Protokoll der Sitzung vom 12.09.2008

ben, dass dieser Pakt nicht mehr gilt. In vielen Bereichen unserer Wirtschaft wie unserer Daseinsvorsorge, national, aber vor allen Dingen auch international, haben teilweise Strukturen Einzug gehalten, die unsere Gesellschaft zu spalten drohen. Auch deshalb habe ich so vehement die Bekämpfung der Kinderarmut zu einem Schwerpunkt meiner politischen Arbeit gemacht, auch deshalb trete ich aus voller Überzeugung für das aktive Gleichstellungsgebot von Frauen und Männern in unserer Gesellschaft sowohl in der öffentlichen Verwaltung als auch in der privaten Wirtschaft ein. Auch deshalb werbe ich so entschieden für die aktive Teilnahme unserer älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger im generationenübergreifenden Dialog gemeinsam mit der Jugend.

Wer sich heute als Politiker, meine sehr verehrten Damen und Herren, den drohenden Spaltungen unserer Gesellschaft nicht mit allem Mut, aller Kraft und Energie entgegenstellt, der hat seinen Wählerauftrag letztlich verfehlt. Wir müssen den Pakt neu begründen. Die Thüringerinnen und Thüringer müssen sich darauf verlassen können, dass alles getan wird, um ihnen aus Notlagen zu helfen, aber der Freistaat muss sich auch darauf verlassen können, mutige und tatkräftige Unterstützung vonseiten der Bürgerinnen und Bürger zu finden. Dafür, meine sehr geehrten Damen und Herren, stehe ich als Thüringer Ministerin für Soziales, Familie und Gesundheit, dafür steht die Regierung des Freistaats Thüringen insgesamt und es wäre schön, wenn sich auch die Abgeordneten des Thüringer Landtags zu diesem - ja ich nenne es - Sozialpakt bekennen könnten und an dieser Stelle ein breiter Konsens im gesamten Haus zu erzielen wäre.

Helfen Sie mit, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Vertrauensbasis zwischen Volk und Regierung, zwischen Wählern und Politikern zu stärken, jeder an seinem Platz, in seinem Verantwortungsbereich. Als Thüringer Ministerin für Soziales, Familie und Gesundheit werde ich weiterhin alles daran setzen, diesem Anspruch gerecht zu werden. Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Ich danke Ministerin Lieberknecht für diese Regierungserklärung, eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Hausold, Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, Frau Ministerin Lieberknecht, ich möchte zunächst einmal sagen, dass ich Ihnen ausgesprochen

zustimme in Ihrer sehr deutlichen Formulierung und Ansage, was die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus, insbesondere auch vor den morgen zu erwartenden Ereignissen in Altenburg betrifft. Das ist genau auch unsere Position, die müssen wir alle gemeinsam in diesem Haus bekräftigen.

(Beifall DIE LINKE)

Wir haben sehr wohl aufgenommen, Frau Lieberknecht, dass Sie in der Art und Weise, wie Sie Ihr Haus führen und wie Sie Kommunikation mit den Fraktionen des Landtags und auch in anderer Richtung zu Vereinen und Verbänden führen, versuchen, neue Akzente zu setzen. Wir sind gespannt, wie sich dies weiterentwickeln wird. Ich will aber auch Folgendes hier feststellen: Sie haben sehr im Detail, sehr kleinteilig fast alle Bereiche des Themas und der Arbeit der Landesregierung hier tangiert. Aber ich sage auch, nachdem ich jetzt Ihre Regierungserklärung gehört habe, allein diese Kleinteiligkeit reicht nicht aus, wir brauchen, wenn wir den sozialen Herausforderungen in diesem Land gerecht werden wollen, ein ganzheitliches Konzept, das von einer Landesregierung insgesamt getragen wird und die wirklichen grundlegenden Fragen und Ursachen für die sozialen Schieflagen in unserem Land anpackt. Das habe ich bisher bei Ihnen noch vermisst.

(Beifall DIE LINKE)

Was das neue Herangehen betrifft, da will ich auch Folgendes hier feststellen: Mich irritiert dann etwas, Frau Lieberknecht, wenn Sie Ihre Vorgänger und auch Ihren unmittelbaren Vorgänger hier ja mehrfach gedankt und gelobt haben. Da will ich an der Stelle sagen, die soziale Situation im Land Thüringen, die offensichtlich auch langsam Sie und die CDU an einigen Punkten als sehr schwierig und neuralgisch erkennen, ist nicht etwa vom Himmel gefallen, sondern hat hier im Land auch die Thüringer CDU und insbesondere Ihre Vorgänger als Sozialminister zu verantworten. Das, denke ich, muss der Ehrlichkeit halber schon festgestellt werden.

(Beifall DIE LINKE)

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Das ist Ihre subjektive Meinung.)

Überhaupt müssen wir konstatieren, dass natürlich all das, was wir heute an Problemen aufgehäuft haben, wahrlich nicht vom Himmel gefallen ist. Die CDULandesregierung hat einem der größten Sozialabbauprogramme der rot-grünen sowie heute der schwarzroten Bundesregierung immer in den letzten Jahren ihre uneingeschränkte Zustimmung gegeben. Die Agenda 2010, die unter Altbundeskanzler Schröder mit der SPD und den Grünen vor gut sechs Jahren

auf den Weg gebracht wurde, hat diese soziale Schieflage im Land und auch in Thüringen enorm verschärft. Sie haben das immer alles mitgetragen. Die Fakten, die sich damit verbinden, sind ja ganz offensichtlich. Darüber muss schon geredet werden, wenn wir uns den heutigen Aufgaben zuwenden. Waren im Jahr 2004 in Thüringen noch 55.000 Menschen auf Sozialhilfe angewiesen und eine Vielzahl von Langzeitarbeitslosen hatte eine Absicherung durch die Arbeitslosenhilfe, wurde mit Einführung von Hartz IV die Anzahl derer, die Anspruch auf Leistungen haben, von ehemals ca. 140.000 Arbeitslosen und Hilfebeziehern auf rund 80.000 Anspruchsberechtigte auf ALG II reduziert. Das, meine Damen und Herren, heißt ja nicht etwa, dass nunmehr zusätzlich 60.000 Menschen von ihrer Arbeit leben können; nein, das heißt, dass eine hohe Anzahl von Thüringerinnen und Thüringern seit 2005 ihren eigenständigen Anspruch auf Leistungen über Nacht verloren haben, ohne in Arbeit gekommen zu sein. Das ist ein Zustand, der unhaltbar ist für dieses Land, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Wir hören ja diese Tage viel in der Debatte von sozialer Marktwirtschaft, aber - und das werde ich auch an einigen Punkten, die Sie auch angesprochen haben, hier noch benennen - diese soziale Marktwirtschaft, meine Damen und Herren, existiert in diesem Land lange nicht mehr. Der Sozialabbau der letzten Jahre, man muss sagen, des letzten anderthalben Jahrzehnts, hat dazu geführt, dass immer mehr Unterschiede sozialer Natur in diesem Land zustande gekommen sind, dass in der Bundesrepublik insgesamt und tendenziell in Thüringen auch bei Wenigen der Reichtum wächst, aber bei der großen Mehrzahl die sozialen Lasten der Gesellschaft durch eine verfehlte Politik getragen werden müssen. Wenn wir die Probleme im sozialen Bereich wirklich lösen wollen, dann brauchen wir dort eine grundsätzliche Umkehr. Ich sage an dieser Stelle auch, wir müssen das wirklich in Gesamtheit betrachten, denn - jawohl, es ist völlig richtig - freiheitliche Grundrechte, wie sie nach 1990 für die Bürgerinnen und Bürger auch in unserem Land möglich geworden sind, müssen verteidigt werden. Sie sind die Grundlage unserer Gesellschaft und unseres Zusammenlebens. Aber genauso wichtig, meine Damen und Herren, und das sage ich insbesondere Ihnen von der CDU, sind soziale Menschenrechte und die damit verbundene Menschenwürde. Wir werden Demokratie und Freiheit auf Dauer nicht unterstützen, nicht stärken und nicht entwickeln können, wenn wir nicht im gleichen Maße diese sozialen Menschenrechte hier in diesem Land ermöglichen, meine Damen und Herren. Das ist unser politisches Programm.

Frau Lieberknecht, Sie haben eingangs Ihrer Regierungserklärung von der Kenntnis des Ortes gesprochen. Nun ja, ich glaube aber schon, dass Ihre Kenntnis des Ortes Thüringen sehr stark gefärbt ist durch die parteipolitische Brille der CDU und deshalb natürlich auch viele Dinge nicht so beim Namen nennt, wie man es tun muss, wenn man wirklich verändern will. Sie wissen ja auch so gut wie wir alle, dass - ich komme auf die Problematik Hartz IV noch einmal zu sprechen - die Bedarfsgemeinschaften für viele ganz real Folgendes bedeuten: Eine neue Abhängigkeit vom Partner, voneinander und auch hier wieder vor allen Dingen die Abhängigkeit von Frauen. Da frage ich schon: Wie helfen Sie den Frauen in dieser Situation wirklich? Wie halten Sie es nun an dem Punkt mit dem Fördern? Welche Pläne haben Sie in Thüringen? Hat die CDU auf der Bundesebene Menschen wirklich zu unterstützen? Wo sind die Arbeitsmarktprogramme, die es Menschen möglich machen, durch ihrer eigenen Hände Arbeit ein menschenwürdiges Einkommen zu erzielen, auch wenn es eben nicht darum geht, Profite zu erwirtschaften? Davon allerdings ist in Ihrer Erklärung wenig bis nichts zu hören gewesen. Es ist leider auch eine Tatsache, dass durch Hartz-IV-Gesetze und die damit verbundenen massiven Kürzungen zuerst die Menschen gezwungen sind, sogar an sich, an den unmittelbaren Dingen des Lebens - auch bei der Ernährung - zu sparen. Es ist deshalb schon sehr nachzuvollziehen, dass Menschen, die von Hartz IV leben müssen, öfters und länger krank sind. In diesem Zusammenhang sage ich noch einmal, weil das eigentlich die zugespitzeste Auswirkung dieser Politik ist, ganz deutlich: Wir brauchen eine Umkehr, wir müssen abkommen von Hartz IV. Diese Gesetzgebung ist nach wie vor Armut per Gesetz, trotz aller partiellen Verbesserungen.

(Beifall DIE LINKE)

Wenn man in die Bundesrepublik und auch in unsere Nachbarländer blickt, da gibt es schon höchst seltsame Debatten, die dieser Tage geführt werden. Wir brauchen in diesem Land keinen Akademiker, der beweist, dass man bereits mit 132 € plus Wohngeld und Energiekosten im Monat auskommen kann. Welch eine Schande, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Da frage ich die Landesregierung: Wo ist Ihr Protest laut geworden in diesen Tagen gegen eine solche, aus meiner Sicht menschenverachtende Haltung, die hier publiziert wurde? Wo sind Sie gewesen in der Zurückweisung dieser Angelegenheiten?

(Beifall DIE LINKE)

Wir brauchen eine andere Atmosphäre im Land. Wir brauchen demzufolge - und es gibt viele davon - Aka

demiker und Sozialwissenschaftler, die laut und deutlich sagen: Um ein menschenwürdiges Leben in Thüringen und in der Bundesrepublik leben zu können, braucht es mehr als den jetzigen Regelsatz von 351 €, braucht es letztlich eine bedarfsorientierte Grundsicherung, die ein Leben in Würde auch wirklich ermöglicht.

(Beifall DIE LINKE)

Denn dieses Leben in Würde, auch in der Verantwortung und der Freiheit und in der eigenen Initiative ist aufgrund des gesellschaftlichen Gesamtumfeldes und vor allen Dingen aufgrund von politischen Entscheidungen für sehr viele Menschen in diesem Land schon längst nicht mehr möglich.

An dieser Stelle lassen Sie mich bitte aus einem Brief einer jungen Mutter zitieren, welche alleinerziehend mit einem Erstklässler lebt und uns, denke ich, ein Spiegelbild der Sozialpolitik in Thüringen hier schon vor Augen hält in ihren Ausführungen. Ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis. Sie schreibt: „Ich bin alleinerziehende Mutter eines sechsjährigen Jungen, der gerade in die Schule gekommen ist. Zum ersten Elternabend wurde uns gesagt, wie froh wir doch sein könnten, dass Thüringen bei Erstklässlern einige Schulbücher/Materialien bezahlt. Prima, das hört man doch gern, zumal man als ALG-II-Empfänger keinen Cent Zuschüsse für Schulmaterialien, Ranzen und Essengeld bekommt. Im nächsten Atemzug wurde dann allerdings mitgeteilt, was wir an Materialien zu beschaffen bzw. zu bezahlen haben. Das sind die Fakten, meine Damen und Herren-: 41 € für diverse Arbeitshefte und ein Lexikon, 25 € für Arbeitsmaterialien, 23 € für Zeitschriften, die im Unterricht verwendet werden, 8 € für Essengeld pro Woche, also 97 € zusätzlich und ich erhalte keinen Cent mehr.“ Ende des Zitats dieses für mich bedrückenden Briefes. Ich frage die Landesregierung, ich frage den Ministerpräsidenten: Fühlt sich die Landesregierung zuständig für diese Frau, meine Damen und Herren? Wie lange schon fordern wir zusätzliche finanzielle Unterstützung für die Einschulung von Kindern, die von Hartz IV betroffen sind, und wie lange gibt es dafür schon keine Lösung, meine Damen und Herren? Diese Fragen, Frau Lieberknecht, meine Damen und Herren der Landesregierung, müssen Sie sich stellen und müssen Sie den Menschen in diesem Land beantworten, wenn Ihre Politik ein Fünkchen von Glaubwürdigkeit zurückgewinnen soll.

(Beifall DIE LINKE)

Aber es ist ja, denke ich, in Ihrem eigenen Haus und an der Entwicklung in den letzten Jahren deutlich geworden, dass Sozialpolitik bei unserer Landesregierung keinen hohen Stellenwert einnimmt. War zu Beginn der Legislatur Ihr Ministerium z.B. noch zu

ständig für Inhalte wie zum Teil Arbeitsmarktpolitik, Kindertagesstätten, Sport und Ehrenamt, wurde doch das Haus in den zurückliegenden Jahren im Zuge der Reformen, wenn man sie so nennen will, von Herrn Althaus Stück für Stück entkernt. Mit der Kommunalisierung sind Ihnen immer mehr Inhalte weggebrochen. Ich erinnere an die Zeit, wo in einem Sozialministerium noch gestaltende Arbeitsmarktpolitik angesiedelt und ein Stück weit damals ja auch noch möglich war. Ich denke, wir müssen zur Zusammenführung dieser sozialen, wirtschaftlichen und Arbeitsmarktfragen zurückkommen, auch vonseiten der Landesregierung aus. Aber mit der chaotischen Kabinettsreform, die Ihr Ministerpräsident vor Kurzem durchgeführt hat, ist kein einziges Zeichen in diese Richtung gesetzt worden, eher ganz im Gegenteil.

(Beifall DIE LINKE)

Die Eingliederungshilfe des örtlichen Sozialhilfeträgers wurde kommunalisiert und somit an die Landkreise und kreisfreien Städte in Verantwortung übergeben, meist unter sehr schwierigen Bedingungen. Erst in diesem Jahr wurde die Versorgungsverwaltung kommunalisiert. Das heißt, das Blindengeld, die Blindenhilfe, aber auch das Schwerbehindertenrecht wurden trotz Widerstands der Betroffenen, aber auch der Akteure vor Ort, in die Verantwortung der Kommunen übergeben. Da gestatten Sie mir schon mal zu sagen, das ist eben genau nicht die Bürgernähe, das ist eben genau nicht das Zugehen auf die Interessenslagen, auf die Meinungen hier im Land, sondern das, meine Damen und Herren von der CDU, ist das genaue Gegenteil. Der ewige Hickhack bei den Versorgungsämtern ist uns doch noch im Ohr. Ein Antragsstau ist letzten Endes die Folge bei der Bearbeitung von alten sowie von neuen Anträgen auf Schwerbehindertenausweise. Das ist bis heute noch nicht abgetragen. Es handelt sich ja hier nicht um eine formale Angelegenheit, sondern um eine ganz wichtige Frage für die betroffenen Menschen. Hier geht es ja nicht einfach um einen Ausweis, sondern hier geht es letzten Endes um Lebensqualität, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Was ist noch, Frau Ministerin, aus Ihrem Haus in andere Einrichtungen überführt worden? Die Ehrenamtsstiftung ist bekannt. Auch hier haben Sie sich natürlich und auch dem Parlament Gestaltungsspielraum nehmen lassen. Ähnliches ist passiert mit der Stiftung FamilienSinn und auch mit der Blindenstiftung. Unsere Einschätzung bleibt die gleiche. Im Ministerium wird im Grunde genommen nur noch verwaltet, was in keinem anderen Bereich untergebracht werden konnte. Das ist nicht der richtige Stellenwert für das Thema „Soziales“ und schon gar nicht eine ganzheitliche Betrachtung dieses Bereichs.

Dementsprechend sind natürlich auch die finanziellen Mittel und somit die Gestaltungsspielräume, welche die Bürgerinnen und Bürger haben, entsprechend gekürzt worden. Als Folge der verfehlten Sozial- und Arbeitsmarktpolitik in unserem Land ist dieses das gravierendste unserer Probleme, nämlich das Anwachsen von Armut. Jahr für Jahr müssen mehr Bürgerinnen und Bürger die diskriminierenden Anträge zur Grundsicherung im Alter stellen. Wer nicht auskommt mit seiner Rente - und das sind immerhin steigende Tendenzen, mittlerweile bereits 4.500 Menschen -, hat die Möglichkeit, ergänzende Leistungen zu beantragen - ein bürokratischer Aufwand im Übrigen sondergleichen, welcher wirklich die Würde der Betroffenen verletzt. Sich nackt machen zu müssen und Angst um das Eigenheim zu haben, Angst zu haben, die Kinder und die Enkelkinder nicht in die finanzielle Not mit hineinzuziehen, das sind Argumente, die begegnen uns als Abgeordnete doch fast tagtäglich in unserem Land. Das ist einfach kein Zustand. Wir brauchen hier eine grundsätzliche Änderung, meine Damen und Herren.

Dramatisch gestiegen ist, wie bekannt, leider die Kinderarmut in unserem Land. Sie sagen ja selbst, 60.000 Kinder leben in Thüringen von Sozialleistungen. Ich habe es erwähnt und will es noch einmal tun: 11.000 Kinder gehen täglich zu den Thüringer Tafeln. Konkret heißt das, dass sie zu Hause nicht genug Essen bekommen. Was wollen Sie, Frau Ministerin, dagegen unternehmen? Wir hören, Sie warten in diesem Zusammenhang auf eine Bundestagsentscheidung zu den Regelleistungen von Hartz IV. Sie wollen ein Solidarisches Bürgergeld, von dem unserer Meinung nach die Menschen auch nicht leben können mit den entsprechenden wichtigsten notwendigen Voraussetzungen. Wir haben eine Vernetzungsstelle bei der Verbraucherzentrale eingerichtet, die die Ansätze zur besseren Schulverpflegung koordinieren soll. Sie wollen der Plattform „Ernährung und Bewegung“ des Bundes beitreten. Aber ich will mal deutlich fragen: Was davon verbessert unmittelbar die Situation der betroffenen Kinder wirklich? Wo bleibt das kostenlose gesunde Mittagessen für Kinder in Kindertagesstätten und Schulen? Das wäre die richtige Antwort, die wir jetzt brauchen.

(Beifall DIE LINKE)

Auch hier muss ich noch mal darauf eingehen: ausgewogene Ernährung - ja, das ist natürlich ein Anspruch. Aber ich glaube nicht, dass wir das lösen können, indem in den Familien wieder auf einfache Gerichte zurückgegriffen werden kann. Wie soll denn nun bei ganz einfachen Gerichten die Ausgewogenheit der Ernährung garantiert werden? Das ist für mich sehr fraglich. Vor allen Dingen, was nützt mir mein ganzes Wissen und den Familien dieses Wissen, wenn sie von Hartz IV betroffen sind und wenn

ich mein Kind für 2,28 € pro Tag versorgen muss? Meine Damen und Herren, das bedarf einer Änderung, das bedarf einer Aufstockung, wenn wir wirklich etwas leisten wollen.

(Beifall DIE LINKE)

Bisher durften wir ja im Übrigen immer von der Landesregierung und der CDU hören, dass es keine Armut in Thüringen gibt und wir keine Berichterstattung zur Entwicklung von Armut und Reichtum in Thüringen brauchen. Sie, Frau Ministerin, verfügen nun offensichtlich über Einsichten, die Ihre Vorgänger übrigens nicht hatten. Es gibt Armut und es gibt leider Kinderarmut in Thüringen. Jetzt soll auch ein Bericht die Lage beleuchten. Auch das haben wir übrigens schon seit Jahren gefordert. Hier wurden vier Jahre verschwendet, in denen längst etwas hätte geschehen können. Wer soll da nicht auf die Idee kommen, Frau Ministerin, meine Damen und Herren der Landesregierung und der CDU, dass Sie sich zu einigem auch bewegt fühlen, weil Sie das Wahljahr 2009 vor der Tür stehen sehen. Sie wollen sich mit der Kinderarmut befassen - das ist natürlich vernünftig und zu begrüßen. Aus der Presse haben wir erfahren - und Sie haben es heute noch einmal gesagt -, dass es landesweit eine Kindercard geben soll. Wie die aber finanziert werden soll, vom Land, von den Kommunen, davon ist bisher nichts zu hören. Insofern sage ich, da bin ich ganz bei Ihnen, wenn Sie uns das immer versuchen zu sagen, wenn Sie Vorschläge unterbreiten, dann möchten wir schon bitte auch die Ausführung und die Finanzierung in der Erläuterung mit dazu haben, ansonsten wird unser Misstrauen - und nicht nur unseres, sondern das der betroffenen Menschen im Land - dann eher größer werden, meine Damen und Herren.

Sicher, auch wir haben immer gefordert, dass die Teilnahme von Kindern an Kultur-, Kunst- und Sportangeboten nicht an den fehlenden finanziellen Mitteln ihrer Eltern scheitern darf, aber das macht natürlich auf der anderen Seite auch notwendig, dass wir wirklich seriöse Angebote in diesem Land auf den Weg bringen können.

Da bin ich genauso noch einmal bei dem Problem Familiencard. Das ist ja aus den zurückliegenden Jahren bekannt: Die CDU hatte das 2004 als Wahlgeschenk eingeführt und gerade mal anderthalb Jahre später dann sang- und klanglos die Sache wieder verabschiedet. Schon damals wurde es halt vollmundig verkauft, aber die wirklichen Probleme wurden nicht gelöst. Da sage ich Ihnen ganz deutlich, Sie werden den Menschen in diesem Land nicht noch einmal mit solchen Finten kommen können. Ich kann nur hoffen, dass Ihre Angebote hier wirklich ernst gemeint sind.

Wir haben lange in diesem Landtag, da haben Sie völlig recht, über die Frage der Familienoffensive debattiert. Wir hatten eine große Debatte im gesamten Land. Seitdem haben wir sehr viele Diskussionen um die Einsparung im Kita-Bereich, um die Qualität der frühkindlichen Bildung und um die Familienbilder im Land geführt. Sie beschwören immer wieder die Freiheit der Familie, sich für einen Platz in der Kindertagesstätte oder eine Betreuung zu Hause entscheiden zu können.

(Zwischenruf Abg. Groß, CDU: Und zu Recht.)

In Ihrer Haushaltsdebatte im letzten Dezember liest sich das so: „Deshalb setzen wir“ - ich zitiere - „zuallererst auf Freiheit. Wir betonen die Freiheit als Ausgangspunkt. Wir setzen deshalb auf Familien, wir setzen auf Mittelstand und Markt.“ Wo aber bleibt die Freiheit der Menschen mit niedrigem Einkommen in diesem Land, die von der Änderung des Erziehungsgeldgesetzes, die vorher eine finanzielle Unterstützung bekamen und heute diese so nicht mehr bekommen? Wo ist die Freiheit für Eltern mit Kindern, die von Behinderung betroffen sind, wenn es in der Regel-Kita keine zusätzlichen Fachkräfte mehr gibt? - Ergebnisse Ihrer Familienpolitik. Wo ist die Freiheit, wenn Kinder aus schwierigen Familienverhältnissen keine zusätzliche Betreuung bekommen können, weil die Erzieherinnen aufgrund Ihrer Familienpolitik nicht mehr vorhanden sind? Das sind die Dinge, bei denen wir nicht kleine Korrekturen, Frau Lieberknecht, an dieser Familienoffensive brauchen, sondern bei denen wir eine grundsätzliche Reparatur und Erneuerung brauchen, die Sie heute hier in keinem Wort vorgestellt haben, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Fakt ist doch, während ein Monat nach dem anderen vergeht, fehlt zum Beispiel auch Personal, um den Bildungsplan umzusetzen, haben die Erzieherinnen kaum noch Zeit, sich mit den Eltern auszutauschen. Das alles hat sich nicht verbessert, sondern verschlechtert. Ihre Vorschläge laufen ja aber ohnehin ziemlich oft darauf hinaus, dass andere etwas tun sollen. Die Kommunen sollen die Kindercard vielleicht bezahlen, die Eltern sollen gesünder kochen, eine Kindergrundsicherung wird auf Bundesebene angestoßen und für Familienhebammen sollen die Krankenkassen zuständig sein, für das Ehrenamt soll die Stiftung private Gelder auftreiben. Hier wird doch ganz offensichtlich, das Land übernimmt dann in diesen Fragen keine Verantwortung und gibt keinerlei Geld.

Meine Damen und Herren, das ist nicht die Art der Teilung von Verantwortlichkeit und das Zugehen auf das berechtigt vorhandene und auch einzufordernde

Engagement von Menschen in diesem Land, sondern das ist doch offensichtlich der Weg immer mehr, diese Menschen mit ihrem Engagement allein, um es deutlicher zu sagen, im Stich zu lassen. Einer solchen Politik können wir uns natürlich nicht anschließen.