Protokoll der Sitzung vom 10.09.2010

Für die FDP-Fraktion hat sich der Abgeordnete Recknagel zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, sehr verehrte Damen und Herren, mich treibt es noch einmal hier vor, weil ich noch einmal zu dem Alternativantrag Stellung nehmen möchte. Frau Lehmann, ich kann Ihnen ja in vielen Erkenntnissen, die Sie eben geschildert haben, durchaus folgen, aber erkennen Sie nicht den Widerspruch in dem letzen Punkt Ihres zweiten Absatzes? Da ist die Rede davon, Steuerrechtsvereinfachungen sollen aufkommensneutral ausgestaltet werden.

(Beifall FDP)

Gleichzeitig sagen Sie, Steuersenkungen - ich übersetze das mal mit Steuersatzsenkungen - werden in der gegenwärtigen Situation abgelehnt. Beides geht nicht gemeinsam; das ist also ein in sich widersprüchlicher Punkt. Sie sollten sich das noch einmal überlegen, denn wenn ich die Steuer vereinfache, dann muss ich Ausnahmetatbestände abschaffen. Herr Meyer, Sie haben recht mit der Forderung, Ausnahmetatbestände abzuschaffen, Steuersubventionen abzuschaffen, da sind wir ganz beieinander. Wenn ich das gleichzeitig aufkommensneutral gestalten möchte, dann muss ich gleichzeitig die Steuersätze senken. Aufkommensneutral würde ja auch bedeuten, wenn die Berechnungsbasis, beispielsweise die Gewinnsituation der Unternehmen, die Einkommenssituation der abhängig Beschäftigten steigen, dann müsste ich auch dann die Steuersätze senken, um Aufkommensneutralität herzustellen. Ich bin mir nicht sicher, ob Sie überhaupt wissen, was Sie da geschrieben haben.

Herr Huster, ich kann es nicht lassen, noch einmal darauf einzugehen, was Sie eben gesagt haben. Vermögensteuer ist ja etwas, was Sie immer wieder ansprechen - Vermögensteuer, was heißt denn das? Also wir hatten eine Vermögensteuer, da lag der Steuersatz bei 1 Prozent. Das will ich mal in die Einkommensteuer übersetzen. Wenn ein mittelständisches Unternehmen in Thüringen, in Deutschland oder anderswo eine Rendite von etwa 2 Prozent hat, dann bedeutet das bei einem Vermögensteuersatz von 1 Prozent effektiv eine Einkommensbesteuerung von 50 Prozent. Jetzt zählen Sie mal die Einkommensbesteuerung, die es ja sowieso schon

gibt, dazu und Sie kommen bei astronomischen Sätzen raus - es gab ja eben schon mal einen Einwurf dazu - da sind wir sehr schnell bei Steuersätzen von 100 Prozent, das mag Ihnen aus sozialistisch-marxistischer Sicht recht sein, und manchmal sind wir sogar über 100 Prozent. Das ist eben nicht mehr das, was in unserem Grundgesetz als leistungsgerechte Besteuerung, als Besteuerung nach Leistungsfähigkeit vorgesehen ist. Sie bewegen sich da sehr schnell jenseits des Grundgesetzes und da sollte man doch sehr vorsichtig sein. Danke schön.

(Beifall FDP)

Für die Fraktion DIE LINKE hat sich der Abgeordnete Kuschel zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass das Steuerrecht nicht einfach ist, zeigt auch, dass selbst Abgeordnete ab und zu mal Probleme haben mit der Finanzverwaltung und die eine oder andere Steuererklärung nicht ordnungsgemäß abgeben. Insofern ist das - wenn es eine Vereinfachung gäbe - auch eine Entlastung für uns. Aber das nur als Vorbemerkung.

Ich wollte mich noch einmal mit der Forderung der Aufkommensneutralität auseinandersetzen. Ich bleibe dabei und auch unsere Fraktion ist davon überzeugt: Wir haben kein Ausgabenproblem in den öffentlichen Haushalten, sondern insbesondere ein Einnahmeproblem. Sowohl die Fraktion der FDP als auch die der CDU sollten jetzt mal genau meine Rechnung nachvollziehen und mir dann vielleicht erläutern, wie in Kenntnis dieser Fakten Sie an Ihrer Forderung der Aufkommensneutralität im Steuerrecht festhalten wollen. Ich nenne Ihnen nur mal die Defizite der öffentlichen Haushalte in diesem Jahr. Bei den Kommunen sind es 15 Mrd. €, immer bundesweit, bei den Ländern rund 30 Mrd. € und beim Bund rund 80 Mrd. €. Wenn Sie das zusammenaddieren, selbst wenn es vielleicht durch die Konjunkturentwicklung in diesem Jahr insbesondere beim Bund vielleicht nicht ganz 80 Mrd. € werden, reden wir aber über einen Betrag von rund 110/120 Mrd. €.

(Zwischenruf Abg. Recknagel, FDP: Und die Ausgaben …)

Zu den Ausgaben komme ich noch, wo wir kürzen könnten. Die gesamte öffentliche Verschuldung liegt bei 1,7 Billionen €, alle drei föderalen Ebenen. Sie können also jetzt darüber philosophieren, wie das die FDP macht. Wir können das durch Ausgabenkürzungen in irgendeiner Art und Weise kompensieren. Da haben wir mal nachgeschaut. Die Kommunen investieren in diesem Jahr 18 Mrd. €,

(Abg. Meyer)

das heißt, wenn Sie ausschließlich über eine Ausgabenreduzierung die laufenden Defizite und das aufgelaufene Defizit, also die 1,7 Billionen €, abbauen wollen, müssten Sie beispielsweise fordern, alle kommunalen Investitionen auf null zu fahren, bundesweit. Da müssen Sie aber wissen, dass z.B. im Tiefbaubereich 70 Prozent aller Aufträge kommunale Aufträge sind. Das heißt, Sie würden dann ganze Wirtschaftsbranchen brachlegen. Das hätte ja wieder Wechselwirkungen, sowohl was das Steueraufkommen betrifft als auch was die Sozialsysteme angeht. Insofern muss mal die FDP sagen, wie sie 110 Mrd. € in der Bundesrepublik Deutschland einsparen will bei einem Steueraufkommen von etwa 550 Mrd. €, wenn ich alle drei Ebenen zusammenaddiere. Das heißt also, rund 20 Prozent auch der Ausgaben wollen Sie reduzieren oder müssten Sie reduzieren, wenn Sie bei Ihrer Aufkommensneutralität bleiben. Ich bin überzeugt, das ist ein Irrweg, den Sie hier beschreiten, und dass Sie den Leuten das einreden, ist verantwortungslos, weil Sie immer wieder den Vorwurf formulieren, der Staat wäre angeblich ineffizient und dort könnte gespart werden. Wobei ich immer auf Ihrer Seite bin, wenn man Prüfberichte liest, dass dann an der einen oder anderen Stelle tatsächlich Geld auch uneffizient zum Einsatz kommt. Aber ich bleibe bei meiner Überzeugung, einen dreistelligen Milliardenbetrag im Jahr ausschließlich durch Ausgabenreduzierung auszugleichen, ist jenseits jeder Realität.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, dann müssen Sie noch einmal bei der Aufkommensneutralität die Frage beantworten, wie Sie denn mit den allgemeinen Kostensteigerungen umgehen, also der Inflationsrate und den Tarifentwicklungen. Allein durch die Inflationsrate und die Tarifentwicklung kommt es jährlich zu einer Ausgabensteigerung zwischen 2 und 3 Prozent. Das heißt, wenn die Einnahmen konstant bleiben, heißt das nichts anderes, als dass dem Staat, den öffentlichen Haushalten Einnahmen verloren gehen allein durch diese Entwicklung bei den allgemeinen Kosten und bei der Tariferhöhung. Auch die Frage haben Sie bisher nicht beantwortet, ob Sie zumindest bereit sind, diese Steigerung über das Steuerrecht abzufangen. Das hieße, das Steueraufkommen müsste sich in jedem Jahr etwa 2 bis 3 Prozent erhöhen, um nur diesen Ausgleich zu schaffen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine kurze Anmerkung zu den Auswirkungen der jetzigen Diskussion zur Gewerbesteuer. Das hängt ja hiermit unmittelbar zusammen, weil das von Vorrednern hier diskutiert wurde. Die FDP will die abschaffen. Ich will an dem Beispiel festmachen, wen Sie im Steuerrecht bei Ihren Steuerpositionen bevorzugen und wen Sie tatsächlich mehr belasten, weil da wird noch einmal deutlich, wie unglaubwürdig Sie argumentieren, weil Sie immer sagen, der Mittelstand ist für Sie eine Zielgruppe, die steuerlich ent

lastet werden muss. Wenn Ihr Konzept aufgeht, Abschaffung der Gewerbesteuer und dafür ein Hebesatz auf die Einkommens- und Körperschaftssteuer, ich blende einmal die Verschärfung der kommunalen Konkurrenzsituation aus, sondern nur ganz einfach, das heißt, Kapitalgesellschaften, die jetzt in Summe eine Steuerbelastung von etwa 30 Prozent haben - 15 Prozent Körperschaftssteuer, 14,8 Prozent Gewerbesteuer -, wird nach Ihrem Modell mit dem Hebesatz in Summe die Steuerlast dort reduziert auf 24,5 Prozent. Ich bleibe bei den 15 Prozent und Anhebung über den Hebesatz. Das sind Berechnungen aus dem Bundesfinanzministerium. Der Einzelunternehmer hat von der Abschaffung der Gewerbesteuer überhaupt nichts, der kann nämlich gegenwärtig seine Gewerbesteuer mit der Einkommensteuer verrechnen, der Veranlagte, der Einzelunternehmer. Das heißt, Ihre Klientel, die Sie immer wieder ansprechen, entlasten Sie nicht, sondern dort bleibt es bei der Belastung. Sie entlasten wieder nur Kapitalgesellschaften. Das ist zulässig als Konzept, aber es ist nicht zulässig, die Öffentlichkeit im Unklaren zu lassen. Von daher bleibe ich dabei, Sie sind eine Partei, die ausschließlich die Kapitalgesellschaften, die großen Kapitalgesellschaften im Blick hat.

Herr Abgeordneter Kuschel, gestatten Sie eine Anfrage durch den Abgeordneten Recknagel?

Bitte schön.

Danke schön, Herr Kuschel. Sind Sie mit mir einer Meinung, dass es auch mittelständische Kapitalgesellschaften gibt und dass jeder Unternehmer das Wahlrecht hat, ob er sein Unternehmen in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts beispielsweise oder einer Kapitalgesellschaft führt?

Das ist mir bekannt. Ich habe mich mit der Struktur der Unternehmerschaft in Thüringen beschäftigt. Wir sind hier im Thüringer Landtag und Sie haben vorhin betont, Sie machen dort Politik, wo Sie ein Mandat haben, also sind wir jetzt hier in Thüringen.

Von den Gesamtunternehmern - wenn ich die Definition für kleine und mittelständische Unternehmen der Europäischen Union zurate ziehe, also mit bis zu 500 Beschäftigten, Jahresumsatz nicht über 50 Mio. € - haben wir in Thüringen 30 Prozent Kapi

talgesellschaften, 70 Prozent Einzelunternehmer. Ich gehe immer davon aus, insbesondere wenn Sie Mittelstandsförderung betreiben, dass Sie zumindest diese übergroße Mehrheit der veranlagten Einzelunternehmer nicht aus dem Blick verlieren. Es ist klar, der Unternehmer hat eine Wahlform, aber ich weiß nicht, ob man über das Steuerrecht Unternehmer zwingen sollte, eine Form des privaten Gesellschaftsrechts anzustreben. Zumindest ist Ihr Steuerkonzept nicht ehrlich, wenn Sie in der Öffentlichkeit behaupten, Sie wollen kleine und mittelständische Unternehmen fördern, weil Sie zumindest diesen gesamten Bereich der Einzelunternehmer bisher ausgenommen haben. Sie können ja nachbessern, aber bisher haben Sie es herausgenommen.

Ich will einen oder zwei letzte Aspekte benennen, wo deutlich wird, dass das FDP-Konzept ins Leere läuft und dass auch insbesondere die CDU Probleme hat, was ihren Entschließungsantrag angeht. Wenn wir über Steuerrecht diskutieren und differenzierte Entwicklungen und Umstände wie in unternehmerischer Tätigkeit abbilden wollen, müssten wir noch einmal eine Diskussion eröffnen, ob wir hinsichtlich eines differenzierten Umsatzsteuersatzes tatsächlich den Branchen helfen, die sehr arbeitsintensiv sind. Da wäre zum Beispiel auch das Friseurhandwerk; darüber könnte man diskutieren. Das spielt aber bedauerlicherweise in der Diskussion sowie im Konzept der FDP bisher keine Rolle. Aber das wäre tatsächlich wirksam und hätte mehrere Effekte. Wenn ich mal zum Abschluss ein Beispiel aus dem aktuellen sogenannten Sparpaket der Bundesregierung herausnehmen darf - was ja kein Sparpaket, sondern ein Kürzungspaket ist, da ist schon die Wortwahl verkehrt -, das hat gestern schon in einer Mündlichen Anfrage eine Rolle gespielt: Da wird beim Wohngeld gekürzt, beim Heizkostenzuschuss und derartigen Dingen. Da sparen Bund und Land, aber die Kommunen werden belastet, weil ein Teil der Betroffenen in das System Hartz IV und damit in die Kosten der Unterkunft fällt. Da frage ich mich, was macht das für einen Sinn, wenn man föderale Ebenen gegeneinander ausspielt? Das sogenannte Sparpaket ist im Bundesrat zustimmungspflichtig und ich frage mich, wie da die Landesregierung agiert hat, ob sie dort die Interessen der Thüringer Kommunen berücksichtigt hat oder ob sie wieder nur ausschließlich sehr verkürzt den Blick auf den Landeshaushalt genommen hat. Insgesamt bin ich der Überzeugung, dass die Ansätze in Ihrem steuerrechtlichen Konzept völlig verkehrt sind, solange Sie daran festhalten, dass Sie der Öffentlichkeit einreden, es geht um Aufkommensneutralität. Wir brauchen einen Aufwuchs der öffentlichen Einnahmen, und zwar nach dem Prinzip der Leistungsfähigkeit. Wir haben ein Konzept aufgestellt, da werden alle Einkommen bis zu 6.000 € im Monat steuerlich entlastet, aber wir sagen auch deutlich, alle Einkommen über 6.000 € im

Monat und unternehmerische Tätigkeit plus Vermögen werden moderat belastet. Danke.

(Beifall DIE LINKE)

Für die CDU-Fraktion hat sich Abgeordneter Voigt zu Wort gemeldet.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Kollegen! Herr Kuschel, bei Ihren Ausführungen ist am deutlichsten geworden, worin der philosophische Unterschied besteht, wie man mit Steuern umgeht. Sie sehen auf der einen Seite den Staat als ein künstliches Gebilde, das den Bürgern das Geld aus der Tasche nehmen kann nach Belieben. Auf der anderen Seite ist die Vorstellung auch unserer Koalition, dass Steuern natürlich das geliehene Geld der Bürger sind und es sich lohnt, darüber nachzudenken, wie man mit diesem Geld umgeht und ob die Bürger in einer Weise belastet werden, die es zu prüfen gilt, und ob man sich auch die Frage stellen kann, diese Belastung zurückzuführen. Ein einfaches, gerechtes - und ich möchte hinzufügen niedriges Steuersystem ist etwas, womit sich alle Koalitionen sicherlich verbunden fühlen. Nach Ansicht der CDU geht es gerade darum, die Mittelschicht zu entlasten und die Ausplünderung der Mittelschicht zu beenden.

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Wer hat das aber bisher vollzogen?)

An dem Punkt - ich komme gleich dazu, Herr Kuschel - darf man die Frage von Herrn Meyer ruhig mal beantworten, nämlich: Kann es ein gerechtes Steuersystem geben? Ich glaube ja, wenn man eine genaue Definition von gerecht auch im Steuersystem vornimmt. Es gibt führende Steuerrechtler, die auch die Frage der Gerechtigkeit angehen, die zum Beispiel schreiben, ich zitiere: „Gerecht ist, wenn nur das wirtschaftliche Ergebnis aus Erwerbstätigkeit steuerlich belastet wird. Nur durch die Erwerbstätigkeit veranlasste Ausgaben sind absetzbar, und das in voller Höhe und ohne Ausnahme. Mit dem Steuerrecht verfolgte gesellschaftspolitische Ziele müssen wegfallen.“ Das ist genau der Punkt. Das, was ich mit meinen Händen erarbeite oder mit meinem Geist, das ist am Ende das, was ich auch steuerlich belasten kann. Das ist die große Frage, der wir uns widmen müssen, nämlich wie gehen wir damit um. Da gibt es natürlich auch ein paar Steuerwahrheiten in Deutschland, die man nicht verhehlen sollte. Die erste ist, es zahlen 28 Mio. Beschäftigte in Deutschland, die eine sozialversicherungspflichtige Arbeit vollziehen, den gesamten Anteil von 380 Mrd. € Sozialabgaben, das ist die Realität in Deutschland. Die Hälfte der gut 47 Mio. Haushalte in Deutschland zahlen überhaupt

(Abg. Kuschel)

keine Steuern auf ihr Einkommen. Das ist doch eine Situation, die müssen wir ernst nehmen. 10 Prozent zahlen 53 Prozent der Einkommensteuer. Das ist ein Punkt, da müssen wir einfach zumindest einen Blick darauf werfen. Ob wir am Ende zu anderen Resultaten kommen, das sei gestattet. Aber, ich glaube, eine relativ unideologische, einfach nur auf den Fakten basierende Diskussion würde uns mindestens zu drei Fragen führen, die zu einer Ungerechtigkeit im heutigen Einkommensteuersystem führen.

Die Erste ist: Es kann doch wohl nicht angehen, dass wir seit dem 01.01.2009 eine Abgeltungssteuer haben, die auf das Kapital 25 Prozent Steuerpflicht erhebt, aber in dem anderen Bereich, wenn Menschen mit ihrer Hände Arbeit versuchen, Erwerb zu erringen, zahlen sie im Extremfall 42 Prozent. Das ist eine Ungerechtigkeit, die so einfach nicht funktionieren kann. Da lohnt es sich schon, darüber nachzudenken, wie man diese Ungerechtigkeit ausgleicht.

Zweiter Punkt: Das ist eine Realität, die knüpft daran unmittelbar an, weil mir natürlich vollkommen klar ist, dass DIE LINKE jetzt möchte, wir müssen Kapital mehr besteuern. Das große Stichwort „kalte Progression“: Die Realität ist doch, als wir das Einkommensteuersystem 1957 eingeführt haben, war das durchschnittliche Jahreseinkommen eines Deutschen 3.000 DM und der Spitzensteuersatz war 21-fach höher.

(Zwischenruf Abg. Meyer, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Der Westdeutschen.)

Für mich sind auch Westdeutsche Deutsche, aber wenn Sie das anders sehen, ist das okay.

(Beifall FDP)

2008 war das durchschnittliche Jahreseinkommen eines deutschen Arbeitnehmers 32.000 €. Der Spitzensteuersatz liegt bei dem 1,5-fachen. Das ist doch unser tatsächliches Problem. Das ist das, was ich auch öffentlich gesagt habe. Es kann doch nicht angehen, dass heutzutage der mittelgeprägte deutsche Arbeitnehmer fast in die höchsten Einkommensteuerklassen kommt. Das ist doch eine soziale Ungerechtigkeit, die angegangen werden muss, liebe Freunde.

(Beifall CDU, FDP)

Da geht es doch auch um die Fragestellung der Grenzbelastung von mittleren Einkommen. Nichts anderes ist doch vorhin hier gefallen. Zwischen 20.000 und 40.000 €, deren Grenzbelastung liegt bei 60/65 Prozent durch Steuern und Sozialabgaben. Das ist doch das tatsächliche Problem. Auf der anderen Seite - da stimmen Sie bestimmt mit mir überein - haben wir ein Problem bei der Bemessungsgrundlage. Denn es gibt Leute, die können sich künstlich arm rechnen, weil es so viele Aus

nahmetatbestände im deutschen Steuerrecht gibt. Das können wir doch nicht zulassen. Wir müssen diese Ausnahmetatbestände im Einkommensteuerrecht abschaffen, weil wir am Ende dadurch eine viel größere Gerechtigkeit im Steuersystem haben.

Herr Abgeordneter Voigt …

Am Ende dann.

Deutschland wird dadurch zu einem Volk von Steuerakrobaten, und das wollen wir verhindern.

Der letzte Punkt, den ich auch nennen will: Ein gerechtes Steuersystem muss auch darauf achten, dass es dem Aspekt einer stärkeren Berücksichtigung von Familien auch Rechnung trägt. Ich glaube, höhere Freibeträge für Familien, für Kinder ist ein wichtiger Bestandteil auch eines Steuerrechtes, das dafür sorgt, die Menschen zu entlasten. Denn der Grundsatz gilt: Mehr Brutto vom Netto und der Fleißige sollte nicht der Dumme sein.

(Beifall CDU, SPD)

Jetzt komme ich noch zu dem, was Herr Huster gesagt hat. Sie haben sich darüber mokiert, dass die Mehrwertsteuer gestiegen ist. Ich glaube, es ist eine Fragestellung, mit der man sich durchaus auseinandersetzen kann. Aber die weitgehende Meinung im Steuerrecht und in der Steuerrechtsexpertise ist doch, dass eine Verlagerung auf indirekte Steuern deutlich sinnvoller ist, weil die Bemessungsgrundlage sehr viel genauer ist, nämlich alle mit einbezieht. Der Anteil der Umsatzsteuer ist seit 1950 um knapp zwei Drittel gestiegen. Das ist doch auch ein Beleg dafür, dass wir hier versuchen, eine klarere Systematik im Steuerrecht anzugehen. Ich denke, es ist auch ein Weg, der lohnenswert ist.

Ich rufe Sie auf, der Antrag der SPD und der CDU wirbt für Aufkommensneutralität, weil es natürlich auch um die Konsolidierung von Staatshaushalten geht, aber gleichzeitig auch um die Entlastung der Mittelschicht und das ist uns ein wichtiges Ziel und dafür sind wir auch angetreten. Schönen Dank.

Herr Abgeordneter Dr. Voigt, gestatten Sie jetzt die Anfrage des Abgeordneten Kuschel.

Bitte schön.