ein sehr populistisches Thema bedient, das jeder Grundlage entbehrt.

Zu den Lernmitteln für alle Arbeitsmaterialien: Ich halte es für wichtig und richtig, dass Eltern einen kleinen Beitrag zu den Lernmitteln leisten, und nenne

dazu nur den Fakt, dass Eltern, wo sie beteiligt werden, auch Interesse haben an der Umfänglichkeit dieser Lernmittel und an dem Inhalt dieser Lernmittel und später auch an der Benutzung dieser Lernmittel. Ich denke, die Erfahrungen mit der Lernmittelpauschale haben gezeigt, wie wichtig es ist, dass wir mit den Familien im Gespräch, mit den Eltern im Gespräch darüber sind, wie Lernmittel eingesetzt werden. Häufig genug werden diese Lernmittel auch ausufernd angeschafft und genutzt, was auch nicht unbedingt in der Sache dienlich ist.

Ich denke, Sie gehen mit diesen Anträgen einen falschen Weg. Man darf Familien nicht immer mehr von ihrer Verantwortung für ihre Kinder, auch der finanziellen Verantwortung entbinden, sondern man muss Familien in die Lage versetzen, Verantwortung auch wahrzunehmen, so dass sie diese Verantwortung wahrnehmen wollen und auch können. Ich denke, dass diese CDU-geführte Landesregierung alles dafür tut, Familien so weit zu fördern, dass sie immer besser dazu in der Lage sind.

(Beifall CDU)

Das Wort hat jetzt Abgeordneter Bärwolff, Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Emde, Sie sind ein Beispiel für das Versagen von Bildungspolitik.

(Unruhe CDU, SPD)

Sie glauben doch wohl nicht, dass ich hier nicht zurückschießen kann!

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Ich habe meine Schule zu DDR-Zeiten absolviert.)

Aber das ist nicht Thema des Antrags.

(Unruhe DIE LINKE, SPD)

Herr Emde, wenn Sie bereit sind, sich mit mir auf eine sachliche Debatte einzulassen, dann lade ich Sie recht herzlich dazu ein. Wenn nicht, dann würde ich Sie auffordern, den Raum zu verlassen, wir wollen hier Politik machen.

Ihre Äußerung, dass Kinderarmut im Zusammenhang steht mit Überernährung - ich möchte Ihnen das ein wenig deutlich machen, damit auch Sie das verstehen: Ein Regelsatz, der im Sozialgeld bei 2,57 € liegt

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Beispiel für Überernährung.)

pro Tag für ein Kind, der sichert eben nicht die gesunde Ernährung. Es geht bei der Kinderarmut gerade um die Ernährungsfrage, da geht es darum, dass den Kindern nicht die Möglichkeit gegeben ist, sich gesund zu ernähren, sich ausgewogen zu ernähren.

(Beifall DIE LINKE)

Diese Kinder haben nicht die Möglichkeit, im Bioladen einkaufen zu gehen. Die Eltern dieser Familien haben die Möglichkeit, bei Aldi, Lidl und den anderen Discountern einkaufen zu gehen, wo sie das Preiswerteste, um nicht zu sagen, das Billigste kaufen müssen. Eine Folge dessen ist Übergewicht, ist ein erhöhtes Gesundheitsrisiko.

(Unruhe CDU)

(Zwischenruf Abg. Wehner, CDU: So ein Idiot.)

Entschuldigung, Herr Abgeordneter. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie doch, dem Redner zuzuhören. Sie haben alle die Möglichkeit, sich zu Wort zu melden.

Und für den Begriff „Idiot“ bekommen Sie jetzt auch einen Ordnungsruf, Abgeordneter Wehner. Ich bitte Sie mal wieder ein bisschen zur Ruhe zu kommen und dem Thema angemessen zuzuhören und sich zu Wort zu melden.

Herr Abgeordneter Bärwolff, fahren Sie fort.

(Beifall DIE LINKE)

Danke schön. Sehr geehrter Herr Emde, Sie können mir schon zutrauen, dass ich mich mit dem Thema Kinderarmut schon ein wenig auseinandergesetzt habe. Beispielsweise haben wir als Linksfraktion im September 2006 eine Fachtagung zu diesem Thema veranstaltet. Die SPD war neulich auch bei uns und hat unseren Leader noch mal angefragt, ob sie den bekommen kann. Beispielsweise haben wir auch sehr enge Kontakte in den wissenschaftlichen Bereich in Thüringen. Wenn Sie sich die Studien ansehen, da müssen Sie ja nicht unbedingt viele Studien ansehen, die Thüringer Wissenschaftler verfassen. Schauen Sie sich den Sozialschutzbericht für Deutschland an - den gebe nicht ich heraus, den gibt die Bundesregierung heraus -, in dem eindeutig der Zusammenhang zwischen

Kinderarmut, den geringen Eckregelsätzen und den Risiken, die Kinder so zu tragen haben, verankert ist. Wenn Sie das nicht zur Kenntnis nehmen wollen, dann spricht das natürlich auch wirklich dafür, dass Sie von den Realitäten in diesem Land keine Ahnung haben.

(Zwischenruf Abg. Jaschke, CDU: Mei- nen Sie, dass Sie bessere Ahnung ha- ben?)

(Beifall DIE LINKE)

(Zwischenruf Dr. Sklenar, Minister für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt)

Herr Sklenar, ich habe wirklich langsam auch den Eindruck, Sie waren noch nie in einer Einrichtung der Thüringer Tafel. Ich habe den Eindruck, Sie haben überhaupt keine Ahnung davon, was es für Kinder bedeutet, in Armut zu leben. Ich habe den Eindruck, dass Sie keine Ahnung haben, was es für die Leute bedeutet, die mit diesen Menschen zusammenarbeiten müssen, die diesen Menschen beispielsweise Angebote unterbreiten. Gehen Sie doch mal in ein Jugendhaus. Gehen Sie hier hoch, setzen sich in die Straßenbahn, gehen Sie ins Jugendhaus Wiesenhügel. Da können Sie mal erleben, was da nachmittags 14.00 Uhr passiert, wenn die Schule aus ist. Die Kinder kommen nicht und machen zuerst ihre Hausaufgaben, die Kinder kommen, gehen in die Küche und essen erst mal wie ein großer Heuschreckenschwarm alles auf, was da ist, weil sie einfach Hunger haben, weil sie in der Schule nicht am Essen teilnehmen konnten. Genau das versucht der Antrag der SPD und das versucht auch der Antrag der LINKEN aufzugreifen und diesem Problem abzuhelfen.

(Beifall DIE LINKE)

Herr Zeh, da will ich Ihnen auch noch mal ganz deutlich etwas sagen. Sie haben in Ihrer Rede gesagt, Armut muss man real, relativ betrachten usw. Natürlich muss man Armut relativ betrachten. Aber mal ganz ehrlich, wenn Sie jetzt beispielsweise mit dem Durchschnittseinkommen aus Rumänien kommen, ich kann natürlich das auch mit Rumänien vergleichen. Oder Herr Panse, der es mit Rumänien mit einem Durchschnittslohn von 1.500 € im Jahr verglichen hat. Aber in Rumänien würde ich mit 345 € auch wesentlich weiter kommen. Es geht darum, mit welchem Geld können die Leute, die hier arbeitslos sind, die hier in Armut leben, über die Runden kommen und was können sie sich real leisten. Herr Zeh, das, was Sie gesagt haben, natürlich, wir haben ein paar Kinder, denen es nicht so gut geht. Es geht nicht um Kinder, denen es nicht so gut geht, es geht um Kinder, die in strenger Armut leben, und das

habe nicht ich mir ausgedacht, das hat sich auch nicht DIE LINKE ausgedacht, das sind wissenschaftlich belegte Studien.

Ich will Ihnen das auch ganz kurz noch mal vorführen. Beispielsweise spricht man davon, wenn man weniger als 60 Prozent des Äquivalenzeinkommens zur Verfügung hat, dann wird man dem Niedrigeinkommen zugerechnet. Bei weniger als 50 Prozent spricht man von mittlerer Einkommensarmut und bei weniger als 40 Prozent spricht man von strenger Armut. DIE LINKE hat nicht umsonst gesagt, Hartz IV ist Armut per Gesetz. Denn wenn Sie sich das anschauen, was Menschen in diesem Lande verdienen, dann sind 345 € wie durch Zufall genau 41 Prozent des mittleren Einkommens, und das, Herr Zeh, ist Armut per Gesetz und da geht es nicht um ein paar Kinder, denen es nicht so gut geht.

(Beifall DIE LINKE)

Das will ich Ihnen noch sagen. Zu Ihrer Vorstellung, wir müssten das Bürgergeld einführen, was der Kollege Althaus hier vorgestellt hat, und dann würde alles besser werden, 800 € sind das für einen gemeinen Menschen, davon gehen 200 € weg für Ihre Gesundheitsprämienpauschale - im Übrigen schaffen Sie damit den kompletten Sozialstaat ab - dann bleiben 600 € übrig. Von 600 € muss ich dann meine Miete, meine Wohnung und meine Leistung zum Lebensunterhalt finanzieren und das ist doch auch noch weniger als das, was durch den Hartz-IV-Eckregelsatz finanziert wird. Dann zu sagen, wenn wir das Bürgergeld einführen, dann würden wir die Kinderarmut oder die Armut im Allgemeinen bekämpfen, das ist doch nun wirklich hanebüchen. Mehr als ein Geschenk an die Wirtschaft ist doch Ihr Bürgergeld nun wahrlich nicht.