Protokoll der Sitzung vom 21.11.2013

(Beifall FDP)

Auch der Begriff „Standardabsenkung“, obgleich er in der Thüringer Politik gern und häufig verwendet wird, spielt nur eine Nebenrolle bei der vorliegenden Reform.

Mit Ihrer Regierungserklärung, Frau Ministerpräsidentin, sprechen Sie es an, die weitere Vereinfachung der IT-Landschaft. Aber wie sieht sie in Wirklichkeit aus? Statt Standardisierung wollen Sie beispielsweise bei der Thüringer Polizei eine Fall-Software einführen, die bisher kein anderes Bundesland nutzt und die zu anderen Bundesländern inkompatibel ist. Also schaffen wir für Thüringen wieder einmal eine Insellösung? Mir graut es bei der Vorstellung, wie teuer es wird, Schnittstellen mit den Programmen anderer Bundesländer zu entwickeln. Ich will an dieser Stelle ganz klar und deutlich sagen, ich freue mich, wenn solche Aufträge an Thüringer Unternehmen gehen, aber dann muss man sich natürlich trotzdem Gedanken machen,

wie die Kompatibilität mit anderen Bundesländern hergestellt werden kann.

(Beifall FDP)

Gerade in diesen Bereichen, meine Damen und Herren, sind die Bemühungen der Landesregierung bisher aber sehr überschaubar. Von Ergebnissen will ich gar nicht sprechen. Das von der IHK vorgestellte Gutachten zum Abbau von Standards bescheinigt den „Tiefschlaf der Landesregierung bei der Modernisierung Thüringens“ und spricht von einem Nichthandeln.

Die FDP-Landtagsfraktion hat einen Gesetzentwurf zur Standardreduzierung vorgelegt, mit dem den Kommunen ermöglicht werden sollte, neue Formen der Aufgabenerledigung zu erproben, um dann anwendbare, in der Praxis gefundene, erfolgreiche Verbesserungen auch landesweit umsetzen zu können. Nicht einmal im Ausschuss wollte die Koalition den Gesetzentwurf behandeln. Dass sich die SPD nun aber hinstellt und wegen einer fehlenden Gebietsreform herumjammert wie ein kleines Kind, dem man den Schokoriegel weggenommen hat, ist hinsichtlich der Vorschläge der SPD, die in das Reformkonzept eingeflossen sind, ein trauriges Schauspiel.

(Beifall FDP)

Sieht man das Konzept an, dann stellt man schnell fest, dass gerade in den SPD-geführten Häusern überhaupt nichts passiert, was nachhaltige strukturelle Veränderungen angeht. Und ich bleibe dabei, auch wenn Kollege Höhn mir gerade den Rücken zudreht. Das Wirtschaftsministerium spart bis 2020 gerade einmal 19 Stellen. Das ist natürlich leicht zu erklären, wenn man durch immer neue Zukunftsprojekte, Agenturen und Center-Doppelstrukturen immer neue Bürokratie und neue Stellen schafft. Dann wird es auch schwierig, von diesem hohen Aufbau wieder herunterzukommen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD, ein wirkliches, ein wirklich belastbares Konzept oder belastbare Zahlen haben Sie bisher nicht vorgelegt und werden Sie voraussichtlich auch nicht vorlegen können. Außer Spekulationen über thüringenuntaugliche Gemeindegrößen mit 10.000 Einwohnern und Kreisen mit 200.000 Einwohnern habe ich noch nichts gehört.

(Beifall FDP)

Und noch schlimmer: Bis heute haben Sie nicht anhand von Zahlen und Fakten unterlegen können, dass sich solche Sandkastenspiele lohnen würden.

(Beifall CDU)

Ich hätte fast Lust, das Thema auch noch ein bisschen auszuweiten, aber mit Blick auf die Uhr

erspare ich mir das jetzt. Es ist einfach so, Sie können die Forderung nach einer Gebietsreform nicht mit Zahlen und Fakten unterlegen.

Diejenigen, meine Damen und Herren, die ohne ernsthafte Überlegungen über Maßnahmen wie Aufgabenkritik, Aufgabenverzicht, Standardabbau, interkommunale Zusammenarbeit und Behördenkonzentration eine Gebietsreform als unerlässlich betrachten, kennen die Thüringer nicht, die wissen nicht, wie Thüringer ticken und was ihnen wichtig ist. Und den Menschen im Land ist die Verbundenheit mit ihrer Heimat eben doch ganz besonders wichtig. Der Thüringer braucht seinen Lebensraum, seine angestammte Umgebung, die ihm ans Herz gewachsen ist, in der er lebt und arbeitet, und er möchte dort auch mitbestimmen können.

(Beifall FDP)

Heimat ist deshalb keine Frage der Effizienz, Heimat ist eine Frage der Identifikation.

(Beifall FDP)

Wenn wir die demokratische Teilhabe und das bürgerschaftliche Engagement der Bürger in den Kommunen erhalten wollen, ist es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass das Land zuerst seine Hausaufgaben macht und dass wir die Kommunen bei freiwilligen Zusammenschlüssen unterstützen und ihnen Mittel an die Hand geben, um effizient ihre Aufgaben wahrzunehmen. Wenn wir das alles gemacht haben, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, werden wir keine Zwangsfusionen vom grünen Tisch her brauchen, um Thüringen zukunftsfest zu gestalten. Davon bin ich überzeugt, davon ist meine Fraktion überzeugt. Ich danke Ihnen.

(Beifall CDU, FDP)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Frau Abgeordnete Siegesmund das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Ministerpräsidentin, Klappern gehört zum Handwerk, Klappern allein und ein bisschen Inszenierung ersetzen aber noch keinen Inhalt und dieses dünne Reformpapier ist in der Tat nicht das Papier wert, auf dem es steht, denn

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und da hat der Kollege Höhn völlig recht - eine zukunftsfähige Struktur für Thüringen kann es nur geben, wenn Gebiets-, Funktional- und Verwaltungsreform zusammen gedacht werden. Dieses Reförmchen, was Sie uns hier unterschieben wollen, ist der Rede eigentlich nicht wert, wenn nicht der Ko

(Abg. Bergner)

alitionspartner SPD Öl ins Feuer gegossen hätte und der Vormittag jetzt doch noch spannend geworden ist. Da gibt es einen treffenden Satz eines Wissenschaftlers zur Frage, wie Politik sich inszeniert. Daran will ich Sie gern teilhaben lassen: „Symbolische Politik und ihre Inszenierung bezieht sich in erster Linie auf die öffentliche Repräsentation von Politik im dauernden Kampf um den Erwerb und um den Erhalt von Herrschaftspositionen.“ Frau Lieberknecht, wenn ich nicht wüsste, dass die CDU am Samstag ihren Parteitag hat und das eine oder andere auch für Sie dort vielleicht wichtig zu entscheiden ist, dann würde ich Ihnen jetzt sehr gerne doch die Frage stellen: Ist diesem Papier eigentlich auch ein gemeinsamer Kabinettsbeschluss in irgendeiner Form vorausgegangen, gibt es den und trägt die Koalition den gemeinsam, ja oder nein?

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

An den Kollegen Höhn richte ich die Frage: Regieren Sie eigentlich noch oder opponieren Sie schon?

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Endeffekt haben Sie an mehr als genug Stellen gerade Stoff gegeben, das ist zumindest mein Eindruck, dass Sie so viel Kritik haben, die wir im Übrigen an ganz vielen Stellen teilen, dass Sie gemeinsam als Koalition dieses Papier nicht teilen können.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist die fehlende Nachhaltigkeit, die Sie nicht nur dem Konzept nicht abringen können, die können wir auch Ihrer Regierung nicht abringen, und das seit vier Jahren nicht.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen ist dieser Vormittag für uns alle erhellend. Eigentlich hätten wir gleich die Debatte zu TOP 13 noch anhängen können, das hätte hier gut gepasst, zur Frage der Regierungs- und Handlungsfähigkeit dieser schwarz-roten Koalition.

Das ist, meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir uns das Papier dann angucken, das sogenannte Konzept - Konzept setzt ja immer Inhalt voraus -, dann weder eine kleine noch eine große noch die richtige Reform, sondern es ist nichts anderes als eine Inszenierung. Schwarz-Rot macht seit vier Jahren nichts anderes als aus einer Mücke einen Elefanten. Es ist erneut der Versuch, uns, den Menschen in Thüringen, dieser Koalition und der Opposition hier irgendetwas zu verkaufen, was nichts anderes als Fassade und Maskerade ist. Das wissen Sie, glaube ich, inzwischen auch selbst, dass Sie über mehr als Inszenierung nicht hinausgehen.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Geschminkt, sonst nichts.)

Diese Mogelpackung zeigt übrigens auch, dass Sie den Überblick über die Lage in Thüringen völlig verloren haben. Ich meine, was diskutieren wir denn gerade in diesem Land? Wir diskutieren, dass in manchen Kommunen denjenigen, die zum Handeln aufgefordert sind, das Wasser bis zum Hals steht, die sind nicht mehr handlungsfähig. Wir diskutieren, dass bestimmte Schulen sich vor Gericht ihr Recht einklagen müssen, Schülerinnen und Schüler unterrichten zu können, weil Sie die Mittel nicht bereitstellen, und wir diskutieren in einer Woche, in der den Hochschulen die Zukunft quasi durch die Finger rinnt, weil Sie nicht in der Lage sind, miteinander zu reden und vernünftige hochschulpolitische Konzepte auf den Weg zu bringen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist die Situation in Thüringen, meine sehr geehrten Damen und Herren, nicht Ihre inszenierte heile Welt und auch nicht Ihre Oppositionsrede, Herr Höhn, der ich in Inhalten wirklich viel zustimmen muss, ja, aber die Frage ist, welche Konsequenzen Sie daraus ziehen. Eine nette Rede, ein netter Appell, ich meine, damit machen wir seit vier Jahren hier Politik. Das hat Vor- und Nachteile. Wir haben es uns nicht ausgesucht, dass das jetzt die Rolle ist. Aber wenn man die Gelegenheit hat mitzugestalten, da erwarte ich auch, dass man das tut und den Politikauftrag nicht an die CDU abgibt. Das ist nämlich die Folge, die ich der Rede von Herrn Kollegen Höhn entnehme.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben ja völlig recht, Herr Höhn, wir brauchen dringend Reformen, dringend. Die Ministerpräsidentin hat auf die demografische Entwicklung des Landes hingewiesen, auf das Auslaufen des Solidarpakts, auf den Rückgang der EU-Förderung. Wie oft haben wir das hier schon diskutiert! Nicht nur einmal. Wir wissen, dass wir vor massiven Einnahmeverlusten stehen. Im Übrigen gibt es da unterschiedliche Zahlen, da müssen Sie sich einmal unterhalten. Herr Voß prognostizierte sogar noch ein bisschen düsterer als die Ministerpräsidentin. Hier gibt es einen kleinen Widerspruch, aber wir wollen uns jetzt hier nicht verhakeln; so eine halbe Milliarde am Ende mehr oder weniger 2020, da kommt es vielleicht auch nicht darauf an, Herr Gumprecht, so habe ich Ihre Rede vorhin verstanden, Politik für Enkel ist nicht das, was wichtig ist, nach uns die Sintflut; und das sieht man auch Ihren Zahlen an.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: So ein Tin- nef.)

Wir haben, meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Debatte ja heute auch nicht zum ersten Mal geführt. Hier sitzen Abgeordnete, Minister Carius zum Beispiel, Ministerin Taubert, Frau Doht, Frau Groß, viele andere, die in der Enquetekom

mission 2009 deutlich gemacht haben, Zitat aus dem Abschlussbericht: „Thüringen ist übermöbliert.“ Da haben Sie sozusagen alle viel daran gearbeitet, viele Wochen, viele Monate lang und haben sehr genau darauf hingewiesen, dass es einen Reformbedarf gibt. Allein das, was jetzt als Reformkonzept verkauft wird, ist einfach zu dünn, ist uns einfach zu wenig. Über das monatelange Gezerre um die Frage, wer eigentlich in der Expertenkommission sitzen darf und was am Ende damit passiert, über die zum Teil unterirdischen Debatten in der Stabsstelle will ich mich an dieser Stelle gar nicht mehr auslassen, das haben viele andere getan. Aber was nicht geht, meine sehr verehrten Damen und Herren der Koalition, meine sehr verehrten Damen und Herren der Landesregierung, ist, dass Sie uns einen bunten Mix aus alten Beschlusslagen, aus neuerlichen Absichtserklärungen und dem unfreiwilligen Eingeständnis des eigenen Unvermögens hier als Reform verkaufen. Das geht nicht!

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Um noch einmal auf den Satz zurückzukommen, der mir sehr gefallen hat: „Sie ist weder eine kleine Reform noch eine große Reform, sie ist die richtige Reform.“ Mir fiel dazu spontan ein: Das richtige Leben im falschen kann es nicht geben. Es kann also auch keine richtige Reform in der falschen Koalition geben.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und dass das nicht geht, sehr geehrter Herr Höhn, sehr geehrter Herr Mohring, das haben die Reden der beiden regierungstragenden Fraktionen heute gezeigt; die richtige Reform für Thüringen gibt es mit Schwarz-Rot nicht.

(Unruhe CDU)