Protokoll der Sitzung vom 10.07.2013

Ich möchte mal erinnern an die kleine unfeine Anekdote, dass sich Behörden anderer Bundesländer in Thüringen nach der Route der Lkw erkundigt haben, mit denen ungeschwärzte Akten unseres Landesamtes für Verfassungsschutz im letzten Sommer zum Bundestagsuntersuchungsausschuss gefahren wurden. Das sollte uns Mahnung sein und bleiben.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Prinzip „Prism“ ist aber leider nicht nur eine USA-Idee. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich plant laut Medienberichten von Mitte Juni, dem Bundesnachrichtendienst mit einem 100-MillionenProgramm die Überwachung aller Internetkontakte mit Auslandsbezug zu ermöglichen, also sozusagen ein Prism im Kleinen. Die geplante Komplettüberwachung aller Internetkontakte mit Auslandsbezug durch den Bundesnachrichtendienst wäre ein rechtswidriger, weil auch wieder völlig unverhältnismäßiger Eingriff in die Privatsphäre von Bürgerinnen und Bürgern auch in Thüringen, denn auch hier hätten wir wieder eine Überwachung jeglicher Kommunikation ohne jeden Anfangsverdacht möglicher Straftatenbegehung oder -verabredung, die unser Grundgesetz verbietet. Befremdlich genug ist, wenn durch das Vorhaben von Friedrich die Kommunikation mit Auslandsbezug offenkundig von vornherein als besonders kriminalitätsanfällig eingestuft wird, aber ein Auslandsbezug entsteht schon durch die Nutzung im Ausland befindlicher Server, wie das etwa bei vielen sozialen Netzwerken, aber auch bei bestimmten Smartphone-Apps regelmäßig der Fall ist. Somit erhielte der Bundesnachrichtendienst bei der Verwirklichung von Friedrichs Plänen ein rechtswidriges Upgrade zu einem neuen Inlandsgeheimdienst. Was aber unterscheidet unsere Demokratie, wenn wir unbegrenzte Ausforschung aller Bürgerinnen oder auch von Behörden achselzuckend hinnehmen, dann noch von Schnüffel- und Schurkenstaaten?

(Beifall DIE LINKE)

Deswegen ist die wichtige Frage heute, was müssen, was können wir tun? Auch ich bedanke mich ausdrücklich beim Datenschutzbeauftragten für seine praktischen Tipps, wie Bürgerinnen und Bürger

durch Pseudonymisierung, durch Nutzung von Schutzsoftware auch Ihre Daten im Netz besser schützen können. Aber das ist nur ein Teil der Arbeit, denn es geht nicht nur darum, einen Rettungsschirm für die Daten der Bürger einzuziehen. Offenbar braucht es auch für Geheimdienstarbeit international geltende Standards, Beschränkungen und vor allem deutlich verbesserte parlamentarische und gerichtliche Kontrollbefugnisse. Das lässt sich nicht von heute auf morgen klären, muss aber dringend angepackt werden, ansonsten verfestigen sich Parallelwelten aller Geheimdienste, die schon jetzt ihre Art Kalten Krieg gegen Bürgerinnen und Bürger führen.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich weise noch einmal darauf hin, Konspirationserlaubnis gibt kein Recht zur Kontrollfreiheit und unjuristisch übersetzt heißt es, eine Staatsgewalt, die vom Volk ausgeht, kann und darf sich nicht unkontrolliert vom Acker machen.

(Beifall SPD)

Vielen Dank. Für die Fraktion DIE LINKE hat sich Frau Abgeordnete König gemeldet. Bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, zuerst an alle Kollegen und Kolleginnen, die hier vor mir gesprochen haben, ein Dankeschön, ein Dankeschön dafür, dass ganz klar Überwachungsmechanismen und der Überwachungslogik von Geheimdiensten hier etwas entgegengesetzt wurde und sich klar positioniert wurde, denn es ist nötig und notwendig, sich an dieser Stelle zu empören. Allerdings sieht das leider unser Bundespräsident Gauck, den, glaube ich, alle Fraktionen, zumindest die Parteien, diejenigen, die ihn wählen „durften“, nicht so, denn Bundespräsident Gauck hat Verständnis für die Überwachungsprogramme der Geheimdienste und sieht Edward Snowden sogar als Verräter an. Er hat gesagt, er habe kein Verständnis - und jetzt Zitat - „für den puren Verrat, den Edward Snowden begangen hat“. Die Frage ist, inwieweit jemand, der sich selbst als Bürgerrechtler bezeichnet und auch von anderen so gesehen wird,

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

dann nach solch einer Äußerung noch als Bürgerrechtler angesehen werden kann. Ich würde doch da auch diejenigen, die mit ihm im engeren Kontakt stehen, bitten, sich dazu vielleicht mal mit ihm ins Gespräch zu setzen. Ich glaube, dass er hier definitiv eine Nachschulung benötigt,

(Beifall DIE LINKE)

(Abg. Marx)

was heutige Bürgerrechte anbelangt.

Wir reden über die Massenbespitzelung, die Massenüberwachung, das Massenabfragen von Daten. Es geht, weil Herr Bergner ja vorhin meinte, die Stasi hier mal mit ins Bild bringen zu müssen, um 42 Billionen Aktenschränke ausgedruckter Daten. Zum Vergleich: Bei der Stasi sind es 48.000 Aktenschränke gewesen. Ich will damit hier nichts …

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Die haben nicht so viele Daten gehabt, wenn sie nicht so viele Schränke gehabt haben.)

Herr Barth, wenn Sie etwas sagen wollen, melden Sie sich doch zu Wort. Ansonsten hören Sie zu! Ich glaube, das kann Ihnen nur helfen.

(Unruhe im Hause)

(Beifall DIE LINKE)

Bei der Stasi sind es 48.000 Aktenschränke gewesen, die heute übrigens ausgedruckt vorhanden sind. Damit will ich überhaupt nichts gutheißen von dem, was die Stasi getan hat - das Gegenteil. Aber ich will darauf aufmerksam machen, welcher Überwachungswahn heutzutage besteht, und ich erhoffe von Ihnen eine solche Kritik, wie Sie immer in der Lage sind an der DDR zu bringen, vollkommen okay, erhoffe ich von Ihnen allerdings auch, wenn es um die Überwachung von Geheimdiensten geht.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Dazu möchte ich Sie fragen: Wenn der Herr Gauck Edward Snowden als jemanden bezeichnet, der Verrat begangen hat, wenn Deutschland sich weigert, das Asylgesuch von Edward Snowden zu akzeptieren, ihn hier aufzunehmen, dann erklären Sie mir bitte, seit wann ist es ein Verbrechen, über ein Verbrechen zu informieren?

(Beifall DIE LINKE)

Und seit wann weisen wir diejenigen Menschen ab? Wir brauchen diese Leaker. Wir brauchen diese Whistleblower, weil eben auf den Staat und dessen Schutzinstitution, was das anbelangt, leider kein Verlass mehr ist. Das hat nicht nur etwas mit NSA zu tun, das hat nicht nur etwas mit Prism und Tempora zu tun, das hat auch etwas mit dem Bundesnachrichtendienst zu tun und mit den anderen Geheimdiensten, die wir hier in Deutschland haben.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Tun wir doch nicht so, als ob deutsche Geheimdienste anders funktionieren würden. Tun wir doch nicht so, als ob deutsche Geheimdienste etwas anderes wollen würden. Der Unterschied besteht rein in der finanziellen Ausstattung und in den technischen Möglichkeiten. Nicht ohne Grund hat der BND jetzt erst kürzlich, als Snowden das ganze ge

leakt und öffentlich gemacht hat, eine Haushaltserweiterung, einen Haushaltsantrag um zusätzliche 100 Mio. € gestellt, um das Internet überwachen zu können. Also bevor Sie sich in die Schiene eines möglicherweise billigen Antiamerikanismus begeben, kritisieren Sie bitte vor Ort hier in Deutschland genauso das, was deutsche Geheimdienste machen, und nicht nur dann, wenn Amerika

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

oder - wie im Fall von Tempora - Großbritannien sich entsprechend daneben benehmen. Ein anderes Wort fällt mir da leider gerade nicht ein. Die Frage ist - und da möchte ich dem Datenschutzbeauftragten auch für die Fraktion DIE LINKE ausdrücklich danken -, wie man sich schützen kann. Ganz im Ernst, man sollte sich an dieser Stelle nicht mehr auf staatlichen Schutz verlassen. Es gibt genügend Möglichkeiten, das zu tun. Ich möchte das, was der Datenschutzbeauftragte gesagt hat, noch einmal konkretisieren. Als Erstes: Es gibt die Möglichkeit Tor-Server zu nutzen und selbst auch Tor-Server zur Verfügung zu stellen. Damit wird die IP-Adresse, sozusagen die Heimatadresse, die jeder Rechner hat, anonymisiert. Damit ist nicht mehr nachvollziehbar, von welchem Rechner ich jetzt auf welche Website zugreife.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Dann ist ja al- les gut, wir müssen nur Sie fragen.)

Herr Barth, kümmern Sie sich doch einmal und informieren Sie sich, bevor Sie hier billige Zwischenrufe von der rechten Seite bringen.

(Beifall DIE LINKE)

Das ist das Erste. Das Zweite: Ich kann Ihnen ein konkretes Beispiel bringen. Beim Rechner von Ralf Wohlleben wird seit November 2011 versucht, den zu öffnen, den zu entschlüsseln. Das ist nicht möglich. Der Rechner ist mit Tor verschlüsselt. Über zwei Jahre sitzen da jetzt schon, glaube ich, die Topleute dran und probieren das. Als Zweites: PGP-Mails zu nutzen, das heißt, verschlüsselte

Frau Abgeordnete.

- das ist der letzte Satz - Kommunikation beim EMail-Verkehr anzuwenden.

Und als Drittes: Wenn Sie Instand Messaging nutzen, nutzen Sie Jabber und OTR. Das ist auch nicht möglich zu überwachen. Das hat etwas damit zu tun, dass sich Leute unter anderem vom Chaos Computer Club darum kümmern. Danke schön.

(Beifall DIE LINKE)

Danke schön. Ich sehe keine Wortmeldungen der Abgeordneten mehr. Die Redezeiten sind auch ausgeschöpft. Möchte die Landesregierung sprechen? Bitte schön, Herr Innenminister.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, die heutige Aktuelle Stunde berührt einen wesentlichen Teil der Lebenswirklichkeit der Bürger, die sich der medialen Welt nicht verschließen. Mehr als drei Viertel der Deutschen nutzen das Internet. Es darf wohl davon ausgegangen werden, dass auch die Mehrzahl der Thüringerinnen und Thüringer täglich online ist. Öffnet man sich dem weltweiten Netz, darf man sich ohne Zweifel die Frage stellen, ob die im Zuge dessen preisgegebenen Daten noch einem selbst oder ausschließlich einem selbst gehören. Die Antwort gibt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das Verfassungsrang genießt. Das Recht unterstützt und schützt hiernach den eigenverantwortlichen Umgang mit den persönlichen Daten. Flankierend bewahrt Artikel 10 des Grundgesetzes das Postund Fernmeldegeheimnis. Demgegenüber gewann das Sicherheitsbedürfnis nach dem 11. September 2001 an Gewicht. Es sind Regeln zur Terrorbekämpfung geschaffen worden, die unsere Sicherheit gewährleisten und einen Beitrag zur Gefahrenabwehr leisten sollen. Ein Zugewinn an Sicherheit als Argument für eine Datenüberwachung und -sammlung ist auch ein gewichtiges, aber zweifellos kein absolutes Argument.

Das Bundesverfassungsgericht hat das Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit unter anderem mit Blick auf die Vorratsdatenspeicherung ausdifferenziert. Danach nimmt der Staat nur im Einzelfall Zugriff auf gespeicherte Daten der Telekommunikationsunternehmen, wenn der Verdacht einer schweren Straftat im Raum steht. Und natürlich gilt für derartige Maßnahmen ein Richtervorbehalt. Allein deshalb ist die vereinzelt geäußerte Parallele mit der hier diskutierten Thematik völlig verfehlt.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hoffentlich!)

Meine Damen und Herren, die Privatsphäre in weltumspannenden Datennetzen zu schützen, ist allein aufgrund Ausdehnung und Komplexität des World Wide Web nicht einfach. Rechtlich ist man auf der Ebene der Europäischen Union bestrebt, unter anderem mit dem Vorschlag einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Maßnahmen zur Gewährleistung einer hohen gemeinsamen Netz- und Informationssicherheit in der Union die Betreiber kritischer Infrastrukturen auf Maßnahmen zur Beherrschung und Vermeidung von Sicherheitsrisiken zu verpflichten. Mit dieser Zielsetzung war

der Richtlinienvorschlag der Europäischen Union unlängst Thema in einer Sitzung des Innenausschusses. Auf nationaler Ebene definierte das Bundesinnenministerium die Cybersicherheit als eine zentrale Herausforderung unserer Zeit und legte jüngst den Entwurf des IT-Sicherheitsgesetzes vor. Ich denke, wir sind uns einig, wenn ich sage, dass künftige Regelungen zur Informations- und Datensicherheit die Erkenntnisse aus der heute diskutierten Thematik aufgreifen und abbilden müssen. Aktuell statuiert das unlängst novellierte Thüringer Datenschutzgesetz einen hohen Schutzstandard. Hinzu treten unter anderem die Vorgaben des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, kurz BSI. Nicht zu verkennen ist allerdings, dass ein Schutz tatsächlich nur gegen bereits identifizierte Wege und Formen unautorisierten Datenzugriffs möglich ist. Technische Vorkehrungen sind daher nur so wirksam, wie sie rasch mit teils hohem personellen und finanziellen Aufwand aktualisiert werden. In diesem Sinne dürfen Sie davon ausgehen, dass der Informations- und Datensicherheit, soweit sie Thüringer Behörden betrifft, die notwendige Beachtung geschenkt und sie den geltenden Vorgaben gerecht wird. Die Thüringer Behörden kommunizieren untereinander bis hinein in den kommunalen Bereich in einem Behördennetz, das eine sogenannte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung gewährleistet.

Für die Thüringer Polizei lässt sich feststellen, dass die Daten vollumfänglich in einem autarken Netz verarbeitet werden. Für den Zugang gelten besonders strenge Regeln. Jeder einzelne Zugriff wird zudem protokolliert.

Meine Damen und Herren, die aufgrund des Falles Snowden verstärkte Diskussion zu Datenschutz und Datensicherheit ist richtig und muss geführt werden.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Gilt das für al- le?)

Richtig ist aber auch, dass zunächst eine Aufarbeitung der tatsächlichen Dimension der Datenüberwachung und -sammlung einer politischen und rechtlichen Bewertung vorgeschaltet werden muss. In diesem Sinne hat die Bundesregierung die USA um Gesprächsbereitschaft ersucht. Präsident Obama hat zugesagt, den Europäern Informationen über die Aktivitäten der US-Dienste zur Verfügung zu stellen. In dieser Woche kann eine Arbeitsgruppe von Geheimdienstexperten aus den USA und der Europäischen Union die Arbeit aufnehmen. Dabei wird es um Fragen der Aufsicht über Nachrichtendienste, die Art und Weise der Nachrichtengewinnung sowie die Themen Datenschutz und Schutz der Privatsphäre gehen. Ich bin davon überzeugt, dass die Bundesregierung, denn letztlich handelt es sich hier um Fragestellungen im Kompetenzbereich des Bundes, aus den sodann gewon

nenen Ergebnissen die richtigen Schlussfolgerungen ziehen wird. Vielen Dank.

(Beifall CDU)