Protokoll der Sitzung vom 08.10.2010

Meine Damen und Herren, die Ministerpräsidentin hat deshalb zu Recht angesprochen im zweiten Teil ihrer Erklärung, dass Thüringen eine Menge geleistet hat und sich besonders dieser Gruppe der Opfer aus der SED-Diktatur angenommen hat. Das ist mindestens eine moralische Verpflichtung für die Gesellschaft, aber es ist auch eine notwendige Verpflichtung für politisch Handelnde, dass diese Opfer aus der Rolle von damals in der Diktatur in der heutigen Zeit keinen neuen Nachteil erleiden sollen. Deshalb ist es wichtig und richtig und ich bin dankbar, dass es Thüringen war, das als einziges Bundesland vor allen Dingen zum Beispiel den Zwangsausgesiedelten mit einer einmaligen Entschädigungsleistung geholfen hat. Es macht Sinn, dass sich auch darüber hinaus der Bund in besonderer Weise den Zwangsausgesiedelten widmet. Der 50. Jahrestag der Aktion „Kornblume“ im nächsten Jahr wäre dafür übrigens ein guter Anlass.

(Beifall CDU, SPD, FDP)

Meine Damen und Herren, der Bundestag hat sich gestern erneut mit dem SED-Unrechtsbereinigungsgesetz beschäftigt und trotzdem bleiben immer noch Dinge offen. Deshalb brauchen wir eine Entfristung dieses SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes über den 31.12.2011 hinaus und wir brauchen auch eine Neuregelung der Bedürftigkeitsregeln. Wer Opfer war im SED-Staat, der muss Anspruch auf Entschädigung haben, unabhängig von seiner materiellen Lage heute, weil die materielle

Lage heute nichts mit der Opferrolle von damals zu tun hat.

(Beifall CDU)

Meine Damen und Herren, ich bin der FDP ausdrücklich dankbar, weil wir das in diesem Plenum oder in den nachfolgenden Plenarsitzungen auch noch besprechen werden, dass sie sich mit einem eigenen Antrag auch zum Unrecht in den Erziehungsheimen und Jugendwerkhöfen äußert. Auch diese besondere Opfergruppe muss Berücksichtigung finden. Wir werden diesen Antrag in den Ausschüssen dann weiterberaten, das kündige ich jetzt schon an. Es ist richtig, dass Sie mit Ihrer Fraktion ausdrücklich auch diese Opfergruppe aufmerksam ins Licht rücken.

(Beifall CDU, SPD, FDP)

Meine Damen und Herren, wir brauchen auch eine neue Initiative zu verlorenen Schulabschlüssen von verfolgten Schülern. Diese besondere Opfergruppe von Kindern und Schülern, die in der DDR gebrochen wurden und die deshalb Schwierigkeiten hatten mit ihren Schulabschlüssen und bis heute einer Anerkennung ihrer Rolle hinterherrennen, denen müssen wir helfen. Es kann nicht sein, dass die Kinder von damals als Erwachsene immer noch Opfer in der heutigen Gesellschaft sind; es braucht dazu eine neue Initiative.

(Beifall CDU, SPD, FDP)

Meine Damen und Herren, ich will es rund machen und noch mal auf das Jahr 1990 kommen. Vom 4. September 1989 - der ersten Leipziger Montagsdemo - über das Jahr der deutschen Einheit 1990 am 3. Oktober, liegen entscheidende Momente eigener freier Gesetzgebung. Ich bin der Landtagspräsidentin dankbar, dass sie am Mittwoch in der Eröffnung zum Plenum darauf aufmerksam gemacht hat und auch anerkannt hat, welche besondere politische einmalige Lebensleistung die Abgeordneten der ersten und einzig frei gewählten Volkskammer im Jahr 1990 bewerkstelligt haben. Und weil es in diesem Rund auch zwei Abgeordnete meiner Fraktion betrifft: Siegfried Wetzel und Wolfgang Fiedler, wir sind euch dankbar für euer Mittun und für eure Verantwortung, die Ihr im Jahr 1990 in der Volkskammer wahrgenommen habt und den Weg der deutschen Einheit bereitet habt.

(Beifall CDU, SPD, FDP)

Darin zeigt sich das auch wieder: Engagierte Bürgerrechtler - die mitten in der Diktatur gesagt haben, so kann das nicht gehen, diese Gesellschaft ist unfrei - engagierte Bürgerinnen und Bürger, die mit der Kerze in der Hand auf die Straße gegangen sind; frei gewählte Abgeordnete, die ihre Rechte wahrgenommen haben und Gesetze auf den Weg gebracht haben; ein deutscher Bundestag, der auf

der anderen Seite die deutsche Einheit mit unterstützt hat und dann am Ende auch die vier Mächte, die gemeinsam die Wiedervereinigung unterstützt haben, damit ein freies und friedliches Europa zusammenwachsen kann - all das hat dazu beigetragen, dass wir heute eine so positive Bilanz nach 20 Jahren Wiedervereinigung und Wiederbegründung des Freistaats Thüringen beschreiben können. Kurz: 20 Jahre deutsche Einheit waren und sind ein Grund zur Freude und 1989/90 war ein Sieg der Freiheit - und deshalb gilt das, was im Herbst 1989/90 gegolten hat: „Wehret den Anfängen“, nie wieder Kommunismus. Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall CDU, SPD, FDP)

Für die Fraktion DIE LINKE erhält der Abgeordnete Hausold das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerpräsidentin, Sie haben dankenswerterweise heute am Anfang dieser Debatte für die Regierung unseres Landes einige - wie ich schon finde - wichtige Positionen verdeutlicht. Sie haben sich in allererster Linie auf die Erfolge seit 1989/90 und auf die historischen Zusammenhänge bezogen. Als Ministerpräsidentin dieses Freistaats ist das selbstverständlich Ihre Aufgabe und auch eine berechtigte Position. Sie sind weniger auf Probleme und Herausforderungen eingegangen - haben das aber sehr wohl benannt -, vor denen wir auch 20 Jahre nach der friedlichen Revolution von 1989 stehen. Wir hatten hier im Haus eine sehr vielfältige Debatte mit sehr unterschiedlichen Facetten und das allein rechtfertigt schon, diesen Tagesordnungspunkt und dieses Thema hier im Hohen Hause auf dieser Sitzung im Oktober des Jahre 2010 aufzurufen. Frau Siegesmund hat noch einmal auf die Frage der Aufarbeitung der geschichtlichen Verantwortung und Zusammenhänge verwiesen, hat sich auch an meine Partei völlig zu Recht gewandt und ich will deshalb meine Bemerkungen zu unserem Antrag auch noch einmal mit diesem Thema beginnen. Meine Kollegin hat schon bei der Begründung darauf hingewiesen und der Bundespräsident hat das, glaube ich, in seiner Rede am 3. Oktober auch hervorgehoben: Die Bürgerinnen und Bürger in der DDR - auch in Thüringen - haben 1989/90 ihre Freiheit selbst in die Hand genommen. Sie mussten dies tun, weil die DDR zum Scheitern verurteilt war. Die entstandene gesellschaftliche Situation verantwortet in allen wesentlichen Punkten unsere Vorgängerpartei SED und insbesondere deren Führung. Natürlich, meine Damen und Herren, der deutsche Faschismus, der Zweite Weltkrieg mit 60 Mio. Toten und einem verwüsteten Kontinent als

(Abg. Mohring)

Folge hatte nach 1945 schon eine übrigens nicht nur von Kommunisten damals benannte demokratische und soziale Alternative, auch eine sozialistische Gesellschaftsverfassung auf die Tagesordnung gesetzt, ein Stück weit auch historisch legitimiert. Die SED-Führung übernahm jedoch in vieler und entscheidender Hinsicht das stalinistische Herrschaftsprinzip.

(Beifall SPD)

Ihr Sozialismus musste letztlich scheitern, da er Demokratie verweigerte, meine Damen und Herren.

(Beifall SPD)

Die DDR ist gescheitert an ihrem grundlegenden demokratischen Mangel, an der Tatsache, dass es Demokratie, dass es Meinungsfreiheit, dass es Redefreiheit, dass es Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern im direkten und umfassenden Sinne an staatlichen Entscheidungen nicht gegeben hat. Auch parlamentarische Gremien haben nicht wirklich entschieden, sondern die Parteibürokratie hat alles vorbestimmt. Freie Wahlen gab es in der Verfassung und im Wahlgesetz, aber nicht in der Realität, meine Damen und Herren. Mit den Einheitslisten und der damit gesicherten Mehrheit für die SED in diesen Gremien wurden Entscheidungen der Wählerinnen und Wähler für politische Alternativen ausgeschlossen.

Ja, meine Damen und Herren, als Folge des faschistischen Krieges und dann des Kalten Krieges wurde Deutschland geteilt. Dieser Kalte Krieg wurde von beiden Seiten zum Teil heftig geführt. Nicht nur einmal stand die Menschheit vor einem dritten, einem atomaren Weltkrieg. Aber - und das sage ich hier noch einmal mit aller Deutlichkeit - dieser Kalte Krieg rechtfertigte jedoch nicht auch nur einen einzigen Toten an der Staatsgrenze und der Mauer

(Beifall DIE LINKE)

und rechtfertigte nicht das Grenzregime, welches die DDR erschaffen hat. Es rechtfertigte auch nicht - ich sage das, weil die Berufung ja darauf ständig bei uns in der DDR gegenwärtig war - das Fehlen der Demokratie und wirklicher demokratischer Institutionen.

Die friedliche Revolution von 1989 war ausschlaggebend für den Zusammenbruch der stalinistischen Strukturen, für eine Perspektive in Freiheit und Demokratie. Für meine Partei begann mit dem Druck dieser friedlichen Revolution - ich kann das aus meiner Sicht natürlich noch stärker sagen, also nicht freiwillig, aber auch aus der eigenen Auseinandersetzung mit den Verhältnissen auf dem außerordentlichen Parteitag der SED - im Dezember 1989 das, was wir als Bruch mit dem Stalinismus als System bezeichnet haben. Das ist keine Angelegenheit, die man abschließen kann für meine Begriffe. Das war aus meinem Erleben in den 20 Jah

ren der Entwicklung unserer Partei immer wieder Debatte, es wird es und es muss es auch weiter sein. Vor diesem Hintergrund sage ich aber erneut auch gerade heute, 20 Jahre nach der Neugründung Thüringens, der Wiedergründung Thüringens, Frau Lieberknecht, ich kann mich Ihnen anschließen, einen Schlussstrich unter die Geschichte im Allgemeinen und besonders auch unter die Geschichte der DDR im Sinne eines beendet, eines „Nicht-mehr-Themas“ kann es nicht geben, schon wegen unserer demokratischen und freiheitlichen Zukunft nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Herr Mohring, Sie haben die Frage der Opfer der SED angesprochen. Ich will an der Stelle nur so viel sagen, dass wir hier im Hause wiederholt dazu diskutiert haben. Jawohl, die Thematik gehört zum Kontext unseres Antrags, da gebe ich Ihnen recht. Sie können aber auch wissen, dass Sie uns immer in diesem Haus an Ihrer Seite gefunden haben, wenn Sie für die berechtigten Interessen der Opfer des SED-Regimes gearbeitet haben, Anträge eingebracht haben und Debatten geführt haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, gerade weil wir 1989 unseren Weg in Demokratie und Freiheit in Thüringen beginnen konnten, ist es 20 Jahre später angemessen, eine Bilanz zu ziehen und erfolgreiche Entwicklungen zu benennen. Ich will an dieser Stelle sagen: Ja, ich fühle mich als Thüringer, ich weiß es von ganz vielen Menschen in meinem unmittelbaren Umfeld, wir möchten auch - wie Sie das heute gesagt haben, Frau Lieberknecht Thüringen nicht etwa wieder preisgeben, auch wir möchten natürlich Demokratie und Freiheit als gesellschaftliche Grundlagen nie wieder infrage stellen und insofern ist natürlich die positive Bilanz, die Sie insgesamt gezogen haben, eine berechtigte Bilanz, Frau Lieberknecht. Aber das sollte uns gerade so, wie wir diese Bilanz auch in den folgenden Jahren und Jahrzehnten noch so ziehen können, eben nicht den Blick für Probleme verbauen lassen, die wir analysieren müssen, für Perspektiven, die wir miteinander diskutieren müssen und dabei auch Rückschau halten auf die 20 Jahre dieses Transformationsprozesses - wie Sie ihn und andere Redner auch, darunter Herr Höhn -, ausgehend von der friedlichen Revolution 1989/90, genannt haben. Dabei sind wir uns natürlich im Klaren darüber - bei dem Stichwort Globalisierung -, dass es hier nicht nur um ein Thüringer Thema geht. Was ich zur DDR kritisch vermerkte, was zu ihrem Scheitern führen musste, steht heute natürlich auf der Habenseite der neuen gesellschaftlichen Verhältnisse. Das betonen wir ausdrücklich. Ich sage das noch einmal: Freie Wahlen, Rede- und Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Freizügigkeit im Reiseverkehr, eine bessere Umwelt, Freiheit der Kunst - ja, ein großes Warenangebot, Herr Mohring -, moderne Infrastruktur und wieder ansehnliche Städte und

Gemeinden. Das gehört zur positiven Bilanz aus der Arbeit der Menschen in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten.

(Beifall DIE LINKE)

Das wäre ohne friedliche Revolution nicht möglich gewesen. Alles also unbestritten, was die Erfolge betrifft, aus meiner Sicht. Unser Bundespräsident Wulff bemerkte am 3. Oktober vor diesem Hintergrund: „Gewiss ist auch in diesen 20 Jahren in der Umbruchzeit Erhaltenswertes verloren gegangen.“ Wir sollten auch diese Debatte, meine Damen und Herren, gerade angesichts der positiven Bilanz, die wir ziehen können, als Zukunftsgewinn offen führen. Gerade angesichts der vielfältigen Probleme und Herausforderungen, die wir heute haben, ist es erforderlich, sich an einiges aus der Zeit 1989/90 und den letzten 20 Jahren auch politisch zu erinnern. In Polen wurde der runde Tisch etabliert. In der Wendezeit griffen vor allem die Bürgerbewegungen der DDR dieses politische Instrument auf. Die runden Tische auf allen Ebenen waren unter schwierigen Bedingen darauf aus, in komplizierten Fragen Konsens zu erreichen. Sie haben unter Führung der Bürgerbewegung aus meiner Sicht auch das ganz schwierige Thema „Sicherheitsorgane der DDR und Ministerium für Staatssicherheit“ thematisiert und Voraussetzungen auf diesem Gebiet gesetzt, dass hier eine friedliche Überwindung dieser Zustände erreicht werden konnte. Diese runden Tische, meine Damen und Herren, haben sehr maßgeblich aus meiner Sicht zur ersten freien Wahl einer Volkskammer der DDR am 18. März 1990 beigetragen. Allerdings muss man auch feststellen, kaum waren diese Wahlen erfolgreich absolviert, kaum standen die parlamentarischen Mehrheiten fest, da - und das ist mir eine Debatte wert - war es meiner Erinnerung nach vor allem die CDU und die damals mit ihr verbundenen Parteien, die die Arbeit an den runden Tischen relativ schnell für beendet erklärt haben. Da muss ich Ihnen sagen, das finde ich heute noch bedauerlich, nicht weil es darum ging, das Wählervotum der Bürgerinnen und Bürger der DDR auch nur irgendwie infrage zu stellen, aber weil wir heute 20 Jahre später wissen - deshalb werfe ich Ihnen ihr Verhalten von damals heute auch nicht so vor -, dass eine Ergänzung unserer parlamentarischen Gremien mit direkter Bürgerbeteiligung - ich komme noch darauf zurück - geradezu enorm wichtig für die Stärkung von Freiheit und Demokratie ist, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Es war nicht die Erfindung der SED-Führung, es war auch nicht die Erfindung der sich langsam entwickelnden und auseinandersetzenden SED/PDS, sondern es war die Sicht von Bürgerinnen und Bürgern und von Bürgerbewegungen, diese runden Tisch in der Regel in Gang zu setzen, meine Damen und Herren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalb möchten wir heute übrigens auch für unser Land gern eine umfassende Volksgesetzgebung, auch auf der Bundesebene.

Helmut Kohl, er wurde ja heute schon wiederholt genannt, und seine Allianz für Deutschland verstanden das Wahlergebnis vom 18. März aus Sicht vieler Menschen damals, heute will ich es mit Fragezeichen versehen, nicht unbedingt als temporäres Mandat für die CDU in der DDR, sondern offensichtlich eher als ein grundsätzliches Signal, alle ihre politischen Ansichten und das politische Wirtschaftsund Wertesystem der BRD möglichst schnell auf die DDR zu übertragen. Diese Haltung zeigte sich übrigens alsbald auch bei den CDU-geführten Landesregierungen nach 1990. Ja, meine Damen und Herren, weil Sie das öfters einwenden: Es ist richtig, in der Demokratie wird regiert, nicht geherrscht. Geherrscht wird in der Diktatur. Zumindest sollte es so sein.

(Zwischenruf Abg. Koppe, FDP: Das hatten wir.)

Ja, das hatten wir bis 1989. Aber jetzt sehen wir uns mal an, ausgegangen von Helmut Kohl und seiner Politik - dem ich als Person und als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland selbstverständlich Achtung entgegenbringe, was ja nicht heißt, dass man seine politischen Positionen teilen muss -, was dann etwa bei uns im Land mit Bischofferode verbunden war, mit der Stilllegung von Bischofferode, das kann man natürlich kaum mit demokratischem Regieren einfach so erklären. Knallhart ging es um die Konzerninteressen von Kali + Salz.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Petitionen, Proteste, selbst ein Hungerstreik wurden ebenso in den Wind geschlagen wie sachlich vorgetragene ökonomische Argumente und Erwägungen, meine Damen und Herren. Das gehört meiner Meinung nach ein Stück weit zu den Fragen, die wir in kritischer Reflexion aus den vergangenen 20 Jahren auch für unsere weitere Politik miteinander erwägen müssen. Und wenn Frau Ministerpräsidentin eingangs darauf verwiesen hat, dass wir als Partei das Kapital, den Kapitalismus kritisieren und sie sich ein bisschen kritisch damit auseinandergesetzt hat, dann muss ich Ihnen sagen, unser Grundgesetz schreibt keine Wirtschaftsform vor.

(Beifall DIE LINKE)

Ich muss auch sagen, in dem zitierten Passus aus den Eckpunkten ging es um wirtschaftliche Macht. Meine Damen und Herren, wirtschaftliche Macht, wie sie Kali + Salz in Bischofferode ausgeübt hat, gehört nicht zu den Prinzipien unserer freiheitlichdemokratischen Grundordnung, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Ich darf an dieser Stelle zu einigen Wirtschaftsfragen kommen. Ich hatte ja schon zu einem anderen Tagesordnungspunkt darauf verwiesen, dass Mittelstand und Handwerk nach 1990 sich vielfach sehr gut entwickelt haben, entwickeln konnten, dass sie unter den neuen Bedingungen am Wesentlichsten zu dem beigetragen haben, was heute wirtschaftlich positiv zu bewerten ist - Mittelstand, Handwerk und Gewerbe in Thüringen und nicht Kali + Salz, das will ich hier schon noch einmal deutlich sagen. Aber natürlich hatten wir nach 1989/90 schwierige wirtschaftliche Situationen. Zur Einführung der DMark, obwohl viele Experten davor ja gewarnt hatten, gab es 1990 aus meiner Sicht sicherlich keine Alternative, meine Damen und Herren. Wie dies nun allerdings geschah, verursachte viele Probleme, die zumindest zum Teil vermeidbar gewesen wären. Auch vorhandene sanierungsfähige Unternehmen wurden von heute auf morgen in die Bedingungen des freien Marktes gestürzt. Investitionen aus dem Westen führten - wenn nicht mitunter direkt zur Stilllegung - dann doch zumindest dazu, dass hier die verlängerten Werkbänke der westdeutschen Industrie aufgestellt wurden. Das hat schon mit politischen Entscheidungen zu tun.

Ich will auch noch einmal sagen, was Edelbert Richter aus Weimar vor einiger Zeit im Juli, als es um diesen historischen Termin der Währungsunion gegangen ist, in etwa so skizziert hatte. Den Experten war damals schon klar, dass Lebenshaltungskosten in Ost und West trotz einer völlig unterschiedlichen Struktur - also darauf haben ja Vorredner verwiesen, Wohnungsgrößen und andere Fragen - in etwa gleich waren und somit in etwa auch die Kaufkraft gleich war und dass es auch sehr wohl in den zuständigen Gremien - vielleicht erinnert sich ja Herr Wetzel oder Herr Fiedler - die Überlegung gab, im Ganzen 1 : 1 umzutauschen. Aber die Bundesbank - ich muss mal sagen, nach der Finanz- und Wirtschaftskrise, die uns immer noch nicht losgelassen hat des Jahres 2009, ist es schon interessant - hat darauf bestanden, dass die Umtauschsätze unterschiedlich gemacht wurden. Sie hat sich durchgesetzt. Egal, ob es dazu nun wirklich eine Alternative gegeben hätte, aber es ist natürlich völlig klar, eine teilweise Enteignung der Bürgerinnen und Bürger der DDR war das dennoch, meine Damen und Herren. Es hat auch ihre Möglichkeiten geschmälert, in den folgenden Jahren sich zum Beispiel wirtschaftlich zu betätigen.

Es ist natürlich nicht zu übersehen, meine Damen und Herren, dass eine über weite Teile, letztendlich in ihrer Gesamtheit ineffiziente, ökonomisch wie ökologisch völlig problematische DDR-Wirtschaft die größten wirtschaftlichen Probleme für den Vereinigungsprozess erbracht hat. Dennoch war sie nicht die einzig Verantwortliche, in vielerlei Hinsicht auch nicht einmal hauptsächlich für das, was sich

dann in Deindustrialisierung und natürlich leider auch vielfach in Arbeitslosigkeit und Massenarbeitslosigkeit hier vollzogen hat ohne Schuldzuweisung zu dieser Problemlage, die eben doch mehrheitlich in der DDR zu suchen ist. Aber worin bestand denn nun über viele Jahre die Antwort der Thüringer CDU? Die Antwort auf diese Situation bestand in ihrer Politik „Thüringen - das Billiglohnland“, meine Damen und Herren. Diese Situation hemmt uns bis heute. Niedrige Einkommen, Platz 15 im Bundesländerranking, schwache Kaufkraft und Binnennachfrage, diese Fakten sowie die vielfältigen unterbrochenen Erwerbsbiografien bringen Familien in soziale Nöte, verursachen offensichtlich Altersarmut, die eine der größten Herausforderungen für die nächsten Jahre sein wird.

Meine Damen und Herren, wenn wir den Aufbruch und die Hoffnung von 1990 nicht infrage stellen wollen, dann benötigen wir dringend auch Korrekturen, in vielen Punkten auch eine andere Politik. Wir benötigen die Verbesserung der Einkommenssituation, wir benötigen deshalb einen flächendeckenden Mindestlohn, aber zum Beispiel im Wirtschaftsbereich auch die stärkere Förderung von betrieblicher Forschung und Entwicklung, meine Damen und Herren. Wir brauchen moderne Energiekonzepte, erneuerbare Energien statt fauler Atomkompromisse, das will ich hier noch einmal mit aller Deutlichkeit sagen.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Diese Fragen heute in Angriff zu nehmen, das heißt auch, dafür zu sorgen, dass die Perspektiven der Bürgerinnen und Bürger von 1989/90 weiterhin ernst genommen werden und wir uns auf einen guten Weg in die Zukunft machen können.