Wir müssen Maß halten. Politik muss Maß halten. Es kann nicht unser Anliegen sein, den Bürgern immer mehr Geld abzunehmen, damit wir jeden politischen Wunsch, der uns einfällt, finanzieren können, sondern es muss Ziel einer vernünftigen und einer gerechten Politik sein, dass die Bürger mehr Geld in ihrem Portemonnaie zur Erfüllung Ihrer Wünsche übrig behalten.
Das ist das Ziel einer gerechten Steuerpolitik. Deswegen bekennen wir uns ausdrücklich zu diesen beiden Bausteinen des Kirchhof’schen Steuermodells, zu Steuervereinfachung und zu Steuersenkung.
Es freut mich ausdrücklich, dass die Landesregierung ausweislich der Äußerungen der Ministerpräsidentin diese Position teilt. Deswegen freue ich mich darauf und hoffe, dass wir nachher auch vom Finanzminister ein paar Punkte zu hören bekommen, was denn an Schritten unternommen wird, um diesem Vorhaben entsprechend zur Umsetzung zu verhelfen.
Frau Kollegin Lehmann, Sie hatten vorhin gesagt, Herr Prof. Kirchhof hat sich in den vergangenen Jahren nicht beirren lassen. Ich will sagen, das stimmt, selbst nicht von der CDU. Vielen Dank.
Frau Präsidentin, vielen Dank. Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Sache mit der Steuervereinfachung hat eine lange Geschichte. Man redet auch gern von einer Steuerreform, Herr Barth. Ich habe am Bildungszentrum der Thüringer Steuerverwaltung gelernt, 80 Prozent der Steuerfachliteratur weltweit werden in Deutsch verlegt. Aber das
- eben, eben - unterstützt ja noch Ihre These. Der Wunsch nach Steuervereinfachung ist sicher verständlich, aber woher dieser Wunsch stammt, das will ich Ihnen gern sagen. Es gibt nämlich einen ganz engen inhaltlichen Zusammenhang zwischen der gerade wieder angelaufenen Debatte um Steuersenkungen und der Debatte um Steuervereinfachung. Zwei meiner Vorredner sind schon darauf eingegangen, Herr Meyer und Herr Huster. Das rührt nämlich daher, dass man in Berlin gerade wieder das schöne Stück „Wir senken Steuern“ spielt. Die Darsteller, insbesondere in den Reihen der FDP, wechseln so schnell, dass das verblüffte Publikum schon gar nicht mehr hinterherkommt. Ein Drehbuch gibt es auch nicht. Ohnehin hat man den Eindruck, dass man alles schon mindestens zehnmal gesehen hat.
Das wird auch alles wieder nicht so ausgehen, Herr Barth, wie sich Regisseur und Publikum das wünschen, weil sich mittlerweile die Länderchefs klar positioniert haben. An dieser Stelle auch noch mal: Chapeau, Frau Ministerpräsidentin Lieberknecht, Sie haben da eine klare und sehr richtige Auffassung, bei der wir Sie nur bekräftigen können. Das ist also alles der Fakt. Wer es - das ist hier auch schon angeklungen, ich bin dankbar, dass das in der Debatte auch mal angesprochen wurde - mit der Schuldenbremse für Bund und Länder wirklich ernst meint, der lässt sich auf solche Spielchen nicht ein. Allein das Einhalten dieser im Grundgesetz verankerten Regel bringt den Bund und die Länder an den Rand des Leistbaren. Das merken wir in der aktuellen Debatte auch in Thüringen. Gerade in den neuen Bundesländern, so auch bei uns, ist diese Herausforderung noch größer, weil wir noch stärkere Einnahmerückgänge zu verkraften haben.
Weil das alles so ist, entdeckt man jetzt eine neue Spielwiese, die noch wesentlich älter ist als das derzeitige Theaterstück, es geht nämlich um Steuervereinfachung. Ich gebe den Befürwortern einer derartigen Reform uneingeschränkt recht. Unser jetziges Steuersystem - das ist auch hier zum Tragen gekommen - ist so komplex und so kompliziert, dass es zum Schluss keiner mehr versteht. Herr Mohring hat bereits in einem Zeitungsinterview gesagt, welche Heerscharen an Steuerberatern hierzulande tatsächlich beschäftigt werden. Es stimmt. Wir haben beispielsweise ein Verwaltungsgerichtsurteil über die Absetzbarkeit von Hustenbonbons als Werbungskosten für Lehrer. Damit haben sich deutsche Gerichte beschäftigt. Das ist das Niveau, bei dem wir überhaupt, wenn wir über Steuern reden, auch mal reden müssen. Da muss man sicher
lich ausmisten, aber dazu taugt der Kirchhof-Plan nicht. Denn das Modell - früher war es mal in allen Einkunftsarten ein Einheitssteuersatz von 25 Prozent und dafür alle Sondertatbestände abschaffen , dafür hätte es schon kräftig Haue gegeben in der Bundestagswahl 2005.
Es gibt jetzt ein neues Modell, Frau Lehmann hat es vorgestellt, mit dieser abgestuften Variante. Ich glaube, die Wähler wollten damals das KirchhofModell nicht und sie wollen es auch heute nicht, weil diese Versprechungen in diesem Buch, über das wir jetzt gerade sprechen, zwar hübsch klingen, aber wenn man einmal ein bisschen hinter die Fassade schaut, merkt man, dass das Ganze Haken und Ösen hat, denn die Abschaffung vieler Steuersondertatbestände bei gleichzeitiger Einführung beispielsweise eines Einheitssteuersatzes oder dieses Stufenmodells entlastet massiv Menschen mit höheren Einkommen und führt zu Belastungen der Menschen mit niedrigeren oder mittleren Einkommen. Genau das Gegenteil ist in diesem Land eigentlich notwendig, denn höhere Einkommen und Vermögen müssen aus Gründen der Gerechtigkeit zukünftig wieder einen größeren Anteil an der Finanzierung der Staatsausgaben leisten, denn die sind die Gewinner der Entwicklung in den letzten Jahren. Die Schere in der Vermögensverteilung ist in Deutschland - da erzähle ich Ihnen nichts Neues - immer weiter auseinandergegangen.
Im Bundestagswahlkampf 2005 - das ist keine sechs Jahre her - war von einer Abschaffung von 418 Steuersubventionen die Rede. Wir erinnern uns, da sollte das Ehegattensplitting abgeschafft werden, die geringere Besteuerung von Nacht- und Feiertagszuschlägen, die Kilometerpauschale, die Abschreibung auf Investitionen. Das sind doch nicht allen Ernstes jetzt Vorschläge, über die wir erneut diskutieren müssen, nur weil jetzt wieder sechs Jahre ins Land gegangen sind.
2005 waren und auch heute sind die Vorschläge eines Herrn Kirchhof nicht aufkommensneutral. Schon allein deshalb sind sie zu verwerfen. Zu bedenken sind auch diese Umverteilungswirkungen zum Beispiel innerhalb des Länderfinanzausgleichs. Da reden wir auch immer in epischer Breite darüber, wie sich das auswirken wird beispielsweise bis 2020, und wollen hier ernsthaft heute darüber diskutieren, ob Herr Kirchhof eventuell recht haben könnte oder nicht.
Es gibt einen weiteren Kritikpunkt: Der CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt hat in der Zeitung DIE WELT - und das ist weiß Gott kein Kampfblatt der Sozialdemokratie - darauf hingewiesen und gesagt, die Komplexität des Lebens spiegelt sich in diesem Steuerkonzept nicht wider. Deshalb gibt es eben genau diese Ausnahmen, die Herr Kirchhof abschaffen will. Das hat er gesagt, das steht in der WELT. Genau das spricht auch gegen diesen Bier
deckel, den Sie hier präsentiert haben, so schön der auch anzuschauen ist. Ich denke, der Bierdeckel sollte bleiben, wo er ist, nämlich unter dem Glas beim Freitagsbier. Danke schön.
Vielen Dank. Gibt es weitere Wortmeldungen? Seitens der Landesregierung die Ministerpräsidentin. Bitte schön.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, ich habe mich zu Wort gemeldet, weil diese Aktuelle Stunde auf Antrag der CDU-Fraktion Teil einer Debatte ist, die wir nicht nur hier führen, die zumindest in der medialen Öffentlichkeit seit Tagen die Menschen beschäftigt und wir uns schon fragen müssen: Wie kommt diese Steuerdebatte jetzt wieder so in Fahrt, unabhängig von der Vorlage des Gutachtens bzw. jetzt des neuen Steuergesetzbuches von Herrn Kirchhof?
Da war zunächst einmal von Steuersenkungen die Rede, Steuersenkungen, wo wir in unseren Haushalten natürlich das Problem haben, dass wir bei der Konsolidierung sind, was die Menschen auch von uns erwarten, Menschen, die eine solide Staatspolitik, eine solide Finanzpolitik von uns erwarten und wo sich Prioritäten möglicherweise auch mit Blick auf frühere Sichtweisen geändert haben.
Ich habe manchmal bei den Steuersenkungsdebatten das Gefühl, da steht ein Produkt im Raum, ein Produkt im Angebot, aber irgendwo sind die Adressaten abhandengekommen, weil wir im Jahr 2011 offensichtlich nicht mehr ganz die Stimmungslage haben wie Anfang der 2000er-Jahre, vielleicht auch in den 90er-Jahren und auch noch möglicherweise im Wahlkampf 2009. Da galt nämlich allgemein, wer Steuern senkt, der tut ein gutes Werk. Die Menschen sehen das inzwischen wohl ein bisschen anders, weil sie verunsichert sind, weil sie durch die Wirtschafts- und Finanzkrise auch in ihrem ganz persönlichen Befinden berührt sind; weil sie zum Teil auch fragen, wo soll das Ganze enden; weil sie inzwischen auch begriffen haben, die Verschuldung der Staatshaushalte kann zu Katastrophen führen, die am Ende nicht mehr beherrschbar sind - Stichwort eine weitere Finanz- und Wirtschaftskrise.
Am Beispiel Griechenland wird es ja täglich auch in allen Konsequenzen sichtbar. Das heißt, die Zeiten haben sich verändert.
Was sich dennoch nicht verändert hat, ist die Last, die die Menschen tragen, die Unsicherheiten, die
da herrühren, dass man schlichtweg oft schon als normaler Bürger, aber erst recht, wenn man Unternehmer ist, wenn man Selbstständiger ist, zum Finanzamt geht und nie weiß, wie man am Ende wieder herauskommt. Ich denke, wer Wahlkreisabgeordneter ist, auch wer in der Landesregierung tätig ist - auch ich als Ministerpräsidentin -, wird immer wieder angesprochen von Menschen, die vielleicht aus Leichtsinnigkeit, aber zuallermeist ohne eigenes Verschulden in bester Absicht gemeint haben, etwas so richtig zu machen, etwas anderes richtig zu machen, dabei beraten worden sind, und am Ende sieht das Finanzamt dies doch ganz anders und es kommt das böse Erwachen und man weiß manchmal nicht, wie man aus dieser Situation wieder herauskommt. Beispiele dafür sind Legion. Auch das schafft Verunsicherung, auch das schafft Schwierigkeiten, die eigentlich mit einer Demokratie, wo ein mündiger Bürger wissen muss, was er tut, weil ein mündiger Bürger auch wissen muss, was er unterschreibt, ist das belastbar, dazu nicht mehr in der Lage ist. Da haben wir auch ein demokratiepolitisches Problem. Und dem Abhilfe zu schaffen, jetzt mal unabhängig davon, wie man die Vorschläge von Paul Kirchhof im Einzelnen bewertet, ist eine Frage, der sind wir nicht entbunden nur dadurch, dass wir jetzt im Moment sagen, für Steuersenkungen ist nicht der richtige Zeitpunkt, Steuersenkung ist nicht das, was der Bürger jetzt tatsächlich erwartet, er will solides Regierungshandwerk, er will auch als Demokrat in dieser Republik überblicken, was da geschieht, und das muss eben auch für die Finanzen gelten - im Staat wie für den Bürger im Einzelnen. Daran zu arbeiten, dafür einen neuen Debattenbeitrag vorgelegt zu haben mit Paul Kirchhof, mit dem Steuergesetzbuch, ich denke, das ist erst einmal ein großes Verdienst, unabhängig davon, was dann im Einzelnen
tatsächlich in dieser Republik realisierbar sein wird. Ich fürchte, in den politikpraktischen Debatten werden wir viele Hemmnisse haben. Das wird nicht eins zu eins umsetzbar sein, da sind wir Realisten und das hat auch schon der Wahlkampf damals im Jahr 2005 gezeigt, aber trotzdem müssen wir Wege finden, wie wir dieses komplexe Geflecht, die Zahlen sind ja genannt worden, 33.000 Steuerparagraphen, die kein Mensch überblickt, mit dann noch ganz verschiedenen Auslegungsformen, wo selbst Finanzbeamte remonstrieren und ihr Amt nicht mehr ausüben können, weil auch da Rechtsprechungen zum Teil gegenläufig sind, weil auch da wieder Änderungen innerhalb eines Jahres für eine neue Bewertung sorgen bzw. die Ausnahmetatbestände, die dann schier unübersehbar sind. Da sage ich, es kann, auch das ist eine Frage von Gerechtigkeit, nicht sein, dass derjenige, der den cleversten und teuersten Steuerberater hat, derjenige,
am Ende derjenige ist, der am wenigsten Steuern zahlt, vielleicht manchmal sogar auch gar keine mehr. Von daher, mal alles über alles gerechnet, würde ich durchaus die Chance einräumen, ich bin da nicht Experte, mal zu rechnen, wenn diejenigen, die tatsächlich auch die 25 Prozent dann konsequent zahlen von ihrem hohen und höchsten Einkommen, und diejenigen, die in den kleinen Einkommen zunächst einmal einen hohen Freibetrag haben, dann eine Progression bis zu 20.000 € und ab den 20.000 € die Flat Tax dann tatsächlich zahlen. Ich denke, das ist gemessen am Einkommen natürlich auch eine absolute Gerechtigkeit, wenn diejenigen, die wenig haben, den Freibetrag gemessen, dann die 25 Prozent, und diejenigen, die auch die größten Einkommen haben eben auch, wenn wir das mal zusammenzählen. In dieser Republik würde ich zumindest mal die Chance geben, das genauer anzusehen, und ich denke, das muss in diese Debatte mit einfließen. Ich sage ganz klar, was ich an vielen anderen Stellen auch gesagt habe, für Steuersenkungen ist im Moment nicht der Zeitpunkt.
Ich sehe auch nicht den Adressaten, der das wirklich verlangt, sondern da wird von uns Solidität erwartet, aber dass wir perspektivisch schauen, wie wir aus diesem komplexen System, was wir haben, mit aller Kompliziertheit, was auch investitionshemmend ist, und zwar gerade im Bereich auch der kleinen Selbstständigen, der kleinen Mittelständler, die sich überlegen, schaffe ich nun den Arbeitsplatz, stelle ich noch eine zweite oder dritte Kraft ein, dann Angst haben, weil sie nicht wissen, die konkreten Fälle habe ich, was beim Finanzamt rauskommt am Ende, und es dann lassen.
Von daher lassen Sie uns die Debatte offen führen und ich denke, sie war ja auch in der Themenstellung so offen angelegt und ich bedanke mich auch, die da in dieser Offenheit jetzt vonseiten der Fraktionen in die Debatte hineingegangen sind. Ich will es gern weiter begleiten, weil ich weiß, wir haben da ein Problem und das ist nicht dadurch gelöst, indem man etwas zum Tabu erklärt, sondern es kann nur dadurch gelöst werden, dass wir uns konstruktiv auch in dieser Frage weiter Gedanken machen. Herzlichen Dank.
Wir haben noch sechs Minuten, wenn die Herren sich das untereinander aufteilen, aber es bleibt auf alle Fälle noch ein Rest.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr verehrte Frau Ministerpräsidentin, zuerst will ich sagen, dass ich es ausdrücklich erfreulich finde, dass Sie sich selbst zu Wort gemeldet haben und das nicht dem Finanzminister sozusagen in Amtshilfe überlassen haben.
Der hat möglicherweise auch andere Ansichten zu dem einen oder anderen. Aber das will ich hier gar nicht thematisieren. Ich will auch die Vorlage nicht nutzen, dass Sie bekannt haben, kein Experte auf dem Gebiet zu sein. Aber was mich hier noch mal vorgetrieben hat, sind drei Punkte, die Sie gesagt haben. Sie haben auf Griechenland abgehoben. Abgesehen von der Frage, dass ich es jetzt nicht unbedingt für zwingend notwendig halte, dass wir mit dem erarbeiteten Geld unserer Menschen, mit dem Steueraufkommen, welches wir haben, zuallererst die Verhältnisse in Griechenland retten, die übrigens nicht wegen zu hoher Steuern dort etwa eingetreten sind, sondern die vor allem etwas mit fiktiven Steuern zu tun haben, weil es dort Steuergesetze gibt, die schlicht und ergreifend niemand bezahlt, und weil viele andere Dinge dazu geführt haben, dass die Situation in Griechenland so ist, wie sie ist, Punkt 1.
Punkt 2, Sie haben gesagt, es steht ein Produkt im Raum mit dem Angebot Steuersenkungen, für das die Adressaten abhandengekommen sind. Ich habe mich vorhin gefragt, was Herr Machnig für einen Umgang hat, jetzt mache ich mir bei Ihnen, ehrlich gesagt, ein bisschen Sorgen. Ich kenne offen gesprochen viele Menschen, die sich freuen würden, wenn sie an der einen oder anderen Stelle weniger Steuern bezahlen müssten. Das geht bei der Einkommensteuer los,