Protokoll der Sitzung vom 17.10.2013

Die Länder Berlin, Bremen, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen haben neue Maßstäbe im Strafvollzug gesetzt und dafür gebührt ihnen an dieser Stelle auch noch mal unser Dank.

Nach 37 Jahren wurden die rechtlichen Grundlagen des Strafvollzugs modernisiert und diesmal auch an die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie auch des Bundesverfassungsgerichts sowie den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen aus Praxis und Forschung angepasst. Umso bedauerlicher ist es leider, dass es in unserer Landesregierung bei der Verabschiedung des Entwurfs des Thüringer Justizvollzugsgesetzes im Kabinett über Monate zu Verzögerungen gekommen ist, die sich nicht so recht erklären las

sen, aus meiner Sicht, obwohl der Musterentwurf schon an das Thüringer Landesrecht angepasst war. Wir im Thüringer Landtag sind nun leider aber nicht zu spät - eines der letzten Parlamente, das über ein modernes und anspruchsvolles neues Strafvollzugsgesetz beschließen wird.

Das uns als Entwurf vorgelegte Thüringer Justizvollzugsgesetzbuch, was heute eingebracht wird, hat aus Sicht unserer Fraktion in mehrerer Hinsicht Potenzial für die Zukunft. Es wurde schon gesagt, die im Gesetzentwurf beschriebene Intensivierung des Diagnoseverfahrens ist aus sozialdemokratischer Bewertung die konsequente Weiterentwicklung der bereits 1976 festgelegten Vollzugsmittel.

(Beifall DIE LINKE)

Ohne ein klares Wissen über die persönlichen Charaktereigenschaften und Defizite jedes einzelnen Strafgefangenen ist es nur schwer möglich, den individuellen Vollzugsplan effizient und erfolgsorientiert zu gestalten. Positiv ist ebenso, dass die Gefangenen stärker als bisher für bestimmte Behandlungsmaßnahmen motiviert werden sollen, wozu auch ein Anreiz durch Geld gehört. Mancher mag diese Idee auf den ersten Blick hinterfragungswürdig finden, aber wenn es hilft, Gutes zu schaffen, dann kann man auch hier mal Geld in die Hand nehmen.

Als Drittes möchte ich die Aufrechterhaltung der Arbeitspflicht für Strafgefangene im Entwurf des Justizvollzugsgesetzbuchs als positiv bewerten. Als im vergangenen Jahr eine Debatte um das Thema Arbeitspflicht für Strafgefangene aufkam, habe ich für die SPD-Landtagsfraktion dem klar erklärten Vorhaben von Justizminister Poppenhäger zugestimmt, die Arbeitspflicht der Strafgefangenen als wichtiges Mittel zur Resozialisierung in Thüringen zu erhalten. Das haben wir am 20. April 2012 bereits in der Presse mitgeteilt.

In den Thüringer Justizvollzugsanstalten werden zurzeit schon für den überwiegenden Teil der Strafgefangenen verschiedene sehr gute und zertifizierte Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten vorgehalten. Das ist zum einen sehr gut für die persönliche Entwicklung der Gefangenen und dient andererseits auch der Entlastung der Staatskasse. Denken Sie beispielsweise an die Produktion von Kunststofftüren und -fenstern sowie die Bindung von Zeitschriften und Drucksachen in der JVA Hohenleuben oder die Fertigung von Haftraummöbeln wie Tischen, Schränken, Regalsystemen in der JVA Untermaßfeld, um nur drei kleinere Beispiele zu nennen. Durch den Verkauf hergestellter weiterer Produkte in Justizvollzugsanstalten werden auch die nicht kleinen Unterbringungskosten der Gefangenen teilweise gegenfinanziert und das halte ich durchaus für legitim und nichts Schlimmes.

Wer in einer Justizvollzugsanstalt allerdings als Strafgefangener arbeitet, soll auch entsprechend vergütet werden. Das im Gesetzbuchentwurf festgelegte komplexe Vergütungssystem mit Tarifstufen ermöglicht es, allen gerade genannten Zielen und Maßnahmen ganz individuell Rechnung zu tragen.

Neben der Arbeitspflicht für Strafgefangene wird immer wieder auch das Thema der Haftlockerungen kontrovers und von bestimmten Teilen hier im Parlament mit einer bestimmten Doppelmoral diskutiert. Die Debatten in der Strafvollzugskommission sind Zeugnis dieser Aussage. Klar ist aber, wenn es gelingen soll, Strafgefangene nach ein, zwei, fünf, zehn oder sogar mehr Jahren wieder in normale Lebensverhältnisse außerhalb von Gefängnismauern einzugliedern, muss man stufenweise damit beginnen und noch während der Haftzeit natürlich Besuche draußen ermöglichen, um soziale Kontakte besser als bisher zu erhalten und wiederherzustellen. Das muss auch bei sorgsamer Abwägung aller Gefahren und natürlich der gebotenen Sorgfalt bei der Wahl von Zeitpunkt und Intensität solcher Ausgänge, also in Begleitung oder allein, außerhalb einer JVA für eine ordentliche Sozialtherapie von einstigen Gewalttätern gelten. Die Mitglieder der Strafvollzugskommission haben bei ihren letzten Besuchen immer wieder zur Kenntnis nehmen müssen, dass es nur bei rund jedem zweiten Gefangenen vor seiner Haftentlassung Ausgänge allein oder in Begleitung von geschultem Personal gegeben hat, um eine Wohnung und eine Arbeitsbzw. Ausbildungsstelle organisieren zu können. Es muss möglich sein und sollte möglich gemacht werden, dass jeder, der innerhalb kurzer Zeit aus der Haft entlassen wird, die reale Möglichkeit hat, draußen Wohnung und Arbeit zu organisieren. Viele sind schon als Straftäter gebrandmarkt genug, um dies jetzt hier lediglich als einen Spaziergang abtun zu können. Das heißt im Umkehrschluss aber auch, wir als Politiker müssen die Kraft haben, Fehler Einzelner ohne Aufregung hinzunehmen und zu akzeptieren, dass es auch bei solchen Freigängen eine absolute Sicherheit der Bevölkerung niemals geben kann.

Die Erwartung, dass wir den Strafvollzug verbessern, haben aber nicht nur Häftlinge oder Gerichte, sondern vor allem auch die Strafvollzugsbeamtinnen und -beamten in den Thüringer Anstalten an uns. Wer zwei Monate vor seiner wirklichen Haftentlassung nach einem fünfjährigen Gefängnisaufenthalt bei einem genehmigten Ausgang entweicht und eine weitere neue Straftat begeht, dem wäre auch nach dem vollen Absitzen seiner Haftzeit nicht zu helfen. Ich finde es auch konsequent und begrüßenswert, dass infolge des nach dem Gesetz nunmehr bestehenden Systems von verbesserten Diagnoseverfahren, Arbeitspflicht, Motivierung, komplexem Vergütungssystem und Haftlockerung

das bisherige Überbrückungsgeld entfällt. Wem es nicht gelungen ist, vor der Haftentlassung alles für eine erfolgreiche Wiedereingliederung zu tun, Sozialkontakte aufrechtzuerhalten bzw. wiederherzustellen, mit ARGE und Wohnungsvermittlung Erfolge zu erzielen, der kommt auch mit ein paar wenigen Euro Überbrückungsgeld in der wiedererlangten Freiheit nicht weit. Eine vorsorgende Sozialstaatlichkeit ist deswegen besser als eine gering bezahlte Alleinverantwortlichkeit.

(Beifall SPD)

Da müssen wir einfach die Prioritäten und die Versorgungssysteme verschieben.

Lassen Sie mich an dieser Stelle auch noch einmal die Einzelunterbringung als ein wichtiges neues Qualitätsmerkmal des Gesetzbuchs ansprechen, § 18 Abs. 1 schreibt die Einzelunterbringung als Grundsatz vor. In der Übergangsbestimmung von § 143 Abs. 2 wird zugleich geregelt, dass nur noch bis zum Ablauf des 31.12.2024 eine gemeinschaftliche Unterbringung von mehr als zwei Gefangenen zulässig sein soll, eine relativ lange Frist, aber wie gesagt, wir sind ja auch noch im Verzug mit der Errichtung unseres neuen Vollzugsgebäudes.

Ich komme deswegen auch nicht umhin, mich an dieser Stelle noch einmal an Herrn Dette als Präsidenten des Landesrechnungshofs zu wenden. Herr Dette hatte zu Beginn dieses Jahres den geplanten Neubau der gemeinsamen Justizvollzugsanstalt der Freistaaten Sachsen und Thüringen kritisiert und letztlich als überflüssig angesehen. Mein Koalitionskollege Herr Scherer und ich, wir haben schon in der Pressemitteilung vom 25. Januar darauf hingewiesen, dass für die 1.800 derzeitigen Gefängnisinsassen in Thüringen gerade einmal 1.300 Haftzellen zur Verfügung stehen und damit oftmals eine Mehrfachbelegung und räumliche Enge besteht, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nur in Ausnahmefällen zulässig ist. Mit der dann wenigstens in zehn Jahren geltenden verbindlichen Einzelunterbringung wird dann endlich auch den Anforderungen des Europäischen Gerichtshofs zur Geltung verholfen. Deshalb und weil es in den bestehenden Altanstalten nachweisbar an Erweiterungsflächen für Hafträume, Arbeits- und Therapiemöglichkeiten fehlt, ist der Neubau der gemeinsamen Justizvollzugsanstalt nach wie vor unumgänglich. Von der baulichen und gestalterischen Grundqualität einer neuen Justizvollzugsanstalt werden auch positive Wirkungen ausgehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden im Rahmen der Behandlung im Justiz- und Verfassungsschutz sicher über das eine oder andere Detail im Gesetzbuch noch einmal beraten und hierbei auch insbesondere die Erfahrungen der Strafvollzugskommission mit einfließen lassen. Ich denke da beispielsweise an die Art und Weise, wie Be

scheide und Vollzugspläne in den Anstalten ausgegeben und aktenkundig gemacht werden.

Ich möchte an dieser Stelle noch erwähnen, dass das Land Brandenburg bei seinem im April verabschiedeten Justizvollzugsgesetz in sozialer Hinsicht zum Teil noch weitergehendere Regelungen gefunden hat, die mir auf den ersten Blick als Sozialdemokratin nicht unsympathisch sind. Aber bereits in der Kommission der zehn Bundesländer, die den Musterentwurf des Justizvollzugsgesetzes erarbeitet haben, wurde gerade jenes Vorpreschen als noch schwerer in der Praxis umsetzbar und finanzierbar erachtet. Trotzdem sollten wir das Ziel im Auge behalten.

Bei allen Reformanstrengungen dürfen wir natürlich die wichtigsten Partnerinnen und Partner für eine Umsetzung des neuen Justizvollzugsgesetzes bewusst nicht vergessen, das sind die Beamtinnen und Beamten und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Thüringer Justizvollzugsanstalten. Ohne sie, ihr Engagement und ihren Einsatz können wir die Verwirklichung der im Gesetz formulierten Ansprüche vergessen. Uns als sozialdemokratischer Fraktion ist bewusst, dass viele Beamte und Mitarbeiter sehr skeptisch sind wegen einer zeitnahen Realisierung der ehrgeizigen Ziele. Der Bund der Strafvollzugsbediensteten hat ganz zu Recht darauf hingewiesen, dass ohne zusätzliches Personal und zusätzliches Geld der Weg zu einem moderneren Strafvollzug in Thüringen nicht gegangen werden kann. Der Thüringer Landtag und der Finanzminister des Freistaats, wer auch immer das ab Ende 2014 sein wird, muss deswegen in den nächsten Landeshaushalt ab 2015 mehr Geld einstellen als bisher, um ausreichend Personal und geeignete Behandlungsmaßnahmen finanzieren zu können. Bis dahin geht die Forderung der SPDFraktion eindeutig in Richtung Finanzminister. Herr Dr. Voß sollte hier vorbereitend bereits erste Weichen stellen. Der zuständige Ausschuss sollte dies mit dem Finanzminister auch noch einmal debattieren.

Auch wir beantragen die Überweisung des Gesetzbuchentwurfs zur weiteren Beratung an den Justizund Verfassungsschutz. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

Vielen herzlichen Dank, Frau Marx. Als Nächste hat jetzt die Abgeordnete Sabine Berninger für die Fraktion DIE LINKE das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Frau Marx, ich hoffe, es war kein zweifacher freudscher Versprecher, dass Sie vom Justiz- und Verfassungsschutz gesprochen haben, wo Sie das Gesetz hinweisen wol

len. Ich möchte den Gesetzentwurf nicht zum Verfassungsschutz überweisen, aber sehr wohl an den Justiz- und Verfassungsausschuss, meine Damen und Herren.

Es ist schon von allen Vorrednerinnen angesprochen worden, wie es denn dazu kommen konnte, dass die Länder eigene Gesetzgebungskompetenzen im Strafvollzug bekommen haben, nämlich 2006 mit der Föderalismusreform I. Viele Fachleute, darunter auch die damalige Linkspartei.PDS, hatten diese Föderalismusreform dergestalt kritisiert, eben auch die Übertragung der Regelungskompetenzen im Justizvollzug auf die Länder. Es wurde beispielsweise durch die Deutsche Bischofskonferenz kritisiert, dass damit die Standards des Strafvollzugs in den Ländern erhebliche Unterschiede bekommen könnten. Der Kriminologe Pfeiffer sprach vom Wettbewerb - wer organisiert den billigsten Knast. Ausgehend davon wiederum kritisierten Richterinnen und Richter, dass damit die Vergleichbarkeit des Strafmaßes in den einzelnen Fällen der Strafzumessung nicht mehr gewährleistet sei, denn ein Strafmaß kann sich je nach Unterschiedlichkeit des Vollzugs in den Ländern in seinen Auswirkungen auf die betroffenen Gefangenen erheblich unterschiedlich darstellen. Nehmen wir die Frage der Lockerungen: Dass in den Thüringer Justizvollzugsanstalten damit restriktiver umgegangen wird als in anderen Ländern, ist in der öffentlichen Diskussion hierzulande mittlerweile durchaus bekannt und durch Antworten der Landesregierung auf Kleine Anfragen auch statistisch belegt.

Nun gäbe es für die Länder grundsätzlich eigentlich keinen Zwang, eigene Gesetze in diesem Bereich zu erlassen. Es ist auch möglich oder wäre möglich, das Strafvollzugsgesetz des Bundes weiter zu verwenden, es zu Landesrecht zu machen, um beispielsweise Aktualisierungen vornehmen zu können. Frau Marx, Sie haben recht mit dem, was Sie über den damaligen Minister Vogel gesagt haben das Strafvollzugsgesetz des Bundes war 1977 bei seinem Inkrafttreten bezüglich der Ausrichtung auf den Gesichtspunkt der Resozialisierung ein wirklich fortschrittliches Reformgesetz. Doch viele Länder wollten Eigenes, auch um die Fortentwicklung im wissenschaftlichen Diskurs zum Strafvollzug besser abbilden zu können. Allerdings gab es auch Länder, zum Beispiel Bayern und Baden-Württemberg, die wieder deutlicher zum sogenannten Sicherungsvollzug zurück wollten. Dass die Zersplitterung der Gesetzgebungskompetenz im Bereich Justizvollzug ein tatsächlich schwerwiegendes Problem sein könnte, ist nach der Föderalismusreform einigen Ländern auch durchaus bewusst geworden. Sie haben sich zu einer Arbeitsgruppe zusammengeschlossen, wie ebenfalls schon angesprochen wurde. Das Land Thüringen hatte daran federführend mitgewirkt. Auch an der Vorstellung des Musterentwurfs vom 23. August 2011 hat das Thürin

(Abg. Marx)

ger Justizministerium mitgewirkt. Und dann plötzlich der Ausstieg und die Ankündigung eines Justizvollzugsgesetzbuches, wo mir immer noch nicht klar ist, warum eigentlich. Welcher Druck hat da auf das Justizministerium gewirkt? Aus den Vorbemerkungen zum Gesetzentwurf im Punkt „C. Alternativen“ wird es nicht deutlich, warum man ein Justizvollzugsgesetzbuch plötzlich favorisiert hat. Die Einzelgesetze Jugendstrafvollzugsgesetz oder Untersuchungshaftvollzugsgesetz hätten mit ähnlichem Aufwand, wahrscheinlich sogar geringerem Aufwand, aktualisiert werden können, ohne dass man alle Vollzugsgesetzlichkeiten in ein Buch hätte fassen müssen. Herr Dr. Poppenhäger hat eben diesen Gesetzentwurf als einen Schritt zu einem moderneren und effektiveren Strafvollzug bezeichnet. Bei dem Wort effektiv würde ich zustimmen, bei dem Wort modern bin ich skeptisch. Als Sie den Gesetzentwurf im Sommer - ich glaube am 30. Juli 2013 ist es gewesen - der Öffentlichkeit vorgestellt haben, haben Sie ihn als „Werk von großer Güte und Brillanz“ bezeichnet. Das habe ich ganz oben links auf dem Zettel stehen, den ich damals für Notizen verwendet habe - und Sie haben von einer Chance der Vereinheitlichung und der Verschlankung gesprochen. Diese Vereinheitlichung geht aber ganz verfassungspraktisch nur bis zu einem gewissen Grad.

Beispielsweise hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Grundsatzurteil zum Jugendstrafvollzug die Eigenständigkeit und die Besonderheiten des Jugendstrafvollzugs betont und die kann man auch in einem derart zusammengefassten Werk nicht aufheben. Das wird auch nicht versucht, das will ich Ihnen auch gar nicht unterstellen. Mit dem Effekt aber, dass das vorliegende Justizvollzugsgesetzbuch - der Entwurf - weder vereinheitlicht noch verschlankt, sondern meines Erachtens eher vermischt und möglicherweise für die praktische Anwendung durcheinander bringt.

Praktikerinnen und auch Fachleute aus dem wissenschaftlichen Bereich des Strafvollzugs halten eine klarere übersichtlichere Strukturierung für sinnvoller. Folgerichtig wurde schon in der Anhörung zum Referentenentwurf deutliche Kritik geübt. Der Landesverband Thüringen im Bund der Strafvollzugsbediensteten hat geschrieben: „Weiterhin ist anzumerken, dass die Außerkraftsetzung des Jugendstrafvollzugsgesetzes und des Untersuchungshaftvollzugsgesetzes im Zusammenhang mit der Zusammenfassung zu einem Strafvollzugsgesetzbuch ausdrücklich nicht begrüßt wird.“

Das konnte man in der Stellungnahme nicht übersehen, „ausdrücklich nicht begrüßt“ war nämlich fettgedruckt und unterstrichen. Der Verband hat erneutes Zitat - „erhebliche Bedenken, inwieweit dieses Gesetzbuch durch die Bediensteten des Justizvollzugs in der täglichen Praxis anwendbar

ist.“ Diese Zweifel habe ich auch, sehr geehrte Damen und Herren.

Nun noch ein Blick auf die Inhalte des Gesetzentwurfs, zumindest auf einige Aspekte. Die inhaltlichen Maßstäbe der Linksfraktion orientieren sich auch für den Erwachsenenstrafvollzug eher an den hohen Resozialisierungsstandards, die beim Jugendstrafvollzug anzuwenden sind. Die Zustimmung der Fachleute in der Anhörung zum Jugendstrafvollzugsgesetzentwurf von 2007 zu diesen Vorschlägen bestärkt uns in dieser Auffassung.

Die Linke gesteht auch Menschen im Gefängnis und auch im Erwachsenenalter positives Änderungs-, Entwicklungs- und Lernpotenzial zu. Der Justizvollzug hat unseres Erachtens die Aufgabe, dieses Potenzial zu nutzen und zu fördern. Das ist ein Kerninhalt bzw. das Kernziel wirksamer Resozialisierung. Dazu müssen im Vollzug vom ersten Tag an entsprechende Angebote gemacht und Aktivitäten entfaltet werden zur Unterstützung der Gefangenen. Das alles muss aber in einer Form geschehen, die die Menschenwürde und die Selbstbestimmtheit und damit auch die Selbstverantwortung der Gefangenen respektiert.

Ausgehend von diesem Grundansatz tun sich Lücken und Fragen im Gesetzentwurf der Landesregierung auf. Zum Beispiel gibt es zwar mit § 11 eine Vorschrift zu sozialen Hilfen. Es findet sich aber kein Rechtsanspruch des Gefangenen auf solche Maßnahmen und Angebote. Angesichts der Informationen über jetzt schon nicht gedeckte Bedarfe und lange Wartelisten, zum Beispiel bei der Schuldnerberatung und Fragen zur zukünftigen finanziellen Absicherung, finden wir das hochproblematisch. Das wird auch nicht geheilt durch beispielsweise den § 50, in dem es um die Vorbereitung der Eingliederung geht.

In der Vorschrift des § 11 wie auch im gesamten Gesetzentwurf fehlt das Modell eines fest geknüpften sozialen Unterstützungsnetzes vom ersten Hafttag an für die gesamte Haftdauer und auch für die Übergangsphase nach der Haft. Dazu müsste eine Verpflichtung ins Gesetz zur kontinuierlichen Zusammenarbeit mit sozialen Trägern wie der Arbeitsagentur und dem Jobcenter und anderen sozialen Organisationen, zum Beispiel der Bewährungshilfe. Im § 12 sind zwar punktuell einige Dinge genannt, dies kann aber eine Regelung zur Schaffung eines solchen sozialen Netzes unseres Erachtens nicht ersetzen.

Dass gerade das sogenannte Entlass- und Übergangsmanagement in den Thüringer Justizvollzugsanstalten nicht sonderlich gut funktioniert, ist bei den Vorortbesuchen der Strafvollzugskommission in jüngster Zeit sehr deutlich geworden. So darf es eigentlich nicht sein, dass Gefangene trotz dringender Bitten wochenlang auf einen Termin bei der Schuldnerberatung warten müssen oder wichtige

Termine zum Abschluss eines Wohnungsmietvertrages trotz Antrags nicht wahrgenommen werden können, weil der Ausgang dazu verwehrt wird.

(Beifall DIE LINKE)

Überhaupt fällt auf, dass der Gesetzentwurf aus bestehenden Problemlagen im Thüringer Justizvollzug keine wirklichen Konsequenzen zu deren Lösung zieht. Qualitätsstandards oder konkrete Kriterien suchen wir in dem Gesetzentwurf, zum Beispiel in den Vollzugsgrundsätzen in § 7, vergeblich. Es scheint, dass das mangelhafte „Ist“ in den Thüringer Justizvollzugsanstalten die schnöde Blaupause für das „Soll“, die gesetzliche Regelung, abgibt, wohl auch noch geprägt durch finanzielle Zwänge. Tatsächliche Qualitätsentwicklung und -sicherung, meine Damen und Herren, sähe aber anders aus.

„Die ärztliche Versorgung ist sicherzustellen“, heißt es lapidar in § 110. Meine Damen und Herren, Gefangene haben Anspruch auf eine gleichwertige Behandlung, auch eine Facharztbehandlung wie in Freiheit. Vorkommnisse in der Vergangenheit in den Thüringer Justizvollzugsanstalten und immer noch offene Stellen, Stichwort Justizvollzugsanstalt Tonna, belegen hier bestehende Defizite. Zwar sieht § 73 einen Rechtsanspruch auf Behandlung vor, aber durch die Erwähnung des Wirtschaftlichkeitsprinzips in Absatz 1 gibt es wieder einen Hebel zur Aufweichung dieses Rechtsanspruchs. Das wirft ein wichtiges Schlaglicht auf ein anderes grundsätzliches Problem. Auch und vor allem wenn man sehr weitreichende Regelungen im Gesetz verankern will, müssen sie finanziell und personell durch das Land abgesichert werden. Die Linksfraktion unterstützt sehr, Herr Dr. Poppenhäger, das formulierte Ziel, Betreuungsund Resozialisierungsmaßnahmen von Beginn der Haft an umzusetzen bzw. so frühzeitig zu beginnen, dass sie während der Haftzeit abgeschlossen werden können. Insbesondere stimmt die Linke dem Ansinnen zu, angeordnete oder vorbehaltene Sicherungsverwahrung möglichst dadurch zu vermeiden, dass schon während des Strafvollzugs alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um die Gefährlichkeit des Verurteilten zu reduzieren, wie es das Bundesverfassungsgericht im Mai 2011 vorgegeben hat. Jedoch bleibt der Entwurf hinter diesen hehren Ansprüchen bisher weit zurück. Weder bei den konkreten Regelungen, zum Beispiel in § 25 zur Psychotherapie, noch bei der Kostenprognose, insbesondere zum Personalbedarf, ist zu erkennen, dass tatsächlich umgesetzt werden soll, was in § 2 als Ziel und in den Vorbemerkungen als Absicht formuliert ist.

Ich will mal ein paar Beispiele nennen. Auf Seite 7 zum Beispiel in den Vorbemerkungen steht: „Für diese Neuausrichtung der sozialtherapeutischen Abteilung in Tonna sind jedoch keine kleinen oder großen Baumaßnahmen geplant.“ Auf Seite 8 wird

beschrieben: „Mindestens drei Sozialarbeiter und drei Psychologen sind erforderlich, um der Zielsetzung dieses Gesetzes, der Steigerung der Qualität des Vollzugs im Bereich Behandlung, gerecht zu werden. Um dem erfolgten Ziel der Haushaltskonsolidierung zu genügen, wird auf eine Schaffung dieser zusätzlichen Stellen verzichtet.“ Nächstes Beispiel: „Die regelmäßige Fortschreibung des Vollzugsplanes kann im Einzelfall einen Mehraufwand zur Folge haben, der jedoch mit dem bereits vorhandenen Personal abgedeckt wird.“ Ich kann mir nicht vorstellen, dass das bereits vorhandene Personal freie Spitzen hat, um den Vollzugsplan jetzt neu regelmäßig fortzuschreiben, wie das in dem Gesetz steht und schon gar nicht innerhalb der regelmäßigen 6 Monate. Dann wird es wahrscheinlich so laufen, dass die Frist bis zu einem Jahr ausgereizt werden muss.

Ich hatte im Juli, nachdem Sie den Gesetzentwurf vorgestellt hatten und gesagt haben, der geht jetzt in die Anhörung und muss dann im Kabinett noch einmal behandelt werden, in der Pressemitteilung geschrieben, dass ich Ihnen die Daumen drücke, aber wenig Hoffnung habe, dass der Finanzminister ihn so passieren lassen wird. Er hat ihn nun so passieren lassen. Da war ich zuerst überrascht, am Ende aber nicht mehr, als ich es dann noch mal genau gelesen habe. Denn es sind so viele Bemerkungen drin, die sozusagen den Haushaltsvorbehalt im Gesetz verankert haben, dass ich glaube, es sind einfach Wünsche drin, wo aber im Gesetz selbst schon steht, im Moment können wir es aber sowieso nicht umsetzen. Das Land sollte in Sachen Resozialisierungsvollzug nicht sparen, denn die gesellschaftlichen Folgekosten, die dann entstehen würden, sind erheblich höher. Wohin überspitzter Sicherungsvollzug führt, kann in den USA und in deren Justizvollzug sehr anschaulich besichtigt werden.

Aber wir sollten in Sachen Resozialisierungsvollzug nicht so weit gehen, uns ein X für ein U vorzumachen, und das, glaube ich, passiert an zahlreichen Stellen in diesem Gesetz, zum Beispiel, um noch ein paar Beispiele zu nennen, bei dem standardisierten Diagnoseverfahren und der regelmäßigen Fortschreibung des Vollzugsplans, wie ich das eben schon gesagt habe, oder auch beim § 25 Psychotherapie -, der ist jetzt ein bisschen umgeändert in „Psychologische Interventionen und Psychotherapie“. Aber ich glaube, das ist ein Paragraph, der einfach nicht umsetzbar ist, denn wirkliche Psychotherapie dürfen nur approbierte psychologische Psychotherapeuten ausüben, aber Sie schreiben im Gesetzentwurf nur davon, dass drei Sozialarbeiter und drei neue Psychologen eingestellt werden müssten, aber Sie schreiben auch wieder, dass Sie die nicht einstellen werden, sondern den Bedarf durch andere Beschäftigte kompensieren werden. Das sind Dinge, da hoffe ich, dass wir in der Aus

schussberatung sehr detailliert dazu zu sprechen kommen und da auch mit Experten und Expertinnen, zum Beispiel der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer, die gerade diesen Aspekt sehr kritisiert hat, in den Dialog kommen werden.

Die Frage der Lockerung und die niedrige Thüringer Quote im Ländervergleich, die habe ich anfangs schon kurz angerissen. Da will ich noch einmal die Frage stellen: Warum steht bei den Lockerungen nicht, dass die gewährt werden sollen, sondern nur dürfen? Das hätte ich gerne in der Ausschussberatung beantwortet.

Aber ich will noch einmal ein bisschen auf den offenen Vollzug eingehen. Auch beim offenen Vollzug liegt die Thüringer Quote sehr niedrig, wie die Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage in der Drucksache 5/2668 belegt. Hier war bis 2010 die Entwicklung der Quote rückläufig auf zuletzt nur noch 3,2 Prozent. Das könnte sich ändern mit Inbetriebnahme der Jugendstrafanstalt in Arnstadt oder auch mit der gemeinsamen JVA mit Sachsen, obwohl da bisher nur 80 oder 90 Plätze im offenen Vollzug vorgesehen sind. Was ich kritisieren will, ist, dass in dem vorliegenden Gesetzentwurf gegenüber dem Strafvollzugsgesetz damit Rückschritte gemacht werden. So macht Punkt 3 in § 15 Abs. 1 deutlich, dass der offene Vollzug keinen Vorrang mehr haben soll vor dem geschlossen, und das finden wir unter Resozialisierungsgesichtspunkten sehr problematisch. Ein Indiz dafür ist auch die Begründung zu § 22, dort wird von gleichrangigen Vollzugsformen gesprochen. Deutlich wird diese faktische Umkehrung auch daran, dass die Regelungen des Gesetzentwurfs zwar einen Teil des § 10 Strafvollzugsgesetz des Bundes aufnehmen, nicht aber den Absatz 2 des § 10, der den Vorrang des offenen vor dem geschlossenen Vollzug deutlich macht.

Meine Zeit läuft ab. Es gäbe noch viele weitere inhaltliche Punkte zu besprechen, die es verdient hätten, aus diesem Gesetzentwurf angesprochen zu werden. Aber ich meine schon, die exemplarisch genannten Punkte belegen, dass dieser Gesetzentwurf sowohl strukturell als auch inhaltlich einer umfassenden Überarbeitung, zumindest einer vertieften Debatte im Ausschuss bedarf. Wir hoffen sehr wie wir schon einmal 2007 gute Erfahrungen gemacht haben zum Thema Jugendstrafvollzugsgesetz -, dass wir es im Ausschuss hinbekommen, eine öffentliche Anhörung zu dem Gesetzentwurf zu machen. Das wäre eine Bitte, die ich an die Ausschusskolleginnen und -kollegen haben würde. Wir meinen, der Gesetzentwurf hat das Potenzial zu einer guten öffentlichen Debatte zum Vollzug, und, wir meinen, dass die Kritikpunkte, die schon in der Regierungsanhörung angesprochen worden sind, zum Beispiel durch den TBB oder den Bund der Strafvollzugsbediensteten, es verdient haben, öffentlich diskutiert zu werden. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)