Da gibt es unterschiedlichste Möglichkeiten. Ich kann mich mit Wahlprogrammen an Wahlständen vertraut machen. Ich kann mit meinem Abgeordneten vor Ort reden. Ich kann Fernsehen schauen. Ich kann auch - und immer mehr Menschen tun das ins Internet gehen. Da gibt es auch die Möglichkeit, Seiten zu besuchen, die mehr oder minder barrierefrei sind. Ich als „normaler“, als nicht behinderter Nutzer kann mir das am Anfang immer gar nicht so vorstellen, was, habe ich mir gedacht, kann in einem Internet schon als Barriere gelten. Aber es gibt zum Beispiel Menschen, die nicht in der Lage sind, aufgrund der eingeschränkten Motorik, eine Maus zu bedienen, die sich eben nur über die Tastatur in den Internetseiten informieren können. Das ist zum Beispiel eine solche Situation. Wenn Sie die Barrierefreiheit hier schon so thematisieren, in der Schärfe auch, Frau Stange, dann gestatten Sie mir, dass ich hier einmal anspreche, wie es mit der Barrierefreiheit der Parteien im Internet steht. Da gibt es eine hochinteressante Seite, die heißt Homo Politicus, das ist ein bisschen lustig, also nicht Homo sapiens, also der politische Mensch, Homo Politicus. Die Autoren, das sind Heiko Kunert, er ist Sprecher des Blinden- und Sehbehindertenverbands in Hamburg, ist mit 7 Jahren durch einen Tumor erkrankt und dann später erblindet. Er hatte einen Blog, und bei Twitter schreibt er über seine Arbeit und das
blinde Leben in Hamburg. Der andere Autor von Homo Politicus ist Thomas Mayer, der für den Blinden- und Sehbehindertenverband als Berater im Projekt „barrierefrei informieren und kommunizieren“ tätig ist. Diese beiden haben auf ihrer Webseite aktuell einmal geprüft, wie es denn aussieht mit der Barrierefreiheit der einzelnen Parteien, die für den Bundestag antreten. Wenn Sie gestatten, Frau Präsidentin, würde ich gern das eine oder andere jetzt daraus zitieren, weil das hochinteressant ist. Wir fangen einmal bei der größten Partei an, die CDU ist da geprüft worden. Die beiden schreiben. Die CDU, schreiben die beiden, kommt sehr unübersichtlich daher. Es gibt keine Überschriften, die der Screenreader erkennen und anspringen kann. Ich muss mir die Seite komplett vorlesen lassen, weil ich auch keine Navigationsliste finde. Mich interessiert ein Video: „Eine Antwort auf die Angriffe der SPD.“ Ich kann es nicht anklicken. Bei dem Kampagnen-Portal der CDU wurde offensichtlich nicht an Barrierefreiheit gedacht. Auffällig ist das Fehlen jeglicher HTML-Strukturelemente. Die Schriftgröße kann im Internet Explorer nicht individuell eingestellt werden - das wäre für sehbehinderte User aber eine große Hilfe. Fazit: Ungenügend.
Die SPD: Obwohl Parteien nicht gesetzlich zur Barrierefreiheit verpflichtet sind, erfüllt SPD.de viele Standards.
Es wird neben der Standard-Version eine barrierefreie Ansicht ohne Animationen und JavaScriptSpielereien angeboten. Beide Versionen sind gut mit Überschriften und Listen strukturiert, alles lässt sich prima mit der Tastatur steuern und die Alternativtexte für Grafiken sind aussagekräftig. Als einzige Partei bietet die SPD Sprunglinks an, die es Tastaturbenutzern ermöglichen, direkt zum Inhalt der Seite zu springen. Fazit: Gut.
Die FDP: Manche Grafiken und Überschriften bestehen für den blinden Leser nur aus Zahlenkolonnen. Es gibt Probleme im Zusammenhang mit der Verwendung von Hintergrundgrafiken. Fazit: Befriedigend.
Die GRÜNEN, die im Moment so erheitert sind: Es fehlen strukturierende Überschriften. Grafische Banner sind problematisch, sie funktionieren nur bei einem visuellen Zugang und lassen sich nicht an individuelle Anforderungen, zum Beispiel Schriftgröße oder Farbe, anpassen. Somit können sehbehinderte User die Seite kaum nutzen. Weitere Probleme gibt es bei der Schriftvergrößerung. Die Schrift lässt sich zwar vergrößern, aber schon bei geringer Vergrößerung werden Inhalte abgeschnitten und sind nicht mehr lesbar. Fazit: Mangelhaft.
DIE LINKE, Frau Stange: Durch die Verwendung einer bestimmten Javascriptfunktion in Links der Navigation ist das Angebot für Menschen, die keine
Maus nutzen können und stattdessen mit der Tabulatortaste durch eine Seite navigieren, im Internetexplorer praktisch nicht mehr nutzbar. Somit schließt die Partei alle motorisch eingeschränkten User aus, die zum Beispiel durch eine Spastik keine Maus benutzen können. Davon abgesehen, gibt es noch Probleme mit der Schriftvergrößerung im Internetexplorer. Einige Bereiche lassen sich überhaupt nicht vergrößern. Fazit: Mangelhaft.
Jetzt kommt es, PIRATEN, das hat mich auch mal interessiert, die Partei, die im Internet immer die brillanteste ist: Spezielle Optimierungen bezüglich der Barrierefreiheit sind überhaupt nicht erkennbar. Fazit: Nur befriedigend.
In der Zusammenfassung schreiben die beiden Autoren: Bis auf das Angebot der SPD hat jede Website größere und kleinere Probleme mit der Barrierefreiheit. Nur bei den Sozialdemokraten ist erkennbar, dass das Thema Barrierefreiheit bei der Entwicklung berücksichtigt wurde. Befriedigend sind die Auftritte - ich habe es ja nicht geschrieben
der FDP und der Piratenpartei. Diese Websites wurden nicht speziell auf Barrierefreiheit optimiert, sie profitieren aber von ihrer zeitgemäßen Umsetzung, die eine Grundversorgung in Sachen Barrierefreiheit sicherstellt. Die GRÜNEN haben vor allem Probleme mit der individuellen Anpassbarkeit ihrer Inhalte.
DIE LINKE disqualifiziert sich durch kleine, aber sehr schwerwiegende Fehler. Nicht akzeptabel ist das Angebot der CDU. Ich habe das nicht vorgetragen, weil ich hier vorn stehe mit einem bestimmten Parteibuch in der Tasche.
Aber nein, weil, das muss man ja sagen, es gibt bei allen Parteien, auch bei der SPD gibt es da Luft nach oben.
Wir können auch mal bei der CDU Thüringen nachgucken, Herr Mohring, können wir gern machen. Da können wir noch mal über den Homo Politicus drübergehen, das wäre allerdings ein ähnliches Ergebnis.
Ich meine damit nur, ohne dass man jetzt diese Wertung der Parteien, wenn es um Barrierefreiheit geht, als ein Ranking der Beliebtheit unter Menschen, die ein Handicap haben, mit nutzen können. Ich meine, dass wir alle hier in diesem Hause, wenn wir über Barrierefreiheit in Wahllokalen sprechen, schon ein Stück weit vorher auch anfangen müssen nachzudenken. Das ist überhaupt nicht in irgendeiner Form mokant gemeint. Da haben wir, auch die SPD, die nur als gut weggekommen ist, nicht als sehr gut, wie gesagt, alle noch große Defizite, die, denke ich, auch in diesem sehr wichtigen Medium, bei dem sich immer mehr Menschen auch über politische Inhalte informieren, denke ich, daran müssen wir alle noch arbeiten.
In dem Sinne, also wir werden diesem Antrag nicht zustimmen, weil er, wie gesagt, in der Kürze der Zeit - dafür können Sie nichts, Sie haben es dargelegt - sehr schwierig umsetzbar ist und weil es eine hundertprozentige Zugangsmöglichkeit in der Frage der Barrierefreiheit wahrscheinlich überall in Deutschland in dieser Form zumindest in nächster Zeit nicht geben wird. In diesem Sinne, ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin, sehr verehrte Damen und Herren, das, was Herr Hey da so ausführlich dargelegt hat, ist natürlich jetzt nicht zu toppen. Ich wollte das sehr kurz abhandeln, tue das jetzt auch mit einem Satz, auch in Richtung der Fraktion DIE LINKE: Bevor man mit diesem Antrag mit dem Finger auf die Landesregierung zeigt, heißt es, wir müssen uns alle an unsere eigene Nase fassen.
Wir haben alle Nachholbedarf und, Herr Hey, vielleicht gibt es auch noch differenziertere Bewertungen als die von Ihnen. Ich glaube schon.
Das Ziel teilen alle im Hohen Hause hier, das ist, glaube ich, unstrittig. Aber auch unsere Fraktion hält diesen Antrag Ihrer Fraktion, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen der LINKEN, für fachlich nicht besonders ausgereift. Wenn man sich die Mühe macht, mal die Zusammenfassungen von Fachgesprächen des Deutschen Instituts für Menschenrechte anzuschauen, das ist ja an verschiedenen Stellen schon angeklungen, dann kommt man schnell dahin, dass es eben nicht nur um die Teila
spekte einer - und Sie schreiben im Titel - konsequenten Barrierefreiheit geht, da gehört doch viel mehr dazu neben der Zugänglichkeit mit einem Rollstuhl. Wenn ich an die Schule denke, in der ich in Jena wählen gehe, ein blinder oder sehbehinderter Mensch, der brauchte ein Leitsystem, um dann bis zu dem Raum zu kommen, weil man durch mehrere Flure geht. Es geht auch um die Ausgestaltung der Wahllokale im Inneren für behinderte Menschen. Es geht um die barrierefreie Gestaltung der Wahldokumente, es geht auch um die Schulung der Wahlhelferinnen im Umgang mit Menschen welcher Behinderung auch immer. Da geht es nicht nur um körperliche Handicaps. Die Wahlschablonen sind auch nur eine mögliche Lösung, weil diese Wahlzettel so unterschiedlich sind, dass es sehr unterschiedliche Wahlschablonen braucht, die gar nicht alle vorhanden sind bzw. es ein großer Aufwand wäre, für jeden Stimmzettel eine eigene Schablone zu machen, was nicht heißt, dass man sie nicht machen soll, aber die Probleme stecken hier doch sehr im Detail. Am Ende geht es auch darum, wie man Wahlergebnisse im Nachgang zugänglich macht, wie ermöglicht man es behinderten Menschen, zum Beispiel zuzuschauen, wenn die Urnen geöffnet und ausgezählt werden usw. Insofern, was Sie unter II hier sagen, „die Landesregierung wird aufgefordert, Vorkehrungen zu treffen“, ist eine wohlfeile Forderung, aber sehr konkret ist das nicht. Ich halte diesen Antrag auch für einen Schnellschuss, der Hoffnungen bei Betroffenen weckt. Das finde ich das Unschöne daran. Er weckt Hoffnungen, die - das wissen Sie - wir bis zur Bundestagswahl auf keinen Fall erfüllen können, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Ich bin dennoch dafür, diesen Antrag an den Ausschuss zu überweisen, um ihn dort zu qualifizieren. Was Thüringen betrifft, wäre es sehr sinnvoll gewesen, einen Bericht der Landesregierung abzufordern, wo wir denn überhaupt in Thüringen bei der Barrierefreiheit stehen. Da reicht es nicht, Herr Gumprecht, wenn Sie sich vom Wahlleiter sagen lassen, wir haben keine Beschwerden. Wenn man sich einen OTZ-Artikel von 2012 anschaut, da wird gesagt, dass in Eisenach ein Viertel der Wahllokale barrierefrei zugänglich ist, in Erfurt und Gera die Hälfte. Das hat Gründe. Gerade in Städten, glaube ich, Herr Gumprecht - und auch Herr Bergner hat versucht, die Schwierigkeiten aufzuzählen -, gibt es durchaus Möglichkeiten, Ausweichmöglichkeiten zu finden. Dann geht man in einen anderen Raum, wo das möglich ist. Ich glaube, eine Diskussion im Ausschuss würde diesem wichtigen Thema sehr gut tun
im Sinne von: Wie können wir schneller vorankommen? Das habe ich sowohl bei Herrn Gumprecht als auch bei Herrn Bergner vermisst. Das Ziel teilen wir doch alle. Wie man da hinkommt, das geht nicht
so schnell wie DIE LINKEN wollen, aber da müssen wir uns doch mehr anstrengen. Da müssen wir uns doch mehr anstrengen als das, was in den letzten Jahren dort passiert ist. Einige Punkte, die man im Ausschuss diskutieren sollte, sind auch schon gesagt worden: einheitliche Kriterien. Was heißt überhaupt barrierefreies Wahllokal? Da gibt es nämlich keine einheitlichen Kriterien. Vielleicht muss man auch einen Leitfaden machen für Kommunen, Erfahrungsaustausch, um hier schneller voranzukommen. Ich habe Sie nicht verstanden, Herr Gumprecht.
Ja, von denen rede ich, aber die sind nicht einheitlich. Es gibt keine Zertifizierung dafür. Daran wird auch gearbeitet, aber umso sinnvoller wäre es, dass sich Thüringen damit beschäftigt, wie da der Stand ist. Das können wir hier im Plenum bestimmt nicht leisten. Vielleicht braucht es auch ein Bürgertelefon, mit dem sich behinderte Menschen sehr schnell über die barrierefreien Wahllokale informieren können, im Sinne von: Was braucht dieser Mensch speziell in seinem Wahllokal? Schulung, Qualifizierung, das habe ich schon genannt.
Was die Regeln angeht, ist es auch interessant, sich mit den Ergebnissen des Instituts für Menschenrechte zu beschäftigen. Es gibt durchaus Experten, die sagen, wir brauchen mehr Regeln, die wollen einheitliche Standards, Vorgaben, damit wir bei der Umsetzung in der Kommune vorankommen. Es gibt aber auch andere, die sagen: Nein, um Gottes Willen nicht mehr Regeln. Wir wollen Kreativität, um diese Dinge sehr pragmatisch und auch durch Improvisation zu lösen. Insofern auch hier der Hinweis, das ist es wert, im Ausschuss zu diskutieren und sich auch entsprechende Menschen einzuladen. Warum nicht diejenigen, die beim Deutschen Institut für Menschenrechte sehr sachkundig darüber referiert haben? Der Teufel steckt also im Detail. Fakt ist aber eines, das ist mein letzter und der wichtigste Satz, denn vor allem steht, und das ist unsere feste Überzeugung: Der Verweis auf die Briefwahl, der ist absolut nicht statthaft.
Es geht um die Wahlfreiheit. Jeder Mensch muss sich aussuchen können, ob er oder sie in ein Wahllokal geht oder eine Briefwahl durchführt. Es geht nicht nur um das Ob einer Wahl, sondern auch um das Wie. Herzlichen Dank.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, durch die Diskussion habe ich doch noch mal erwogen, hier an das Rednerpult zu gehen. Denn, ich denke, es geht in unserem Antrag im Grunde genommen um die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und diese ist seit 2009 durch die Ratifizierung auch geltendes Recht und Gesetz. Es geht um politische Teilhabe. Das ist hier mehrfach erwähnt worden auch von Herrn Hey. Da gebe ich Ihnen recht. Es geht nicht nur um die Wahlen, es geht letztendlich auch darum, mich im Vorfeld dementsprechend zu informieren und letztendlich meine demokratische Entscheidung dann bei der Wahl zu treffen. Es geht aber auch bei der UN-Konvention - deshalb erwähne ich das noch mal - um eine andere, um eine neue Behindertenpolitik. Es geht darum, Behinderung neu zu denken und dieses neue Denken erfordert auch ein neues Handeln. Das heißt auch, dass wir neue Wege gehen müssen.