Protokoll der Sitzung vom 19.08.2010

Bitte, Herr Blechschmidt.

Danke, Herr Kollege Bergner. Ich benutze Sie jetzt, ich hätte es beim Kollegen Dr. Pidde auch schon tun sollen. Es ist angesprochen worden, es gibt in zahlreichen anderen Bundesländern die Regel der Öffentlichkeit - bewusst in der Regel öffentlich. Wie gehen Sie mit dem Argument um, dass dort auch eine sachgerechte, konkrete, zielorientierte parlamentarische Arbeit stattfinden kann?

Das kann man sicherlich sehr unterschiedlich bewerten. Ich habe Zweifel, ob das wirklich so ist.

Ich möchte an dieser Stelle auch noch auf die Kinder zu sprechen kommen, die jetzt leider nicht mehr da sind. Ich denke mal, und das kann ich auch als Vater an der Stelle ganz ruhig und entspannt sa

gen, dass auch die Kinder, um die es vorhin ging, des Öfteren schon die Erfahrung gemacht haben, dass manche Gespräche auch ohne die Präsenz von Erwachsenen ganz sinnvoll sein können.

(Beifall FDP)

Um dieses Bild mit hineinzunehmen, es ist keine Frage eines Mangels von Demokratie. Es ist keine Frage, irgendjemanden ausschließen zu wollen. Aber Ausschüsse sind ausdrücklich dafür da, eine Meinungsbildung herbeizuführen. In diesem Sinne freue ich mich auf die Debatte in dem Ausschuss und hoffe, dass wir unter dem Strich zu einem vernünftigen praktikablen Ergebnis kommen können. Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.

(Beifall SPD, FDP)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erhält Frau Abgeordnete Rothe-Beinlich das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, Geschäftsordnung klingt erst mal relativ trocken und, ich glaube, Geschäftsordnung - wenn manche das hören - hat dann auch zur Folge, dass manche denken: Muss man sich jetzt wirklich mit solchen Dingen beschäftigen? Aber Geschäftsordnung ist, und da gebe ich Herrn Emde recht, insofern wichtig, weil es sich um die Regeln handelt, die wir uns selber geben, die man manchmal auch ändern muss, auch und gerade, wenn die Zeiten sich ändern oder aber wenn es immer wieder - das sage ich ganz deutlich - gerade in der Öffentlichkeit den Eindruck gibt, dass wir eine, ich nenne es mal, Demokratiemüdigkeit erleben. Unser Ansinnen, die Geschäftsordnung auf die Tagesordnung zu setzen, war und ist, Menschen für Demokratie zu begeistern, Demokratie transparent zu machen und das ist - Herr Pidde, so ist das nun mal - auch manchmal anstrengend.

Das wird die eine oder andere Debatte mehr verlangen. Ich glaube, das muss uns Demokratie wert sein, dass wir jeden Tag aufs Neue für sie streiten, für sie werben und uns da mitunter auch infrage stellen lassen müssen; ich habe davor auch keine Angst, das sage ich hier in aller Deutlichkeit.

(Beifall DIE LINKE)

Demokratie muss die Chancen breiter Beteiligung eröffnen, und zwar in guten und in schlechten Zeiten. Ich möchte jetzt einzelne Punkte durchaus noch mal in den Blick nehmen und beginne da bei der Debatte um die Öffentlichkeit von AusschussSitzungen, weil damit auch der Redebeitrag in gewisser Weise endete. Herr Emde, es ist nicht so, dass wir nicht auch im Blick hätten, dass es immer

(Abg. Bergner)

wieder auch die Möglichkeit geben muss, bestimmte Dinge intern oder vertraulich zu behandeln. Deswegen sagt unser Änderungsantrag, ich zitiere: „Die Sitzungen der Ausschüsse sind, soweit ein Gesetz oder diese Geschäftsordnung nichts anderes bestimmen, öffentlich. Öffentliche Sitzungen sind nicht zulässig bei Haushaltsberatungen und in allen Angelegenheiten, die in vertraulicher Sitzung zu behandeln sind.“ In der Folge heißt es dann: „Auf Antrag eines Ausschussmitglieds oder der Landesregierung kann der Ausschuss mit einer einfachen Mehrheit die Nichtöffentlichkeit der Sitzung beschließen. Über den Antrag beschließt der Ausschuss in nicht öffentlicher Sitzung.“ Wir haben das bewusst so aufgenommen, weil Sie die Sorge hatten, dass man sonst öffentlich vorgeführt wird dafür, dass man beispielsweise an einem bestimmten Punkt für Nichtöffentlichkeit wirbt. Ich denke, wir haben hier tatsächlich einen Formulierungsvorschlag gebracht, der all dem Rechnung trägt. Auf der einen Seite größtmögliche Beteiligung, Transparenz und Öffentlichkeit und auf der anderen Seite aber auch die Möglichkeit zur internen Beratung da, wo es nötig ist.

Ich sage ganz deutlich, wenn wir uns die Erfahrungen anschauen, Herr Pidde, da würde ich gern teilhaben an den negativen Erfahrungen, die Ihnen geschildert wurden. Die Realität ist doch so, dass in keinem der Bundesländer die Ausschüsse überrannt worden sind von politisch interessierten Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die dann die Arbeit verunmöglicht haben. Das war mitnichten der Fall. In keinem Bundesland war es so, dass AusschussSitzungen deshalb beispielsweise nicht stattfinden konnten. Es gab Fälle, wo beispielsweise Videoübertragungen von Ausschuss-Sitzungen zu einzelnen Themen in andere Räume stattgefunden haben, weil es ein großes Interesse gab. Aber in keinem der Fälle konnte eine Ausschuss-Sitzung in den Ländern, die öffentliche Ausschuss-Sitzungen haben, nicht stattfinden, nur weil es zu viele Menschen gab, die sich dafür interessiert hätten. Deswegen will ich noch einmal sagen: In NordrheinWestfalen, in Berlin - das sind ja ganz unterschiedliche Länder - und überall dort, wo öffentliche Ausschuss-Sitzungen praktiziert wurden, hat sich nicht gezeigt, dass die Dauer der Ausschuss-Sitzung ins Unendliche gegangen wäre - ganz und gar nicht, sondern es war eine sachliche und fachliche Debatte allerorten möglich. Ich hoffe und denke, dass wir das auch leisten können und müssen als Parlamentarierinnen und Parlamentarier in Thüringen und, wie gesagt, ich habe keine Bange, dass jede und jeder von uns in der Lage ist, sachlich, fachlich und auch persönlich korrekt im Umgang in den Ausschüssen zu diskutieren. Jetzt frage ich mich, was ist denn daran so schlimm, wenn Menschen mitbekommen, dass sich Meinungen auch ändern können? Wenn Sie mich mit einem guten Argument überzeugen können, dann werde ich Ihnen gern zu

stimmen können, egal ob es Herr Emde ist oder ob es Herr Pidde ist oder ob es jemand von der FDP oder von der Linksfraktion ist.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist doch auch gar nicht schlimm, ich glaube eher, dass es davon zeugt, dass wir durchaus lernfähig sind, wenn es an der einen oder anderen Stelle Lernbedarf gibt. Insofern haben Sie doch nicht so viel Angst vor Öffentlichkeit.

Ich will noch auf andere Punkte eingehen, die uns sehr wichtig sind. Zum einen möchte ich noch einmal daran erinnern, dass wir jetzt seit fast einem Jahr über die Geschäftsordnung diskutieren. Mich wundert das schon ein wenig, wie die FDP plötzlich agiert oder nicht mehr agiert. Den einen Änderungsantrag, den Sie eingebracht haben, halten wir für völlig richtig, weil er den Fristvorgaben entspricht. Ansonsten ist nämlich die Fristvorgabe nicht übereinstimmend mit dem, was wir im Moment praktizieren. Insofern glaube ich, man kann darüber sprechen. Aber ich erinnere mich auch an Briefe eines Fraktionsvorsitzenden Barth, der dringend darum bat, in bestimmten Gremien - wie dem Ältestenrat - ebenfalls beteiligt zu sein. Dann muss ich mir über die Zeitung von Ihnen anhören, dass DIE GRÜNEN die Mehrheitsverhältnisse anerkennen sollen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bitte Sie alle recht herzlich, das Fünf-Fraktionen-Parlament endlich anzuerkennen und

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

das sage ich in aller Deutlichkeit - auch allen Fraktionen eine gewisse Eigenständigkeit zu gewähren. Ja, ich bin Vizepräsidentin. Ein herzliches Dankeschön an dieser Stelle noch einmal an die Fraktion DIE LINKE. Ich bin froh, dass dieser Platz abgegeben wurde, weil hier gezeigt wurde, wir wollen euch beteiligen. Aber ich sage ganz deutlich, ich hätte mir gewünscht, dass man nicht darauf angewiesen wäre, dass einem einer der Großen etwas anbietet, sondern dass jede Fraktion selbstverständlich beteiligt ist.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage auch ganz deutlich, da zählt für mich nicht das Argument, es könnte einmal passieren, dass eine rechtsextreme Partei beispielsweise in den Thüringer Landtag einzieht. Wer so viel Angst hat vor Demokratie und davor, dass Demokratie …

(Unruhe CDU)

Entschuldigung. Wer so viel Angst hat vor Demokratie, … Hören Sie mir doch erst einmal bis zum Ende des Satzes zu.

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Ich habe kei- ne Angst vor Demokratie.)

Ich gehe davon aus, dass wir alle, Frau Tasch, auch wir beide, alles dafür tun werden, dass niemals Rechtsextreme in diesen Landtag einziehen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Aber wir können doch nicht die Demokratie beschneiden mit dem Argument: Es könnte sein, dass es mal so kommt. Wir müssen alles dafür tun, dass es niemals so kommt und dann gehören aus unserer Sicht selbstverständlich in diesem Parlament auch alle beteiligt. Demokratie kann nicht mit undemokratischen Mitteln bekämpft werden, meine sehr geehrten Damen und Herren. Und uns davor schützen zu wollen, finde ich den falschen Ansatz.

(Beifall DIE LINKE)

Lassen Sie mich noch etwas zu den Selbstbefassungsanträgen sagen, Herr Pidde, ich bin doch sehr verwundert, Sie haben also Angst davor, dass die Ausschüsse von einer einzelnen Fraktion mit einem Thema beschäftigt werden könnten. Es ist doch geradezu - ich muss es leider so sagen aberwitzig, wenn wir uns die Realität anschauen. Jede Fraktion kann das gesamte Plenum, also 88 Abgeordnete mit jedem x-beliebigen Thema beschäftigen, wenn sie es möchte. Wäre es nicht viel sach- und fachgerechter zu sagen, ich beschäftige zunächst den Fachausschuss mit dem Thema, was mich bewegt, und muss es nicht gleich in das gesamte Plenum bringen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Für den Ausschuss habe ich kein Selbstbefassungsrecht. Im Plenum kann ich selbstverständlich einen Antrag als Fraktion einbringen. Das ist doch eher absurd, wenn wir uns anschauen, dass wir im Plenum mehr Rechte haben als in den Ausschüssen, in denen die sachliche und fachliche Debatte stattfinden soll. Insofern denken Sie doch einfach noch einmal über die Argumente nach, die wir Ihnen hier auch liefern.

Nehmen wir die andere immer wieder zitierte neue politische Kultur. Eine andere neue politische Kultur, wie sie auch von Ministerpräsidentin Lieberknecht mehrmals erwähnt wurde, muss tatsächlich - so meinen wir - die Lebensrealitäten anerkennen und wir haben ein Fünf-Fraktionen-Parlament. Es sind hier fünf Fraktionen, die, wie gesagt, ein ganzes Plenum beschäftigen können, wenn sie ein Anliegen auf dem Herzen haben. Lassen Sie uns das doch auch in allen anderen Gremien so berücksichtigen. Zum Zählverfahren wird nachher meine Kollegin Siegesmund noch etwas sagen.

Zum gemeinsamen Antrag, den es gibt: Wenn Sie sich den gemeinsamen Antrag anschauen, dann regelt der nicht viel mehr als die schon von uns erfolgreich absolvierte Praxis. Über mehr haben wir

nämlich keine Einigkeit erzielen können. Es gibt fünf Aktuelle Stunden, die gibt es auch jetzt schon. Wir befinden uns damit im Moment außerhalb der Geschäftsordnung, aber das ist schlichtweg das, was wir hier schon machen. Die Vorlagen sollen in elektronischer Form eingereicht werden, das passiert auch jetzt schon. Das wird auch höchste Zeit, finde ich, in diesem Zeitalter, dass wir selbstverständlich Vorlagen elektronisch einreichen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wahlverfahren soll so sein, dass derartige Pannen, wie wir sie hier erleben mussten, unmöglich gemacht werden - so will ich es sagen -, damit Fehler wie diese nicht wieder passieren. Gut - es ist geregelt; aber neue politische Kultur ist das doch nicht. Neue politische Kultur müsste einhergehen mit mehr Demokratie, mit Transparenz und genau damit, dass wir tatsächlich die Realität anerkennen, ein Fünf-Fraktionen-Parlament zu haben.

Ich möchte an dieser Stelle auch gern noch auf den Punkt Kleine Anfrage eingehen, Herr Pidde. Ich möchte ausdrücklich davor warnen, die Kleinen Anfragen zu beschränken. Wir haben darüber auch häufiger in der PGF-Runde aber auch im Ältestenrat diskutiert. Es gab auch von der Verwaltung dazu eine Empfehlung, das Fragerecht der Abgeordneten nicht einzuschränken. Wir wissen, dass es nicht darum gehen kann und soll, die Verwaltung zu beschäftigen, so wie Sie es gerade dargestellt haben,

(Zwischenruf Abg. Dr. Pidde, SPD: Aber das passiert ja.)

aber ich unterstelle, dass jede und jeder Abgeordnete einen triftigen Grund hat, wenn er oder sie eine Frage stellt.

(Beifall DIE LINKE)

Da maße ich mir nicht an, die eine oder andere Anfrage von vornherein abzuqualifizieren, nur weil sie vielleicht für Sie völlig einfach erscheint. Demokratie macht Arbeit und Kleine Anfragen sind ein ganz wichtiges Mittel auch und gerade der Opposition.

(Beifall DIE LINKE)

Vielleicht sollten Sie sich noch daran erinnern, Herr Höhn, nach einem Jahr.

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: 600 Fragen in neun Monaten.)

Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen möchte, sind die Vorschläge von „Mehr Demokratie“. Ich begrüße sehr, dass das Innenministerium bereits Gesetzentwürfe auf seiner Homepage öffentlich macht. Ich bin sehr gespannt auf die Debatte dazu im Ausschuss. Ich hoffe, dass wir auch dazu kommen, auch „Mehr Demokratie“ dazu einzuladen, um gemeinsam zu beraten, wie die eine oder andere Idee tatsächlich aufgenommen werden kann.

Ich will aber noch einen Punkt ansprechen, der uns auch am Herzen liegt. Das hat auch etwas mit Anerkennung von Lebensrealitäten und - ich nenne es einmal - mit politischer Kultur zu tun. Die Geschäftsordnung ist wie fast alle Verordnungen in diesem Land ausschließlich in männlicher Sprache verfasst. Wir werben dafür, geschlechtergerechte Sprache zu verwenden.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)