Diese Fragen heute in Angriff zu nehmen, das heißt auch, dafür zu sorgen, dass die Perspektiven der Bürgerinnen und Bürger von 1989/90 weiterhin ernst genommen werden und wir uns auf einen guten Weg in die Zukunft machen können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, über die sozialen Leistungen der Gesellschaft nach 1990 wurden von meinen Vorrednern hier ja verschiedentlich Beispiele genannt. Aber dennoch muss ich sagen - und das haben wir auch in jenen Jahren schon kritisiert - die Wirtschafts- und Währungsunion war eben nicht vom durchgängigen Konzept einer wirklichen Sozialunion gekennzeichnet. Deshalb haben wir auch zu verzeichnen, dass es bei uns bis heute keine nachhaltige Sozialplanung im Land und kein durchgehendes Konzept für eine funktionierende soziale Infrastruktur gibt. Dies wird auch daran deutlich, dass es seit 1990 nur zwei Sozialberichterstattungen gegeben hat, insbesondere in der letzten Legislaturperiode verunsicherte die CDU geführte Landesregierung mit ihrer sogenannten Familienoffensive viele Menschen im Land. Die durch Sie verschlechterte Situation der Kindertagesstätten konnte bekanntlich erst durch ein Volksbegehren wieder infrage gestellt und schließlich von diesem Landtag wieder überwunden werden, meine Damen und Herren.
Diesen Weg - das sage ich Ihnen ganz offen - hätten wir uns ersparen können. Wir haben dort wesentliche Zeitverluste unnötigerweise gehabt.
Nach wie vor gibt es auch - auch hier haben Vorredner darauf hingewiesen - große Unterschiede zwischen den Menschen in Ostdeutschland und im Westen, damit natürlich auch für viele Thüringerinnen und Thüringer eine solche Situation. Das betrifft nicht nur die niedrige Entlohnung, sondern beispielsweise auch die nach wie vor geringeren Renten in Ostdeutschland. Die Rentenangleichung, zuletzt auch von unserer Ministerpräsidentin als Ziel bekräftigt, bleibt eben bisher nur ein Lippenbekenntnis. Das ist, meine Damen und Herren, wirklich kein Beitrag zur weiteren Ausgestaltung der inneren Einheit.
Wenn wir diese ausgestalten wollen, und das wollen wir gemeinsam, denke ich, dann müssen wir diese Fragen in Angriff nehmen.
Ja, ich stimme zu, es ist nicht zu übersehen, dass sich gerade im Gesundheitsbereich durch hohe Investitionen materielle Arbeitsbedingungen, vor allem Behandlungs- und Therapiemöglichkeiten für Patienten, in den letzten zwei Jahrzehnten entscheidend verbessert haben. Das zählt meiner Ansicht nach zu den großen Errungenschaften der letzten 20 Jahre. Andererseits bestehen auch hier aktuell erhebliche Probleme. Die auch von unserer Landesregierung mitgetragene Finanz- und Steuerpolitik der Bundesregierung hat die sozialen Sicherheitssysteme schon untergraben und die Lasten immer mehr zum Nachteil der gesetzlich Versicherten ausgeweitet, meine Damen und Herren. Darüber brauchen wir im Land eine Debatte, auch eine Debatte im Interesse von Freiheit und Demokratie.
Denn wir sagen, so kann es nicht bleiben. Wir stehen nach wie vor für eine solidarische Bürgerversicherung. Dieses Problem wird uns auch weiterhin leiten.
Es ist hier sehr engagiert debattiert worden zu den Fragen der Bildung. Ja, auch ich will das noch mal deutlich sagen: Nach 1989/1990 erstritten sich die Bürgerinnen und Bürger durch die Umbruchsprozesse in der friedlichen Revolution, dass überall in der DDR und auch in Thüringen die Schule von Ideologie und Staatspropaganda befreit wurde. Neben den staatlichen Schulen wurden freie Schulen möglich; eine wichtige Bereicherung. Die, ich glaube auch vor allen Dingen auch von Frau Hitzing, genannten Barrieren für die höhere Schulbildung, die kann ich zum Teil auch aus eigenem Erleben in meinem Umfeld bestätigen. Ja, auch dort gab es in vieler Hinsicht und für bestimmte Personengruppen nicht Chancengleichheit. Das gehört zu den großen Defiziten der DDR. Allerdings muss ich auch sagen,
dass diese positiven Entwicklungen, die zu verzeichnen sind, dennoch damit verbunden waren, dass wir übergegangen sind zu einem gegliederten Schulsystem, das an vielen Stellen schon in der alten Bundesrepublik zumindest unumstritten und in der Debatte gewesen ist, meine Damen und Herren.
Wenn ich noch mal auf den Bundespräsidenten und seine Bemerkungen, viel Erhaltenswertes ist auch verloren gegangen, zurückkomme, dann will ich schon sagen, mit der berechtigten und notwendigen Entideologisierung der Schule wurde aber auch zum Beispiel die praxisbezogene Polytechnik mit über Bord geworfen - eine Frage, die nicht nur Wirtschaftsverbände heute immer stellen. Wir haben stattdessen die zeitige Trennung der Schülerinnen und Schüler nach der 4. Klasse und wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass das ein Kernproblem bei der Tatsache ist, dass wir gegenüber allen anderen westeuropäischen Ländern bei uns die größte Abhängigkeit der sozialen Stellung in Bezug auf Chancen im Bildungssystem haben, meine Damen und Herren. Das ist ein Diskussionspunkt, dem wir uns für die nächsten Jahre stellen und aus unserer Sicht Veränderungen schaffen müssen.
Zum Thema Kulturpolitik: Auch hier will ich wieder ganz deutlich sagen, die große Veränderung nach 1989/90 war, dass Kultur, dass Freiheit von Kunst und Kultur wirklich hergestellt wurde, dass ideologische Gängelei gegenüber Kunst und Kultur ein Ende fand und dass deshalb natürlich bessere Bedingungen für eine sich frei entfaltende Kunst, Kultur und auch Wissenschaft gegeben war. Aber gerade im Kulturbereich müssen wir natürlich fragen, dass diese wichtigsten Grundlagen nicht allein zählen. Es zählen auch die materiellen Möglichkeiten für Kulturschaffende, für Theaterschaffende, für den Bereich der Bibliotheken und vieles andere mehr. Hier haben wir Aufgaben, die nach wie vor vor uns stehen mit der entschiedenen Reduzierung z.B. der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Bibliotheken in den letzten 20 Jahren. Die Regierung Althaus insofern bin ich von der positiven Bilanz, Frau Ministerpräsidentin, die Sie angeführt haben, wirklich nicht so überzeugt, was die Regierung Althaus betrifft -,
hat versucht, im Handstreich die Thüringer Kultur um 10 Mio. € zu erleichtern, und erst ein großer Aufschrei unter den Kulturschaffenden, unter vielen Menschen im Land, hat es ermöglicht, dass diese gleiche Regierung das wieder zurücknehmen musste, meine Damen und Herren.
Mit anderen Worten, hätten wir eher auf die Meinung der Öffentlichkeit und der Betroffenen gehört und hätte die Regierung eher darauf gehört, dann wäre diese Situation gar nicht erst so entstanden.
Ich will - es gäbe noch vieles hier zu erwägen mich doch etwas kurz an dieser Stelle fassen. Ich glaube, es wurde auch schon darauf verwiesen, ja, die friedliche Revolution hat die Wiedergeburt der kommunalen Selbstverwaltung in diesem Land ermöglicht und - das ist auch klar - gerade die Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker haben nach 1990 eine wahrlich anstrengende Pionierarbeit in diesem Land geleistet. Unsere Erfolge in den nachfolgenden Jahren bauen gerade auch auf deren Arbeit auf. Deshalb denke ich auch, wenn es zum Beispiel - man könnte vielen danken - einen Dank wert ist, dann bei dem Schaffen und dem Wirken unserer Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker in diesem Land gerade nach 1990.
Die mussten die konkreten Prozesse in den Landkreisen, in den Städten und Gemeinden im ständigen Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern bewältigen. Heute sehen wir uns natürlich einer Situation ausgesetzt, die manchmal - abgesehen von den verbrieften Rechten, die ich nicht infrage stellen will - mit Selbstverwaltung und Gestaltungsspielräumen ganz wenig noch zu tun hat, mitunter fast überhaupt nichts mehr. Das hat Ursachen nicht hauptsächlich in den Städten und Gemeinden unseres Landes und auch nicht hauptsächlich in der Kommunalpolitik. Ausreißer kann es da natürlich immer geben, das ist mir schon völlig klar. Das hat zu tun mit einer systematischen Politik des Bundes, aber auch von unseren Landesregierungen assistiert, die den Kommunen allein in den letzten zehn Jahren 1 Mrd. € an zustehenden Mitteln vorenthalten haben, meine Damen und Herren.
Deshalb steht für uns die entscheidende Frage, wie ist es mit dem Kommunalen Finanzausgleich und anderen Dingen - auch heute ganz aktuell. Viele Probleme sind struktureller Art; auch hier will ich mich gar nicht mit großer Kritik an den Entscheidungen am Anfang der Zeit nach 1989/90 aufhalten. Aber Fakt ist doch eines, Wasser und Abwasser hat heute schon eine Rolle gespielt, die Überdimensionierung, das viele Geld, was dort hineingeflossen ist. Aber ich will es noch mal sagen, 220 Zweckverbände im Bereich Wasser und Abwasser machen nun jedem bei der Größe unseres Landes klar, dass wir Strukturprobleme haben, auf die wir gemeinsam schauen müssen
Ich habe nichts bestritten, Herr Staatssekretär, ich sage es Ihnen gern noch einmal. Ich habe nichts bestritten an dieser Stelle. Ich habe es an anderer Stelle auch schon des Öfteren bei Debatten erwähnt. Selbstverständlich ist es richtig, dass Sie und wir alle die Erblast des maroden Wasser- und Abwassersystems der DDR geerbt haben. Das stelle ich nicht infrage. Das hebt uns aber nun auch nicht aus unserer Verantwortung, über die heutigen Probleme miteinander zu debattieren. Darum geht es doch in der Debatte.
Es ist schon so, dass viele Bürger - weil Sie ja jetzt natürlich auf das Reizwort warten, ich will es Ihnen auch gern noch einmal sagen, in einer Funktional-, Verwaltungs- und Gebietsreform - fragen nach der Arbeit der Verwaltungen. Sie haben den Eindruck, dass es eine überbordende Bürokratie im Land gibt. Ob das immer an jeder Stelle stimmt, ist doch nicht die Frage. Aber ich sage es noch einmal: Wir haben neun Ministerien einschließlich Staatskanzlei, rund 150 Landesmittel- und Sonderbehörden, die 17 Landkreise, die sechs kreisfreien Städte, 200 Kommunalverwaltungen für 950 Gemeinden. Das ist natürlich eine Frage, der man sich mit Blick auf die Zukunft stellen muss. Wir müssen - davon bin ich überzeugt, wenn wir für das Land Zukunft erreichen wollen - diese Kleingliedrigkeit zur Debatte stellen. Ich sage auch noch einmal: Wir brauchen auch unter europäischen Gesichtspunkten die Stärken der Regionen, die müssen wir bündeln. In den Regionen müssen wir das Gewicht der Städte und Gemeinden erhöhen und so mehr Bürgernähe und Handlungsfähigkeit erreichen. Deshalb stellen wir dieses Thema immer wieder als eines, was heute auf der Tagesordnung ist.
All diese Fragen im 20. Jahr der deutschen Einheit sind grundlegend demokratische Fragen. Wenn ich jetzt dieses Wort auch in den Mund nehme, dann sage ich ja - wenn man schon so will: Die Wende in der DDR fand nicht statt, weil Egon Krenz sie ausrief, als sie, meine Damen und Herren, längst im Gange war. Sie wurde von den Menschen im Land erstritten und da sind wir wieder bei dem Thema „direkte Demokratie“. Ich will jetzt nicht alle einzelnen Facetten unserer Landespolitik, der Entwicklung von mehr Demokratie hier im Land aufzählen. Wir haben einen langen Weg zu einer verbesserten Gesetzgebung, der nicht selten gegen ziemlich prinzipiellen Widerstand, der von der CDU-geführten Landesregierung erstritten wurde, aber er wurde gemeinsam erstritten. Doch auch hier sagen wir, wir können dabei im Interesse der Zukunft und mit Blick auf die vergangenen 20 Jahre nicht stehen bleiben, meine Damen und Herren. Wir sind der Meinung, es muss bei der Volksgesetzgebung und
bei diesen Begehrensmöglichkeiten wirklich mittlerweile darum gehen, den Finanzvorbehalt zurückzudrängen, und - ich sage es ganz offen - für die Zukunft aufzuheben, meine Damen und Herren.
Die Bürgerinnen und Bürger müssen in viel größerem Umfang über Gesetzesprojekte abstimmen können, gerade auch wenn es um die Verwendung finanzieller Mittel oder deren Umschichtung geht.
Meine Damen und Herren, im 20. Jahr der deutschen Einheit gibt es eine mehrheitliche Zustimmung zur Demokratie in unserem Land. Es gibt aber auch große Unzufriedenheit darüber, wie diese Demokratie gehandhabt wird, wie Entscheidungen inhaltlich aussehen, wie Institutionen unserer Demokratie heute funktionieren. Nicht nur in Stuttgart sind immer mehr Menschen - nach aktuellen Umfragen sogar eine große Mehrheit - der Auffassung, dass nur ihr direktes Eingreifen, zum Beispiel auch auf Demonstrationen, politisch etwas in die richtige Richtung bewegt. Im Übrigen, meine Damen und Herren, gäbe es heute Volksentscheide auf der Bundesebene, so würde die Rente mit 67 zurückgenommen und der Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan würde vollzogen.
Ich betone nochmals: Die parlamentarische Demokratie und ihre Grundlagen, auch der darauf aufbauende Rechtsstaat, sind unverzichtbare Grundlagen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens. Sie sind nicht infrage zu stellen, aber wir müssen sie mit mehr direkter Demokratie stärken.
Freiheit und Demokratie können wir auf Dauer nur bewahren, wenn wir sie einfach nicht weiter ausgestalten, sondern grundlegend erneuern. Das heißt, die individuellen Freiheitsrechte umfassend stärken und die sozialen Grundrechte, den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft gleichermaßen und für alle Menschen zu gewährleisten.
Unsere Lehre aus dem, was wir in der DDR erlebt und zu verantworten haben und unsere Erfahrungen aus den vergangenen 20 Jahren sagen, dass wir genau in dieser Richtung gemeinsam politisch aktiv sein müssen. Danke schön.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Hausold. Es hat jetzt das Wort Abgeordneter Fiedler für die CDUFraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich freue mich, dass wir heute hier über dieses Thema debattieren und reden können. Sie werden es nicht glauben - in Richtung LINKE -, ich persönlich bin Ihnen sogar dankbar, dass der Punkt 38, nachdem Sie ihn am Anfang ganz hinten angesiedelt hatten,
Der Beifall ist mir zwar nicht ganz angenehm, aber was recht ist muss recht bleiben. Deswegen bin ich froh, dass wir heute darüber reden können. Ich glaube, ich habe es schon versucht, hier zu sagen, was gibt es eigentlich Wichtigeres als 20 Jahre deutsche Einheit, 20 Jahre Thüringen, dass man das eigentlich vorn anstellt vor allen anderen Punkten. Deswegen, auch wenn es heute spät ist, die Presse nicht mehr da ist, Besucher nicht mehr da sind, werden wir uns, denke ich, trotzdem weiter darüber verständigen müssen. Ich sage Ihnen ganz klar und deutlich, ich danke auch Christine Lieberknecht, die das hier deutlich gemacht hat, aber auch beiden Herzkammern, der linken und der rechten Herzkammer, die beide sehr gut gesprochen haben. Ich denke, das war auch sehr wichtig, damit klar wird, wie wir uns das Ganze hier in unserem Land weiter vorstellen.
Ich sage Ihnen auch deutlich, ich bin froh, dass ich in einem wiedervereinigten Deutschland lebe, dass ich in Thüringen lebe, was wieder neu entstanden ist, und dass ich heute hier in diesem Thüringer Landtag mitreden darf.
Natürlich muss man sich hier viele Dinge anhören von allen Seiten, man muss das aushalten. Auch Sie, Frau Rothe-Beinlich, sollten das aushalten,