Protokoll der Sitzung vom 20.03.2014

Auf der anderen Seite - das ist schon gesagt worden - bestand eine klare Einigkeit darüber, dass wir derzeit keine Veranlassung sehen, die Vereinbarung durch eine gesetzliche oder gar verfassungsrechtliche Regelung, wie in anderen deutschen Ländern erfolgt, zu ersetzen, denn die Landesregierung hat die bisherige Vereinbarung auch schon eingehalten und wir gehen davon aus, dass sie das in der Neufassung auch machen wird. Das ist eine freundliche Bitte, ein Auftrag, aber, wenn Sie so wollen, vielleicht auch eine Warnung für eine künftige Landesregierung; wir könnten dann auch anders. Aber jetzt, denken wir, sind wir mit der Vereinbarung gut gefahren.

Über den Erfahrungsbericht hinaus möchte ich für die Sozialdemokratische Fraktion noch einmal betonen, dass der 6. Thüringer Landtag im Herbst aber trotzdem, trotz aller guten Erfahrungen in unserem Ausschuss, die Frage beantworten müsste, ob ein eigenständiger Europaausschuss für sich gesehen

wirklich erforderlich und fruchtbringend ist. Wir haben eine konstruktive und gute Atmosphäre in unserem Ausschuss. Das ist Balsam im Gegensatz zu manchen Wunden, die in anderen Ausschüssen des Thüringer Landtags immer mal wieder geschlagen werden, aber ein kleiner Landtag wie wir, mit mehr als zehn ordentlichen Ausschüssen, ist schon eine enorme zeitliche Belastung, gerade auch für die kleineren Fraktionen.

Wichtig ist für uns, was ich auch noch einmal betonen will, das Subsidiaritätsverfahren ist und bleibt für uns Sozialdemokraten nur Möglichkeit der aktiven Mitbestimmung der Regionalparlamente. Beides kann die Forderung der Sozialdemokratischen Partei Europas nach stärkeren aktiven Mitentscheidungsrechten für das Europäische Parlament nicht ersetzen, auch wenn wir mit unserem Justizminister Dr. Holger Poppenhäger als Vorsitzendem der deutschen Delegation im Ausschuss der Regionen bereits heute eine zusätzliche wichtige Stimme in Europa haben. „Europa muss sich demokratisch neu finden, ohne Erreichtes zu verspielen“ sagte schon der Autor Raymond Walden.

Wir haben - ich habe es hier schon gesagt - eine Stärkung des europäischen Wissens und der Information darüber, was in diesem angeblich abstrakten Europa passiert, dass es eben gar nicht abstrakt ist. Deshalb qualifizieren wir uns damit selber und auch unsere Bürgerinnen und Bürger im Freistaat dazu, aktiv an europäischen Diskussionsprozessen teilzuhaben. Denken Sie einmal an Beispiele wie Regelung der Finanzmärkte, Finanztransaktionssteuer, aber auch Geschlechterquote in Aufsichtsräten oder das große Thema „Datenschutz“, das sind alles europäische Themen, die wir national und in Thüringen allein schon gar nicht regeln können und bei denen wir mitreden können und sollen. Bei der ganzen Einigkeit, die wir im Ausschuss haben, nämlich dass wir Europa bejahen, ist es auch gut, dass wir durch diese qualifizierte Information in die Lage versetzt werden, über europäische politische Themen auch konstruktiv, produktiv zu streiten. Ich glaube, es ist auch mal wichtig, jetzt im Europawahlkampf darauf hinzuweisen, dass wir nicht einfach nur sagen, ja, wir sind für Europa und dann gibt es eben andere Sammelsurien, Parteien, die dann sagen, wir sind einfach dagegen, warum geht das nicht, wir brauchen auch in Europa einen Wettstreit um die besten Ideen. Wenn ich jetzt gerade gelesen habe, dass es zwischen den europäischen Spitzenkandidaten unserer beiden großen Volksparteien, Martin Schulz und Jean-ClaudeJuncker, zum Beispiel auch ein Fernsehduell geben wird, dann finde ich das gut und dann schärft das auch den Blick darauf, was wir in Europa lösen können und müssen und wofür es durchaus auch bestimmte Gegensätze gibt, über die wir streiten können. Auf diesen Wettstreit freue mich, auch auf die weitere gute Zusammenarbeit im Europaausschuss

und ich freue mich auf die angekündigte und erwartete einstimmige Zustimmung zu unserer Beschlussempfehlung. Ich bedanke mich noch einmal bei allen Beteiligten.

(Beifall SPD)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Marx. Das Wort hat jetzt Herr Abgeordneter Kubitzki für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, den Letzten beißen bekanntlich immer die Hunde; was soll man an dieser Stelle jetzt noch viel sagen? Ich habe auch die Berichterstattung für den Ausschuss gemacht, aber vielleicht ist es mir erlaubt, dass ich auch noch ein paar persönliche Bemerkungen aus meiner Sicht hierzu beitragen kann. Ich bin erst - oder schon - seit 2005 hier im Thüringer Landtag und als ich damals nachrückte, war das Thema Europa frei. Ich habe damals das Thema Europa übernommen und hätte zum damaligen Zeitpunkt nie gedacht, wie sich dieses Thema, liebe Kolleginnen und Kollegen, hier in diesem Landtag entwickeln wird. Es ging unter anderem darum - da gab es auch schon in der damaligen Legislatur Erklärungen der Präsidenten der Landtage -, die Landtage europatauglicher zu machen. Ich konnte seit 2005 diesen Prozess begleiten und oft sind wir als Europapolitiker, egal, aus welcher Fraktion wir kamen, von unseren Kolleginnen und Kollegen auch belächelt worden und waren manchmal auch Exoten hier in diesem Haus, weil das Thema Europa damals nicht diese Rolle gespielt hat, wie das dann durch den Lissabon-Vertrag entstanden ist, als das Subsidiaritätsprinzip eingeführt wurde und damit auch das Frühwarnsystem. Wir waren als Landtag mit einem Schlag gezwungen, uns selbst europatauglich zu machen und darauf zu reagieren. Ich muss sagen, es war dann im Prinzip mit einem Lächeln über uns Europapolitiker vorbei, weil dann jeder hier im Haus mitbekommen hat, wie wichtig und wie sehr europapolitische Themen auch in das Geschehen unseres Landes bis in unsere Kommunen hineinragen. Ich muss aber trotzdem sagen, dass wir zu dieser Vereinbarung gekommen sind, das war vor allem auch das Wirken von vielen einzelnen Akteuren hier in diesem Haus, die eben den europäischen Gedanken in sich hatten, die sich als Europäer gefühlt haben. Deshalb sei es mir jetzt auch als Linker gestattet, da muss ich hier an dieser Stelle, auch an erster Stelle wirklich Gustav Bergemann nennen, der von Herzen Europäer ist,

(Beifall im Hause)

auch wenn wir manchmal unterschiedliche politische Ansichten haben, aber Gustav hat diesen Pro

zess mit vorangetragen. Ich kann mich noch erinnern, Gustav, du vielleicht auch, da lag der Landtag hier flach, als wir den Beschluss zu dieser Vereinbarung gefasst haben und ich habe dich in der Euphorie zum Mitglied meiner Partei gemacht - wie die anderen da gelacht haben.

(Heiterkeit CDU)

Das war aber auch der Grund, weil es uns hier in diesem Landtag gelungen war, fraktionsübergreifend etwas Gutes, etwas Positives für Europa zustande zu bringen und das hat uns im Prinzip an dieser Stelle geeint. Ich möchte aber auch sagen, das wäre auch nicht ohne Begleitung von Akteuren aus der Landesregierung geschehen. Da möchte ich hier Herrn Schöning als ersten Europaminister in dieser Legislatur nennen, der wirklich die Transparenz in diesen Landtag hereingetragen hat, was europapolitische Entscheidungen betraf. Ich möchte aber auch Marion Walsmann nennen, die die Arbeit fortgesetzt hat und eine sehr gute Zusammenarbeit mit dem Europaausschuss gemacht hat und uns informiert hat und sich auch an die Beschlüsse des Ausschusses gehalten hat. Ich kann mich an dieser Stelle auch bei Ihnen bedanken, Herr Gnauck, die Gespräche, die wir in der kurzen Zeit miteinander hatten, beweisen auch, Sie setzen dieses Werk fort. Das sollte auch eine Lehre sein für eine zukünftige Landesregierung und für einen zukünftigen Landtag. Wir brauchen dort an dieser Stelle wirklich eine Zusammenarbeit zwischen Landtag und der Landesregierung. Ich will jetzt nicht noch mal auf den Evaluierungsprozess eingehen, aber über eines sollten wir uns auch im Klaren sein, wir haben noch viele Aufgaben zu bestreiten und das, was uns zukünftig noch stärker gelingen muss, das, was wir im Europaausschuss machen, was wir europapolitisch hier im Landtag machen, nach außen zu tragen, es den Menschen deutlich zu machen. Wir haben das letzte Mal hier im Plenum über das Eurobarometer gesprochen, dass viele Menschen immer noch der Ansicht sind, Europa ist weit und sie verlangen, in Entscheidungen mehr einbezogen zu werden. Auch wir leisten einen Beitrag, dass die Thüringerinnen und Thüringer mehr in europapolitische Entscheidungen einbezogen sind. Weil ich gerade zur Regierungsbank schaue, ich muss auch Ihnen Dank sagen, Herr Justizminister Dr. Poppenhäger, dass Sie uns im Ausschuss immer über die Arbeit des Ausschusses der Region berichtet haben.

Ich möchte aber an dieser Stelle auch noch sagen, dass wir den Menschen draußen deutlich machen müssen, was wir hier im Landtag für Entscheidungen für sie getroffen haben.

(Zwischenruf Abg. Dr. Klaubert, DIE LINKE: Jetzt ist es aber mal gut mit Lob und Dank.)

Ich nenne jetzt nicht nur - Warum? Es ist wohl zu viel Dank? Gut, das kann ich auch lassen.

(Abg. Marx)

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Deine Par- tei hat Angst.)

Ja, das ist aber die Sache meiner Partei. Ich muss sagen, wir müssen das den Menschen deutlich machen. Gustav hat schon die Frage Trinkwasser genannt, wo wir eine eindeutige Entscheidung getroffen haben. Wir hatten aber auch eine Entscheidung zu treffen, die vielleicht lapidar erscheint. Die Europäische Union wollte die Fristen für den TÜV von Kfz, vor allem für ältere Kfz, verkürzen. Damit wären wieder die Leute auch in unserem Land getroffen worden, die sich nicht jedes Jahr ein neues Auto leisten können. Auch dazu haben wir Stellung bezogen.

Oder ich erinnere daran, wir hatten heute das Thema Sparkassen. Die EU wollte, dass unsere Sparkassen und Genossenschaftsbanken auch in den Risikofonds, in die Risikorücklage der Großbanken mit einzahlen. Dazu haben wir uns eindeutig positioniert. Das geht nicht. Unsere Sparkassen sind für den Mittelstand, für die Handwerker und für die Kleinsparer da und nicht dafür, die Zockerbanken zu unterstützen, die ihr Geld verzocken.

Konzessionsrichtlinie haben wir gedacht oder das, was wir gegenwärtig noch im Landtag offen haben, Änderung des Rettungsdienstgesetzes. Auch das Rettungsdienstgesetz steht ja eigentlich zur Debatte, weil es was mit europapolitischen Entscheidungen zu tun hat. Ich möchte aber auch an dieser Stelle an die Medien appellieren, gerade über diese Arbeit zu berichten, über solche Entscheidungen zu berichten und nicht nur immer die europäische Finanzkrise in den Mittelpunkt der Berichterstattung zu bringen.

Natürlich hatten wir als Europaausschussmitglieder auch manche Ernüchterung zu ertragen. Erste Ernüchterung, als wir uns erdreistet haben, als europapolitische Sprecher der Fraktionen in den Deutschen Bundestag zu fahren, in den Europaausschuss des Bundestags, um mal mit den Kolleginnen und Kollegen in Erfahrungsaustausch zu gehen, wie gehen wir denn nun mit der Subsidiarität um. Nach zwei Stunden mussten wir erfahren, es war eine schöne Fahrt nach Berlin, wir haben mal miteinander gesprochen, wir haben die Arbeit des Bundestagsausschusses für Europaangelegenheiten kennengelernt. Aber was wir auch kennenlernen mussten, war, die Kolleginnen und Kollegen wussten gar nicht so richtig, von was wir hier sprechen, was wir hier im Thüringer Landtag machen. Ich glaube, das ist eine ganz große Reserve, die wir noch angehen müssen.

Wir mussten natürlich auch feststellen, dass Thüringen nicht der Nabel von Europa ist. Unsere Brüssel-Besuche und Gespräche mit der Kommission oder mit Abgeordneten im Europäischen Parlament haben natürlich auch deutlich gemacht, dass manche Entscheidungen, die wir hier im Landtag tref

fen, gar nicht bei denen ankommen. Wir haben auch Schlussfolgerungen gezogen, indem wir unsere Beschlüsse, die wir im Europaausschuss fassen, jetzt auch an die Kommission schicken.

Noch zwei letzte Bemerkungen möchte ich machen, vielleicht für die Zukunft: Ich konnte ja unseren Landtag und unseren Europaausschuss bei der 6. Subsidiaritätskonferenz des Ausschusses der Regionen im vorigen Jahr im Dezember in Berlin vertreten. Dort konnte ich auch ein Gespräch führen mit dem Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments, mit Rainer Wieland, mit dem wir auch schon ein Zusammentreffen hatten, als wir als Ausschuss in Brüssel waren. Er hat einen Satz geprägt, den sollten wir uns für die Zukunft merken, deshalb auch die Evaluierung unserer Vereinbarung und deshalb auch die Frage mit den Grünbüchern usw. Er sagte dort: „Statt Frühwarnung - muss frühe Wahrnehmung das Arbeitsprinzip von uns sein.“ Statt Frühwarnung frühe Wahrnehmung. Das heißt also, wir müssen dort aktiv werden, wo wir noch Einfluss nehmen können. Das ist eben in dieser Phase so, was jetzt in der Vereinbarung ändern wollen, nicht, wenn die Richtlinien schon da sind, da ist es meistens schon zu spät, sondern dass wir schon im Vorfeld eingreifen. Diese frühe Wahrnehmung bedeutet natürlich auch für die Landesregierung, dass die Thüringenvertretung in Brüssel in der Beziehung in diesen Informationsprozess noch stärker eingespannt werden muss.

Wieland sprach auch davon, dass es stärker zu einer Vernetzung zwischen den einzelnen Landesparlamenten - also bei uns Vernetzung zwischen Bundestag und den Landtagen - kommen muss.

Abschließend haben die Teilnehmer dieser Konferenz zwei Forderungen aufgemacht, was vor allem für den zukünftigen Landtag sowohl für die Landesregierung als auch für uns als Landtag eine Rolle spielen sollte. Die eine Forderung ist die nach der Bedeutung der europaweiten Vernetzung von nationalen und regionalen Parlamenten. Dazu wird der Minister dann vielleicht was sagen, was auch die Internetvernetzung und dergleichen betrifft. Aber das müssen wir gerade im Vorfeld der Erarbeitung von Gesetzesgrundlagen im Europäischen Parlament machen.

Dann regte die Konferenz eine Verlängerung der Frist zur Einlegung von Subsidiaritätsrügen auf mindestens 12 Wochen an. Das wurde dort angeregt, denn wir stellen fest, diese 8-Wochen-Frist ist ein ganz schöner Brocken und ist für unsere Arbeit oft hart und kaum zu realisieren, vor allem weil wir ja auch die Fachausschüsse einbringen wollen.

Eines sei an dieser Stelle noch erwähnt, ich möchte noch mal auf Frau Marx reagieren. Ich glaube, der Erfolg dieser Geschichte ist gerade darin begründet, weil der Thüringer Landtag einen Europaausschuss als eigenständigen Ausschuss beschlossen

hat. Erstens hat der Landtag damit ein Zeichen gesetzt, welche Bedeutung er der Europapolitik beimisst, wie wichtig Europapolitik auch für Thüringen ist und wie Thüringen da mit einbezogen werden muss und mitarbeiten muss. Da ist es meiner Meinung nach richtig, dass es einen eigenständigen Ausschuss gibt, weil auch entsprechend der Änderungen der Geschäftsordnung, die wir ja vorgenommen haben, der Ausschuss nicht nur ein Beratungsorgan ist, ist er auch ein beschließender Ausschuss im Auftrag des Landtags, wenn das der Landtag akzeptiert, und vor allem, er ist auch ein Ausschuss, der zwischen den Fachausschüssen des Thüringer Landtags koordiniert. Den Ausschuss Europa in einen anderen Ausschuss einfassen, wäre aus meiner persönlichen Sicht ein Rückschritt und wäre der Bedeutung, die weiter auf uns als Landtag zukommt oder eines zukünftigen Landtags für Europa, wirklich abträglich. Da kann ich nur persönlich empfehlen, mit solchen Gedanken gar nicht erst zu spielen. Natürlich ist es unbenommen, ein neuer Landtag entscheidet neu, das mag sein, aber was sich bewährt hat, was gut war, das sollte man nicht wieder abbauen. Danke schön.

(Beifall DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Abgeordnete Kubitzki. Das Wort hat jetzt Herr Minister Gnauck.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Beiträge aller Vorredner und aus allen Fraktionen machen deutlich, vielleicht auch im Vergleich zu gestern,

(Zwischenruf Abg. Koppe, FDP: Was war denn gestern?)

es gibt erfreulicherweise auch immer wieder Sternstunden des Parlamentarismus, die ohne großes „Getöse“ aufziehen, sondern leise und fast unbemerkt daherkommen.

(Zwischenruf Abg. Huster, DIE LINKE: So hätten Sie es gern.)

Unsere heutige Befassung mit der Vereinbarung über die Unterrichtung und die Beteiligung des Landtags in Angelegenheiten der Europäischen Union ist eine solche Sternstunde. Nicht, weil wir heute einen der seltenen Momente politischer Einmütigkeit in diesem Hohen Hause erleben, auch wenn das alleine schon erfreulich ist. Das Besondere an dem heutigen Tag zeigt sich in unserem Rückblick auf eine Legislaturperiode, die zukünftig für die europapolitische Neuausrichtung des parlamentarischen Alltags hier in Thüringen stehen wird. Seit der Unterzeichnung der mehrfach angespro

chenen Vereinbarung am 11. Mai 2011 hat Europa deutlich an politischem Gewicht im Thüringer Landtag gewonnen. In dieser Bewertung, das zeigen alle Beiträge, sind sich alle Fraktionen und selbstverständlich auch die Landesregierung einig. Der Stand ist so: Die Abgeordneten sind besser über aktuelle EU-Entwicklungen informiert, die angesprochenen europapolitischen Diskussionen finden eben nicht nur mehr im Europaausschuss statt, sondern auch in den Fachausschüssen. Der europapolitische Austausch mit der Landesregierung hat sich deutlich intensiviert und zugenommen und der Thüringer Landtag, auch das klang im letzten Redebeitrag noch einmal an, mischt aktiv bei Fragen der Abgrenzung europäischer, nationaler und regionaler Kompetenzen mit. Diese Entwicklung haben wir einem Vertrag zu verdanken, der einen durchaus schweren Start hatte und zwischenzeitlich Europa parlamentarischen Schwung verleiht. Davon profitieren nicht nur das Europäische Parlament, sondern vor allem auch die nationalen Parlamente. Erst mit dem bereits mehrfach angesprochenen Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 sind die nationalen Parlamente als Akteure in das politisch administrative System der Europäischen Union einbezogen worden. Sie sind nunmehr Teil des Subsidiaritätsfrühwarnsystems und können in diesen Verfahren auch die regionalen Parlamente mit Gesetzgebungsbefugnissen konsultieren. Es sind genau diese rechtlichen Vorgaben, die zur Unterzeichnung der angesprochenen Vereinbarung im Mai 2011 und zu der im zweiten Teil der Vereinbarung geregelten Beteiligung des Landtags am Subsidiaritätsfrühwarnsystem geführt haben. Der Vertrag von Lissabon hat in der Praxis eine wichtige Verbindung zwischen Landtag und Europäischer Kommission hergestellt. Es ist wichtig, dass wir unsere Erfahrung mit der Vereinbarung in diesem Kontext sehen. Denn die Umsetzung des Vertrags von Lissabon ist mit einem Lernprozess für die EU verbunden, für die nationalen Parlamente und für uns Länder. Auf all diesen Ebenen wurde in den vergangenen Monaten Bilanz gezogen, um aus den ersten Erfahrungen Schlüsse für die Zukunft zu ziehen. So hat die Europäische Kommission in ihrem Jahresbericht 2012 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit erstmals festgehalten, dass diese Grundsätze im EU-Rechtsetzungsverfahren deutlich mehr Aufmerksamkeit erfahren haben als in der Vergangenheit. Sie hat außerdem erstmalig die Schwierigkeiten im Umgang mit den Subsidiaritätsrügen der nationalen Parlamente angesprochen, die sich in ihrer Form und in der Begründung eines Subsidiaritätsverstoßes erheblich unterscheiden. Die Kommission hat bislang alle eingegangenen Rügen auch als Rügen gezählt, was wichtig ist für das Erreichen des benötigten Quorums. Sie hat sich aber in der inhaltlichen Auseinandersetzung mit diesen Rügen nur mit der Fra

(Abg. Kubitzki)

ge der Einhaltung der Subsidiarität im engeren Sinne befasst und die Frage der Verhältnismäßigkeit leider außen vor gelassen. Es fehlt somit auf EUEbene ein Konsens, wann eine Subsidiaritätsrüge gerechtfertigt ist und es stellt sich die Frage, ob hier Leitlinien der Kommission hilfreich sein können. Bislang wurde lediglich in zwei Fällen das für eine sogenannte „Gelbe Karte“ notwendige Quorum von einem Drittel der Gesamtstimmenzahl der nationalen Parlamente erreicht. Die bisherigen Erfahrungen zeigen also, dass die vom Lissabon-Vertrag vorgegebenen Quoren schwer zu erzielen sind. Dies hat bei den nationalen Parlamenten zu der Erkenntnis geführt, dass eine optimale Nutzung des Instruments der Subsidiaritätsrüge einer Konzentration auf politisch wesentliche Vorhaben und einer engeren Koordinierung zwischen den nationalen Parlamenten bedarf. Die Landesregierung hat in ihrem Bericht vom 16. Juli 2013 auf diese Entwicklung hingewiesen und beispielsweise Ansätze zur Stärkung der Abstimmung zwischen Bundesrat und Bundestag sowie zwischen den nationalen Parlamenten dargelegt. Insofern begrüße ich ausdrücklich die Empfehlung des Landtags, über eine Intensivierung des interregionalen Austausches des Freistaats im Rahmen der bestehenden Institutionen und Verfahren die regionalen Interessen mit Blick auf die Umsetzung des Vertrags von Lissabon zu stärken. Auch die Erfahrungen des Europaausschusses des Thüringer Landtags mit der Vereinbarung und dem Subsidiaritätsfrühwarnmechanismus standen im Zeichen eines Lernprozesses. Organisatorische, prozessuale und technische Anpassungen waren notwendig. Die Stellungnahmen der Fraktionen zeigen aber auch, dass für den Europaausschuss immer wieder die Abgrenzung von reinen Subsidiaritätsfragen mit der politischen Beurteilung eines Vorhabens wahrlich eine Herausforderung darstellt. Diskussionen, wie beispielsweise über die Europäische Staatsanwaltschaft und über die Legislativvorschläge zur Bewältigung der Bankenkrise, zeigen deutlich das Bedürfnis, die politische Diskussion nicht auf reine Subsidiaritätserwägungen zu beschränken. Die Bitte, künftig verstärkt über die Entwicklungen im prälegislativen Bereich informiert zu werden, ist verständlich und nachvollziehbar. Mit der Bewertung des jährlichen Arbeitsprogramms der Kommission wurden die Rechtsetzungsvorhaben der Kommission bereits in der Vergangenheit vorgestellt. Gern wird die Landesregierung zukünftig auch über für Thüringen bedeutsame Mitteilungen sowie über Weiß- und Grünbücher berichten. Ausweiten wollen wir unsere Informationspraxis aber nicht nur auf die Vorfeldarbeit auf EU-Ebene, sondern auch auf das Nachfeld der Bundesratsbefassung. Bislang informiert die Landesregierung den EU-Ausschuss im „Bericht aus dem Bundesrat“ über die Auswirkungen von Stellungnahmen des Landtags auf die Beschlussfassung der Landesregierung sowie über die Stellung

nahmen des Bundesrats. In diesem Bericht wird immer wieder darauf eingegangen, ob Subsidiaritätsbedenken des Landtags aufgegriffen wurden. Wie auch im Erfahrungsbericht des Landtags festgehalten, war dies bislang stets der Fall. Neben dem „Bericht aus dem Bundesrat“ werden wir zukünftig einen „Bericht aus Brüssel“ geben, in dem über die Ergebnisse der Rechtsetzungsverfahren zu den im Europaausschuss beratenen Frühwarndokumenten auf EU-Ebene unterrichtet wird. Gern kommen wir auch der Bitte nach, zu allen zur Beratung im Europaausschuss vorgesehenen Frühwarndokumenten Informationsblätter der Landesregierung zu erstellen. Für die Landesregierung hat sich die Abstimmung zu den Frühwarndokumenten als wichtiges Instrument erwiesen, noch vor der Bundesratsbefassung einen Austausch über EU-Dokumente zu führen. Auch die Europafähigkeit der Landesregierung profitiert somit von der Vereinbarung. Stellungnahmen des Landtags erweitern zudem die Beurteilungsgrundlage der Landesregierung und ermöglichen so noch wirkungsvolleres Handeln für Thüringer Interessen.

Selbstverständlich werde ich auch - wie es schon angesprochen war - noch einige Ausführungen zu EUDISYS machen. Nachvollziehbar ist auch der Wunsch des Landtags, Zugang zum Bundesratsinformationssystem über EU-Rechtsetzungsverfahren, EUDISYS, zu erhalten. Dieser Zugang liegt leider nicht in der Entscheidungshoheit der Landesregierung. Bund und Länder haben für die überwiegende Mehrheit der von der Bundesregierung eingestellten Dokumente den zugangsberechtigten Kreis in einer Vereinbarung eingegrenzt. Diese versperrt zum jetzigen Zeitpunkt den Zugriff der Landtage zu allen in EUDISYS abrufbaren Dokumenten. Eine Änderung dieser Praxis bedarf daher einer gemeinsamen Position aller Länder sowie der Herstellung des Einvernehmens mit dem Bund. Die Länder haben sich im vergangenen Jahr auch auf Drängen Thüringens sowohl auf Ebene der Europaministerkonferenz als auch des Ständigen Beirats des Bundesrates mehrfach mit der Thematik befasst. Inzwischen gab es in den vergangenen Monaten einen Austausch zwischen dem Vorsitzenden des Bundesrats-Europaausschusses, dem baden-württembergischen Minister für Bundesrat, Europa und internationale Angelegenheiten, Peter Friedrich, und dem Präsidenten der Konferenz der Landtagsdirektoren, Hubert Wicker, über Möglichkeiten einer Öffnung der Datenbank. Über die Schlussfolgerungen aus diesem Austausch wird derzeit im Länderkreis beraten. Ich bitte daher um Verständnis, dass ich zum jetzigen Zeitpunkt zu Ziffer IV.2 Ihres Beschlusses keine einseitige Zusicherung geben kann und darf. Ich versichere Ihnen aber, dass die Landesregierung auch weiterhin an einer für alle Seiten praktikablen Lösung interessiert ist und dafür eintreten wird.

(Minister Gnauck)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich freue mich sehr, dass seitens aller beteiligten Fraktionen, der Landtagsverwaltung und der Landesregierung eine deutlich positive Bilanz aus der ersten Überprüfung unserer Vereinbarung gezogen wurde. Thüringen hat mit seiner Vereinbarung im Jahr 2011 - auch das klang bereits an - in mancherlei Hinsicht Neuland betreten und uns allen war klar, dass es einen Lernprozess geben muss, damit die Vereinbarung von allen Seiten mit Leben erfüllt wird. Dieser Lernprozess war - das zeigt die heutige Debatte - unter dem Strich mehr als erfolgreich. Auch nach zwei Jahren gilt Thüringen als vorbildlich, ich kann das nur noch einmal bekräftigen. In der Beteiligung mit dem Landtag können sich viele andere von uns eine Scheibe abschneiden. Deswegen begrüße ich es auch, dass zum jetzigen Zeitpunkt keine Veranlassung seitens des Landtags gesehen wird, tiefgreifende Änderungen am Inhalt oder der Regelungsgrundlage der Vereinbarung vorzunehmen. Ich werde noch in diesem Monat dem Kabinett die seitens des Landtags erbetenen Anpassungen vorlegen und bin zuversichtlich, dass wir noch vor den Europawahlen die neue Vereinbarung werden unterzeichnen können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Mai 2011 hat uns alle das Ziel geeint, den EU-Angelegenheiten in der parlamentarischen Arbeit mehr Raum zu geben. Die über die Jahre gewachsenen Kompetenzen der EU bedürfen einer parlamentarischen Rückkopplung und Kontrolle. Gleichzeitig braucht Europa die politische Diskussion über seine Zukunft, und zwar auf allen parlamentarischen Ebenen. Wenn Europa zunehmend den Alltag der Bürgerinnen und Bürger beeinflusst, angefangen von den Vorschriften für Überweisungen über die Bankenregelung bis hin zur Absicherung des Euros, dann muss Europa auch im politischen Alltag des Landes stattfinden. Mit der Vereinbarung haben wir Europa quasi von der Hinterbank in die vordere Reihe unseres Parlaments gehoben. Jetzt würde ich mir wünschen, dass ihm von Zeit zu Zeit mehrfach auch hier ein Logenplatz überlassen wird. Europa braucht die Öffentlichkeit und deswegen auch regelmäßig einen Aufruf hier in der Tagesordnung des Plenums an prominenter Stelle.

„Europa parlamentarisch stärken“, diesem Ziel sind wir ein gutes Stück näher gekommen. Mit der neuen Vereinbarung werden wir auch dank der einhelligen Unterstützung der Anpassungen durch alle Fraktionen die Maßstäbe für die Thüringer Europapolitik in der kommenden Legislaturperiode setzen. Ich danke Ihnen für die erfolgreiche Zusammenarbeit und werde auch im Lichte der Diskussionsbeiträge von vorhin auch zukünftig meinen Teil dazu beitragen, dass das so bleibt. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU)

Vielen Dank, Herr Minister Gnauck. Ich sehe jetzt keine weiteren Wortmeldungen. Dann kommen wir zur Abstimmung.

Abgestimmt wird über die Neufassung des Antrags, die in der Beschlussempfehlung des Europaausschusses mit der Drucksachennummer 5/7472 enthalten ist. Wer für diese Neufassung ist, den bitte ich jetzt um sein Handzeichen. Das sind die Stimmen aus allen Fraktionen. Gibt es Gegenstimmen? Die sehe ich nicht. Gibt es Stimmenthaltungen? Die sehe ich auch nicht. Vielen Dank. Damit kann ich diesen Tagesordnungspunkt schließen und die Empfehlung in der Neufassung des Antrags ist so angenommen worden.

Meine Damen und Herren, ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 12