Protokoll der Sitzung vom 08.10.2010

Dass es natürlich nicht sein kann, dass eine Schule Klassen hat, in der acht Leute sitzen, die einen Beruf erlernen wollen, und es 10 km hin im nächsten Landkreis genau dieselbe Schule gibt, da sind wir uns einig.

Noch ein Wort zum Thema der Durchlässigkeit. Dass für die Regelschule nach Klasse 5 und 6 und für die Thüringer Gemeinschaftsschule nach Klasse 5, 6, 7 und 8 eine Durchlässigkeit zum Gymnasium gegeben ist, ist eine Ungleichberechtigung der beiden Schulen; ich denke, hier sollte nachverhandelt werden, denn Gleichberechtigung muss natürlich in allen Phasen sein. Um noch mal auf die besondere Leistungsfeststellung zu kommen: Ich glaube, die besondere Leistungsfeststellung ist deshalb auch wichtig, um den Regelschülern dieses Gefühl der Gleichberechtigung zu geben. Wenn die Gymnasialschüler nach der 10. Klasse diesen Abschluss anerkannt bekämen, egal wie gut oder wie weniger gut ihre erreichten Leistungen sind, dann ist das einfach nicht hinnehmbar, weil die Regelschüler so richtig viele Prüfungen machen, das wissen wir alle, und die sind auch hochwertig. Dieser Abschluss, mittlere Reife, ist nicht unbedeutend, und deshalb ist es schon zu verlangen, dass auch Gymnasialschüler zumindest eine besondere Leistungsfeststellung, also diese Klausur, schreiben.

Sehr verehrte Damen und Herren, ich glaube, das ist genug, wir haben da ganz viel Redebedarf. Ich bin also nicht so ganz glücklich darüber, dass die komplette Novellierung des Gesetzes im roten Faden die Gemeinschaftsschule hat; alles andere kommt mir ein bisschen zu kurz. Aber dazu gibt es ja Gott sei Dank die Ausschussberatungen und die Anhörungen und auf diese Diskussionen können wir alle gespannt sein. Ich denke, gemeinsame Beratung ist der richtige Weg für die Thüringer Schullandschaft. Vielen Dank.

(Beifall CDU, FDP)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete. Für die Fraktion der SPD spricht der Abgeordnete Peter Metz.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Sojka, es ist jetzt schon ein bisschen her, dass Sie gesprochen haben, aber ich will trotzdem noch mal eine kurze Bemerkung machen. Sie haben mir in Ihren Redebeiträgen in den vergangenen Debatten sehr oft aus dem Herzen gesprochen, das will ich gern zugeben. Dieses Mal gab es aber auch nur wirklich einen Punkt, der mir noch positiv in Erinnerung ist, und das ist, dass Sie bei Herrn Merten dafür gesorgt haben, dass er mal zur Räson gerufen wurde. Das haben Herr Emde und

ich, glaube ich, in dem ganzen Jahr Regierungsbeteiligung noch nicht geschafft. Das war eine Sache, die mir wirklich positiv in Erinnerung geblieben ist,

(Zwischenruf Abg. Sojka, DIE LINKE: An wel- cher Stelle denn?)

auf die negativen gehe ich gleich noch mal ein.

Aber nun im Ernst. Ein durchaus leistungsstarkes Thüringer Schulsystem, das weiterentwickelt werden muss trotz haushalterischer Engpässe und auf der anderen Seite gesellschaftspolitische Erkenntnisse, gesellschaftliche Verläufe bestätigt durch die Shell-Studie, die dem doch auch ein bisschen entgegenspricht. Es gibt mehr ehrgeizige junge Menschen, die einen höheren Schulabschluss anstreben als die jeweils besuchte Schulart zulässt. Und der Druck und die Zukunftsangst bei sozial schwachen Kindern, weil sie eben genau mit dem Bewusstsein, mit dem traurigen Bewusstsein leben, dass diese Perspektive nur schwer oder gar nicht erreichbar ist, der Druck und diese Perspektivlosigkeit wächst in allen Studien, die zu lesen sind. Jeder Vierte, jede Vierte hat mit Sitzenbleiben Erfahrung gemacht und private Nachhilfeanbieter ersetzen an vielen Punkten die Ganztagsangebote. Das sind die groben Herausforderungen, vor denen wir stehen, Kindern und Jugendlichen aus allen Schichten wieder eine Chance durch Bildung zu geben und die Chance zu geben, die Welt zu erkunden, zu erleben, zu begreifen, vielleicht später auch mal zu verändern. Und das Ganze nicht mit Druck, sondern mit individueller Förderung, denn es gilt für mich und für die Fraktion der SPD das Zitat von Montessori: „Die Aufgabe der Umgebung ist nicht, das Kind zu formen, sondern ihm zu erlauben, sich zu offenbaren.“ Und wer das möchte, der muss die gesetzlichen Voraussetzungen beschließen, damit sich Schulen auf den Weg dazu machen können, und das ist einer der zentralen Punkte in diesem Schulgesetz.

(Beifall SPD)

Wir geben den Schulen, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Luft zum Atmen und die Luft, sich weiterzuentwickeln und genau das bettet sich in eine modernisierte Bildungspolitik in Thüringen ein, die die Zeichen der Zeit erkannt hat. Bildungschancen dürfen nicht vom Geldbeutel der Eltern, der Herkunft oder sogar der Behinderung abhängig gemacht werden. Und dabei stehen diejenigen Schulen, die sich auf den Weg machen, vor großen Herausforderungen. Genau deshalb war, aufgrund dieser großen Herausforderung, aufgrund dessen, dass Schulentwicklung auch mal Zeit benötigt, und die Kraft aller, die mit in der Schule wirken, benötigt, auch die Freiwilligkeit von Anfang an integraler Bestandteil des Konzepts der SPD. Ich kann nicht auf der einen Seite Eigenverantwortung von Schulen beschwören und dann ein System oktroyieren.

(Abg. Hitzing)

Die Argumente, meine sehr geehrten Damen und Herren, für die Gemeinschaftsschule sprechen für sich. Die Entscheidung für eine bestimmte Schulart darf nicht die Entscheidung für einen bestimmten Abschluss sein. Frau Hitzing, es gibt - jetzt ist sie wahrscheinlich demonstrieren, da gehen wir auch nachher gemeinsam hin. Die Entscheidung für eine bestimmte Schulart ist eben auch die Entscheidung für einen bestimmten Abschluss, denn wenn wir sehen, dass wir gerade mal 2 Prozent Fluktuation zwischen den Schularten haben und den größten Wechsel vom Gymnasium auf die Regelschule, dann stimmt Ihr Argument mit dem längeren gemeinsamen Lernen an dieser Stelle erst recht nicht.

Gemeinschaftsschulen, die Länder, in denen Gemeinschaftsschulen entstehen und auch flächendeckend sind, ja, sind die Kompetenzwerte von den schlechten Schülerinnen und Schülern gestiegen, aber genauso auch von den guten, und das alles, weil in einer Klasse und in Gruppen, in denen mit unterschiedlichen Leistungsniveaus gelernt werden muss, auch die Anforderungen an Binnendifferenzierung, die Anforderungen an Lehrerinnen und Lehrer für individuelle Förderung steigen. Hunderte von Studien besagen - Frau Rothe-Beinlich hat das erwähnt -, die Entscheidung nach der 4. Klasse ist viel zu früh und vor allem eines - individuell aus der Sicht des Kindes gedacht -: Kinder dürfen nicht aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen werden, nur weil sie unterschiedliche Leistungen bringen. Wer eine solidarische Gesellschaft will, meine sehr geehrten Damen und Herren, der muss dafür sorgen, dass Kinder voneinander und untereinander lernen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt die Gemeinschaftsschule bereits, bei der Kinder aus allen sozialen Schichten mit unterschiedlichen Leistungsniveaus gemeinsam lernen, und das ist eine der erfolgreichsten Schulen weltweit, wenn nicht sogar die erfolgreichste, das ist die Thüringer Grundschule. In der Thüringer Grundschule lernen Kinder aller Schichten, aller Leistungsniveaus gemeinsam und da muss man sich schon die Frage stellen, warum Thüringer Kinder mit neun und zehn Jahren weltweit mit an der Spitze sind und sich dann mit 13 und 14 im durchschnittlichen Niveau befinden. Da muss man sich schon fragen, woran das liegt. Eine zentrale Antwort ist natürlich die systemische und das längere gemeinsame Lernen. Die Thüringer Gemeinschaftsschule - ich habe es bereits gesagt -, diejenigen, die sich auf den Weg machen werden, stehen vor großen Herausforderungen, weil eben systemische Veränderungen und längeres gemeinsames Lernen nicht die einzigen Punkte sein werden, die Schülerinnen und Schüler zu besseren Leistungen, zu sozialen Kompetenzen verhelfen, sondern es muss eine Veränderung des pädagogischen Konzepts geben. Deshalb die Freiwilligkeit und, liebe Astrid Rothe-Beinlich, ja, auch

ich möchte die flächendeckende Einführung der Gemeinschaftsschule und dann diskutieren wir nicht nur im Ausschuss konstruktiv gemeinsam, sondern lassen Sie uns auch vor Ort in den Kommunen dafür sorgen, dass Gemeinschaftsschulen entstehen können. Das Gesetz gibt dazu die Möglichkeit. Ja, Kommunen und Schulen müssen eigentlich Hand in Hand entscheiden. Was aber nicht geht, ist, aus ideologischen Gründen den Willen von Eltern, Lehrerinnen und Lehrern, Schülerinnen und Schülern vor Ort zu missachten. Das geht nicht, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung spricht Bände: 86 Prozent der Thüringerinnen und Thüringer sind für die Gemeinschaftsschule und für längeres gemeinsames Lernen. Wer Veränderungen will, der muss dafür sorgen, dass sich die gesamte Schullandschaft weiterentwickeln kann, und ich muss eines sagen, Herr Emde, ich bin mittlerweile fest davon überzeugt, die veränderte Schulausgangsphase, die individuelle Schulabschlussphase an den Regelschulen wird die Quote derjenigen Kinder senken, die ohne Schulabschluss von der Schule gehen.

(Beifall CDU)

Ich denke auch, dass viele Schulen mit diesem Bewusstsein das Qualitätssiegel „Oberschule“ erhalten werden.

(Beifall CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, man kann nicht auf der einen Seite die bunten freien Träger unterstützen - mit sehr nachvollziehbaren Gründen - und die Unterschiedlichkeit von Schulen und die Entwicklung von Schulen im Sinne einer zersplitterten Bildungslandschaft kritisieren. Eltern müssen und Eltern werden in Zukunft mit den Füßen abstimmen. Ich jedenfalls und meine Fraktion unterstützen das Anliegen, wir unterstützen die Eltern vor Ort. Lassen Sie uns gemeinsam im Ausschuss konstruktiv diskutieren. Frau Rothe-Beinlich hat hier in der Debatte vorgemacht, wie man das machen kann. Danke schön.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. Gibt es Wortmeldungen aus den Reihen der Abgeordneten? Ich sehe, das ist nicht der Fall. Herr Minister Matschie, bitte.

Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen, die Debatte hat gezeigt - und das ist neu -, dass es

(Abg. Metz)

keine Grundsatzdebatte mehr gibt über Sinnhaftigkeit längeren gemeinsamen Lernens, sondern dass wir uns im ganzen Hause einig sind, dass es ein sinnvolles Modell ist, Kinder nicht schon nach der 4. Klasse zu trennen, sondern die Option anzubieten hier in Thüringen, Schulen aufzubauen, in denen länger gemeinsam gelernt werden kann. Ich glaube, dass das eine gute Entwicklung ist und auch eine folgerichtige Entwicklung, denn es geht ja hier nicht um irgendwelche Ideologiedebatten, sondern es geht am Ende darum, dass wir von den besten Schulsystemen lernen. Wer sich die internationalen Vergleiche anschaut, der weiß, wie die besten Schulsysteme strukturiert sind, eben nicht mit einer frühen Trennung, sondern mit längerem gemeinsamen Lernen.

(Beifall SPD)

Die Debatte hat aber auch gezeigt, und auch das muss man ernst nehmen, wie unterschiedlich die Vorstellungen im Detail sind, die in einzelnen Fraktionen bestehen.

Jetzt, werte Kolleginnen und Kollegen, haben wir die Wahl: Entweder jeder beharrt auf seinen unterschiedlichen Positionen im Detail oder wir machen uns mit dem existierenden Grundkonsens auf den Weg und versuchen, ein gemeinsames Modell für Thüringen zu beschreiben und zu formulieren. Ich werbe für das Zweite.

(Beifall SPD)

Mehrfach ist hier erwähnt worden, Frau Hitzing hat das gesagt, Herr Emde auch, wir haben ein gutes Fundament, auf dem wir weiterbauen können. Das Thüringer Schulsystem ist im deutschen Vergleich im Spitzenfeld. Das ist eine gute Voraussetzung für die Weiterentwicklung. Dass wir da sind, ist aber kein Grund zu sagen, die Weiterentwicklung muss nicht passieren, sondern es hat auch in der Vergangenheit immer wieder neue Impulse für die Schulentwicklung gegeben und wir sind jetzt wieder an einem Punkt, wo wir sagen, wir brauchen den nächsten Impuls für die Schulentwicklung. Wir müssen uns den bildungspolitischen Debatten stellen, wir müssen uns den internationalen Erfahrungen stellen und unser Schulsystem weiterentwickeln, damit wir ganz vorn mitmischen.

Frau Sojka, Sie haben sehr zugespitzt gesagt, das gegliederte Schulsystem wird ja nur zementiert, es passiert überhaupt nichts. Ich weiß nicht, warum Sie so wenig Vertrauen in Eltern und Lehrer und Schulträger vor Ort haben.

(Beifall SPD)

Ich verstehe es nicht, weshalb Sie glauben, dass man mit einem Federstrich aus Erfurt die Entwicklung besser auf den Weg bringen kann. Ich finde, die Evaluation ist ein äußerst erfolgreiches Modell, ein Modell, was man auch gerade in der Schulent

wicklung nutzen kann, eben nicht alles von einen Tag auf den anderen über den Haufen zu werfen, sondern Entwicklungschancen zu geben, damit das Schulsystem sich bessern kann.

(Beifall SPD)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Sojka?

Aber selbstverständlich.

Bitte sehr.

Herr Minister, haben Sie mich möglicherweise falsch verstanden? Ich will nicht die Volksabstimmung nur in Erfurt oder Jena, sondern im ganzen Land.

Wenn Sie der Meinung sind, dass wir das Schulgesetz über eine Volksabstimmung regeln sollten, dann steht Ihnen die Möglichkeit frei, eine Initiative auf den Weg zu bringen, die ein Volksbegehren startet usw. bis zu einem Volksentscheid. Die Möglichkeit nimmt Ihnen doch niemand. Meine Aufgabe sehe ich darin, als zuständiger Minister diesem Parlament einen Gesetzentwurf vorzulegen und jede Fraktion muss sich zunächst einmal zu diesem Gesetzentwurf verhalten.

(Beifall SPD)

Ich fand es gut, das will ich ausdrücklich sagen, Frau Rothe-Beinlich, wie konstruktiv Sie in die Auseinandersetzung hier gegangen sind mit dem Versuch, zu schauen, wo sind die Gemeinsamkeiten, wo können wir ansetzen, was können wir weiterentwickeln, natürlich auch deutlich zu machen, wo noch Fragen sind oder offene Probleme. Ich will es deutlich sagen, die individuelle Förderung, die wir jetzt im Gesetz auch grundsätzlich festschreiben, ist ein ganz wesentlicher Entwicklungsimpuls. Natürlich sind viele auf diesem Weg. Aber wir müssen hier noch mehr Schwung reinbringen und noch mehr klarmachen, auch durch die gesetzliche Regelung, wir wollen, dass jedes einzelne Kind die bestmöglichen Entwicklungschancen in Thüringen hat.

Die Frage, die Sie aufgeworfen haben, Frau RotheBeinlich, wie soll die Wahlmöglichkeit hin zur Gemeinschaftsschule garantiert werden für alle, die

(Minister Matschie)

diese Option haben wollen. Das wird erst im Verlaufe einer Entwicklung möglich sein. Wir haben keine Möglichkeit, weil wir ein existierendes Schulsystem mit existierenden Schulen haben und wir Umwandlungsprozesse und Entwicklungsprozesse brauchen, von vornherein allen diese Wahlmöglichkeit zu garantieren. Was wir am Beginn garantieren können, ist die Entwicklungsmöglichkeit, ist die Option, dass sich Schulen vor Ort für diesen Weg entscheiden, dass Eltern sagen, wir wollen diese Entwicklung und damit die Entwicklung so auf den Weg bringen, dass wir im Laufe einer Zeit dann auch in der Lage sind, dieses Angebot überall dort, wo es gewünscht ist, auch zugänglich zu machen. Aber das wird erst …

Herr Minister Matschie, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Abgeordneten Renner?