Protokoll der Sitzung vom 20.03.2014

Meine Damen und Herren, ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 12

Situation von Langzeitarbeitslosen und Arbeitslosengeld-IIEmpfangenden in Thüringen Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drucksache 5/7016

Die Fraktion DIE LINKE wünscht das Wort zur Begründung. Damit hat Frau Abgeordnete Leukefeld als Erste das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, es ist nicht das erste Mal, dass die Linke sich mit einem solchen Antrag an das Landesparlament wendet und die Situation von Langzeitarbeitslosen und Arbeitslosengeld-II-Empfängerinnen und -empfängern in Thüringen thematisiert. Parteiübergreifend gibt es, glaube ich, die Auffassung, dass langzeitarbeitslose Menschen besonders betroffen sind und von den allgemein durchaus nicht immer negativen, sondern auch positiven Entwicklungen des Arbeitsmarkts nicht partizipieren. Unsere Anhörung am vergangenen Freitag, am 14.03., „Fördern und Fordern“ hat das auch nachgewiesen, in dem dort noch einmal dargestellt wurde, dass vor allen Dingen ältere Arbeitnehmer, Alleinerziehende, vor allen Dingen auch Frauen, Menschen mit Behinderung und Langzeitarbeitslose besonders betroffen und benachteiligt sind. Menschen in Erwerbslosigkeit und ihre Angehörigen, das wissen auch viele, sind nicht nur besonders häufig von Armut bedroht oder erleiden sie, sondern sie erleben eben auch gesellschaftliche Ausgrenzung, leiden überdurchschnittlich unter gesundheitlichen Einschränkungen. Sie haben viele Nachteile, nicht nur, weil sie über wenig Geld verfügen, sondern weil ihnen eben Teilhabe in vielen Fällen verwehrt wird. Kinder und Jugendliche, die in diesen Familien groß werden, erleben oftmals eine hohe Wahrscheinlichkeit, sich auch in ihrem späteren Leben in einer ähnlichen

(Minister Gnauck)

Biografie wiederzufinden. Trotz Bemühungen, die uns als Linke nicht ausreichen, ist es so, dass in Thüringen ein Drittel, also mehr als ein Drittel, nämlich 36 Prozent aller Erwerbslosen tatsächlich Langzeitarbeitslose sind. Mehr als 50 Prozent sind älter als 50 Jahre. Mit unserem Antrag haben wir uns auf der einen Seite mit einem Berichtsersuchen an die Landesregierung gewandt und ich nehme an, der Wirtschaftsminister wird dazu dann noch gleich Stellung nehmen.

Wir haben zweitens die Landesregierung gebeten, Positionen zu einigen Fragen, die in der politischen Diskussion sind, hier darzulegen. Zum Beispiel wollen wir wissen, wie sich die Landesregierung in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe angesichts der geplanten Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik und der „Rechtsvereinfachung“, ich sage das in Anführungsstrichen, des SGB II positioniert, weil wir dafür sorgen wollen, dass es dort keine Verschlechterungen für Betroffene gibt, die sind nämlich geplant. Beispielsweise gibt es Überlegungen, die Mehrbedarfe für Alleinerziehende abzuschaffen, Sanktionen zu verschärfen und die Überwachung von Leistungsbeziehern auszubauen.

Und der dritte Punkt, das sind konkrete Vorschläge, die die Fraktion DIE LINKE hier unterbreitet, auch nicht zum ersten Mal. Kern unseres Vorschlages ist, Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren, indem man in der Tat einen sozialen Arbeitsmarkt im besten Sinne auch mit entsprechender Bezahlung, so dass man aus Hartz IV herauskommt, auf den Weg bringt. Wir sind der Auffassung, dass insbesondere nach dem Auslaufen der Bürgerarbeit - in diesem Jahr wird es stattfinden - ein Bundesprogramm bzw. die Weiterführung dringend notwendig ist, und zwar unter zwei Gesichtspunkten: Erstens im Interesse der Betroffenen, die gern Arbeit leisten und zweitens in besonderer Weise auch für Kommunen, Vereine und Verbände, wo sinnvolle wichtige Arbeit eben auch geleistet wird, die derzeit oder wenn man nicht solche Programme hat, gar nicht geleistet wird.

Deshalb wollen wir gern in die Debatte treten zu einem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, insbesondere für langzeitarbeitslose Menschen, wie es sich beispielsweise eben auch in Ansätzen in Mecklenburg-Vorpommern oder seinerzeit in Berlin und zum Teil auch in Brandenburg bewährt hat. Wir halten das für besonders wichtig, weil der Bund sich aus diesen Prozessen herausgezogen hat, die Gelder kürzt und das Land zunehmend in der Pflicht ist. Das bezwecken wir mit unserem Antrag. Ich bin auf eine spannende Debatte gespannt. Herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Leukefeld. Entsprechend Ihrer Vermutung wird es auch passieren, Herr Minister Höhn wird einen Sofortbericht abliefern zu den Nummern I und II des Antrags. Bitte, Herr Minister Höhn.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, verehrte Abgeordnete, lassen Sie mich zunächst einmal beginnen mit der Feststellung, was das Thema Arbeitsmarktpolitik an sich betrifft, dass es uns in den letzten vier Jahren gelungen ist, ich formuliere das etwas salopp, einen deutlichen Schub in die Arbeitsmarktpolitik des Freistaats Thüringen zu bringen. Allerdings, und an der Stelle teile ich die Intention des Antrags, der uns hier vorliegt, bleiben das Thema Langzeitarbeitslosigkeit und vor allen Dingen der Bezug darin eine besondere arbeitsmarktpolitische Herausforderung. Deshalb will ich durchaus gern diesem Antrag folgen und hier namens der Landesregierung Bericht erstatten.

Meine Damen und Herren, Sie wissen, das muss ich, glaube ich, hier an dieser Stelle nicht näher erläutern, zu der Struktur, wie die Leistungen des SGB II hier in Thüringen geleistet werden, mit den Jobcentern und den Optionskommunen Bescheid. Die Jobcenter, aber auch, das betone ich nicht ohne Grund, die Optionskommunen selbst haben mit Unterstützung durch die Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsförderung des Landes einiges erreicht. An dieser Stelle kann ich uns, ich sage bewusst nicht leider, einen Blick in, sagen wir mal, auszugsweise Statistiken nicht ersparen, um auch das entsprechend zu dokumentieren, was bisher geleistet worden ist. Thüringen hat seit der Einführung des SGB II im Jahr 2005 bis zum Jahr 2012 die sogenannte Armutsgefährdungsquote von knapp 20 Prozent auf eine Quote unter 17 Prozent, genauer gesagt 16,9 Prozent, senken können. Die sogenannte SGB-II-Quote sank im gleichen Zeitraum um etwa 3, ganz genau gesagt 3,1 Prozentpunkte. Das ist der niedrigste Stand aller neuen Bundesländer und der Rückgang ist auch etwas stärker ausgeprägt als im bundesdeutschen Durchschnitt. Dazu korrespondiert auch die Arbeitslosenquote. Hier haben wir im Jahresdurchschnitt seit 2005 mehr als eine Halbierung zu verzeichnen. Im Vergleich lag 2005 die durchschnittliche Jahresarbeitslosenquote bei 17,1 Prozent, das kann man sich heute kaum noch vorstellen, das Jahr 2013 lag im Durchschnitt bei einer Quote von 8,2 Prozent. Besonders herausragend dabei war der Monat Dezember, wo wir mit 7,8 Prozent als Freistaat Thüringen die niedrigste Arbeitslosenquote seit der politischen Wende zu verzeichnen hatten. In konkreten Zahlen ausgedrückt heißt das, 2013 waren im Jahresdurchschnitt knapp 96.000 Personen und damit insgesamt

(Abg. Leukefeld)

114.000 Personen weniger als noch 2005 arbeitslos. Trotz dieser durchaus positiven Entwicklung, meine Damen und Herren, die verfestigte strukturelle Arbeitslosigkeit bleibt weiter ein Problem. Das ist unbestritten. Aktuell beziehen knapp 181.000 Personen Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II. Insbesondere Menschen mit sozialen, persönlichen und auch gesundheitlichen Beeinträchtigungen können von der positiven Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt nicht im gleichen Maße profitieren. Nach wie vor ist die überwiegende Zahl der Arbeitslosen und Langzeitarbeitslosen dem Rechtskreis des SGB II zuzuordnen.

Auch an dieser Stelle noch eine Bemerkung: Innerhalb dieser Quoten, wenn man sich das detaillierter anschaut, fast die Hälfte, 44 Prozent, dieser rund 61.000 arbeitslosen ALG-II-Bezieher ist langzeitarbeitslos. Aber auch an der Stelle - vorsichtig und mit aller Zurückhaltung - gibt es einen positiven Trend. Bei der Langzeitarbeitslosigkeit ist ein Rückgang um 800 Personen bzw. 2,4 Prozent zu verzeichnen. Wenn man Thüringen mit der Langzeitarbeitslosenquote im Bundesdurchschnitt vergleicht, wie gesagt, sie ist nach wie vor mit 34,3 Prozent hoch. Im Jahresdurchschnitt 2013 liegen wir aber dennoch etwas unter dem Bundesdurchschnitt.

Ich finde, meine Damen und Herren, aussagekräftiger als diese Zahlen, ist eine Bewertung anhand des Langzeitarbeitslosenbezugs. Seit Januar 2010 ist die Zahl der Langzeitleistungsbezieher, das sind jene erwerbsfähigen Personen, die in den letzten 24 Monaten mindestens 21 Monate Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende erhielten, um 23.800 Personen oder anders ausgedrückt um 20 Prozent zurückgegangen. Dennoch bleibt festzustellen, Langzeitleistungsbezug ist in Thüringen insbesondere ein Problem älterer Menschen. 67 Prozent der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten im Alter von 50 Jahren und älter bezogen schon vier Jahre und länger Leistungen der Grundsicherung. Die Verringerung des Langzeitleistungsbezuges und der Langzeitarbeitslosigkeit wird auch in den kommenden Jahren einen deutlichen Schwerpunkt der Arbeitsmarktpolitik auf Landes- und, wie ich davon ausgehe, auch auf Bundesebene bilden.

Welche Punkte, meine Damen und Herren, sind dabei wichtig? Zum einen ist für eine langfristige Überwindung der Hilfebedürftigkeit des Einzelnen eine dauerhafte Integration in Beschäftigung mit einem - und das betone ich nicht ohne Grund - bedarfsdeckenden Einkommen ausschlaggebend. Arbeit muss sich lohnen. Das gilt allerdings leider noch nicht für alle Thüringer Arbeitsverhältnisse. Im September 2013 gab es rund 47.000 sogenannte Aufstocker. Aufstocker - nur zur Erläuterung auch für unsere Gäste auf der Tribüne - sind Menschen, die einem Vollzeitjob nachgehen und dennoch unterhalb der Grenzen für solche Leistungsbezüge lie

gen und damit noch Leistungen aus dem Sozialgesetzbuch II beanspruchen können.

(Zwischenruf Abg. Kemmerich, FDP: Teilzeit- beschäftigte gehören auch dazu. Das sollte man erwähnen.)

Die gehören auch dazu, richtig Herr Kollege. Teilzeit- und Vollzeitarbeitsplätze gehören dazu. Das heißt, 34,3 Prozent der erwerbsfähigen Leistungsbezieher - erwerbsfähige Leistungsbezieher sind genau diese Menschen, die in Arbeit sind und dennoch Leistungen nach SGB II beziehen - üben eine Erwerbstätigkeit aus. Das ist eine Quote, die ist mir jedenfalls deutlich zu hoch. Hier zeigen sich auch die Folgen der Lohnpolitik in den letzten Jahren. Man kann sagen, an dieser Stelle hat sich die Billiglohnpolitik für Thüringen, das ist jedenfalls meine persönliche Einschätzung, nicht ausgezahlt.

(Beifall DIE LINKE)

Menschen, die voll erwerbstätig sind, ich sage das in aller Deutlichkeit, müssen auch ein auskömmliches Einkommen haben. Und nicht zuletzt aus diesem Grund haben wir in den letzten Jahren und auch in den letzten Monaten hart dafür gekämpft, dass in Deutschland wie auch in Thüringen selbstverständlich ein flächendeckender Mindestlohn eingeführt wird.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und wenn wir die Presseberichte der letzten Tage, vielleicht sogar der letzten Stunden zur Grundlage nehmen, dann ist in Berlin an dieser Stelle im Moment sehr viel in Bewegung.

Ein weiterer Aspekt, meine Damen und Herren, im Bereich der Langzeitarbeitslosen: Wir schätzen ein, das ist keine sogenannte homogene Gruppe, keine einheitliche Gruppe, es sind sehr unterschiedliche Problemlagen, mit denen wir es hier zu tun haben. Die Instrumente dafür, für die Überwindung dieses Zustands, müssen daher auch entsprechend vielfältig, entsprechend flexibel sein. Und da Arbeitslosigkeit mit zunehmender Dauer verschiedenste soziale und persönliche Folgen haben kann, bedürfen diese Menschen der Zuwendung vor Ort und individuell geeigneter Hilfestellungen.

(Beifall SPD)

Es muss eben nicht nur einfach ein passender Arbeitsplatz vermittelt werden. Im Regelfall können die Schwierigkeiten vieler Langzeitarbeitsloser nur im Rahmen einer langfristigen Eingliederungsstrategie und intensiver Betreuung überwunden werden. Der Bund-Länder-Ausschuss SGB II hat im Jahr 2013 eine Sammlung ausgewählter Konzepte zur Verringerung von Langzeitarbeitslosenbezug zusammengestellt, die steht allen Jobcentern bundesweit zur Verfügung. Die letzten Instrumentenreformen zum SGB III und II haben die Arbeit der Jobcenter im Hinblick auf längerfristige Eingliede

(Minister Höhn)

rungsstrategien allerdings nicht gerade erleichtert. Die Instrumente setzen nun auf kurzfristige, übergangsweise Hilfen. Umso wichtiger ist das strategische Vorgehen im Rahmen lokaler Arbeitsmarktprogramme. Die Mittel für die Eingliederungsleistungen werden über den Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt. Das dürfte bekannt sein. Allerdings haben wir es da seit 2005 mit erheblichen Reduzierungen zu tun, ich sage da ausdrücklich auch, zu kämpfen. 2005 standen noch ca. 243 Mio. € für Eingliederungsleistungen zur Verfügung. Der Ansatz ist im Jahr 2013 auf 106 Mio. € gesunken und für dieses Jahr wird es etwa in dieser Höhe wieder erwartet. Die 90. Arbeits- und Sozialministerkonferenz hat gefordert, den Jobcentern ausreichende Haushaltsansätze bei den Eingliederungsmitteln zur Verfügung zu stellen. Und gerade vor diesem Hintergrund hat in Thüringen der Einsatz der Eingliederungsmittel und der Fördermittel des Landes bzw. des Europäischen Sozialfonds wesentlich dazu beigetragen, dass eine deutliche Verringerung der Anzahl der Arbeitslosen sowie ein Rückgang der Hilfebedürftigen erreicht werden konnte. Der Rückgang unserer Arbeitslosenquote ist eben nicht nur allein auf den sogenannten demografischen Faktor zurückzuführen. Durch das TMWAT wurden die Integration von Langzeitarbeitslosen in den Jahren 2010 bis 2013 - auch die Zahl dürfte von Interesse sein - mit 52 Mio. € an Landesmitteln und insgesamt 158 Mio. € aus den Europäischen-Sozialfonds-Mitteln gefördert. Und darüber hinaus, meine Damen und Herren, brauchen wir für eine gezielte und wirksame Arbeitsmarktpolitik auch eine leistungsfähige Trägerstruktur. Es gibt leider keine Statistik, aus der man entnehmen kann, ob und wie sich der Rückgang bei den Eingliederungsmitteln in den letzten Jahren auf die Trägerlandschaft ausgewirkt hat. Fakt ist aber, die Spielräume sind enger geworden und die Anforderungen an die Träger eher gestiegen.

Meine Damen und Herren, wir alle wissen, die Leistungen der Grundsicherung sind steuerfinanziert. Daher - und das ist immer eine Diskussion, die auch von einem gewissen öffentlichen Interesse ist - werden von den Jobcentern auch Pflichtverletzungen der Leistungsbezieher geprüft. Es gibt Fälle, da werden auch Sanktionen ausgesprochen. Nach der aktuell vorliegenden Statistik der Bundesagentur für Arbeit waren 3,5 Prozent aller erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in Thüringen im Oktober 2013 von Sanktionen betroffen. Da es bei der Grundsicherung um die Sicherung des Existenzminimums geht, ist die Rechtmäßigkeit der Leistungserbringung durch die Jobcenter besonders wichtig. Wir haben im Moment in den Jobcentern ganz genau 10.333 Widersprüche vorliegen. Das ist etwa eine Quote von 10 Prozent, also ein Widerspruch je 10 Bedarfsgemeinschaften. Es sind insgesamt 13.573 Klagen anhängig. Generell zeigt sich aber, dass seit 2011 die Zahl der Klageeingänge deutlich

zurückgegangen ist, damals war noch eine Zwei vor dieser Zahl.

Meine Damen und Herren, zum zweiten Abschnitt des Antrags der Fraktion DIE LINKE: In diesem Abschnitt wird die Landesregierung gebeten, ihre Position zu den zu erwartenden Entscheidungen hinsichtlich der Novellierung des SGB II darzulegen, zum Beispiel auch zu den von Frau Kollegin Leukefeld eben angesprochenen geplanten Rechtsvereinfachungen im SGB II. Derzeit befasst sich eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe damit, Lösungsmöglichkeiten - und wie immer natürlich im Konsens zur Vereinfachung von Leistungsrecht und Verfahrensregelungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu identifizieren. Unser Ministerium beteiligt sich an dieser Arbeitsgruppe, um auch die dort stattfindende fachliche Vorsondierung für mögliche Rechtsänderungen zu unterstützen. Genau in dieser Phase befinden wir uns, fachliche Vorsondierung. Die von Ihnen vorhin angesprochenen und befürchteten Absenkungen zum Beispiel von Datenschutzrechten spielen auf einige Vorschläge der Bundesagentur an, die auch wir nicht gutheißen, um das an dieser Stelle klar zu formulieren. Ich kann Ihnen allerdings, Frau Kollegin, den Wunsch jetzt an dieser Stelle jedenfalls möglicherweise nicht so erfüllen, wie Sie sich das vorstellen, die Positionen der Landesregierung zu Entscheidungen und Entwürfen des SGB II darzulegen, denn dazu müsste es diesen Entwurf erst einmal geben und der liegt in dieser Form noch nicht vor. Eine abschließende Bewertung von geplanten Rechtsänderungen durch die Landesregierung bleibt wie immer einem entsprechenden Gesetzgebungsverfahren vorbehalten.

Zum dritten Abschnitt, den Sie in Ihrem Antrag formuliert haben, wo es um das Thema öffentlich geförderter Beschäftigung und, wenn man so will, einen sozialen Arbeitsmarkt geht, jedenfalls verstehe ich das so: Aus Sicht der Landesregierung muss - und ich glaube, da sind wir uns in der Einschätzung durchaus einig - arbeitsmarktpolitische Förderung vorrangig auf den ersten Arbeitsmarkt ausgelegt sein, um den Menschen zunächst einmal eine nachhaltige Perspektive für Beschäftigung zu eröffnen. Allerdings ist auch eine öffentlich geförderte Beschäftigung für diejenigen Arbeitslosen notwendig, die auf längere Zeit keine Perspektive der Integration in reguläre Beschäftigung haben. Das war unter anderem, wenn ich mich noch richtig erinnere, ein Diskussionspunkt auf der kürzlich stattgefundenen Arbeitsmarktkonferenz des Thüringer Wirtschaftsministeriums. Da sage ich ganz deutlich, auch wenn ich natürlich die Signale vernehme, dass die Länder bzw. das Land dann stärker in der Verantwortung sei, je mehr sich der Bund an dieser Stelle zurückzieht, den Bund will ich an dieser Stelle nicht aus der Verantwortung entlassen. Zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit ist aus unserer

(Minister Höhn)

Sicht eine gezielte Integrationsbegleitung für Langzeitarbeitslose nach der Vermittlung auf einen Arbeitsplatz in einem Unternehmen sinnvoll. Es müssen auch wieder länger andauernde Maßnahmen vor allem mit Betreuung und Qualifizierung gefördert werden. In der von mir vorhin angesprochenen Arbeits- und Sozialministerkonferenz haben die Länder verdeutlicht, dass der Bund an dieser Stelle nachbessern muss. Er muss die Fördermöglichkeiten wieder ausweiten. Auch bei einem anderen Thema hatte ich Gelegenheit, mit der zuständigen Bundesministerin im Rahmen eines Treffens der Länderkollegen zu diskutieren. Wenn es um das Thema Bürgerarbeit geht, auch hier sehen wir nach wie vor den Bund in der Pflicht, eine Anschlussperspektive für die Beschäftigungsprojekte, die bislang unter dem Label Bürgerarbeit firmierten, zu schaffen, und zwar als reguläre gesetzliche Förderleistungen. Ich möchte insgesamt noch mal deutlich betonen, dass die Integration langzeitarbeitsloser Menschen ein Schwerpunkt in der Landesarbeitsmarktpolitik bzw. der Ausrichtung des europäischen Sozialfonds in Thüringen war und auch in Zukunft bleiben wird. Einen öffentlichen Beschäftigungssektor aus Landesmitteln oder ESF-Mitteln zu installieren, ist im Moment finanzpolitisch, finanztechnisch nicht realisierbar. Deshalb müssten wir an dieser Stelle mit der entsprechenden Vorsicht agieren. In der neuen ESF-Förderperiode sollen ab kommendem Jahr immerhin noch 36 Prozent der Mittel für den Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit, die Bekämpfung von Armut und die soziale bzw. die berufliche Inklusion und Integration eingesetzt werden. Auf ein Programm oder eine Maßnahme möchte ich nicht ohne den entsprechenden Stolz auf dieses Projekt und dieses Programm verweisen, weil ich mich auch in früheren Funktionen in den Reihen der Abgeordneten sehr stark dafür engagiert habe. Ich meine unser Landesarbeitsmarktprogramm, das seit Mai 2010 als eigenständiges Programm wirkt, in dem die begleitende Evaluierung wirklich sehr gute Integrationserfolge bei hoher Effizienz bescheinigt hat, entgegen anders lautenden Befürchtungen. Zum Stand Dezember 2013 wurden hier fast 14.000 Arbeitslose individuell begleitet, mehr als 4.700 von ihnen schafften bisher den Sprung in Arbeit oder Ausbildung, davon mehr als 3.300 sogar in den ersten Arbeitsmarkt und ca. 1.800 Personen erhielten über Lohnkostenförderung einen geförderten Arbeitsplatz. Ich denke, dieses Programm wird auch in der Zukunft notwendig sein.

Das Landesarbeitsmarktprogramm ist Teil eines aufeinander abgestimmten Landes- und ESF-finanzierten Förderinstrumentariums. Ich verweise hier auf die sogenannten Th.INKA-Projekte, die in sozialen Brennpunkten an der Verbesserung der sozialen Infrastruktur arbeiten. Insgesamt 23 TIZIANProjekte konzentrieren sich auf die soziale Stabilisierung und Herstellung von Beschäftigungsfähig

keit von Langzeitarbeitslosen, auch mit Elternverantwortung. Wir fördern berufliche Qualifizierung von Arbeitslosen, Modell- und Netzwerkprojekte. Diese erfolgreichen Ansätze haben in der kommenden Förderperiode des ESF in Thüringen eine solide Finanzierungsgrundlage. Abschließend, meine sehr verehrten Damen und Herren, wie Sie sicherlich wissen, gibt es eine intensive Zusammenarbeit zur Abstimmung arbeitsmarktpolitischer Fragen in den Regionalbeiräten und im Landesbeirat für Arbeitsmarktpolitik. Die Landesregierung steht für gute Arbeit sowohl hinsichtlich der Arbeitsbedingungen einzelner Menschen als auch hinsichtlich der Integration aller in Beschäftigung. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU, SPD)

Vielen Dank, Herr Minister Höhn, für den Sofortbericht zu den Nummern I und II. Ich frage Sie: Ist die Diskussion zum Sofortbericht gewünscht, sehe ich das bei allen? Jawohl, vielen Dank. Ich weise Sie darauf hin, wir haben doppelte Redezeit.

Ich eröffne die Aussprache und Frau Abgeordnete Siegesmund für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister, vielen Dank für den ausführlichen Sofortbericht. Das ist ja ein Thema, bei dem man immer sehr genau sortieren muss, inwieweit Landespolitik tatsächlich Eingriffsmöglichkeiten hat und welche Rolle der Bund spielt. Wir bewegen uns an der Stelle aus unserer Sicht auch an einer Leerstelle des SGB II, wo es auch insbesondere darum geht, Menschen mit multiplen Vermittlungshemmnissen zu unterstützen. Deswegen bin ich dankbar für den Antrag der Linken, möchte aber auch für die Jugendlichen auf der Besuchertribüne klarmachen, genau diese Debatte, die könnte man eben auch im Bundestag führen. Und wenn man dann landes- und bundespolitische Elemente zusammenführt, bekommt man ein rundes Bild.

Ich will es gleich vorweg sagen, wir sind der festen Überzeugung, dass die derzeit gute Lage am jetzigen Arbeitsmarkt kein Verdienst von Schwarz-Rot in Thüringen ist,

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

sondern - das gehört zur Wahrheit schon dazu - es geht um die Frage des demografischen Wandels und natürlich auch um die gute Konjunktur. Das hat in erster Linie für die stabile Lage am Arbeitsmarkt gesorgt. Aber man muss sich eben Mühe geben, und es ist auch gut an dieser Stelle zu thematisie

(Minister Höhn)

ren, an wem dieser Aufschwung eigentlich vorbeigegangen ist. Und da ist der Antrag der sprichwörtliche Finger in der Wunde. Der zeigt nämlich, dass es Stillstand am Thüringer Arbeitsmarkt gibt, insbesondere wenn es um die Situation von Langzeitarbeitslosen geht. Die vorrangige Teilhabe am Arbeitsleben auf dem ersten Arbeitsmarkt, die ist eben von jenen, über die wir hier sprechen, nahezu gescheitert. Und Langzeitarbeitslosen steht in Thüringen, wenn Sie so wollen, an wirklich erfolgreichen Vermittlungsgeschehnissen wenig offen. Im Gegenteil, wir haben hier eine große Lücke, die es zu schließen gilt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ihr Anteil hat sich, meine sehr geehrten Damen und Herren, sogar mit über einem Drittel - der Minister hat die Zahl benannt - geradezu verfestigt. Es sind eben vor allem Menschen - jetzt sehen wir uns diese Gruppe mal an -, die über 50 Jahre alt sind, die überproportional von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind. Wir haben dazu auch Kleine Anfragen gemacht. Oft sind sie auch überproportional weiblich. Das ist insbesondere bitter für die Leidtragenden, weil es auch bei ihnen dazu gehört, Teilhabe an unserer Gesellschaft zu haben. Es geht also weniger allein um die Frage der Tätigkeit, es geht immer um die Frage, welche Rolle spielt eigentlich Arbeit und eine erfüllende Tätigkeit im Leben. Und das wird diesen Menschen vorenthalten und das ist der eigentliche Skandal. Das Fazit aus fünf Jahren schwarz-roter Arbeitsmarktpolitik ist deswegen, dass sie Verlierer sind an dieser Stelle und - und das ist das tatsächlich Prekäre daran - dass wir über eine Zweiteilung des Arbeitsmarkts reden, nämlich dass die Schwächsten nicht gezielt genug gefördert, sondern weiter abgehängt werden, das ist das Problem.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir finden deswegen, dass Langzeitarbeitslose mehr verdient haben, als als Sommerlochfüller missbraucht zu werden. Warum sage ich das? Ich sage das, weil wir im vergangenen Sommer eine völlig skurrile Debatte nach dem Juni-Hochwasser hatten. Die völlig skurrile Debatte war damals, dass die CDU gefordert hatte, Langzeitarbeitslose mögen doch als billige Arbeitskräfte Fluthilfemaßnahmen unterstützen und dafür eingesetzt werden. Da sage ich Ihnen, dass diese Menschen wohl mehr verdient haben, als tatsächlich als Sommerlochfüller missbraucht zu werden, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)