Im zweiten Beispielsfall, den ich seinerzeit vorgestellt habe, wurde im Rauschgiftmilieu der Stadt Gotha ein Mann erstochen. Hinweise auf einen möglichen Auftraggeber zu diesem Tötungsdelikt gab es hier sehr schnell, da der Geschädigte nur wenige Wochen vor seiner Ermordung den Pkw eines führenden Heroinhändlers angezündet und dessen Familie bedroht hatte. Durch die Abfrage von retrograden Verkehrsdaten aus dem Umfeld des der Anstiftung Verdächtigen wurde hier versucht, an die Tatausführenden zu gelangen. Der Nachweis der Beteiligung an der Durchführung des Tötungsdeliktes konnte noch nicht geführt werden, auch weil sich herausstellte, dass die sechsmonatige Speicherfrist für eine umfassende Analyse nicht ausreichend war. Es konnte allerdings die Struktur des Händlerrings erhellt und sowohl der Hauptverdächtige als auch eine weitere Person des Handelns mit erheblichen Betäubungsmitteln überführt und inhaftiert werden. Das sind zwei kursorische Beispiele aus der Ermittlungsarbeit der Polizeidirektion Gotha. Es gibt eine Fülle aus anderen Polizeidirektionen und ähnlich ist das Bild in anderen deutschen Ländern.
Bei den anstehenden Entscheidungen über die Vorratsdatenspeicherung müssen meines Erachtens die unterschiedlichen, sich widersprechenden Belange gleichermaßen Berücksichtigung finden. Neben der europarechtlichen Verpflichtung, die fortbesteht, gibt es einerseits einen durch die Strafverfolgungsbehörden deutlich artikulierten Bedarf. Das wird die Evaluation sowohl des BKAs wie auch des Max-Planck-Instituts bestätigen. Das Bundesverfassungsgericht hat zu Recht, wie ich finde, den verfassungsrechtlichen Rahmen für eine notwendige Neuregelung definiert und enger gezogen. Es bedarf keiner Darlegung, dass sich das deutsche Ausführungsgesetz, die Neufassung des Telekommunikationsgesetzes, selbstverständlich an diesen Vorgaben orientieren muss und nur schwerwiegende, in der Regel an dem Katalog, der auch sonstige Eingriffe mit vergleichbarer Tiefe rechtfertigende Maßnahmen zulässt, orientieren muss. Dies ändert aber nichts daran, dass für solche eng gefasste, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte Katalogtaten die Vorratsdatenspeicherung unverzichtbar ist. Insofern hoffe ich auf eine baldige Neuregelung durch den Bundesgesetzgeber.
Vielen Dank, Herr Innenminister Prof. Huber. Ich habe eine Wortliste zur Debatte. Ich frage also noch mal formal: Wird die Aussprache gewünscht zum Sofortbericht und zu dem Änderungsantrag? Dann eröffne ich jetzt die Debatte. Das Wort hat Abgeordnete Marx von der SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Fraktionen der LINKEN und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, mit Ihrem nun gemeinsam eingebrachten und ergänzten Antrag beantragen Sie neben der ursprünglich verlangten Klarstellung der Position der Landesregierung, die soeben erfolgt ist durch Minister Prof. Dr. Huber, eine klare Positionierung des Landes Thüringen gegen jegliche Datenvorratsspeicherung. Dieser Position können und werden wir uns nicht anschließen. Sie ist erstens nicht sachgerecht und zweitens auch in gewisser Weise einfältig. Sie staunen, aber ich werde es Ihnen gleich begründen, und zwar im Einzelnen. Die EU-Telekommunikationsrichtlinie, die derzeit evaluiert und danach überarbeitet werden wird - der Minister hat bereits darauf hingewiesen -, erlaubt den Mitgliedstaaten nicht lediglich eine Vorratsdatenspeicherung, sondern hat diese bisher verbindlich vorgesehen. Der Evaluierungsbericht soll am 15.09.2010 - das ist der nächste Mittwoch vorgelegt werden. Schon jetzt liegt jedoch eine Empfehlung der Artikel-29-Datenschutzgruppe von Ihrer Tagung am 15. Juli 2010 vor. Bei diesem Bericht hat die Datenschutzgruppe - das ist die, die nach der Datenschutzrichtlinie der Europäischen Union als ein Gremium unabhängiger Datenschutzbeauftragter aus den Ländern und der Kommission zusammengesetzt ist - die Anwendung der EU-Datenvorschriften kontrolliert; die haben auch schon die Auswertung der Befragung der Mitgliedstaaten in das Netz gestellt. Daraus kann man dann ganz interessantes Datenmaterial ersehen. Schon jetzt ist ganz sicher davon auszugehen, dass die Richtlinie garantiert nicht abgeschafft werden wird auf EU-Ebene. Sie wird vielmehr nach einer Überarbeitung, auf die wir positiv Einfluss nehmen sollten, erhalten bleiben, und zwar aus dem schlichten und einleuchtenden Grund, um für eine ansonsten in einigen EU-Mitgliedstaaten wahrscheinlich unbegrenzt mögliche oder nur mit unzureichenden Kontrollmechanismen begrenzten Vorratsdatenspeicherung klare Reißlinien einzuziehen.
Es gibt Empfehlungen der Datenschutzgruppe Artikel 29, denen wir uns hier anschließen können. Empfehlung eins: Die zulässig zu speichernden Verbindungsdaten müssen klar umschrieben und begrenzt werden. Es hat sich nämlich gezeigt, dass
bislang in etlichen Ländern nicht nur Verbindungsdaten, sondern auch Verbindungsinhalte gespeichert werden. Für interessant und erwägenswert halte ich, dass die EU-Datenschutzgruppe für die Internetverbindungen das Problem benannt hat, dass die Speicherung einer aufgerufenen Webseite letztlich bereits eine Inhaltsspeicherung darstellen kann. Also, wenn ich eine bestimmte Seite aufrufe, werden dadurch auch schon bestimmte Inhalte sozusagen nahegelegt, für die ich mich interessiere. Anders ist es, wenn ich bei einem Telefonanruf lediglich das Datum habe, wer hat wann wen angerufen, dann habe ich noch nicht den Inhalt des Gesprächs.
Empfehlung zwei: Die Übermittlungsgründe müssen streng begrenzt und abschließend aufgezählt werden. Hier sollten und werden wir uns dafür einsetzen, dass es nur bei einem eng begrenzten Katalog schwerer Straftaten möglich wird, Verbindungsdaten abzufragen.
Die dritte Empfehlung ist, die Speicherfristen sollen/ müssen europaweit und einheitlich begrenzt werden. Die Evaluierung hat nämlich ergeben, dass 30 Prozent der EU-Länder die Angaben zur Vorratsdatenspeicherung gemacht haben, die Daten länger als 12 Monate speichern. In der deutschen Umsetzung waren es in dem Gesetz, das für nichtig erklärt worden ist, sechs Monate. Die Kategorie einer Speicherdauer von 6 bis 12 Monaten belegen nur 22 Prozent der EU-Länder. Absoluter Ausreißer ist übrigens Polen. Dort variiert die Speicherdauer von Anbieter zu Anbieter und ein Provider hat Verbindungsdaten sogar zehn Jahre gespeichert bislang.
Die vierte Empfehlung dieser Datenschutzgruppe bei der EU ist, die rechtlichen und technischen Vorgaben einer Übermittlung von Kommunikationsdaten müssen genau bestimmt werden. Die juristischen Autoritäten, so heißt es in dem Bericht, die Zugriff bekommen sollen, und die Voraussetzungen - wir denken hier bundesdeutsch gern an einen Richtervorbehalt - sollten exakt und abschließend geregelt werden. Es sind dann auch noch eine Fülle von technischen Vorgaben genannt. Das sind Details, die ich hier einmal bewusst aufzählen möchte, um Ihnen mal die vielen möglichen Lecks für eine unkontrollierte Ausforschung privater Daten bewusst zu machen. Die Forderungsliste der Datenschutzgruppe für einen paneuropäischen Übermittlungsstandard von Telekommunikationsdaten ist sehr beeindruckend. Das fängt schon einmal damit an, dass man sagt, pro Provider muss nur eine einzige Kontaktstelle da sein. Sie fordert ein einheitliches Datenübermittlungsformat, das einen sicheren, vertrauenswürdigen Datenaustausch zwischen den Übermittlungsstellen ermöglicht. Es muss, selbstverständlich haben wir das in Deutschland bisher auch bei vielen Fällen schon, einen abgegrenzten Übermittlungsbereich mit getrennten
Rechnern und begrenztem Zugang für Abfrager bzw. entgegennehmende Stellen nur durch bestimmte dafür autorisierte und speziell verpflichtete, auch zur Verschwiegenheit verpflichtete Personen geben. Die Übermittlungsdaten müssen einer bekannten und begrenzten abschließenden Datenliste entsprechen, die mit Artikel 5 der Datenschutzrichtlinie der EU und ihrer Umsetzung in nationales Recht übereinstimmt. Dann soll ein Provider-Code festgelegt werden, also eine europaweite ID-Identifikationsnummer. Damit man identifizieren kann, wer hier wirklich abfragt und Missbrauch ausschließt. Das Gleiche soll es für die abfragenden Stellen geben, also eine EU-weite Identifikationsmöglichkeit, dass überprüft werden kann, ob diejenigen, die da kommunizieren, tatsächlich ermächtigt sind, mit solchen Daten umzugehen.
Schließlich last, not least, Abfragedatum und Uhrzeit und eine Anfragenummernspeicherung, damit man identifizieren kann, was wann abgefragt worden ist, und auch nachprüfen kann, ob das auch wirklich durch autorisierte Stellen erfolgt ist. Diese technischen Details sind vielleicht etwas langweilig für nicht mit IT-Sicherheit befasste Menschen, aber wenn Sie die Liste aufmerksam durchgehen, sollte Ihnen einmal mehr klar werden, wie existenziell einerseits und wie immens gefährdet andererseits der Schutz privater Kommunikationsdaten generell ist, nicht nur im Zusammenhang mit der Vorratsdatenspeicherung. Das betrifft den Vorhalt, den ich hier für Sie überraschend erhebe, der Einseitigkeit und der Einfältigkeit dieses Antrags. Der Zugriff staatlicher Ermittlungsbehörden auf Kommunikationsdaten muss selbstverständlich rechtsstaatlich begrenzt und streng kontrolliert werden. Und ich werde mich mit meiner Fraktion auch dafür einsetzen. Aber wie schon in unserer letzten Datenschutzdebatte vor knapp einem Monat wird hier von Ihnen, meine ich, ein veraltetes Feindbild aufgebaut, das zum einen nicht sachgerecht und zum anderen tatsächlich auch noch eher marginal ist.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung ausgeführt, dass die anlass- und verdachtslose vorsorgliche Speicherung von Kommunikationsdaten ein besonders schwerer Eingriff mit einer Streubreite sei, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt. Also der Meinung kann man ja vielleicht sein, aber das ist faktisch einfach nicht richtig. Der deutsche Bericht an die EU zur Vorratsdatenspeicherung hat gut 13.000 staatliche Zugriffe in einem Kalenderjahr vermeldet. Meine und Ihre Kommunikationsdaten werden tagtäglich und millionenfach von den Kommunikationsdienstleistern gesammelt und ausgewertet. Das eigentliche Problem unserer Tage besteht darin, dass viel zu wenig erkannt und darüber diskutiert wird, was diese denn eigentlich damit tun. Das ist wirklich das zentrale Problem und wenn auch die Konferenz der Datenschutzbeauftragten, auf die Sie
dann vielleicht noch mal zurückkommen werden im Laufe der Diskussion, liebe Kollegen, gesagt hat, weil die Speicherung die Erstellung aussagekräftiger Persönlichkeits- und Bewegungsprofile praktisch aller Bürgerinnen und Bürger ermöglicht, sollte man eine Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich unterlassen, dann kann es das nicht nur hier für diesen eng begrenzten Sicherheitsbereich geben. Das Verbot der Totalerfassung gehört zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland, die auch in europäischen und internationalen Zusammenhängen zu wahren ist - so richtig und zutreffend die Konferenz der Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern. Aber wenn das so ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann müssen wir den Fokus auf ganz andere Bereiche richten und da sage ich Ihnen nur mal vier Beispiele für Tätigkeitsfelder dieser EU-Datenschutzgruppe, die viel brisanter sind, als die Vorratsdatenspeicherung. Der Online-Datenschutz: Erst am 26. Mai 2010 hat die Datenschutzgruppe die Unternehmen Google, Yahoo und Microsoft angeschrieben und gesagt, sie sollen ihre Aufbewahrungsfrist personenbezogener Daten eingrenzen, die Möglichkeit vermindern, User in Suchprotokollen zu identifizieren und der Schaffung eines Prüfprozesses sowie einer unabhängigen und externen Überwachungsbehörde zustimmen. Nur mal, um zu wissen, wo das Problem wirklich liegt: Wir haben auch in der letzten Debatte schon einmal kurz angesprochen, die Werbung auf der Basis von „behavioral targeting“ - das ist der Fachbegriff -. Dazu hat diese Arbeitsgruppe Ausführungen am 22.06. gemacht, da geht es um die Cookies, die bei Ihnen eingespeichert werden, um Ihnen dann ein benutzerorientiertes Profil anzubieten und eine zielgerichtete Werbung. Da gibt es auch ganz viel zu regeln. Da haben wir die ganzen Bewegungs- und Verhaltensprofile millionenfach, und bei der Sache mit der Vorratsdatenspeicherung hat es ca. 13.000 Abfragen gegeben.
Ein weiteres Problem, das dringend der Regelung bedarf - und die EU-Datenschutzrichtlinie soll ja auch noch in diesem Jahr neu vorgelegt werden -, ist das sogenannte Cloud Computing, das heißt, Sie haben zu Hause nur noch Ihre Tastatur und die Festplatte liegt woanders, nämlich bei den Providern irgendwo im World Wide Net in Indien, in Deutschland oder sonst wo. Und Sie haben das Problem auch heute schon, wenn Sie Ihre E-Mails aufrufen und nicht löschen, sind die bei Ihrem Provider irgendwo noch gespeichert, und zwar mit dem vollen Inhalt. Und da brauchen wir eine Kontrolle, was damit passiert.
Letztes Problem, was auch noch keiner so richtig kennt, was ich erst jüngst gelesen habe, ist das Geotagging. Beim Geotagging werden mediale Daten wie Fotos und Videos unsichtbar mit geographi
schen Informationen versehen und vielen dürfte nicht bewusst sein, dass ein Smartphone wie das Apple-i-phone diesen Prozess automatisch durchführt. Wenn Sie dann also Ihr Foto, wo Sie gerade sich aufgehalten haben, hier in der Landtagslobby oder sonst wo, dann bei Facebook eingestellt haben, kann jeder, der diese Datei anklickt dann mit einer Software, die als Firefox Add-on runtergeladen werden kann, sich dann auf Google-Maps oder sonst wo anzeigen lassen, wo und an welchem Ort genau dieses Foto aufgenommen worden ist.
Das sind also alles Riesenprobleme und da halte ich es, ehrlich gesagt, für ziemlich paradox, wenn Verbindungsdaten zur Bekämpfung schwerer Straftaten klar eingegrenzt, in einer überschaubaren Anzahl von Fällen nicht nutzbar gemacht werden sollen, für kommerzielle Zwecke aber unbegrenzt millionenfach weiter ausgebeutet werden. Das Bundesverfassungsgericht hat von einem „diffus bedrohlichen Gefühl des Beobachtetseins“ gesprochen. Das zeigt im Begriff die meines Erachtens größte Gefahr für den Datenschutz bzw. die Sicherung der Privatsphäre auf, nämlich eine profunde Unkenntnis über das tatsächliche Ausmaß der Bedrohung der Privatsphäre jedes Einzelnen und darüber, dass diese Bedrohung längst nur noch zu einem vergleichsweise geringen Teil von staatlichen Stellen ausgeht.
Da wir eine verfassungsrechtlich zulässige, am Prinzip der Datensparsamkeit und der Datensicherheit orientierte Nutzungsmöglichkeit gespeicherter Verbindungsdaten zum Zweck der Aufklärung und Verfolgung schwerer Straftaten ebenso wie das Bundesverfassungsgericht nicht von vornherein für unverhältnismäßig halten, werden wir Ihrem Änderungsantrag nicht zustimmen. Wir werden uns vielmehr dafür einsetzen, dass der relativ hohe Datenschutzstandard in Deutschland und in Thüringen weiter ausgebaut und auf private Datensammler ausgedehnt wird - das ist das Wichtigste - und bei der Überarbeitung der EU-Telekommunikationsrichtlinie europaweit Standard wird. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Danke, Frau Abgeordnete Marx. Es hat jetzt Abgeordneter Hauboldt von der Fraktion DIE LINKE das Wort.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte zunächst auf den Antragsteller eingehen und meinen Dank zum Ausdruck bringen an die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die das Thema „Datensparsamkeit statt Vorratsdatenspeicherung“ auf
die Tagesordnung gesetzt haben. Sie können sich mit Sicherheit noch daran erinnern, dass wir vor genau einem Monat unter einer anderen Überschrift, aber zumindest inhaltlich diese Thematik hier im Thüringer Landtag angesprochen haben. Leider hat sich - ich darf das noch einmal in Erinnerung rufen keine Mehrheit gefunden, sich im Detail im Ausschuss sehr tiefgründig weiter mit dieser Materie zu beschäftigen.
Frau Kollegin Marx, ich kann mich noch daran erinnern, Sie haben damals schon sehr im Detail diese Sachlage geschildert. Insofern kann ich Ihren Vorwurf nicht nachvollziehen, wenn Sie sagen, dieser Antrag sei eine Einfältigkeit,
und begründen dann in mehreren Exkursen den Widerspruch zu Ihren Aussagen, es sei dringender Regelungsbedarf. Das kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen. Sie haben auf der einen Seite gesagt, jawohl, dazu gibt es Handlungsbedarf, und auf der anderen Seite sagen Sie „Einfältigkeit“. Ich sage, dem ist nicht so, sondern hier besteht ganz einfach eine bürgerrechtliche Notwendigkeit, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Vorratsdatenspeicherung ist und bleibt ein aktuell brisantes Thema. Ich denke, bezüglich der politischen Auseinandersetzung ist das auch gut so.
Meine Damen und Herren, das Bundesverfassungsgerichtsurteil vom März 2010 ist immer noch nicht umgesetzt, das ist ein Fakt. Die Landesregierung muss sich aus unserer Sicht endlich dazu positionieren - es gibt sehr unterschiedliche Aussagen, Herr Innenminister, Sie sind kurz darauf eingegangen -, wie sie letztlich mit Datenvorratsspeicherungen gerade im Bereich der inneren Sicherheit verfahren will. Sie haben durchaus die Erfolgsbilanz an den Fallbeispielen der Polizei relativiert. Sie haben sich damit, denke ich, noch einmal sehr deutlich als Befürworter - obwohl Sie es so nicht im Detail gesagt haben - an dieser Stelle geoutet. Aber ich gebe zur Kenntnis, dass es durchaus auch Stimmen der Landesregierung gab - die waren öffentlich durch die Presse wahrzunehmen -, die zumindest leise - so will ich es mal formulieren - Zweifel angemeldet haben.
Meine Damen und Herren, es scheint offiziell eine öffentlich-mediale Konfliktlinie - ich will es noch einmal benennen - innerhalb der Thüringer Koalition
zu geben. Jetzt darf ich es sagen, sie verläuft aus meiner Sicht offensichtlich zwischen dem Innenministerium und dem Justizministerium. Es scheint um es genau zu sagen, Herr Kollege, Sie wissen es doch besser als ich -, dass die Befürworter des Sicherheitsstaates beim Innenministerium angesiedelt sind und die Befürworter zur Stärkung von Persönlichkeitsgrundrechten im Justizministerium. Aber das ist meine Wahrnehmung, Sie können das durchaus anders sehen. Ich denke, die Diskussion ist an der Stelle auch noch nicht abgeschlossen. Aber, und da kann ich die SPD auch nicht außen vor lassen, um darauf zurückzukommen, Sie verharren auch in alten Gedankenmustern, denn in der Vergangenheit gab es auch schon prominente Funktionsträger
Da gab es auch schon massive rechtliche Äußerungen zur Aufrüstung des Sicherheitsstaates durch die Instrumentalisierung von europäischen Gremien und da gab es den Prominenten Namen, Sie haben ihn vorweggenommen, Herr Otto Schily, das war ein profundes Beispiel dafür. Danke schön, für den Hinweis.
Dieser Weg, meine Damen und Herren, über die europäische Hintertür besonders für das Thema Telekommunikationsüberwachung und Vorratsdatenspeicherung, weil die fragliche EU-Richtlinie insbesondere, das sollte man durchaus zur Kenntnis nehmen, auf Betreiben deutscher Regierungs- und Behördenvertreter zustande kam. Das Instrument der Vorratsdatenspeicherung ist - ich darf es mal definieren aus unserer Sicht - ein monströser Datenstaubsauger, auch wenn Sie, Frau Kollegin Marx, das etwas relativiert haben. Ich bleibe letztendlich bei dieser Feststellung, eine monströse Datenkrake,
mit der jeder Nutzer und jede Nutzerin von Telekommunikationsmitteln, und das ist insbesondere gerade eine sensible Baustelle, unter einem absurden Generalverdacht des potenziellen Kriminellen gestellt wird. Denn zumindest vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wurden Millionen von Verbindungsdaten von praktisch allen Nutzern gespeichert, im Vorgriff auf eine noch völlig abstrakte, zukünftig vielleicht mögliche Gefährdung - also völlig ohne Anlass. Ein solcher Vorgang mit solchen Ausmaßen bzw. Datenmengen trägt schon aus meiner Sicht paranoide Züge.
Hier, denke ich, meine Damen und Herren, unterscheiden wir uns mit Sicherheit, Herr Kollege Fiedler. Konservative Kontrollfanatiker bemühen sich, eine immer komplexer werdende Gesellschaft mit allen Instrumenten in den Griff zu bekommen, was einen massiven Eingriff in die Privatsphäre darstellt, gegen Menschen und Bürgerrechte verstößt und in seiner Wirksamkeit aus unserer Sicht mehr als zweifelhaft und untauglich ist. Das findet, meine Damen und Herren, die Ablehnung durch meine Fraktion.
Kritische Fachleute weisen daher mit Erfahrungen aus der Praxis immer wieder darauf hin, dass nicht die aufgehäufte Datenmenge das entscheidende Kriterium für wirksame Strafverfolgung und Gefahrenabwehr ist, sondern der sinnvolle und qualifizierte Umgang mit Daten und die fachlich fundamentierte Analyse. Wir, die Fraktion DIE LINKE, lehnen daher die Vorratsdatenspeicherung als Instrument ab. Sie verstößt nicht nur gegen den datenschutzrechtlichen Grundsatz der Datensparsamkeit - damit bin ich auch wieder beim Antragstext der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -, sie ist auch ein unzulässiger, aus unserer Sicht unnötiger Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und die Grundrechte auf Schutz der Privatsphäre, hier insbesondere dem Schutz der Telekommunikationsgeheimnisse in Artikel 10 Grundgesetz.
Nun werden Befürworter, das ist benannt worden, der Vorratsdatenspeicherung einwenden, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 2. März 2010 nicht die Vorratsdatenspeicherung, Herr Minister, Sie haben es auch gesagt, als solche abgelehnt hat, das ist richtig, aber das Gericht hat für weitere Anwendungen sehr hohe Hürden errichtet.
Das sollte man zur Kenntnis nehmen. Denn beim Instrument der Vorratsdatenspeicherung handelt es sich laut Bundesverfassungsgericht um einen besonderen, ich darf das zitieren, Frau Präsidentin, „schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt“. Auch wenn sich die Speicherung nicht auf die Kommunikationsinhalte erstreckt, lassen sich aus den Daten bis in die Intimsphäre hinreichende inhaltliche Rückschlüsse ziehen. Die Datendichte und die zeitliche Dauer erlauben durchaus in ihrer Kombination detaillierte Aussagen zu gesellschaftlichen oder politischen Zugehörigkeiten, zu persönlichen Vorlieben und Neigungen. Das Gericht weist auf das Problem der Erstellung von Bewegungs- und Persönlichkeitsprofilen hin. Die anlasslose Speicherung ist nur im Ausnahmefall und nur zum Schutz von hochrangigen Rechtsgütern und bei konkretem Verdacht auf schwerwiegende Straftaten erlaubt. Der Gesetzge
ber muss Vorschriften zur Datensicherheit schaffen. Hier sage ich nur das Stichwort Grundrechtschutz durch Verfahren. Der Gesetzgeber wird durch das Urteil verpflichtet, zum Schutz der Bürger Transparenzregelungen, zum Beispiel Auskunftsansprüche, zu schaffen.
Eine heimliche Speicherung der Daten bedarf der richterlichen Anordnung. Der Gesetzgeber muss beim Rechtsschutz nachbessern, auch Verwertungsverbote zur Vermeidung schwerer Verletzungen der Persönlichkeitsrechte muss er berücksichtigen.