Protokoll der Sitzung vom 06.07.2011

Ich weiß auch nicht, warum ich immer das Gefühl habe, dass die fünf Minuten bei anderen viel länger sind als bei mir.

(Heiterkeit im Hause)

Herr Kowalleck, ich habe das Gefühl, dass Sie irgendwie einen anderen Bericht gelesen haben. Möglicherweise gibt es mehrere. Ich kenne nur den einen und der lässt den Vergleich der beiden Modelle gar nicht zu. Es gab einfach keine faire Chance für die nicht kommunalisierten Projekte, weil sie eben nicht gleiche Bedingungen hatten. Für uns ist das oberste Ziel eine gute Grundschule, eine gute Ganztagsgrundschule, die am Ende vielleicht auch so rhythmisiert ist, dass es gar keinen Unterschied zwischen Unterricht und Hort gibt.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Da ist die Prämisse, eine eigenverantwortliche Schule zu gestalten. Da ist die Prämisse, eine Dienst- und eine Fachaufsicht aus einer Hand zu haben. Dass das gerade eben nicht passiert oder die Weiterentwicklung eher eine Rückentwicklung ist, will ich Ihnen anhand eines Schreibens vom 31. März 2001 beweisen, das die Landeshauptstadt Erfurt, das Amt für Bildung, an die Schulleiterinnen und Schulleiter und die sehr geehrten leitenden Erzieherinnen geschickt hat. Dort wird schriftlich auf einige Festlegungen zum Tagesablauf in den

(Abg. Hitzing)

Grundschulen und zur Dienstplangestaltung aufmerksam gemacht. Es wird verwiesen: „Anhand der im Amt für Bildung vorliegenden Dienstpläne ist zu erkennen, dass an sehr vielen Grundschulen weitaus mehr Stunden zur Rhythmisierung vergeben werden. Daher bitte ich um eine effektive Gestaltung des Schulvormittags und die bedarfsgerechte Vergabe der Rhythmisierungsstunden“ - und so weiter und so fort. „Ich weise noch einmal darauf hin, dass bei Unterrichtsausfall am Schulvormittag Mehrarbeit bei den Erziehern zu unterbinden ist. Ein außerplanmäßiger Dienst ist zu unterlassen.“ Solche Schreiben kommen an die Schulen. Dann sagen die Erzieherinnen ganz mit Recht, der Schulleiter hat mir das nicht mehr zu sagen. Mein Amt für Bildung weist mir das an. Genauso wird in diesem Evaluierungsbericht auf den Seiten 38 und 39, Herr Kowalleck, bitte zum Nachlesen, mitgeteilt. Setzen Sie bitte Ihre Brille ab. Hier steht nämlich zum Beispiel, „alle Schulämter geben aber an, dass für den Verlauf des Projekts die Einstellung des Schulträgers/Landrates entscheidend waren. Waren hier positive Einstellungen vorhanden, verliefen die Projekte positiv.“ Das sind die, die bisher teilgenommen haben. Die anderen vermutlich weniger. Als entscheidendes Problem wird hierbei die Asymmetrie der Perspektiven genannt. Entscheidender Punkt bleibt bei allen Maßnahmen die finanzielle Situation. Hierdurch werden oftmals Maßnahmen bzw. ausbleibende Maßnahmen begründet. Inhaltliche Aspekte sind diesem Gesichtspunkt nachrangig. 7 von 14 Probanden geben an, nicht an der Erarbeitung der Leitlinie beteiligt worden zu sein. In vielen Fällen erfolge nach wie vor eine Trennung von Unterricht und Hortarbeit, in Erfurt sogar angewiesen. Reibungsverluste ergeben sich aufgrund ungenauer Zuständigkeiten und vor allem durch das Kompetenzgerangel zwischen Schulträger und Schulamt. Das sind so viele Baustellen. Ich glaube nicht, dass wir die bis September oder Oktober ausräumen können. Ich denke, dass wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Rhythmisierung und das, was wir unter guter Grundschule verstehen, mit dieser geteilten Dienst- und Fachaufsicht nicht weiterentwickelt werden kann, es sei denn, wir geben so viele Ressourcen hinein, nämlich das, was bisher auch unter der ersten Phase an Geld gegeben worden ist. Aber ich bezweifle das, wenn Herr Matschie das so zulässt wie im Kita-Bereich. Das Geld wird eher weniger und wir werden dann dasselbe beobachten können wie im Kita-Bereich: Eltern werden an erhöhten Kosten beteiligt, Kommunen werden allein gelassen und wir werden zuschauen, wie im Land ein Flickenteppich entsteht. Dort, wo Landkreise möglicherweise aufpassen, sind es vielleicht noch ein paar gute Horte. Dann werden wir ein paar Landkreise haben, wo gesagt wird: Gut, wir haben Grundschulen in den Dörfern, da kann schließlich auch der Hort an der Kita sein und so weiter und so fort.

Wir werden also einen Flickenteppich zulassen, der die Einheit von Grundschule und Hort und eine rhythmisierte Ganztagsschule, das, was wir eigentlich alle wollen, gar nicht mehr zulässt. Lassen Sie die Erzieherinnen dort, wo sie sind, im Landesdienst.

(Beifall DIE LINKE, SPD, FDP)

Das ist die Thüringer Spezialität. Dafür hat sich auch Herr Matschie eingesetzt. Das wollen wir in Zukunft auch so.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Seitens der Landesregierung hat sich Staatssekretär Prof. Merten zu Wort gemeldet.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, bildungspolitische Themen stehen offensichtlich immer unter dem Signum ahmaz - „Alles hängt mit allem zusammen“, da kann man mal den Rundumschlag machen. Ich rede gern über das Thema, das heute angesprochen wird. Lassen Sie mich trotzdem eine Vorbemerkung machen, damit das nicht unkommentiert im Raum stehen bleibt. Selbstverständlich hat der Bildungsminister, Herr Matschie, dafür gesorgt, dass die Kommunen in Bezug auf die Ausstattung der Kitas genau das erhalten, was auch vereinbart war, nämlich die vollständige Finanzierung. Es wird durch die wiederholte Behauptung des Gegenteils nicht falsch, es ist so. Das wissen Sie und das muss man hier in aller Deutlichkeit sagen. Da hat nicht Geld gefehlt, sondern es ist vollständig ausfinanziert; die Kommunen sind eben nicht alleingelassen worden.

Meine Damen und Herren, zum Thema selbst: Sie wissen, die Thüringer Bildungslandschaft ist in Bewegung und es vollziehen sich große Veränderungen. Wir haben das modernste Kindergartengesetz in der gesamten Republik. Wir haben auch das Schulgesetz geändert, interessanterweise folgen unseren Ideen inzwischen auch andere Länder. Wir haben eine intensive Debatte über die Schulordnung geführt, sie wird in Kürze in Kraft treten. Das mag ja an Ihnen vorbeigegangen sein, Herr Barth, aber das ist passiert.

Veränderungen, würde ich sagen, sind das Salz unseres Lebens. Man kann es auch mit Friedrich Schiller sagen, er sagt: „Veränderung nur ist das Salz des Vergnügens.“ Er hat das formuliert in „Kabale und Liebe“, das ist schon ein paar Tage her. Aber ich glaube, das ist immer noch sehr zutreffend. Das heißt, nur dann, wenn wir bereit sind und auch bereit bleiben, Veränderungen vorzunehmen,

(Abg. Sojka)

nur wenn wir den Blick offenlassen für die Probleme und auch die Bereitschaft aufbringen, diese Probleme mutig anzugehen, dann gewinnen wir Kraft, die Zukunft auch tatsächlich aktiv gestalten zu können. Es ist natürlich auch ganz unstrittig, Veränderungen machen Angst, das ist doch gar keine Frage. Schlimm wird es allerdings - und das sage ich hier deutlich -, wenn mit Hinweis auf mögliche Veränderungen bewusst Ängste geschürt werden.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Ach was?)

Ja, das ist so, Herr Barth. Keine Sorge, natürlich kenne ich inzwischen die Gesetze der Politik und ich kenne auch die Logik der Opposition und deren Regeln. Deshalb spreche ich auch heute gern über die Zukunft der Thüringer Grundschulhorte. Ich will allerdings auch sagen, das hat mit Schüren von Ängsten nichts zu tun, dem muss man bewusst entgegentreten. Hier macht niemand irgendetwas kaputt.

Um vielleicht das eine oder andere noch einmal deutlich zu machen: Da wird jetzt hier von 1.333 Stellen gesprochen, die hin- und hergeschoben würden. Meine Damen und Herren, schauen Sie sich, wenn die Papiere vorliegen, das einmal genauer an. Lesen Sie das sehr genau, da werden Sie sehen, so schlicht und ergreifend ist es dann doch nicht. Da wird dann drinstehen „für den Fall einer möglichen Kommunalisierung“ - ich denke, das macht mehr als deutlich, dass wir hier immer noch ergebnisoffen sind. Wir haben keine abschließende Entscheidung darüber getroffen.

Was nun sozusagen die Dignität der Substanz dessen, was wir in den Lokalzeitungen lesen, anbelangt, will ich auch etwas dazu sagen. Da wird seitens einer Gewerkschaft darüber nachgedacht. Da heißt es, bei dieser Gewerkschaft - Ihre Erlaubnis vorausgesetzt, dass ich kurz zitieren darf, Frau Präsidentin - „grassiert jetzt die Sorge, dass die Entscheidung in Sachen Kommunalisierung der Horte schon längst gefallen ist.“ Da grassiert die Sorge. Hier höre ich dann - jetzt ist sie nicht mehr da, die Abgeordnete Frau Hitzing -, dass die Landesregierung bereits entschieden habe, das wird da rausgelesen. Ich muss gestehen, ich verstehe etwas von Hermeneutik, von gewissen Interpretationsspielräumen. Mir erschließen sich an dieser Stelle zumindest diese Interpretationen nicht. Wir werden ergebnisoffene Gespräche führen und wir werden die Verhandlungen dann, wenn sie anstehen, auch tatsächlich weiterführen.

Meine Damen und Herren, die Thüringer Grundschulhorte stehen vor Veränderungen. Zurzeit ist die Situation - Sie wissen es - zweigeteilt. An dem Modellvorhaben „Weiterentwicklung der Thüringer Grundschule“ beteiligen sich auf der einen Seite 11 Landkreise - ich will die jetzt nicht aufzählen -, drei kreisfreie Städte, sechs Städte und eine Ge

meinde. 274 Schulen profitieren von diesem Modellvorhaben. Auf der anderen Seite stehen fünf Landkreise und eine Reihe von Städten, in denen es Grundschulhorte im klassischen Sinne gibt. Rund 160 Schulen nehmen also nicht am Modellvorhaben teil.

Derzeit ist das Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur mit allen - ich sage das ausdrücklich -, mit allen am Vorhaben Beteiligten im Gespräch, um Möglichkeiten der Gestaltung des Modellvorhabens „Weiterentwicklung der Thüringer Grundschule“ zu klären. Insofern brauchen wir keine Hinweise, dass wir alsbald in Diskussionen eintreten müssten, meine Damen und Herren. Die laufen seit Wochen und Monaten, vielleicht unbemerkt von Ihnen, aber sie laufen. Das zeigt, dass hier auf der Sachebene auch diskutiert wird. Dabei sind alle Schulträger, der Thüringische Landkreistag, der Gemeinde- und Städtebund Thüringen, der Hauptpersonalrat des Thüringer Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur, die Gewerkschaften, Verbände, die staatlichen Schulämter und die Grundschulen. Bei allen Gesprächen ist eines klar, die am Modellvorhaben teilhabenden Kinder werden in stärkerem Maße individuell gefördert. Mit dem Anstieg der Hortangebote wächst auch die Zahl der regionalen Kooperationspartner und, wenn Sie so wollen, haben wir hier tatsächlich einen beeindruckenden Vollzug dessen, was man die Herausbildung von lokalen Bildungslandschaften nennt.

Die Evaluation ist angesprochen worden, es gibt ja zwei inzwischen. Die Ergebnisse dieser Evaluation sprechen für sich. Die tägliche Hortöffnungsdauer steigt sowohl von Montag bis Freitag an Schultagen um durchschnittlich eine halbe Stunde. Ein Zuwachs an regelmäßigen, offenen schulischen Angeboten wurde ebenso festgestellt und im Schnitt macht jede Modellschule 2010 zwei bis drei Mehrangebote als 2008. Also innerhalb des Evaluationszeitraums haben wir positive Veränderungen zu verzeichnen. Beim Zuwachs an inhaltlich-thematischer Arbeit ist zu verzeichnen ein Plus von 19 Prozent bei gesellschaftlichen Themen, ein Plus von 11 Prozent bei technischen Themen und im Kreativbereich ist der Anstieg um 4 Prozent zu verzeichnen. Eine stärkere Differenzierung der Angebote nach Klassenstufen erfolgt. Ein Anstieg der kostenlosen Angebote auf durchschnittlich 86 Prozent ist festzustellen. Bei den kostenpflichtigen Angeboten liegen die Teilnahmekosten bei rund 19 € und damit etwas höher als 2008. Anteilig stieg leicht die Anzahl der Veranstaltungen pro Erzieherin und pro Erzieher.

Zu diesen Ergebnissen kommen die beiden aktuellen Evaluationsstudien; die eine von Dr. Buhl von der FSU Jena, die andere vom ThILLM. Die Ergebnisse der qualitativen und quantitativen Evaluation zeigen, das Projekt Weiterentwicklung der Thüringer Grundschule wird gut angenommen. Es fördert

(Staatssekretär Prof. Dr. Merten)

die Lernsituation von Schülerinnen und Schülern. Es verbessert die Betreuungsqualität und - das ist besonders wichtig - es erhöht die Zufriedenheit bei den Pädagoginnen und Pädagogen und bei den Eltern. Mit einem Wort: Die wissenschaftliche Prüfung der bisherigen Modellversuche an Thüringer Grundschulen haben positive Ergebnisse gezeitigt. Da kann man schlechterdings wohl kaum von irgendeiner Art von Lightversion oder davon, irgendetwas kaputt machen zu wollen, sprechen. Das trifft die Realität, die sich im Moment in unseren Orten vollzieht, nicht. Allerdings - und das will ich gar nicht verhehlen - gibt es auch kritische Stimmen, und zwar aus dem Bereich der Kommunen. Sie befürchten eine nicht ausreichende Finanzierung für ihre Gemeinden. Dazu passt die aktuelle Nachricht aus dem Gemeinde- und Städtebund. Er, so ist zu hören, lehnt eine Übertragung ab. Ganz anders positioniert sich der Thüringische Landkreistag. Er fordert eine sofortige Kommunalisierung. So viel vielleicht zum Thema kommunale Familie und die Einheitlichkeit dessen, was da gesagt wird. Sie sehen auch, hier ist also noch einiges zu besprechen und offensichtlich braucht man hier noch eine Art Mediation.

Meine Damen und Herren, fest steht - und das hat der Minister immer wiederholt gesagt -, ein Selbstläufer ist die Kommunalisierung der Grundschulhorte keineswegs. Nun stellt sich die Frage: Wie geht es weiter? Wir setzen die Gespräche mit den Partnern der staatlichen Schulämter und Grundschulen fort und dazu finden mit Beginn des neuen Schuljahres Regionalkonferenzen in den 11 Schulämtern statt. Die Auftaktveranstaltung war bereits kürzlich, nämlich am 30. Juni im TMBWK.

Zu den Beratungen in den staatlichen Schulämtern werden auch Elternvertreter und Personalvertretungen eingeladen, weil wir natürlich auch sie aktiv beteiligen wollen. Die Art und Weise bzw. der Umfang der Ausstattung der Schulträger mit finanziellen Mitteln zur Gestaltung des Modellvorhabens wird in den laufenden Gesprächen zu klären sein. Also auch hier wird man nicht von „kaputtsparen“ sprechen können, bevor wir die Ergebnisse kennen. Warten wir mal die Ergebnisse ab, ich glaube, dann sehen wir weiter. Auch der Hinweis, dass es hier um schnöden Mammon ginge; ja natürlich geht es auch um Geld, das ist doch ganz selbstverständlich, und zwar um große Summen. Wer wollte das bestreiten? Aber wer in der politischen Verantwortung steht, muss auch diese Summen verantworten und schauen, dass er mit dem Haushalt klarkommt. Das ist ein Teil der Logik.

Unser Ziel bleibt es, im Herbst eine Entscheidung zu treffen. Daran halten wir fest. Es geht aber heute nicht - und das ist hier auch jetzt gefordert worden von der Abgeordneten Frau Sojka - um das Thema kostenloses Essen, es geht heute nicht um das Thema gebundene Ganztagsschule, sondern es

geht um das Thema „Modellvorhaben - Weiterentwicklung der Thüringer Grundschulen“. Ich glaube, man muss es auch zentrieren, denn man kann, wie gesagt, alles mit allem verbinden, wird dann allerdings handlungsunfähig. Wir möchten gern handlungsfähig bleiben, weil hier tatsächlich Entscheidungszwänge anstehen, die wir gern auch realisieren wollen. Ich halte es mit der Vorstellung, dass man es zentriert auf das, womit wir es zu tun haben, und das ist das Thema Weiterentwicklung des Modellvorhabens oder, um es mit Friedrich Bouterwek zu sagen: „Biegt man das Rohr zu stark, so bricht’s, und wer zu viel will, der will nichts.“ Also, ich will schon noch was. Schon heute lässt sich sagen, alle Beteiligten arbeiten engagiert auch an einer künftig tragfähigen Lösung, und zwar an einer für alle tragfähigen Lösung. Gemeinsam leisten wir einen ganz wesentlichen Beitrag, um die Bildungschancen unserer Kinder frühzeitig durch individuelle Förderung zu verbessern. Ich glaube, das ist auch das gemeinsame Ziel und das ist auch das, was wir als Zielperspektive mit im Blick haben, was wir in den nächsten Wochen und Monaten in notwendigen Verhandlungen und Gesprächen dann auch tatsächlich realisieren werden. Vielen Dank.

Damit ist auch die Redezeit in diesem Teil der Aktuellen Stunde erschöpft.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Für das Pro- tokoll: Kein Applaus!)

Ich schließe diesen Teil der Aktuellen Stunde und rufe auf den vierten Teil

d) Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Thema: „Auswirkungen des EU-Finanzrahmens 2014 - 2020 auf Thüringen“ Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags - Drucksache 5/3008

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Augsten.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Thüringen hat seit der Wiedervereinigung eine gute Entwicklung genommen und das wäre ohne die finanzielle Unterstützung seitens der EU sicher nicht möglich gewesen. Ich war seit 1994 langjähriges Mitglied des Begleitausschusses für die EU-Strukturfonds und habe dort im Prinzip seit 1994 alle diese Operationellen Programme mit entwickelt, kontrolliert und evaluiert und weiß deswegen auch, wo

(Staatssekretär Prof. Dr. Merten)

von ich rede. Es gibt eine ganze Menge Projekte, die wir dort intensiv diskutiert haben. Auch wenn die Umweltverbände und die GRÜNEN dort so manche Maßnahme kritisiert haben, ich denke da an überdimensionierte Abwasserbehandlungsanlagen, ich denke an die ebenso überdimensionierten Gewerbegebiete auf der grünen Wiese oder an so manche Luxusausführung bei Straßen, so bleibt es doch dabei, dass gerade Umwelt und Naturschutz in dieser Zeit sehr profitiert haben. Auch dort hat die DDR einen Scherbenhaufen hinterlassen. Stichworte „Altlasten“ und „Anschlussgrad bei Abwasser“ zeigen, dass dort mit EU-Mitteln sehr vernünftige Dinge passiert sind. Um diesen ersten Gedanken zusammenzufassen: Ohne die über 8 Mrd. €, die seitdem aus Brüssel nach Thüringen geflossen sind, würde Thüringen nicht stehen, wo es steht.

Meine Damen und Herren, Thüringen gehört damit offensichtlich zu den Profiteuren der EU-Finanzpolitik als typisches Ziel-1-Fördergebiet mit der höchsten Förderwichtigkeit. Insofern waren alle gespannt, was am 30.06. seitens der EU-Kommission auf den Tisch gelegt wird. Es gab im Vorfeld einige doch heftige Äußerungen, dass man in einigen Bereichen deutliche Kürzungen vornehmen will. Wir im Agrarbereich waren, glaube ich, alle sehr erschrocken, als Herr Barroso kurz vorher noch in die Welt gesetzt hat, dass man die gesamte zweite Säule einkassieren will. Das sind genau die Umweltmaßnahmen, auf die wir in Thüringen großen Wert legen. Insofern war nachher vielleicht der Schreck nicht allzu groß, als am 30.06. die EUKommission die finanzielle Vorausschau bzw. den Finanzrahmen für die Jahre 2014 bis 2020 vorgelegt hat.

Ich möchte das aus unserer Sicht bewerten. Ich fange mal mit dem Positiven an. Die Tatsache, dass sich die EU-Kommission darauf verständigt hat, es bei dem 1 Prozent Bruttoinlandsprodukt der Geberländer zu lassen, ist sehr vernünftig. Wir haben in den Kommunen, in den Ländern und auf Bundesebene viele Dinge zu erledigen, die dort nicht mehr Spielraum zulassen. Dass die EU dort mehr Wert auf Eigenverantwortung und Eigenleistung legt, finden wir gut. Ebenso begrüßen wir die Entscheidung bezüglich der Kohäsionsmittel. Auch hier 36 Prozent weiterhin für das Zusammenwachsen der Regionen in Europa ist, glaube ich, gerade mit Blick auf Osteuropa eine richtige Entscheidung.

Es gab ja große Befürchtungen, dass es bei den EU-Strukturfonds - und da geht es ja im Prinzip um diese über 8 Mrd. € - deutliche Kürzungen geben wird. Angesichts der Tatsache, dass wir jetzt bei minus 30 Prozent etwa liegen, sprechen einige von einer sanften Landung. Angesichts dessen, dass das auch hätte viel schlimmer ausgehen können, sind wir, glaube ich, dort auch gut bedient und können vor allen Dingen gut planen. Was uns natürlich aufseiten der GRÜNEN sehr gefreut hat, dass es

dort ganz eindeutige Kriterien gibt in Richtung Greening, ich sage mal „Grünmachen der Maßnahmen“. Das fängt bei Klimaschutz an, das geht bei Energieeinsparung weiter. Wenn man dezidiert in diesen Vorschlag hineinschreibt, dass klimaschädliche Maßnahmen nicht mehr förderwürdig sind, dann ist das natürlich etwas, was wir ausdrücklich unterstützen als GRÜNE.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, zum Agrarbereich wäre ganz viel zu sagen. Sie können sich vorstellen, dass mir das besonders auf den Nägeln brennt. Die Tatsache, dass wir von einer jährlichen Summe von 59 Mrd. € auf 53 Mrd. € heruntergehen, macht ja schon deutlich, dass dort wesentlich weniger Geld in die Landwirtschaft fließt. Dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass wir natürlich eine deutliche Umverteilung in Richtung Osteuropa haben werden. Das ist für mich keine Neiddebatte, sondern wir reden über Finanzierungen von 2020. Dort werden natürlich auch in Osteuropa die Kosten für die Landwirte steigen. Insofern ist eine Anpassung der Förderhöhen hier notwendig. Das geht zu unseren Lasten, aber das bringt, glaube ich, die Gerechtigkeit auch dann mit sich.

Meine Damen und Herren, ich möchte schließen erst mal mit einer wesentlichen Kritik, die wir haben, und dann noch mit einer ganz klaren Ansage in Richtung Landesregierung, die uns wichtig ist. Die Hauptkritik an diesem Vorschlag findet aus unserer Sicht im Bereich Umwelt/Naturschutz statt. Es gibt ein einziges richtiges typisches Umweltprogramm, das ist das Programm LIFE. Da gab es viele Hinweise von Expertinnen und Experten, dass dort deutlich mehr Geld hinein muss. Die Tatsache, dass wesentlich mehr Anträge abgelehnt werden müssen, weil kein Geld da ist, als bewilligt werden, ist ein deutliches Zeichen, dass wir mehr Geld gewollt hätten. Das ist nicht passiert.

Meine Damen und Herren, die klare Ansage, die ich machen möchte, am Montag hat Minister Machnig den Trendatlas vorgestellt. Dort hat sich wie ein roter Faden durchgezogen, dass man doch die Stärken stärken müsste. Ich glaube, dass die EU mit all den finanziellen Unterstützungen in Thüringen immer deutlich gemacht hat, dass es hier darum geht, Entwicklungsrückstände auszugleichen, Ausgleich zu schaffen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn es jetzt darauf hinausläuft, dass Herr Machnig das Geld in Zukunft von der EU entlang der Autobahn ausgeben will, dann sage ich, nicht mit uns,

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)