Protokoll der Sitzung vom 08.10.2010

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sehen, es gibt noch viele Dinge, die wir zu tun haben. Und ich weiß auch, dass die erste GRÜNE Landtagsfraktion hier bereits dafür gestritten hat, dass wir den Ausbau der Mitte-Deutschland-Bahn vorantreiben. Herr Mohring, jetzt habe ich Demokratie Jetzt vergessen - wie konnte mir das passieren?

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Und Neu- es Forum haben Sie auch vergessen.)

Ich habe das gerade ergänzt. Sie müssen mir schon zuhören. Sie dürfen das nachher gern noch geraderücken.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt bis heute keine Mitte-Deutschland-Bahn, 20 Jahre nach dieser Forderung, die zum ersten Mal aufgestellt wurde. Es gibt viele andere Dinge, die wir bis heute in diesem Land nicht umsetzen konnten. Deswegen bleibt viel zu tun. Auch wenn 20 Jahre Grund zur Freude sind, ich habe das am Anfang gesagt, so will ich noch einmal wiederholen, was mich am Sonntagabend in der Erfurter Oper sehr beeindruckt hat, die Rede von Prof. Dicke von der Universität Jena. Er hat gesagt: „Drei Dinge sind für uns wichtig, wenn wir diese 20 Jahre einordnen“. Ich glaube, das ist ein guter Maßstab und Kompass. Er hat gesagt:

1. Lassen Sie uns anerkennen und würdigen, was wir geschafft haben.

2. Lassen Sie uns nicht nur darüber reden, dass es entweder/oder gibt, also gut oder schlecht, sondern

dass es auch sowohl/als auch geben muss, also weg von diesem schwarz-weißen Einordnen.

3. Lassen Sie uns die Möglichkeit geben, um an diesem Wandel auch weiter zu partizipieren.

Ich glaube, dass wir das hier auch alle mittragen können. Mich hat das jedenfalls sehr beeindruckt.

Jetzt will ich noch etwas sagen zum Thema „GRÜNE sind teuer“, im Jahr 20 nach der friedlichen Revolution ist das, was GRÜNE ihrem Politikverständnis abgewinnen können, nicht realitätstauglich. Das ist mitnichten so. Wir befinden uns auch im Jahr 1 nach der Krise und wir sagen als GRÜNE ganz bewusst, wir brauchen eine Abkehr vom Wachstumsglauben.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das, was wir in den ersten Jahren nach der friedlichen Revolution an Aufbauarbeit geleistet haben, ist gut. Es ist gut, dass wir das geschafft haben. Aber es ist nicht das, was wir jetzt in dieser Zeit brauchen. Nur ein Drittel der Deutschen glaubt daran, dass allein Wachstum die Lebensqualität steigert. Wir haben heute eine ganz andere Situation als vor 20 Jahren. Ich sage Ihnen ganz bewusst: Ich persönlich bin Wachstumskritikerin und ich möchte, dass wir ganz anders darüber diskutieren. Zur Analyse dessen gehört im Übrigen auch dazu, dass die Selbstheilungskräfte des Marktes es sicherlich nicht allein richten werden.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Renner hat es vorhin gesagt: Ein Fünftel der Menschen verbraucht vier Fünftel aller Ressourcen. Sie haben die Zahl nicht verwendet, aber Sie haben zumindest genau diesen Duktus gehabt. Das sollte uns alarmieren. Deswegen sage ich Ihnen, dass wir uns sehr bewusst damit auseinandersetzen, wie wir hier besser leben können und wollen, ohne dass es einen teuren Hintergrund gibt. Uns geht es nach wie vor darum, die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten, wir plädieren für nachhaltiges Wachstum. Dazu gehört eine nachhaltige Haushalts- und Finanzpolitik und wir plädieren für eine Wende zum „weniger“. Das sind BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nach 20 Jahren friedlicher Revolution. Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die SPD-Fraktion hat sich der Abgeordnete Höhn zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerpräsidentin hat es vorhin erwähnt, in den letzten Tagen hatten wir die Ehre und das das Vergnügen, eine ganze Reihe von Einheitsjubiläumsreden zu hören. Die sind nun ver

klungen und das Innehalten und das Rekapitulieren ist gut und vor allem wichtig. Aber nun sollte es auch weitergehen mit der Arbeit. Wir sind nämlich ein großes Stück des Weges vorangekommen. Einige meiner Vorrednerinnen haben das schon deutlich gemacht. Viel wurde angepackt, ohne dass es dafür eine Vorlage gab, vieles ist gelungen, vollendet ist die Einheit allerdings noch lange nicht. Wir haben Grund zu wirklich großer Freude und auch Stolz, das betone ich ausdrücklich. Allerdings, meine Damen und Herren, ich will an dieser Stelle nur bedingt einstimmen in den Jubelchor, der aller Orten zu hören war. Nicht, weil ich meine, 20 Jahre deutsche Einheit sei kein Grund zur Freude. Nein! Sondern weil ich bei all der Freude auch immer noch in Erinnerung habe, welch schwerer Weg für viele Menschen in diesem Land bis in das Hier und in das Heute zu bewältigen war. Ich sehe natürlich auch sehr klar die Schwierigkeiten, die wir auf diesem Weg zur Vollendung der Einheit hinter uns gebracht haben und die noch vor uns liegen.

Meine Damen und Herren, an einem Tag wie heute gehen meine Gedanken zurück in das Jahr 1989, in die Zeit, bevor die Mauern fielen. Ich erinnere mich sehr genau wie wahrscheinlich viele, die das damals erlebt haben. Es war eine ganz eigenartige, eine sehr ambivalente Stimmung im Land. „Über dem Land DDR lag Mehltau“, wie es die Schriftstellerin Christa Wolf damals zum Ausdruck gebracht hat. Dennoch liefen die Vorbereitungen auf die Jubelfeiern zum 40. Jahrestag der DDR auf Hochtouren, als sei nichts gewesen, und im „Neuen Deutschland“, dem Zentralorgan, war die Welt in Ordnung - noch.

Meine Wahrnehmung und die vieler anderer Ostdeutscher aber war eine völlig andere. Die Unzufriedenheit mit den Verhältnissen wurde immer offener, immer lauter und immer respektloser artikuliert. In jenem Herbst brach sich bei den Menschen die Gewissheit Bahn, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Wir alle spürten, da geschieht etwas Großes, da baut sich etwas auf, etwas Wichtiges, bisher nie Dagewesenes. War es Geschichte? Ein großes Wort. Konnten wir das eigentlich damals schon wissen, dass es Geschichte werden kann? Denn das wird in der Regel erst lange danach in den Geschichtsbüchern beurteilt.

Meine Damen und Herren, gerade deshalb ist es wichtig, dass Menschen in Entscheidungssituationen vor allem eines tun, ihr Herz in die Hand nehmen, nicht fragen, was könnte mir passieren, sondern, was kann ich erreichen, nicht nur die Risiken abwägen, sondern vor allem die Chancen betrachten. Das ist eine Tugend, meine Damen und Herren, von der wir heute, glaube ich, wieder etwas mehr gebrauchen könnten. Tun ist besser als unterlassen, auch wenn es nicht gerade bequem ist.

(Beifall SPD)

(Abg. Siegesmund)

Meine Damen und Herren, ein weiterer Aspekt ist mir sehr wichtig. Beim Blick zurück sollten wir uns immer die ganz konkreten Umstände vor Augen halten, die damals herrschten. Ich bin davon überzeugt, einer der Fehler, der uns heute in diesem Zusammenhang manchmal unterläuft - uns allen, ich will da niemanden ausnehmen -, besteht darin, ausschließlich heutige Maßstäbe anzusetzen und ausschließlich danach das Handeln von Menschen in der Diktatur zu beurteilen. Mitunter neigen vor allem jene dazu - das ist auch eine Erkenntnis, die mir nicht gefällt, aber eine Tatsache -, die selbst nie in der Diktatur haben leben müssen.

(Beifall CDU, SPD, FDP)

Doch das, meine Damen und Herren, wird weder uns gerecht noch vielen anderen ehemaligen DDRBürgern, denn die Realität sah doch oft genug anders aus als es nun heute aus dem sicheren Abstand mitunter gern beurteilt wird. Mag sein, der eine oder andere hat ein bisschen länger gebraucht, sich von diesem System zu distanzieren. Mag sein, mancher hat sich sogar schwer getan damit. Für mich ist die Hauptsache, er hat es überhaupt getan.

(Beifall SPD)

Nicht leichtfertig, weil des gerade angesagt war und sich für die Karriere in der neuen Zeit möglicherweise besser machte, sondern glaubwürdig. Wahrhaftigkeit ist das Wort, das ich dafür finde.

Die friedliche Revolution - und an dieser Stelle, Frau Kollegin Siegesmund, ich bin Ihnen ausdrücklich dankbar noch mal für die Klarstellung, dass es nicht dabei bleiben darf, wie es oft geschieht, dass wir uns der Egon Krenz’schen Verkürzung dieser Zeit auf eine Wende sozusagen anschließen -,

(Beifall CDU)

es war und bleibt eine friedliche Revolution und sie war etwas, das war vom ganzen Volk getragen. Wir sollten uns heute daran erinnern und beim Blick zurück mehr das Gemeinsame betonen als politische Einzelinteressen zu verfolgen oder, um es mit Johannes Rau zu sagen, meine Damen und Herren, „versöhnen statt spalten“.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch wenn es möglicherweise in diesem Raum einigen nicht gefällt, die DDR war ein Unrechtsstaat.

(Beifall CDU, SPD, FDP)

Wer könnte daran zweifeln angesichts der Tatsache, dass Menschen erschossen wurden, weil sie in die Freiheit wollten. Unrecht muss Unrecht genannt werden, da darf nichts verklärt, da darf nichts relativiert und da darf auch nichts pseudoverwissenschaftlicht werden. Für mich ist das auch ein Gebot von Wahrhaftigkeit, das dazugehört, wenn wir heute der friedlichen Revolution von 1989 gedenken.

(Beifall SPD)

Apropos Gedenken: Vielleicht kann von dem heutigen Tag und dieser Debatte hier im Thüringer Landtag zumindest der Anstoß ausgehen, ob es nicht klug und sinnvoll wäre, wenn wir für das Gedenken an die Initiatoren, an die Aktiven der Zeit der friedlichen Revolution mit einer Stätte des Erinnerns oder mit einem Denkmal, wie auch immer, ich will da gar nichts vorfestlegen, auch ob das in Jena, in Weimar oder vor dem Thüringer Landtag ist, das sollte Gegenstand einer Debatte sein. Ich plädiere von dieser Stelle ganz deutlich für einen Ort des Erinnerns an die friedliche Revolution von 1989 auch in Thüringen.

(Beifall CDU, SPD, FDP)

Es hat eine Menge Gründe gegeben, liebe Kolleginnen und Kollegen, warum dieser Staat so schnell, so sang- und so klanglos von der politischen Landkarte verschwand. Stacheldraht und Schießbefehl gehören sicher dazu, aber auch ein System, das Grundrechte und Gepflogenheiten ja wirklich zielgerichtet und systematisch ad absurdum geführt hat.

Lassen Sie mich an dieser Stelle ausdrücklich feststellen: Die Wahrung der Menschen- und Bürgerrechte, allen voran Meinungs-, Presse-, Religionsfreiheit sowie die Wahrung des Brief- und Postgeheimnisses, die Beachtung von Gewaltenteilung und die Berechenbarkeit staatlichen Handelns durch Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, durch Verhältnismäßigkeit und Rückwirkungsverbote sind die zentralen Eckpfeiler des Rechtsstaats. Und genau die waren in der DDR weitgehend außer Kraft gesetzt

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

und deshalb spreche ich von einem Unrechtsstaat. Der Aufbau einer unabhängigen rechtsstaatlichen Justiz, vor allem in Strafsachen, die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit und die Errichtung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs sind für uns deshalb als eine der wichtigsten Errungenschaften der Wiedervereinigung und der Neugründung Thüringens zu bezeichnen. Auch das verdient hier explizit genannt zu werden.

Meine Damen und Herren, wenn ich sage, die DDR war ein Unrechtsstaat, heißt das aber noch lange nicht, dass unser Leben, das wir alle bis 1989 in der DDR geführt haben, nichts wert gewesen wäre. Ich wünsche mir an dieser Stelle heute mehr Differenzierung, denn wenn der Blick zurück dazu führen würde, dass wir unsere Herkunft verleugnen, dass wir ein Klima erzeugen, in dem es verboten ist, sich an Gutes im eigenen Leben zu erinnern, wenn wir unsere Vergangenheit nur noch aus der Schwarz-Weiß-Brille betrachten mit dem Ergebnis, dass wir uns mehr und mehr von uns selbst distanzieren, dann sage ich ganz ehrlich, dann ist etwas

faul an der Erinnerungskultur. Zu wissen, wo man herkommt, ermöglicht erst den Blick in die Zukunft, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall CDU, SPD)

Ich glaube, hier liegt einer der Gründe, warum sich Menschen im Osten noch immer zum Teil als Bürger zweiter Klasse fühlen, neben der Tatsache, dass sie schlechter bezahlt werden oder weniger Rente bekommen als ihre Mitbürger im Westen. Zum Gefühl, angekommen zu sein in einem neuen Deutschland, gehört eben auch, sich nicht für die eigene Biografie dauernd entschuldigen zu müssen.

(Beifall SPD)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Anfrage durch den Abgeordneten Fiedler?

Herr Fiedler.