Diese Probleme bei der Durchführung ändern aber nichts daran, dass die Investitionen begleitet wurden mit einem steten Werben für den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Es hat - und das ist unbestritten - ein Prozess des Umdenkens stattgefunden. Dieser Denk- und Lernprozess ist heute nicht abgeschlossen und wird es auch morgen und übermorgen nicht sein. Aber er hat bereits zu einem ganz wichtigen Ergebnis geführt, zu einem gesellschaftlichen Konsens darüber, dass die Notwendigkeit besteht, mit unseren natürlichen Lebensgrundlagen bewusst und überlegt umzugehen.
Sehr verehrte Damen und Herren, die gesellschaftliche Transformation in Thüringen war geprägt von Lernprozessen, die nur möglich waren, weil die Menschen ernsthaft mitgenommen wurden und weil sie offen waren für die neuen Möglichkeiten, für die neuen Freiräume. Im Gegensatz zur bekannten Praxis in der DDR, jedes Detail von der Staatsführung vorbestimmt bekommen zu haben, war es plötzlich ein selbstverständlicher Bestandteil des Alltags, an den politischen Entscheidungen kritisch teilzunehmen. Diese bemerkenswerte Aufbau- und Aufholleistung, die Thüringen nicht nur in der Bildung, im Naturschutz, sondern in vielen anderen Bereichen des ökonomischen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebens geschafft hat, ist auch eine Leistung der Regierenden. Aber, meine Damen und Herren - das möchte ich betonen - sie ist vor allem auch die Leistung, die dem Mut und dem Willen der Thüringer selbst zu verdanken ist.
Es ist eine Leistung, die vor 20 Jahren begann, aber auf die Thüringen auch morgen noch angewiesen sein wird. Bei der Bewertung dieser Aufbauleistungen muss man sich eines vor Augen halten. Die deutsche Einigung bedeutete nicht nur das Ende eines abstrakten politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Systems. Es bedeutete für viele Menschen auch einen Einschnitt in ihre ganz persönliche Biografie. Typische Berufsbilder der DDR da möchte ich als Beispiel den Agrarökonom nennen - waren kaum mehr gefragt. Indessen war eine berufliche Umorientierung für viele Arbeitnehmer unumgänglich. Fragwürdig ist vor diesem Hintergrund und aus heutiger Perspektive der Umgang mit dem Expertenwissen, das zweifellos vorhanden war, und dass während des Transformationsprozesses nicht nur um-, sondern in großen Teilen auch weggeschult worden ist.
Der Anpassungsprozess war herausfordernd - ja, und er war schmerzhaft. Aber er eröffnete auch neue und bis dato ungekannte Möglichkeiten. Viele Türen wurden geöffnet, die 40 Jahre verriegelt waren. Jetzt standen sie offen. Es wurden Gelegenheiten geschaffen und es wurde ermöglicht. Diese offenen Türen waren der Anfang für genau die Entwicklung, die Thüringen nach 1989 nehmen durfte. Trotz einiger Unkenrufe und vieler Baustellen, die wir nach wie vor haben, ist eine positive Entwicklung, die weiter fortgesetzt werden muss und die fortgesetzt werden wird, zu erkennen und nicht wegzureden. Die Thüringer sind Manns genug, ihren Freistaat weiter voranzubringen, und das werden sie auch tun. Ich bin auch kein Freund davon, nur die negativen Seiten zu betrachten. Pessimistisches Herangehen an Dinge hilft nicht wirklich. Optimismus, glaube ich, ist wichtig, denn mit Optimismus und Mut etwas zu bewegen, dann geht es auch weiter. Wir sollten ohne Weiteres so selbstbewusst sein, dass wir zeigen, was Thüringen erreicht hat in den letzten Jahren, und das kann sich sehen lassen. Deshalb glaube ich, genauso muss es weitergehen und die Entwicklung fortgesetzt werden. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Bevor ich die nächste Rednerin aufrufe, möchte ich Folgendes mitteilen, dass sich der Ältestenrat nach Beendigung dieses Tagesordnungspunkts 38 sofort zum Thema „Zeitplanung der Haushaltsberatungen“ trifft.
Ich rufe als nächste Rednerin für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Abgeordnete Siegesmund auf. Der Antrag ist von der Fraktion DIE LINKE, Herr Abgeordneter Fiedler.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Ministerpräsidentin Lieberknecht, ich bin Ihnen sehr dankbar für die Würdigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, die mitnichten ein Selbstverständnis ist. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir uns heute auch noch mal darüber verständigen bzw. die Zeit nehmen, innezuhalten, darüber zu sprechen, denn es ist das Jahr der Jubiläen in Deutschland und in Thüringen. Wie viele Vereine und Verbänden und Institutionen laden uns gerade zu ihrem 20-jährigen Bestehen ein. Es ist überhaupt nicht selbstverständlich. Ich habe heute in meinem aktuellen Ticker und in den Nachrichten verfolgend gesehen, dass es eine Nominierung für den Friedensnobelpreis für Helmut Kohl gab - so
sehr ich es dem chinesischen Dissidenten Liu gönne, dass er ihn jetzt bekommen hat -, ich hätte mir gewünscht, dass Helmut Kohl im Jahr 20 nach der friedlichen Revolution ihn bekommen hätte.
Das sage ich hier und jetzt. Er wäre ein würdiger Preisträger gewesen. Er wäre genauso wie HansDietrich Genscher ein würdiger Preisträger gewesen.
Am vergangenen Sonntag haben wir gemeinsam in Bremen, Berlin, Erfurt, Jena, in der ganzen Republik das Ende der letzten deutschen Diktatur gefeiert, von einigen wurde dabei das Wort „Wende“ benutzt. Ich vermeide es sehr gern. Es war kein Krenz’sches Wendemanöver, was wir hatten 1989/1990, es war eine friedliche Revolution.
Es ist schon deswegen kein Wendemanöver gewesen, weil auf dem Boot auch nicht die gleiche Mannschaft geblieben ist, sondern es ganz im Gegenteil neue Kapitäne und es eine neue Mannschaft gab. Die Bürgerinnen und Bürger haben sich, und darauf lege ich Wert, in einer friedlichen Revolution der Diktatur entledigt. BÜNDNIS 90, Demokratie Jetzt und viele andere haben für diese Freiheit gekämpft, zum Teil übrigens unter größten persönlichen Risiken.
Die Blockparteien vollzogen die Politik der SED aber praktisch bis zum Ende mit und standen aus unserer Überzeugung heute noch viel zu lange auf der falschen Seite.
Erlauben Sie mir an dieser Stelle zum Thema Schwarz-Rot-Gold etwas zu sagen: Schwarz-RotGold, die Bedeutung dieser Farben, sie stehen vor allem für die erste deutsche, letztlich aber gescheiterte Demokratie, die Weimarer Republik und sie stehen für die zweite Republik, in der über die Jahrzehnte hinweg Demokratie, Freiheit und Grundrechte weiterentwickelt wurden, und wir als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fühlen uns diesen Farben tief verbunden. Das möchte ich an dieser Stelle auch ganz deutlich betonen.
Ich möchte auch betonen, dass wir uns als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN genauso wie den Farben Schwarz-Rot-Gold der Aufarbeitung der SED-Diktatur verbunden fühlen bzw. dies als langfristiges Anliegen betrachten, denn Demokratie und Unrecht werden mitnichten einfach durch die Zeit überwun
den. Sie erfordern, dass wir uns mit ihr auseinandersetzen, mit der Anerkennung der Opfer auseinandersetzen, mit der Anerkennung des Unrechtsstaates auseinandersetzen und mit der Anerkennung der Tatsache, dass staatlich verordnetes Verbot von individueller Freiheit nie wieder in Thüringen passieren darf, dass wir das nie wieder hier wollen.
Um über unsere demokratische Kultur von morgen zu reden, brauchen wir auch diesen Prozess. Wir unterstützen deswegen auch entschieden - deswegen auch gestern meine Kritik, das sage ich an dieser Stelle auch noch mal, zu den exorbitanten Kürzungen bei der Landeszentrale für politische Bildung - alle Projekte, die es zur Aufarbeitung gibt, und Sie werden hier von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kein Zugeständnis an dieser Stelle bekommen; die Kürzungen an dieser Stelle sind falsch.
Wenn wir heute hier darüber reden, dann soll es nicht nur darum gehen, dass wir über das Selbstverständnis reden, dass wir Menschen würdigen, dass wir Prozesse würdigen, es soll auch darum gehen zu sagen, wo stehen wir. Deswegen erwarte ich auch und hoffe auch darauf, nachher klare Worte aus der LINKEN zu hören, wie steht es mit dem Aufarbeitungsprozess. Und ich schaue genauso in die CDU. Ich schaue in die CDU und frage Sie und hoffe sehr, dass ich nachher etwas dazu höre, wie Sie sich mit dem Thema Aufarbeitung auseinandersetzen, dazu möchte ich nachher gern hier Antworten haben.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wissen nur allzu gut, welche Opfer der Kampf um die freiheitlich-demokratische Grundordnung im letzten Jahrhundert gefordert hatte. Uns geht es hier nicht um Symbolpolitik. Und Herr Fiedler, ich habe es gestern wieder zur Kenntnis nehmen müssen, dass Sie von vaterlandslosen Gesellen gesprochen haben. Ich bitte Sie jetzt an dieser Stelle öffentlich von diesem Pult aus das letzte Mal, sich zu mäßigen und darüber nachzudenken, was vaterlandslose Gesellen eigentlich sind und welche politische Kultur Sie im Jahr 20 nach der friedlichen Revolution hier in diesem Haus praktizieren.
Wenn wir schon dabei sind, es ist genauso herabwürdigend und anmaßend, darüber zu reden, dass es Mitbürger erster und zweiter Klasse des Freistaats gibt, nämlich die, die hier geboren sind und diejenigen, die zugezogen sind.
Auch das ist ja eine völlige Unkultur, so zu sprechen. Ich bitte Sie sehr, an dieser Stelle einfach mal innezuhalten, erst zu denken und dann zu reden. Das hilft sicher weiter.
Tatsächlich sollte man 20 Jahre nach der friedlichen Revolution und der Wiedervereinigung einen Moment innehalten und deswegen Dank an den Antrag der LINKEN und Dank an die Tatsache, dass wir darüber heute noch mal reden. Zweifellos darf man die Entwicklung, die enorme Leistung, finanziell wie menschlich, der vergangenen 20 Jahre nicht kleinreden. Die Tatsache ist aber auch, dass es nach wie vor große Projekte zu stemmen gibt und wir viel zu tun haben.
Die Wirtschaft brach über Nacht damals zusammen, die Umwelt wurde bis zum Ende der DDR rücksichtslos ausgebeutet. Ein komplettes Staatssystem wurde umgebaut. Zweifelsohne viele Punkte, die sich seitdem verändert haben. Und die Ministerpräsidentin hat es heute zu Recht gesagt, wenn wir beim Bereich Wirtschaft kurz verharren und uns die Arbeitslosigkeit ansehen, ja, 8,6 Prozent ist eine historisch niedrige Arbeitslosenquote, nur an dieser Stelle, bei allem Lob, den diese 8,6 Prozent auch bedeuten, hinter dieser Zahl stehen auch Menschen, die nach wie vor dabei sind zu suchen, wo werde ich gebraucht. Und wir dürfen nicht ruhen in unserem Bemühen darum, ihnen zu zeigen, sie werden gebraucht.
Zum Zweiten - der Punkt Verschuldung: Wir haben gestern über den Haushalt geredet. Wir haben es in Thüringen in diesen 20 Jahren geschafft, das gehört zur Wahrheit auch dazu, eine dreimal so hohe Pro-Kopf-Verschuldung anzuhäufen wie in Sachsen - dreimal so hoch. Die zwei Haushalte, die in diesem Jahr durch Schwarz-Rot zu verantworten sind - also, Sie wissen, den 2010er und den 2011er, ich nehme an, wir kommen im Dezember dazu, ihn zu verabschieden, vielleicht wissen Sie da mehr als ich -, die wir in diesem Jahr verabschieden, lassen die Verschuldung noch einmal exorbitant anwachsen. Auch darauf bin ich gestern eingegangen.
Wir haben noch ganz andere Probleme, wir haben soziale Schieflagen. Jedes dritte Kind in diesem Land gilt als arm. 60.000 Kinder in Thüringen sind von Armut bedroht. Das ist eine Armutsquote, die uns alarmieren sollte und wo wir uns in das Stammbuch schreiben müssen, dass wir dringend etwas tun müssen.
Das ist schon ganz richtig, dass die Luft sauberer ist, dass unsere Wälder deutlich besser aufgeforstet sind und man sich im grünen Herzen auch wohlfühlen kann. Aber es gehört auch dazu, dass es nicht reicht, die Wismut zuzuschütten und gleichzeitig sich zu bekennen, Uran wird jetzt eben aus Afrika importiert und das Leben ist schön. Das ist es an der Stelle überhaupt nicht, nur weil vor der Haustür uns der Blick dafür verstellt wird,
wo für diese überkommene Technologie die Ressourcen herkommen. Und schauen Sie nach Rositz zum Teersee im Ostthüringer Bereich, schauen Sie zur Werra, es gibt genug zu tun, es gibt genug für die Bürgerinnen und Bürger zu tun, die nicht wissen, ob ihr Trinkwasser salzbelastet ist oder nicht bzw. … Bitte sehr?
Da stimme ich Ihnen völlig zu, es geht auch noch schlimmer, aber das muss ja nicht unser Anspruch sein. Oder?