Protokoll der Sitzung vom 10.07.2013

Vielen Dank. Die Redezeiten sind ausgeschöpft. Ich schließe den ersten Teil der Aktuellen Stunde.

Ich rufe auf den zweiten Teil

b) Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der SPD zum Thema: „Inklusion im Thüringer Bildungswesen verwirklichen!“ Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags - Drucksache 5/6300

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Kanis für die SPD-Fraktion.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, „Inklusion im Thüringer Bildungswesen verwirklichen!“, das war unser Thema zur Aktuellen Stunde und wir beziehen uns dabei auf den gemeinsamen Beschluss aller Fraktionen, der vor einem Jahr hier im Landtag gefasst wurde mit dem konkreten Auftrag, zum Juni 2013 den Entwicklungsplan zur Umsetzung der UNBehindertenrechtskonvention vorzulegen. Dabei sollten bestimmte Grundsätze berücksichtigt werden, die Vorschläge des Beirates „Inklusive Bildung“ einbezogen werden und natürlich auch in Absprache mit den Schulträgern erfolgen. Die Vorschläge zur Realisierung eines inklusiven Bildungssystems sollten auch den Kindertagesstättenbereich einschließen. Dabei sollten vor allem regionalen Gegebenheiten Rechnung getragen, personelle, räumliche, sächliche Voraussetzungen beschrieben und alle Maßnahmen zur Verwirklichung dargestellt sowie Verantwortliche und Zeitschritte benannt werden. Ein hehres Ziel in einem Jahr. Ich weiß noch, wie wir in den Arbeitsgruppen des Beirates „Inklusive Bildung“ geackert haben, um rechtzeitig die Zuarbeiten fertig zu bekommen. In Gesprächen mit den Kollegen habe ich erfahren, wie in Förderzentren, Netzwerkschulen, in den Steuergruppen zur Weiterentwicklung des Gemeinsamen Unterrichts, in den Schulämtern hart gearbeitet wurde, um diese Terminschiene zu halten, denn es galt, erarbeitete Fragebögen auszufüllen, Zuarbeiten zu erstellen und letzten Endes diesen Entwicklungsplan zu erarbeiten. Hier möchte ich ausdrücklich allen Beteiligten, die an der Erarbeitung und Fertigstellung mitgearbeitet haben, danken, denn das war schon eine große Leistung.

(Beifall SPD)

Es gab bestimmte Grundsätze, die vom Landtag festgelegt wurden, dabei zu berücksichtigen. Hier ging es vor allem ja immer um ein inklusives Bildungssystem, das dem Prinzip der Chancengerechtigkeit und der Diskriminierungsfreiheit gerecht werden soll, gemeinsames Lernen und Leben von Menschen mit und ohne Behinderung und dies alles bei einer möglichst optimalen individuellen Förderung. Es ist formuliert worden, dass das Bildungssystem an die Bedürfnisse der Menschen mit und ohne Behinderung anzupassen ist. Und da haben wir den ganz klaren ersten Streitpunkt; es geht nicht darum, so wie es FDP und CDU oft fordern, dass Kinder oder Jugendliche sich an die Schule anpassen müssen oder für eine Inklusion geeignet sein müssen. Nein, das Ziel ist, dass das Bildungssystem sich so verändert, dass eine inklusive Beschulung für alle möglich ist.

(Unruhe FDP)

(Beifall SPD)

Es kann sein, und es ist auch noch häufig, dass das Bildungssystem sich den Bedürfnissen noch nicht angepasst hat. Dies ist aber kein Freibrief, es nicht zu tun, sondern auch hier ist der Weg ein Ziel. So soll und wird es weder den Lehrern vor Ort im Gemeinsamen Unterricht noch den Pädagogen in den Förderzentren zum Vorwurf gemacht werden oder auf ihren Schultern abgeladen werden, dass dieser Prozess noch in Gang ist. Stimmungsmache und Unterstellungen in öffentlichen Debatten hilft den Tätigen vor Ort wenig. Es motiviert nicht und es zeigt auch keinerlei Wertschätzung für ihre tägliche Arbeit.

Was wir wollen, haben wir im Beschluss festgeschrieben. Das permanente Schlechtreden hilft weder den Beteiligten noch dem Prozess an sich. Menschen vor Ort - das sage ich ganz klar - mit all ihrer Individualität, Pädagogen, Erzieher, Eltern, Mitarbeiter in Verwaltungen, haben und werden diesen Prozess gestalten und dabei sich und das Bildungssystem entwickeln. Aber dabei werden auch Fehler gemacht. Doch Fehler zu machen und daraus zu lernen, das ist auch ein Prozess des Lernens. Ich möchte nicht auf die einzelnen Aspekte des Beschlusses vom 19.06. eingehen, aber ich möchte noch einmal ganz kurz darstellen, dass diese Realisierung nur möglich ist, wenn das Land und die Kommunen zusammenarbeiten, wenn durchgängig alle Akteure einbezogen werden und wenn ganz selbstverständlich das Wohl jedes einzelnen Schülers im Mittelpunkt steht. Dabei brauchen wir die Ressourcen, sie sind noch nicht überall, nein, sie sind überhaupt noch nicht durchgängig zugänglich. Es bedarf zusätzlicher Investitionen und dazu steht die SPD. Wir werden materielle und personelle Voraussetzungen auch in Zukunft schaffen, denn die ersten Schritte sind getan durch die Einstellung von Kollegen, durch das im Entwicklungsplan

(Minister Geibert)

dargestellte Investitionsprogramm und natürlich auch durch die Erhöhung der Beratungsstunden. Eine Zusammenarbeit aller Akteure vor Ort ist dabei ganz wichtig.

Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Ein Satz sei mir gestattet. Es wurde Zeit, dass dieser Plan endlich auf den Tisch gekommen ist.

(Zwischenruf Abg. Korschewsky, DIE LINKE: Zweiter Satz.)

Er soll Richtschnur, Maßstab und Sicherheit für die weitere Arbeit geben. Vor mehr als zehn Jahren wurde die Entwicklung durch das CDU-geführte Ministerium

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Ohne den letzten Satz wäre es auch gegangen.)

vorangetrieben, also begonnen

Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist zu Ende.

und jetzt endlich haben wir einen weiteren Meilenstein geschafft.

(Beifall SPD)

(Unruhe im Hause)

Ich danke Ihnen. Als Nächster spricht von der CDUFraktion der Abgeordnete Emde.

Die Uhr läuft schon, da muss ich mich wohl ranhalten.

Sehr geehrte Damen und Herren, zu diesem Thema der Aktuellen Stunde lassen Sie mich eingangs mal sagen,

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Der Weg ist das Ziel, haben wir eben gehört.)

natürlich stehe ich hier für eine konservative Bildungspolitik, das ist schon klar. Aber konservativ heißt auf der einen Seite, die guten Dinge konservieren und gut aufheben und davon auch zehren, aber konservativ heißt auch, ab und zu ein Glas von diesen Konserven zu öffnen und dann Platz für neue Dinge schaffen und Raum schaffen.

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Mach mal das Glas auf.)

Das ist insofern auf dieses Projekt übertragbar, als die Union schon sehr zeitig Projekte um das Vorhaben Gemeinsamer Unterricht und zur Inklusion vorangetrieben hat. Seit den 90er-Jahren beschäftigen wir uns im Bildungsbereich damit und die CDUFraktion hat nicht nur die Dinge vorangetrieben, sondern auch immer sehr wohlwollend die Vorhaben aus der Praxis heraus begleitet, zum Beispiel Schuleingangsphase, den Gemeinsamen Unterricht oder auch Projekte wie das „Lernen unter einem Dach“ in Finneck usw.

Meine Damen und Herren, unser Verständnis von einer inklusiven Bildungslandschaft bedeutet,

a) dass Förderschulen immanenter Bestandteil der Schullandschaft sind,

(Beifall CDU)

b) Förderzentren beherbergen einen Schulteil, der Schülern temporär, aber auch für die Dauer ihrer Schullaufbahn eine Heimstatt für gutes Lernen gibt.

(Beifall CDU)

c) Der gemeinsame Unterricht wird im Konsens zwischen Lehrern, Eltern, Schülern, den Schulträgern, den Sozialpartnern und dem Ministerium und der Schulaufsicht entwickelt und nicht übergestülpt.

d) Der Elternwille wird geachtet, nicht missachtet. Eltern und Schüler werden fair über die Möglichkeiten einer Schullaufbahn beraten und Gutachten von Fachleuten werden geachtet und nicht geächtet.

Kurzum: Das Kindeswohl steht ganz oben an und der Ort und die Art der Förderung richten sich allein nach dem Kindeswohl.

(Beifall CDU)

Zu dem Entwicklungsplan, der am Dienstag vom Kabinett verabschiedet wurde, sage ich, gut, dass wir diesen Bildungsplan, der vom Bildungsministerium vorgelegt wurde, jetzt auf der Agenda haben. Er ist Richtschnur, er beschreibt Ziele und für mich ist er eine Grundlage zum Handeln, aber auch eine Grundlage zu Diskussionen, die durchaus auch kritisch sein dürfen. Wir wollen Offenheit auch für kritische Stimmen. Und wir wollen auch kritische Stimmen hören zu Zielen und Wegen und Kosten, das muss möglich sein. Wir wollen aber auch eine Offenheit zu den pädagogischen Grenzen und den organisatorischen Grenzen inklusiven Unterrichts.

Ich danke dem Bildungsminister für diese Grundlage, die ich als Basis für eine tiefgreifende Beratung hier im politischen Raum, aber auch im gesellschaftlichen Raum betrachte.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zuletzt vielleicht einmal zu einem Zitat von Rolf Busch, dem Vorsitzenden des Thüringer Lehrerverbandes, in der Sendung „Fakt ist...!“ am Montag dieser Woche kommen. Er sagte: „Der Inklusion in der Thürin

(Abg. Kanis)

ger Schule fehlen Herz und Mittel.“ Ich sage, gelingende inklusive Bildung an Thüringer Schulen braucht erstens bildungspolitisches Verstehen und Können, braucht zweitens mehr Geld und Personal und braucht drittens ein Herz für alle Kinder. Vielen Dank für diese Debatte und ich freue mich auf die weiteren Debatten zum Entwicklungsplan.

(Beifall CDU)

Vielen Dank. Für die Fraktion DIE LINKE hat der Abgeordnete Möller das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren hier unten im Rund, werte Gäste oben im Rund und werte Gäste vor den Bildschirmen am Livestream. Herzlich Willkommen! „Inklusion im Thüringer Bildungswesen verwirklichen!“ Hurra, es ist geschafft, das heißt, der Entwicklungsplan zur Inklusion hat endlich die Hürde Regierung bzw. Kabinett geschafft.

(Beifall DIE LINKE)

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sind Sie sich da sicher?)

Zumindest, Frau Kollegin, haben es die Zeitungen verkündet, dass das Kabinett das Ganze auf den Weg gebracht hat, und Herr Emde hat es ausdrücklich gerade als Diskussionsgrundlage begrüßt. Ich hoffe, es wird nicht umgedreht. Aber, wie gesagt, es ist erst mal da, es hat das Licht der Welt erblickt bzw. das Licht des Parlaments. Wir haben mittlerweile Juli. Im Juni sollte es eigentlich vorgelegt werden. Nun könnte man sagen, gut, da gab es noch ein paar Vetos aus dem Kabinett vom Bauministerium bzw. vom Finanzministerium - ein Schelm, wer Schlechtes dabei denkt - bzw. noch andere Fragen zu klären. Aber jetzt heißt es, auch das einzuhalten, was dort schwarz auf weiß geschrieben wurde, denn mit der Debatte von vor zwei Wochen im Hinterkopf sehen wir als Fraktion - und andere Fraktionen auch, der Zwischenruf hat es deutlich gemacht - immer noch die Gefahr, dass eine Umsetzung inklusiver Bildung hier in Thüringen unter Finanzvorbehalt verwirklicht werden soll. Aus unserer Sicht handelt es sich hier um eine Zukunftsinvestition und da ist es immer noch erschreckend, mit welcher Borniertheit dieses Thema hier im Landtag und darüber hinaus behandelt wird.