Ich glaube, Sie sind nicht nur bildlich in dieser vergangenen Zeit verhaftet, sondern auch gedanklich. Damit können Sie die Herausforderungen dieses Landes nicht bewerkstelligen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir als LINKE haben schon immer gesagt, wir können nicht losgelöst die Struktur der Landkreise einfach mal so diskutieren oder der Gemeinde oder der Verwaltungsgemeinschaften, sondern wir müssen es im Komplex sehen, nämlich im Rahmen einer Funktional-, Verwaltungs- und Gebietsreform. Das Hauptproblem in unserem Land ist die Landesverwaltung,
nämlich die Dreigliedrigkeit der Landesverwaltung. Wir haben einen entdemokratisierten Raum, das sind die Mittelbehörden. Darauf hat keiner einen Zugriff, weder wir als Parlament noch die Bürger, und in Sie als Landesregierung haben sie kein Vertrauen. Sie haben den Zugriff, aber Sie instrumentalisieren diese Mittelbehörden ausschließlich politisch zum Machterhalt. Das muss durchbrochen werden. Wenn man sich überlegt, dass wir eine bürgernahe Verwaltung wollen, muss man überlegen, wie kommen wir hin zur Zweistufigkeit. Wenn man zur Zweistufigkeit will, muss man überlegen, was passiert mit den Aufgaben, die jetzt die Mittelbehörden wahrnehmen. Da gibt es zwei Konzepte: hoch zu den Ministerien oder runter zu den Kommunen. Wir sagen, wir wollen die Kommunen im föderalen System stärken und halten deshalb die Kommunalisierung dieser Aufgaben für geboten. Das geht aber nicht bei 17 Landkreisen und 6 kreisfreien Städten. Das haben alle Erfahrungen mit der Kommunalisierung im Bereich der Versorgungsämter und auch der Umweltämter gezeigt. Deshalb brauchen wir eine Diskussion zur sinnvollen Reform der Landkreise und nicht einfach, weil es um Größe geht. Herr Fiedler, wir wollen keine größeren Landkreise, wir wollen andere Landkreise.
Ich weiß nicht, ob Sie wissen, was das ist. 80 Prozent der Aufgaben der Landkreise sind im übertragenen Wirkungskreis. Da hat nicht einmal der Kreistag etwas zu sagen. Er hat nicht mal ein Informationsrecht. Das machen der Landrat, die Landrätin vollkommen allein. Die Landkreise sind zu weit weg. Wir brauchen ein Dialogverfahren mit den Bürgern. Das können wir am besten auf der gemeindlichen Ebene realisieren. Wir brauchen auch keine Kreisstadt mehr im klassischen Sinne. Wir wollen nicht, dass der Bürger zur Verwaltung rennen muss als Bittsteller, sondern wir wollen, dass sich die Verwaltung endlich aufmacht hin zum Bürger. Das realisieren wir über Bürgerbüros
Meine Damen und Herren, es gibt keine Identifikation mit den Landkreisen, es gibt nur eine, das ist das Kfz-Kennzeichen. Das hat sich irgendwann erledigt, denn auf europäischer Ebene wird ja zurzeit diskutiert, ob man diesen Unsinn, dass man bei jedem Umzug in einen anderen Landkreis oder eine kreisfreie Stadt ein neues Kfz-Kennzeichen beantragen muss. Die Sachsen haben sich jetzt davon verabschiedet, die haben ja ein Chaos bei den Kfz-Kennzeichen durch die zwei Reformen. Man kann sie nicht mehr identifizieren. Also wenn das Kfz-Kennzeichen noch das einzige Identifikationsmerkmal ist, na dann alle Achtung.
Aber ansonsten ist der Bürger mit seiner Gemeinde verwurzelt, mit seiner Region, aber niemals mit einem anonymen Landratsamt, das er im Wesentlichen nur als ordnungspolitische Behörde wahrnimmt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich verweise darauf, insbesondere an die Kollegen der FDP, die Wirtschaftsverbände wie die IHK fordern ganz bewusst eine Kreisgebietsreform. Zum Beispiel hat die IHK Westthüringen einen Westthüringer Landkreis vorgestellt, der unserem Modell sehr nahekommt. Eine letzte Anmerkung, meine sehr geehrten Damen und Herren: Wer immer noch glaubt, Demokratie hat etwas mit Entfernung zu tun, der muss einfach mal hinaus gehen. Ein Bürger kann neben dem Rathaus wohnen und das Rathaus ist für ihn vernagelt, da kommt er nicht hinein.
Andere können weit weg wohnen und trotzdem haben sie das Gefühl, dass Demokratie funktioniert. Demokratie hat etwas mit Strukturen und dem Willen zu tun, Bürger einzubeziehen. Das haben wir aber hier bei Ihnen bisher nicht erkannt, sondern Sie thematisieren und denken, Demokratie hat etwas mit Entfernung zu tun.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP. Ich möchte das einmal von einer ganz anderen Seite her andenken. Noch mal für das Thema als Diskussionspunkt in einer Aktuellen Stunde; ich halte das für äußerst fragwürdig. Sie haben gesagt, Ihr Thema heißt „Standpunkt der Landesregierung zum Erhalt der bestehenden effizienten, wirtschaftlichen und bürgernahen Landkreisstrukturen in Thüringen“. So durfte ich es der Tagesordnung entnehmen. Das heißt also nach Ihrer Formulierung, wenn ich das richtig übersetze, die bestehenden Landkreisstrukturen sind effizient, sie sind wirtschaftlich und sie sind bürgernah. Ich lese aus der Formulierung des Themas, so wie Sie es gewählt haben, für Sie sind die jetzt bestehenden Strukturen in Thüringen vollkommen in Ordnung.
Ja, ja, ich habe aber auch das Thema gelesen. Ich möchte dazu zwei Dinge sagen, Herr Barth. Erstens, nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass wir diese Auffassung, die Sie allein schon durch die Formulierung Ihres Themas gewählt haben, nicht voll umfänglich teilen. Die Position der SPD muss ich Ihnen nicht darlegen, sie ist Ihnen bekannt. Dazu ist in den letzten Tagen auch genug geschrieben und geredet worden. Und zweitens, das ist mir sehr wichtig, dieses Thema durchzuhecheln in 30 Minuten, das halte ich, wie gesagt, für sehr fragwürdig. Ich habe jetzt hier auf meiner Uhr auf der digitalen Anzeige, jeder der hier vorn stand, weiß das, da stehen bei mir schon 1 Minute 17.
Sie wissen genau, Herr Barth, wie eine Aktuelle Stunde abläuft, wie das mit dem Rederecht gestrickt ist. Und was passiert heute in diesem Hause, weil Sie diese Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt haben? Da werden Mikrofone abgeschaltet, Sie haben es eben gesagt, es wird immer wieder darauf hingewiesen, Ihre fünf Minuten sind bereits herum. Das ist so ein wichtiges Thema, Herr Barth, nehmen Sie es mir nicht übel.
Das ist verbunden mit sachlichen Abwägungen, mit Expertenmeinungen, mit Statistiken, mit Ableitungen dieser Zahlen auf der einen Seite, mit unglaublich vielen Emotionen, wie wir es hier im Landtag haben und auch in den Kommunen auf der anderen Seite. Das soll hier in einem Stakkato von fünf Minuten jeweils abgehandelt werden. Da ist mir der Tagesordnungspunkt 11 morgen - ich gehe mal davon aus, dass wir morgen noch dazu kommen, ich weiß nicht, wie die Tagesordnung dann gestrickt sein wird und wie schnell wir sind - wesentlich lieber. Dann wird es um genau dieses Thema mit Sicherheit noch einmal gehen, wenn wir dann auf die bestehenden Landkreisstrukturen zu sprechen kommen. Das ist mir dann wesentlich lieber, als das jetzt hier so durchzuhecheln, von jedem nur fünf Minuten. Das, finde ich, hat weder dieses Parlament noch die kommunale Seite verdient. Ich danke Ihnen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kuschel, Sie haben ja für Leben im Hohen Hause gesorgt mit einer Reihe von Äußerungen, die manchmal zwar wichtige Dinge berührt, aber dann doch nicht so richtig erfasst haben. Das Erste war die Kritik an der Ministerpräsidentin, was die historische Verwurzelung von politischen Strukturen angeht. Ich bin zwar Jurist und kein Sozialpsychologe, lieber Herr Kuschel, aber bei den Sozialpsychologen können Sie lernen, dass unser Unterbewusstsein, unsere kollektive Identität von dem bestimmt wird, was wir die letzten vier- bis fünfhundert Jahre erlebt haben.
Es gibt kluge Untersuchungen von Frau Mummendey an der Universität Jena etwa zu „Changing European Identityes“,
das empfehle ich Ihnen mal zur Lektüre, wo sie das im Einzelnen nachgearbeitet hat. Insofern ist die Frage, was waren die Strukturen Thüringens vor zwei-/dreihundert Jahren, durchaus ein Belang, aber natürlich nur ein Belang in der Frage, die von der FDP hier -
das ist übrigens noch nicht Mittelalter, da hat die Ministerpräsidentin auch recht; meines Erachtens hörte das 1492 auf, jedenfalls habe ich das in der Schule so gelernt -
in dem Zusammenhang thematisiert hat. Der zweite Belang ist: Was ist Demokratie? Die Demokratie hat im Kern, jedenfalls versteht es so unsere Verfassungsordnung, die Selbstbestimmung des Einzelnen zum Gegenstand, seine Möglichkeit, Einfluss nehmen zu können auf die politischen Strukturen. Da liegt es natürlich auf der Hand, dass, je näher sie dran sind, je kleinteiliger die Strukturen sind, sie umso besser Einfluss nehmen können. Aber es gibt natürlich auch gegenläufige Belange, wobei auch die Existenz von Mittelbehörden eine Rolle spielt. Es gibt einen langen Glaubenskrieg, jedenfalls in den letzten 60 Jahren, ob man Mittelbehörden braucht oder nicht. Herr Kuschel, undemokratisch sind die überhaupt nicht. Die Mittelbehörden haben nämlich den Zweck, den von Ihnen beschlossenen Parlamentssystemen in der Wirklichkeit zum Durchbruch zu verhelfen, und insofern füllen sie das Demokratieprinzip geradezu aus.
Zur FDP: Herr Barth, Sie meinen ja nicht ernsthaft, dass ich das Parlament hier bewusst im Unklaren gelassen habe, und dass der Umstand, dass der Innenminister Gespräche mit Beteiligten führt, um den Sachverhalt zu ermitteln, irgendetwas mit
einer Hintergehung des Parlaments oder Ähnlichem zu tun haben könnte. Nein, die Regierungsparteien CDU und SPD haben in der Koalitionsvereinbarung - die habe ich zwar nicht mit verhandelt, aber ich kenne sie - im Oktober 2009 festgelegt, dass durch unabhängige Gutachter geprüft wird, ob und in welchem Umfang und in welchem Zeitrahmen eine Funktional- und Gebietsreform zu Einsparungen und Effizienzgewinnen auf kommunaler Ebene und im Landeshaushalt führen kann. Denn es ist eine unabdingbare Voraussetzung, die notwendigen Grundlagen für eine sorgfältig vorzunehmende Abwägung zu ermitteln. Dabei sind oft widerstreitende Belange zu berücksichtigen und es ist meine Pflicht und Schuldigkeit, diese Belange zu ermitteln und auch mit den Betroffenen zu erörtern.
So wichtig es ist, die Wirtschaftlichkeit und Effizienz der Verwaltung zu gewährleisten, so bedeutsam ist es auf der anderen Seite auch, die Belange der kommunalen Selbstverwaltung und der Demokratie, Herr Kuschel, nicht aus dem Auge zu verlieren. Die kommunale Selbstverwaltung ist eine entscheidende Grundlage für das Engagement der Bürger in ihren eigenen Angelegenheiten. In diesem Zusammenhang hat sie unser Verfassungsgerichtshof zu Recht als Kern von Bürgernähe und Bürgerbeteiligung bezeichnet und deutlich gemacht, dass dieser kommunalen Selbstverwaltung gerade in den neuen Ländern eine besondere Bedeutung zukommt, weil sie erst mit der friedlichen Revolution wieder eingeführt worden ist.
An diesem Grundgedanken haben sich alle weiteren Überlegungen zu orientieren, selbst wenn die Herausforderungen, vor denen der Freistaat in den nächsten Jahren steht, groß sind. Das gilt für die Situation des Landeshaushalts, der in diesem Jahr nicht ohne Neuverschuldung auskommt. Außerdem wird es in Thüringen durch eine niedrige Geburtenrate und Wanderungsbewegungen voraussichtlich einen weiteren Bevölkerungsrückgang geben. Sie wissen, dass zwischen 1990 und dem Jahr 2008 etwa 332.000 Bürger Thüringen verlassen haben. Die Landesregierung stellt sich diesen Herausforderungen, aber dabei werden die Grundentscheidungen des Grundgesetzes und der Thüringer Verfassung für eine starke Selbstverwaltung im Blick behalten. Deshalb sei an dieser Stelle auch deutlich gesagt, dass eine vorschnelle Diskussion über generelle Änderungen der Kreisstrukturen keinem weiterhilft. Es sind alle relevanten Tatsachen zu ermitteln und nicht zuletzt mit den Ergebnissen der Enquetekommission, die sich in der letzten Legislaturperiode auch mit der Kreisgebietsreform beschäftigt hat, abzugleichen. Für diese Legislaturperiode sind die dafür zunächst notwendigen Untersuchungen vorgesehen; nicht mehr und nicht weniger. Das ist der Inhalt des Koalitionsvertrags. Sie werden verstehen, dass ich den Ergebnissen dieser Untersuchung, die bis zum Ende des Jahres in Auftrag gegeben wird, nicht vorgreifen kann. Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Minister. Für die Abgeordneten stehen noch drei Minuten zur Verfügung. Wünscht noch jemand das Wort? Bitte schön, Herr Abgeordneter.