Frau Präsidentin, vielen Dank. Um Spekulationen vorzubeugen, ich muss meine Tochter von der Schule einsammeln und nicht zum Friseur.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, vor allen Dingen liebe Gäste und junge Gäste auf der Zuschauertribüne, ja, es geht auch um euch, um die Auszubildenden, um die Jugend, um die Zukunft dieses Landes, indem wir uns hier unterhalten über den Fachkräftebedarf des Landes Thüringen in den nächsten gut zehn Jahren.
Sie haben es zitiert, das „blaue Wunder“ - ich denke mal, noch Ihres Vorgängers -, wundersame Dinge stehen da auch drin, muss ich sagen, auch das muss man bei der Gelegenheit mal sagen. Da hat sich hier einer viel Mühe gemacht, Statistiken auszulesen, aus bekannten Statistiken die 25. Statistik zu machen, aber in ganz entscheidenden Punkten ist es eben auch falsch. Zum Beispiel die Einwohnerzahl von Erfurt stimmt nicht. Wir haben jetzt schon 205.000, das muss mal gesagt werden, und hier wird im Jahre 2015 von 203.000 Einwohnern ausgegangen. Und wenn da so Kleinigkeiten falsch sind, dann fällt es mir auch sehr schwer, daran zu glauben, dass das wirklich aussagekräftig ist. Es ist ja auch weit in der Presse publiziert worden, dass wir einen Fachkräftebedarf von 280.000 Menschen bis zum Jahre 2025 haben, davon einen sogenannten Ersatzbedarf, also die Menschen, die in verdienter Weise in Altersrente gehen, das sind 210.000, die sollen alle ersetzt werden - das halte ich auch immer für ein bisschen diffizil, das einfach so hochzurechnen -, und einen sogenannten Erweiterungsbedarf von 70.000 Menschen.
Nein, die ist noch nicht mit berücksichtigt. Wir haben auch schon über den Bereich des öffentlichen Dienstes diskutiert, hier wird zum Beispiel über einen Ersatzbedarf von 22.000 Menschen nachgedacht. Herr Voß ist jetzt leider nicht da - ich hoffe, man hat an die Personalentwicklungskonzepte gedacht und auch an die Aufgabenkritiken, die wir an die Verwaltung herantragen müssen. Insofern hoffe ich, dass wir wirklich nur die notwendigen Stellen neu besetzen und nicht jede Stelle neu besetzen,
denn dann kommen wir nie aus den Zwängen heraus, die wir einfach in den Haushalten haben mit Personalbestand, der weit über die Maße hinausgeht, die andere Flächenländer haben.
Aber zurück zur Fachkräftesituation. Inzwischen beklagt jede dritte Firma, jedes dritte Unternehmen, insbesondere mittelständische Unternehmen, in Thüringen über akuten Fachkräftebedarf. Das geht bei den Auszubildenden los, die Ausbildungsstellen können heute schon nicht besetzt werden. Insofern ist die Statistik mit den auspendelnden Lehrlingen von 9.000 auf ca. 3.000 in diesen Jahren - gestern hat das schon mein Kollege gesagt, nicht alles, was ein Vergleich ist, hinkt oder nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich, wie auch immer. Wenn ich natürlich viel weniger Lehrlinge habe, können auch weniger auspendeln. Erfreulich ist die Zahl der Einpendler. Wichtig ist aber, dass diejenigen, die in Thüringen am Markt operieren, also die Firmen und Unternehmen, ihren Nachwuchs decken können mit jungen Leuten, mit gut ausgebildeten Leuten, die aus der Schule kommen. Da müssen wir jetzt leider mal wieder auf die Schulpolitik kommen, das ist das Bildungsressort meiner Kollegin Hitzing, sie hat es mehrfach an dieser Stelle gesagt, aber ich werde nicht müde, auch als Vater von sechs Kindern nicht, zu sagen, was an unseren Schulen los ist.
Wenn ich da sehr früh den jungen Menschen das Leistungsprinzip nicht beibringe, indem ich keine Schulnoten gebe, das Sitzenbleiben abschaffe und inzwischen diskutieren wir über Abschaffung von Schönschreibschrift etc. -, wenn ich da schon nicht in der Jugend mit Leistungsprinzipien arbeite, wird es den jungen Menschen im harten Leben, sprich nach der Schulzeit, sehr schwerfallen, sich darauf einzustellen.
Die Unternehmen haben längst damit aufgehört zu sagen, ich brauche fertig ausgebildete Lehrlinge bei Beginn des Ausbildungsjahrs. Leistungsdefizite, Wissensdefizite, die nehmen die Unternehmen in Kauf und bilden sie auch nach aus. Aber was ein Unternehmen nicht leisten kann, ist, wenn 15-, 16-jährige junge Menschen in das Unternehmen kommen und einfach keine Lust haben zu arbeiten, aus vielerlei Gründen, das will ich den jungen Menschen gar nicht vorwerfen. Aber wir haben immer wieder Klagen aus der Wirtschaft zu vernehmen, dass junge Menschen es gar nicht schaffen, einen kompletten Arbeitstag zu organisieren, geschweige denn Arbeitswochen. Die beginnen die Ausbildung, sind überfordert mit den Anforderungen des Lebens und brechen daraufhin ihre Lehre ab. Das sollte uns zu denken geben, dass diese Soft Skills von Ausbildung nicht mitgegeben worden sind und insofern viele Auszubildende scheitern und wir es da auch sehr, sehr schwer haben, sie in eine andere Ausbildung zu bringen. Da geht es nicht um die Frage Studium, diese Berufsbildung oder diese Berufsausbildung, es geht einfach darum, ob die jungen Menschen wirklich fähig sind, ihr Leben zu ge
stalten. Das sollte uns sehr große Mahnung sein, dass wir hier leider auf große Defizite treffen, Herr Prof. Merten.
Grundanliegen unseres Alternativantrags ist, einen Nachwuchsbereich in der Wirtschaft, in der gewerblichen Wirtschaft und im Handwerk zu schaffen, der uns in die Lage versetzt, dass die Unternehmen Menschen finden, die sich für ihren Beruf begeistern, Menschen finden, die sich dann für das Unternehmen begeistern und insofern auch eine Begeisterung haben oder die Motivation haben, in Thüringen zu bleiben, ihr Leben in Thüringen aufzubauen, zu gestalten und Familien zu gründen und insofern an der Zukunft dieses Freistaats mitzuwirken. Wir haben es schon gesagt, ein sehr sinnvolles Instrument ist, sehr früh in den Schulen, in den allgemeinbildenden Schulen bei der Berufsorientierung Hilfe zu leisten. „Berufsstart plus“ heißt das sehr erfolgreiche Programm, was gemeinsam mit den Kammern begonnen worden ist. Ich denke, da sind wir uns auch alle einig, das müssen wir aufbauen, um wirklich sehr früh den jungen Menschen nicht nur Berufsinhalte zu vermitteln, sondern auch Berufsalltag, denn an dieser Realitätsprüfung - ich denke wieder daran, ich habe es eben schon ausgeführt - scheitern sehr viele. Auf der anderen Seite - das erlebe ich auch bei meinen Kindern -, wenn dann Praktika nur gemacht werden, weil sie eben auf dem Plan stehen, und Kinder dann in Berufsbildungszentren geschickt werden, um da eine Woche Berufsbilder zu lernen, dann fehlt nämlich genau dieser Bezug, den ich gerade angesprochen habe, nämlich der Realitätsbezug. Man ist zwar da beschäftigt und dann bildet man auch Handwerksleistungen ab, aber was der berufliche Alltag in den Firmen, in den Unternehmen anbelangt, das kommt da zu kurz. Insofern kann man das intensivieren. Ich denke, Herr Höhn, mit Verlaub, Ihre sehr umfassende und erschöpfende Darstellung der Dinge war in vielen Bereichen sehr theoretisch
und erschöpfend auf jeden Fall. Wir sollten mehr mit und aus der Praxis Lehren ziehen und da kommen andere Sachen zum Tragen, als viele Gesetze, die sicherlich oftmals sehr gut gemeint sind, manchmal an der Realität vorbeigehen, deshalb auch manchmal schlecht gemacht sind, aber insbesondere fehlt in der Praxis die Umsetzung, die tatsächliche Praxisreife, Praxiserfolge. Insofern sind die Klagen von Handwerkskammern, von Industrieund Handelskammern und von vielen anderen Verbandssystemen an das Berufsschulsystem durchaus berechtigt.
An anderer Stelle sollte man auch ansetzen. Wenn Sie sich mit den Fachleuten unterhalten, die über Berufsbilder Auskunft geben, werden Sie immer wieder hören, dass die Berufsbilder inzwischen
auch einem sehr hohen Druck sind zur Modernisierung ausgesetzt. Wir erleben das in allen Bereichen. Das, was heute noch aktuell ist, ist morgen schon wieder alt, gerade in technischen Berufen, weil der technische Fortschritt eine Geschwindigkeit angenommen hat, die seinesgleichen sucht. Wenn wir ein Berufsbild aber heute modernisieren, dann dauert das teilweise zwei, drei Generationen von Auszubildenden, und wenn das modernisierte Berufsbild dann in der Schule ankommt, ist die Modernisierung schon wieder weiter fortgeschritten. Deshalb da eine schnellere Umsetzung von Modernisierungen herbeizuführen, wäre in unseren Augen sehr wichtig, damit auch da aus der Berufsschule praxisnähere, aktuellere Umsetzung oder Schulgegenstände zustande kommen, damit Schule und Betriebe mehr miteinander, mehr parallel auf das spätere Berufsleben vorbereiten können und nicht wie Unternehmen auch heute schon teilweise gezwungen sind - parallel zu Ausbildungsinhalten, die vorgeschrieben sind, ihre eigenen Inhalte noch mal hinzugeben, damit es modern bleibt und damit aber die jungen Leute natürlich vor weitaus höhere Aufgaben stellen, weil sie nicht nur den Berufsschulstoff lernen müssen und natürlich auch Prüfungen bestehen müssen, sondern daneben natürlich auch die Anforderungen des Unternehmens zu bedienen haben. Wir beklagen schon bei vielen jungen Leuten sehr hohe Stressfaktoren und die kommen durch solche Sachen, dass man teilweise von Jugendlichen hört, ich mache meine Ausbildung in der Berufsschule, damit ich dort die Prüfung bestehe, aber in meinem Beruf hilft mir das nicht weiter, dazu muss ich mich zusätzlich qualifizieren. Ich denke, das ist für den überwiegenden Teil 16- bis vielleicht 20-jähriger junger Menschen schon eine sehr große Überforderung.
Zu dem Thema Ticket: Sie haben es erklärt, was wir in den Gesetzen stehen haben, Sie haben uns erklärt, was alles für Probleme da sind, aber, sehr geehrter Wirtschaftsminister, nicht nur wir hier im Plenum, sondern die Menschen da draußen, die jungen Menschen oben auf der Tribüne erwarten von uns Lösungen. Wenn es die Universitäten in Thüringen schaffen, ein Semesterticket auf die Beine zu stellen,
dann müssen wir es als Politik, Sie als Wirtschaftsministerium oder Herr Carius als Ministerium für Verkehr auch auf die Reihe bekommen, ein solches Ticket zu generieren, wie kompliziert man das auch immer machen kann. Also wir reden von Thüringen immer noch von einer überschaubar großen Einheit und da sollte es doch wohl möglich sein, das hinzubekommen.
Herr Abgeordneter Kemmerich, Abgeordneter Dr. Hartung würde Ihnen gern eine Frage stellen. Gestatten Sie das?
Herr Kemmerich, ist Ihnen bewusst, dass das Semesterticket, was Sie angesprochen haben, keine Initiative der Hochschulen oder der Regierung ist, sondern eine Initiative der Studentenwerke, also mehr oder weniger eine private Initiative?
Darum geht es doch nicht, wessen Initiative das ist. Es geht darum, dass es klappt, und wenn es an der Stelle klappt, kann mir keiner erklären, dass es für Berufsschulteilnehmer nicht möglich sein sollte, wie auch immer. Ich will hier nicht Probleme hören, ich will nur Lösungen haben im Sinne der jungen Menschen, die auf das Ticket angewiesen sind. Nur darum geht es.
Meine Damen und Herren, ein letztes Augenmerk noch auf eine andere Debatte, weil es dazu passt, und zwar die Zuwanderungsdebatte. Wir haben die Freizügigkeit zum 01.01. wiederum ausgeweitet auf andere europäische Staaten. Wir haben das auch hier im Plenum schon mal diskutiert, als es um Freizügigkeit zum 01.01.2010 ging. Mancher Dämon wird da durch das Land getrieben, den wir nicht teilen. Wir möchten klar zum Ausdruck bringen, dass wir Liberalen erfreut sind über jeden, der nach Thüringen kommt und sich hier einbringt, in welcher Form auch immer. Das sollen wir den Leuten auch sagen, auch das ist ein Zeichen an die, die nach Thüringen wollen, und es ist ein Zeichen auch an die Unternehmen, die dringend auch aus diesem
Ich denke, da mehr Sachlichkeit in die Debatte hineinzubringen, wir haben auch noch eine Mündliche Anfrage zu dem Thema. Die Zahlen, mit denen gearbeitet wird, von Leuten, die nach Thüringen streben, sind leider weiß Gott nicht so groß als uns das immer vorgegaukelt wird. Ich denke, wenn wir da anders diskutieren, die Arme ausbreiten, die Leute wirklich willkommen heißen, dann würden wir viel mehr Leute in Thüringen begrüßen können. Das ist notwendig und wichtig. Insofern sollte es uns Mahnung sein, hier nicht falsche Debatten loszutreten.
Wir würden gern beide Anträge im Ausschuss für Wirtschaft diskutieren. Insofern befürworten wir eine Überweisung. Ich danke Ihnen.
Frau Präsidentin, meine verehrten Damen und Herren, verehrte Gäste, was Herr Kemmerich hier zur Ausschussüberweisung gesagt hat, will ich gleich auch für unsere Fraktion anführen. Ja, wir sind auch für eine Überweisung der Anträge an den Ausschuss für Wirtschaft, Technologie und Arbeit, aber ich möchte das erweitern. Wir halten auch für erforderlich - gerade weil Sie, Herr Kemmerich, diese Punkte angesprochen haben -, eine Überweisung an den Wissenschafts- und Bildungsausschuss mit vorzunehmen,
denn die Probleme tangieren beide Ministeriumsbereiche. Ihnen, Herr Minister, vielen Dank für die ausführliche und mit vielen Fakten gespickte Berichterstattung.
Ja, da stimme ich Ihnen voll zu. Dieses Thema, wir haben das hier schon ein bisschen länger auf der parlamentarischen Warteliste, wie das bei uns so üblich ist, aufgrund der Fülle von Arbeitsaufträgen für diesen Landtag, aber es ist eben immer ein aktuelles Thema, ein Thema, was uns aus verschiedenen Richtungen tangiert. Es hat sehr viel zu tun mit den Möglichkeiten, wie - mal von den wirtschaftlichen Zusammenhängen, auf die ich natürlich komme, abgesehen - insgesamt Menschen in diesem
Land und eben besonders auch junge Menschen ihre Zukunft gestalten können, wie sie in der Lage sind, hier ihren Lebensmittelpunkt zu erhalten oder, wenn wir das noch ein Stück weiterführen, auch das ist richtig, wie attraktiv Thüringen dafür ist, dass gegebenenfalls Menschen aus anderen Gegenden, Ländern usw. hier bei uns sich eine Lebensperspektive aufbauen können. Das fängt schon mit der Ausbildung an. Denn wer letzten Endes sein Leben planen will, der muss auch darüber nachdenken, wie es mit der Absicherung in existenzieller Hinsicht ist, wie also Ausbildung auch die Grundlage für ein gutes und stabiles Einkommen sein kann. Das ist die ganz persönliche Lebensperspektive. Da geht es darum, wie Familien gegründet werden können, wie das Zusammenleben in jedweder Form gestaltet werden kann, wie man sich für Kinder und wann man sich für Kinder entscheiden will in diesem Land. Insofern sind das wirklich keine Fragen, die nur kurzatmig bewertet und bearbeitet werden können. An dieser Stelle will ich daran erinnern, das Thema Fachkräftemangel gibt es in diesem Landtag mindestens seit 2004, ich gehe einmal davon aus, auch schon davor. Ich will auch nicht verhehlen, dass wir früher, als das Wirtschaftministerium parteipolitisch anders orientiert war, in diesen Jahren nach der Jahrtausendwende hier immer andere Ansagen gehört haben. Da haben wir nämlich immer gehört, Fachkräftemangel, das ist jetzt kein Thema, längerfristig sind wir vorbereitet, das ist alles eine Frage der wirtschaftlichen Entwicklung und darüber müssen wir nicht debattieren. Insofern will ich einmal sagen, Demografie, aber auch andere Ursachen der Probleme, die wir heute haben, sind nicht irgendwie über uns gekommen. Darauf hat Gesellschaft, hat Wissenschaft, hat auch ein Teil der Politik schon lange verwiesen.