Protokoll der Sitzung vom 17.10.2013

Das Vorbringen der Abgeordneten der Linkspartei ist ein bisschen widersprüchlich. Frau Abgeordnete Berninger hat die generelle Befreiung der Kommunen von Gerichtskosten gefordert, Abgeordneter Kuschel hatte letzte Sitzung Sorgen und meint, weniger Befreiung von Kosten zu fordern, weil er die Befürchtung geäußert hat, darüber will ich mich jetzt nicht näher auslassen, dass die Gebührenfreiheit dazu führen könnte, dass die Gemeinden bei Konflikten mit den Bürgern nicht mehr selbst entscheiden würden, sondern die Gerichte vorschicken. Wir haben also von Ihnen aus zwei

(Abg. Berninger)

durchaus unterschiedliche und auch nicht vereinbare Wortmeldungen an dieser Stelle. Frau Abgeordnete Berninger, ich kann Ihnen in vielem zustimmen, was Sie gesagt haben, aber unser Thema ist heute nicht das Gerichtskostenrecht im weitesten Sinne, sondern per Landesrecht regeln wir nur einen ganz kleinen Ausschnitt davon. Deshalb meine ich, ist die Kritik am geänderten Bundesrecht hier auch nicht einschlägig, zumal die Grundlagen der Beratungs- und Prozesskostenhilfe eben nicht grundsätzlich verändert worden sind. Das Kostenbefreiungsrecht, die Kostenbefreiungsregelung für Kommunen ist weder dem Grunde nach noch im Inhalt völlig neu. Vielmehr werden die bisher komplizierten, auf verschiedene Aufgabenkreise abstellenden Regelungen zusammengeführt und im Wesentlichen noch ein Teil der Selbstverwaltungsaufgaben hinzugenommen. Die Regelung hat vorrangig - ich sage es noch einmal - den Sinn einer Entbürokratisierung, der Abgeordnete Meyer ist in der letzten Plenarsitzung auch darauf eingegangen, und einer Vereinfachung in der praktischen Handhabung im Vergleich zu den bisherigen Rechtslagen. Deshalb bitte ich auch an dieser Stelle noch einmal um Zustimmung zu diesem vielleicht doch etwas weniger problematischen Gesetz, als es zunächst bei Ihren Ausführungen den Anschein hat.

Vielen herzlichen Dank, Herr Minister Dr. Poppenhäger. Es gibt jetzt keine weiteren Wortmeldungen. Damit kommen wir zur Abstimmung und zwar über den Gesetzentwurf der Landesregierung in der Drucksache 5/6564 in zweiter Beratung. Wer diesem zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Das sind die Stimmen der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, CDU und FDP. Gibt es Gegenstimmen? Die gibt es nicht. Gibt es Enthaltungen? Die Fraktion DIE LINKE enthält sich. Damit ist dieser Gesetzentwurf angenommen.

Wir kommen zur Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf. Wer diesem zustimmen möchte, den bitte ich jetzt, sich vom Platz zu erheben. Das sind die Stimmen der Fraktionen FDP, CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Gibt es Gegenstimmen? Das ist nicht der Fall. Gibt es Enthaltungen? Die Fraktion DIE LINKE enthält sich. Damit ist dieser Gesetzentwurf angenommen und ich schließe diesen Tagesordnungspunkt.

Ich rufe jetzt auf den Tagesordnungspunkt 6

Thüringer Justizvollzugsgesetzbuch (ThürJVollzGB) Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 5/6700 ERSTE BERATUNG

Ich frage: Wünscht die Landesregierung das Wort zur Begründung? Das ist der Fall. Damit hat das Wort jetzt noch einmal Herr Minister Dr. Poppenhäger.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, anlässlich der heute ersten Beratung des Thüringer Justizvollzugsgesetzbuchs möchte ich Ihnen die wesentlichen Inhalte des Gesetzes vorstellen. Seit dem 1. September 2006 liegt die Gesetzgebungskompetenz für den Justizvollzug in Artikel 70 Abs. 1 des Grundgesetzes bei den Bundesländern. Der Freistaat Thüringen hat von der neuen Gesetzgebungskompetenz bereits durch Erlass des Jugendstrafvollzugsgesetzes, des Untersuchungshaftvollzugsgesetzes und des Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetzes vom 23. Mai dieses Jahres Gebrauch macht. Erwachsenenstrafvollzug wird in Thüringen noch immer durch das Strafvollzugsgesetz des Bundes geregelt. Dieses geht auf die 1970er-Jahre zurück. Die bundesrechtliche Regelung soll von daher nun durch eine umfassende selbstständige Regelung ersetzt werden, die den Grundsätzen eines modernen Strafvollzugs gerecht wird und die gesellschaftlichen, kriminologischen und sozialtherapeutischen Entwicklungen aufnimmt.

Im Thüringer Justizvollzugsgesetzbuch werden die Regelungen des Strafvollzugs, des Jugendstrafvollzugs und des Vollzugs der Untersuchungshaft in einem Gesetzeswerk zusammengefügt mit dem Ziel, ein konzeptionell neu ausgerichtetes Gesetz mit einheitlichen Begriffen und Regelungen für den Justizvollzug zu schaffen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, das Gesetz legt als Vollzugsziel fest, die Straf- und Jugendstrafgefangenen zu einem Leben ohne Straftaten in sozialer Verantwortung zu befähigen. Es sieht die Einführung eines standardisierten Diagnoseverfahrens vor, diese steht am Beginn der Inhaftierung und dient dazu, den Gefangenen „kennenzulernen“. Dabei gilt es, möglichst alle vorhandenen Informationen über die Persönlichkeit des Gefangenen zu ermitteln, deren Kenntnis für eine zielgerichtete und wirkungsorientierte Vollzugsgestaltung und die Eingliederung nach der Entlassung notwendig erscheint. Hierfür sind als Beispiele seine sozialen und familiären Verhältnisse, die Ursachen und die Umstände seiner Straffälligkeit, sein Schul- und Ausbildungsabschluss, seine berufliche Situation sowie Sucht- und medizinische Problematiken zu nennen. Es geht also um so wichtige Fragen wie: Hat der Gefangene noch soziale Bindungen und Kontakte? Können diese in der schwierigen Vollzugssituation erhalten werden, da sie ein Schlüssel für die erfolgreiche Wiedereingliederung nach der Haftzeit sind? Was können wir tun, um Ausbildungsdefizite und Defizite im schulischen Be

(Minister Dr. Poppenhäger)

reich zu beheben? In der JVA Tonna wird im Rahmen der Vollzugsplanung schon jetzt auf die Stärken und Schwächen der Gefangenen geachtet und die Vollzugsplanung darauf aufgebaut. Mit dem Gesetz wird dieses Verfahren weiter fortentwickelt, standardisiert und schließlich der Erfolg durch unseren kriminologischen Dienst evaluiert. Die aus dem Diagnoseverfahren gewonnenen Daten fließen in den Vollzugsplan ein, dem Fahrplan für den Zeitraum der Inhaftierung, der in der Regel halbjährlich fortgeschrieben wird und in dem auch alle behandlerischen Maßnahmen festgehalten sind. Ist die Einweisungsphase mit Erstellung des individuellen Vollzugsplans abgeschlossen, kann der Gefangene dann entsprechend der differenzierten Behandlungsangebote unserer Anstalten untergebracht werden und es kann zielgerichtet mit ihm gearbeitet werden.

An der bestehenden Arbeitspflicht soll weiterhin festgehalten werden. Gerade die Qualität der Arbeitsbetriebe in Thüringen spricht für sich. So sind beispielsweise die Möbelfabrikation im Eigenbetrieb in der JVA Untermaßfeld oder die Druckerei in der JVA Hohenleuben besonders hervorzuheben. Auch ist Thüringen, was die Anzahl der bestehenden Arbeitsplätze im Vollzug angeht, sehr gut aufgestellt. Dem Gefangenen einen adäquaten Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen, der sich an den Arbeitsverhältnissen auf dem Arbeitsmarkt in Freiheit orientiert, ist nach meiner Ansicht nicht nur ein sehr geeignetes Mittel, um eine erfolgreiche Resozialisierung zu gewährleisten, sondern darüber hinaus Ausdruck eines menschenwürdigen Umgangs im Strafvollzug. Sinnvolle Beschäftigung strukturiert den Tag der Gefangenen und ist damit bereits ein erster positiver Schritt in Richtung Entlassung und Resozialisierung. Die Arbeitspflicht der Gefangenen beinhaltet damit im Umkehrschluss die Pflicht, in den Justizvollzugsanstalten ausreichend Ausbildungs- und Arbeitsplätze einzurichten, die zielgerichtet für einen Übergang in die Arbeitswelt qualifizieren bzw. eine bereits vorhandene Qualifikation erhalten helfen. Dafür bedarf der Justizvollzug auch in Zukunft einer entsprechenden finanziellen Ausstattung, zum Beispiel für den Aufbau eines Werkhofes in der JVA Suhl-Goldlauter.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, für eine erfolgreiche Resozialisierung nicht wegzudenken sind vollzugliche Maßnahmen, die der Verbesserung der Legalprognose dienen, wie beispielsweise Arbeitstherapie, Arbeitstraining, schulische und berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, ebenfalls die Psychotherapie. Anknüpfungspunkt für die verpflichtende Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Einrichtung ist zukünftig nicht die der Verurteilung zugrunde liegende Straftat, sondern die Verringerung einer erheblichen Gefährlichkeit des Täters. Es sind damit auch Straftäter mit einem hohen Gewaltpotenzial verpflichtend in

einer sozialtherapeutischen Abteilung unterzubringen. Eine Einzelunterbringung während der Einschlusszeiten ist wie bereits im Thüringer Jugendstrafvollzugsgesetz und im Thüringer Untersuchungshaftvollzugsgesetz nun auch für die Strafgefangenen landesgesetzlich als Grundlage festgeschrieben. Dabei ist vorgesehen, dass eine gemeinschaftliche Unterbringung von mehr als zwei Personen in einem Haftraum selbst in den älteren Anstalten nur bis zum Ablauf des Jahres 2024 zulässig sein soll. Dies ist auch eine der Kernbotschaften des Gesetzes. Spätestens zehn Jahre nach Inkrafttreten soll Schluss damit sein, dass Gefangene teilweise in 6er-Hafträumen in unseren alten Anstalten untergebracht werden können. Mit unserem Neubau in Arnstadt für den Jugendstrafvollzug, der nächstes Jahr in Betrieb genommen wird, sind wir bereits auf diesem richtigen und unabdingbaren Weg.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, schon der Vollzug der Strafhaft soll bei Gefangenen bei vorbehaltener oder angeordneter Sicherungsverwahrung darauf abzielen, durch frühzeitige, wirksame Behandlungsangebote eine Vollstreckung der Sicherungsverwahrung nach der Haftverbüßung von vornherein zu vermeiden. Für unsere Bediensteten kommt es in der Praxis darauf an, dass sie sich untereinander schnell und umfassend informieren können. Deshalb wurde eine gesetzliche Grundlage für die Einführung einer elektronischen Vollzugsakte geschaffen.

Nunmehr möchte ich noch auf den wichtigen Prüfungsmaßstab für Lockerungen in § 46 des Thüringer Justizvollzugsgesetzbuches zu sprechen kommen.

Grundsätzlich übernimmt das Gesetz in § 46 Abs. 2 den allgemeinen Maßstab des Thüringer Jugendstrafvollzugsgesetzes, wonach Lockerungen gewährt werden dürfen, wenn verantwortet werden kann, zu erproben, dass die Straf- und Jugendstrafgefangenen sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe nicht entziehen oder die Lockerungen nicht zu Straftaten missbraucht werden. Die Norm enthält also einen positiv formulierten Prüfungsmaßstab einer verantwortbaren Erprobung.

Auch um die Eingliederung vorzubereiten, regelt das noch geltende Strafvollzugsgesetzbuch in § 15 Abs. 1, dass zur Entlassungsvorbereitung der Vollzug gelockert werden soll. Demgegenüber wird der Prüfungsmaßstab der Anstalt bei der Entscheidung über Lockerungen im entlassungsnahen Zeitraum deutlich verändert. Den Straf- und Jugendstrafgefangenen sind sechs Monate vor der voraussichtlichen Entlassung die erforderlichen Lockerungen zum Zwecke der Entlassungsvorbereitung zu gewähren - ich zitiere -, „sofern nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Straf- und Jugendstrafgefangenen sich dem Vollzug der Frei

(Minister Dr. Poppenhäger)

heitsstrafe entziehen oder die Lockerungen zu Straftaten missbrauchen werden.“ Dieser Anspruch der Straf- und Jugendstrafgefangenen findet jedoch seine Grenze darin, dass die Lockerungen zum Zweck der Eingliederung erforderlich sein müssen.

Die jüngsten Diskussionen im Rahmen des Petitionsausschusses und der Strafvollzugskommission um den wichtigen Komplex der Lockerungsentscheidungen zeigen, wie kontrovers diese Fragen gesehen werden.

Das vorgelegte Gesetz stellt insoweit, wie ich meine, einen gelungenen Kompromiss dar, der eine sehr strukturierte Abwägung zwischen dem Gesichtspunkt der Resozialisierung und dem Schutz der Bevölkerung vor weiteren Straftaten ermöglicht.

Es liegt in der Natur der Sache, dass jeder Gefangene möglichst schnell Lockerungen bekommen möchte, um sich nicht zuletzt für eine vorzeitige Haftentlassung zu bewähren. Dies muss aber, das füge ich hinzu, auch der Öffentlichkeit in Ansehung der jeweiligen Straffälligkeit im Einzelfall vermittelbar bleiben. In diesem Zusammenhang greife ich gerne auf, dass der Petitionsausschuss und auch die Strafvollzugskommission zum Teil mehr Lockerungen anregen. Klar muss aber sein, dass diese Lockerungsentscheide in den Anstalten unter Einbeziehung aller Fachdienste kompetent entschieden werden, in Zweifelsfällen, die gibt es gerade im Langzeitvollzug immer wieder, aber auch zugunsten der Sicherheit und des Schutzes der Allgemeinheit. Das gilt auch und gerade für den in der Presse viel diskutierten Langzeitausgang bei zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten; hier haben wir uns dafür entschieden, daran festzuhalten, dass diese Gefangenen einen Langzeitausgang erst erhalten, wenn sie sich in der Regel 10 Jahre im Vollzug befunden haben.

Unabhängig davon begrüße ich es ausdrücklich, wenn sich die Mitglieder der vorgenannten Ausschüsse auch dafür aussprechen, dass die therapeutische Versorgung in den Anstalten besser werden muss, um diese schwierigen Entscheidungen in vertretbaren Bearbeitungszeiten und in hoher Qualität herbeizuführen. Für mich sind Lockerungsentscheidungen wichtig, auch für eine Prognose, ob der Vollzug seine Ziele erreicht, für die Vorbereitung der Entlassung und ein gelingendes Übergangsmanagement. Im Ergebnis müssen wir hier in den zukünftigen Haushalten die entsprechenden Voraussetzungen schaffen. Bereits jetzt haben wir in den Justizvollzugseinrichtungen ein breites Spektrum an entsprechendem Fachpersonal. Die mit dem Gesetz eingeräumte Umstrukturierung beim Personal wird zu einer weiteren Verbesserung führen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, dieser Gesetzentwurf ist, so meine ich, ein wichtiger Schritt in Richtung eines modernen, effek

tiven Strafvollzugs, der alle Möglichkeiten der Behandlung ausschöpft, um unser vorrangiges Ziel zu erreichen, neben dem bereits erwähnten Schutz der Bevölkerung vor weiteren Straftaten den Gefangenen in ein möglichst straffreies Leben zu entlassen. Dazu gehört die erfolgreiche Resozialisierung der Gefangenen ebenso wie deren Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Dabei sollten wir nie übersehen, dass Schutz vor weiteren Straftaten immer auch effektiven Opferschutz bedeutet. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD)

Vielen herzlichen Dank, Herr Minister. Ich eröffne nunmehr die Aussprache. Es liegen Wortmeldungen aus allen Fraktionen vor. Als Erster hat das Wort der Abgeordnete Dirk Bergner für die FDPFraktion.

Vielen Dank. Meine sehr geehrten Damen und Herren, uns liegt heute der Entwurf für ein Thüringer Justizvollzugsgesetzbuch vor. Ursächlich dafür, dass wir den Gesetzentwurf heute beraten dürfen, ist nicht allein der Tatendrang der Landesregierung, sondern anfänglich die Föderalismusreform. Ob das nun gut oder schlecht ist, dass durch die Föderalismusreform die Zuständigkeit auf die Länder übergegangen ist, möchte ich an dieser Stelle gar nicht bewerten, da es wie so oft sowohl Vorteile als auch Nachteile mit sich bringt. Ein Vorteil wird an dem vorliegenden Gesetzentwurf aber deutlich. Das Land hat nunmehr die Möglichkeit, fast alle Regelungen für den Vollzug der Freiheitsstrafe, der Jugendstrafe und der Untersuchungshaft in einem Justizvollzugsgesetzbuch zusammenzufassen. Dies kann nicht nur zu einer schlanken Gesetzgebung beitragen, sondern auch zu mehr Transparenz und Verständlichkeit führen, meine Damen und Herren.

Gerade habe ich davon geredet, was alles durch ein einheitliches Justizvollzugsgesetzbuch möglich ist. Es schließt sich natürlich auch die Frage an, ob diese Vorteile durch den Gesetzentwurf auch umgesetzt werden. Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch durch die Zusammenfassung der Gesetze wirkt der Gesetzentwurf auf den ersten Blick ein wenig unübersichtlich. Das liegt natürlich auch daran, dass man sich erst einmal an ein so umfassendes Gesetz gewöhnen muss. Auffällig ist, dass im Gesetzentwurf relativ viele Verweise benötigt werden, wodurch die Übersichtlichkeit leider wieder eingeschränkt wird. Ich will dies aber auch gar nicht übermäßig kritisieren, da ich der Auffassung bin, meine Damen und Herren, dass man sich im Wesentlichen große Mühe gegeben hat, verschiedene

(Minister Dr. Poppenhäger)

Vollzugsgesetzbücher nachvollziehbar in einem Gesetz zu vereinen.

Zu dem Punkt der Übersichtlichkeit und der schlanken Gesetzgebung kommen natürlich noch weitere wesentliche Punkte für ein gutes Justizvollzugsgesetz hinzu, die ich bisher noch nicht angesprochen habe, und zwar, ob die inhaltlichen Voraussetzungen für einen modernen Justizvollzug und eine konsequente Umsetzung des Resozialisierungsgedankens durch den Gesetzentwurf gewährleistet sind.

Ich will, meine Damen und Herren, mit dem Positiven anfangen. Man hat noch einiges an den ursprünglichen Entwürfen geändert, und somit die bisherigen Stellungnahmen ernsthaft in den Gesetzentwurf einbezogen. Eine solche Änderung betrifft zum Beispiel den Erhalt der Arbeitspflicht. In einer ursprünglichen Fassung sollte die Arbeitspflicht gestrichen werden. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Arbeitspflicht auch einen Beitrag zur Resozialisierung leistet und somit richtigerweise erhalten bleibt.

Aber natürlich gibt es auch aus unserer Sicht etwas zu kritisieren. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass für bestimmte Therapiemaßnahmen finanzielle Vergütungen erfolgen sollen. Nach meiner Auffassung ist eine finanzielle Vergütung nicht die richtige Motivation, um eine Therapie wahrzunehmen, aber vielleicht werde ich heute oder im Ausschuss eines Besseren belehrt.

Auch sehe ich noch Klärungsbedarf bei einigen Begrifflichkeiten. In § 13 wird der Begriff „Diagnoseverfahren“ verwendet, der sich für mich eher wie eine ärztliche Begutachtung anhört. Soweit ich § 13 verstehe, sollen aber die zukünftigen Behandlungsmethoden und -maßnahmen festgestellt werden. Ich denke, hier sollte man über die Intension des verwendeten Begriffs noch einmal nachdenken, um mögliche Ungereimtheiten zu vermeiden.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, der Gesetzentwurf bringt für den zukünftigen Justizvollzug auch hohe Anforderungen mit sich. Diese sollen natürlich nicht nur auf dem Papier stehen, sondern auch mit Leben erfüllt werden. Ob diese Anforderungen mit dem geplanten Personalabbau und sinkenden Sach- und Finanzmitteln zu realisieren sind, steht meines Erachtens auf einem ganz anderen Blatt. Auch hat man sich eine enge Übergangsfrist für die Belegung von Hafträumen mit mehr als zwei Gefangenen bis zum 31.12.2024 gesetzt. Die neuesten Meldungen über die gemeinsame JVA in Sachsen passen da natürlich überhaupt nicht ins Konzept. Der Bau der gemeinsamen JVA mit Sachsen verzögert sich, da das Grundstück in Zwickau-Pöhlau zu teuer geworden ist. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, jetzt mal ehrlich, dass sich der Eigentümer des Grundstücks in Zwickau sein Grundstück jetzt auch ordentlich bezahlen lassen will, das war vermutlich klar. Wer

würde nicht den Preis in die Höhe treiben, wenn man wüsste, dass zwei Bundesländer auf ihrem Grundstück schon eine neue JVA geplant haben, aber vergessen haben, das Grundstück entsprechend zu sichern? Eigentlich kann man bei solchen Dingen wirklich nur mit dem Kopf schütteln. Als Sahnehaube für Thüringen kommt noch dazu, dass die Thüringer Grundstücke nun nicht mehr zur Verfügung stehen. Sehr geehrter Herr Minister, notfalls habe ich noch ein Grundstück in Hohenleuben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist und bleibt dabei, der Staat ist einfach ein schlechter Bauherr. Beispiele haben wir in Deutschland genug. Der Flughafen Berlin, Stuttgart 21 und die Elbphilharmonie - ich hoffe, dass sich unsere gemeinsame JVA nicht zu diesem Reigen hinzugesellt.

Aber ich will auf den Gesetzentwurf zurückkommen. Ich sehe an der einen oder anderen Stelle noch Beratungsbedarf und gehe davon aus, dass wir im Justiz- und Verfassungsausschuss den Gesetzentwurf intensiv beraten werden. Ich beantrage natürlich namens meiner Fraktion auch die Verweisung dorthin. Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.

(Beifall FDP)

Vielen herzlichen Dank, Herr Bergner. Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Dorothea Marx für die SPD-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, werte Zuschauerinnen und Zuschauer, vielleicht auch am Livestream noch die eine oder der andere! Am 16. März 1976, also vor mehr als 37 Jahren, so lange ist das schon her, hat der Deutsche Bundestag mit seiner sozialliberalen Mehrheit aus SPD und FDP ein Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung beschlossen, kurz ein Strafvollzugsgesetz. Diese Reform damals war ein Gebot kriminalpolitischer und sozialpolitischer Vernunft, wie das der damalige Bundesjustizminister Dr. Hans-Jochen Vogel von der SPD betonte. Unterstützt wurde er durch die Aufforderung vom Bundesverfassungsgericht, das hatte nämlich bestimmt, dass bis zum 1. Januar 1977 neue gesetzliche Grundlagen für Eingriffe in die Grundrechte der Gefangenen zu schaffen seien und im Rahmen des Zumutbaren alle gesetzlichen Maßnahmen zu treffen seien, die geeignet und nötig sind, beim Gefangenen das Vollzugsziel zu erreichen. Dieses Vollzugsziel ist bis zum heutigen Tag, den Gefangenen während des Vollzugs der Freiheitsstrafe zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten führen zu

(Abg. Bergner)

können. Es dient also auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten. Es geht also nicht um Reue oder Buße im Mittelpunkt des Justizvollzugs, sondern die Durchbrechung eines Teufelskreises aus Arbeitslosigkeit, Verlust der Wohnung, Begehung einer neuen Straftat und abermaliger Haft. Das war damals ein Novum in der deutschen Vollzugsgeschichte, diese Vollzugsziele zu bestimmen.

Die Föderalismusreform I vom September 2006 der Kollege Bergner hat schon darauf hingewiesen und auch der Minister - hat die Zuständigkeitsregelung des Grundgesetzes nun völlig neu geordnet. Es ist zwar müßig, sich darüber zu streiten, ob das sinnvoll ist, diese Kompetenz hier auf die Länder zu verlagern wegen des Flickenteppichs an Regelungen deswegen hatten Sie, Herr Kollege Bergner, gesagt, ich entscheide mich nicht -, aber ich sage hier schon mal klar: Nein. Denn ich finde es eigentlich nicht vertretbar, warum ein Gefangener in Hamburg anders behandelt werden sollte als in Bayern oder Thüringen, wenn er wegen der gleichen oder einer ähnlichen Straftat in Haft kommt.

(Beifall DIE LINKE)

Ich denke jedoch, dass die Mehrheit der deutschen Bundesländer in der Folge richtig gehandelt hat, um einen wirklichen Flickenteppich unterschiedlichster Regelungen in Deutschland zu vermeiden, denn unter Federführung, das soll hier auch noch mal gesagt werden, des Berliner und Thüringer Justizministeriums wurde von zehn Bundesländern ein Musterentwurf für ein einheitliches Strafvollzugsgesetz erstellt und man hat sich dabei nicht nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt, wie es immer so schön heißt, sondern das bisherige Bundesgesetz konsequent weiterentwickelt. So nimmt bereits der Musterentwurf die aktuelle Fachdiskussion etwa im Hinblick auf die Bedeutung einer zielgerichteten therapeutischen Auseinandersetzung der Gefangenen mit ihren Defiziten sowie ihrer beruflichen Qualifizierung für den Übergang in die Freiheit auf.