Protokoll der Sitzung vom 07.07.2011

Ja. Wenn Sie aber eine Allzuständigkeit nach Ihren eigenen mündlichen Ausführungen nun selbst gar nicht einführen wollen, dann brauchen Sie auch diese Verfassungsänderung nicht, denn wenn Sie sich den Text in Ihrem eigenen Gesetzentwurf noch einmal ansehen, dann sieht der von Ihnen beantragte Text bei den Parlamenten als Beschwerdestellen ausdrücklich keinerlei Begrenzung auf regionale Zuständigkeiten vor, denn dort heißt es, dass die Bürgerinnen und Bürger das Recht haben, sich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die nach den Wahlrechtsgrundsätzen hervorgegangenen Volksvertretungen zu wenden. Damit erfasst die Zuständigkeitseinschränkung die regionalen Volksvertretungen nicht und an die Volksvertretungen können nach Ihrem Verfassungsänderungstext Bitten und Beschwerden jedweder Art und jedweden Inhalts gerichtet werden, also für Gemeindestraßen wie für Ausstieg aus der Kernkraft. Deswegen ist der Einwand richtig, den

ich gebracht habe. Jetzt sagen Sie, aber in unserem Gesetz machen wir das doch dann gar nicht. Es ist deshalb aber nicht nur so, dass Sie und wir die beantragte Verfassungsänderung nicht brauchen, wir dürfen sogar die Thüringer Verfassung gar nicht wie beantragt ändern, wenn hinterher Ihr einfaches Gesetz mit einem Beschwerderecht nur bei den für den Beschwerdegegenstand zuständigen Parlamenten Realität werden soll. Wenn nämlich - und das ist jetzt langweiliges Verfassungsrecht, aber auch unvermeidlich - in der Thüringer Verfassung ein allzuständiges unbeschränktes Beschwerderecht erst einmal verankert wird, können Sie es einfachgesetzlich nicht wieder einkassieren. Das heißt, wenn die Gemeinderäte, Stadträte und Kreistage nicht Weltkummerkästen sein sollen, dann müssen Sie die von Ihnen beantragte Verfassungsänderung jetzt konsequent selbst ablehnen.

Ich habe dreimal versucht, Ihnen das zu erklären. Heute ist das der dritte und letzte Anlauf. Wenn Sie es auch heute wieder nicht verstehen wollen, erledigen wir das heute erneut für Sie mit und werden den Antrag auf Änderung der Thüringer Verfassung ablehnen.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Das machen Sie sowieso.)

(Beifall CDU, SPD)

Vielen Dank. Gibt es weitere Wortmeldungen? Ja, bitte schön, Herr Kuschel.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Marx, Sie haben wieder versucht, hier eine Belehrung durchzuführen, aber Sie nehmen Verfassungsrealität in anderen Bundesländern, die übrigens auch SPD-regiert sind, nicht zur Kenntnis.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Es wäre vielleicht hilfreich, wenn Sie sich damit auseinandersetzen, warum in anderen Bundesländern genau diese Regelung in den Verfassungen steht, die wir hier für die Thüringer Verfassung vorschlagen. Ich darf zitieren mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, aus der Verfassung des Landes Brandenburg, Artikel 24. Dort ist formuliert: „Jeder hat das Recht, sich einzeln oder gemeinschaftlich mit Anregungen, Kritiken und Beschwerden an den Landtag, die kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften und jede sonstige staatliche oder kommunale Stelle zu wenden.“ Da haben wir die Allzuständigkeit. In Sachsen-Anhalt ist in Artikel 19 geregelt: „Jeder hat das Recht, sich einzeln oder in der Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an den Landtag, die Vertretung des

Volkes in den Kommunen“ - Originaltext - „und an die zuständigen Stellen zu wenden.“ Also insofern schaffen wir hier kein verfassungsrechtliches Neuland, sondern wir nehmen Regelungen der anderen Bundesländer zum Anlass, um hier verfassungsrechtlich die Voraussetzung zu schaffen, dass wir dann einfachgesetzlich das Verfahren für das kommunale Petitionsrecht weiter ausgestalten können. Nicht mehr und nicht weniger machen wir.

(Beifall DIE LINKE)

Sie sollten, wenn Sie das ablehnen, ehrlich sagen, dass Sie es politisch nicht wollen. Sie wollen nicht, dass dem Bürger weitere Möglichkeiten eröffnet werden. Dann ist das eine politische Aussage, mit der können wir uns auseinandersetzen,

(Beifall DIE LINKE)

aber versuchen Sie nicht ständig, sich durch eine theoretische verfassungsrechtliche Darlegung hier vor der politischen Positionierung zu drücken, sondern dann sagt eben die SPD: Entgegen unserer Auffassung, die wir bis 2009 vertreten haben, sind wir jetzt dafür, dass die jetzigen Instrumente ausreichen.

Herr Heym, Sie haben wieder ein Bild der Kommunen gezeichnet, das nicht mal ansatzweise etwas mit den Realitäten zu tun hat.

(Beifall DIE LINKE)

Zumindest in unseren Abgeordnetenbüros stehen die Leute zum Teil Schlange und geben Hinweise, machen Vorschläge und beschweren sich über das Agieren auch auf kommunaler Ebene.

(Unruhe CDU, SPD)

Ich will Ihnen sagen, weshalb das so ist. Unsere kommunale Verwaltung, das haben wir geregelt, ist nach wie vor sehr stark ordnungspolitisch ausgeprägt nach den Grundsätzen, die Herr von Stein im Jahr 1806 entwickelt hat. Das heißt, das Hauptinstrument des behördlichen Handelns besteht im Erlass eines Verwaltungsakts. Das ist eine einseitige Willenserklärung, Frau Marx, § 35 Thüringer Verwaltungsverfahrensgesetz, darüber können Sie dann wieder eine Vorlesung halten. Eine einseitige Willenserklärung - so handeln viele. Aber das Bedürfnis der Menschen ist ein anderes. Sie wollen nicht einseitig von der Verwaltung eine Entscheidung bekommen und dann können sie sich mit Rechtsmitteln dagegen wehren, sondern sie wollen in einem Dialogverfahren bevor die Entscheidung getroffen wird, bereits einbezogen werden. Das heißt, wir brauchen ein ganz anderes Herangehen an Verwaltungshandeln. Da schaffen wir eine Voraussetzung, ein weiteres Element, dass nämlich Bürgerinnen und Bürger sich schon sehr frühzeitig in kommunale Angelegenheiten mit Anregungen, Vorschlägen und Kritiken einbringen können. Ich sage immer allen Kommunalpolitikern, seid froh,

(Abg. Marx)

wenn sich Menschen noch mit Fragen, Kritiken, Anregungen an euch wenden. Es wird erst dann gefährlich, wenn sie sich überhaupt nicht mehr äußern, denn dann haben wir die Entpolitisierung in der Kommune endgültig erreicht. Nur allein, dass es das Instrument gibt, wird es das Verwaltungshandeln positiv beeinflussen, weil die Bürger sich viel stärker eingeladen fühlen, sich an kommunalen Prozessen zu beteiligen. Die Vielzahl von Widerspruchsverfahren nach Verwaltungsentscheidungen ist übrigens ein Indiz dafür, dass dieses alte, einseitige Verwaltungsdenken und -herangehen, dass der Bürger nur als Adressat von Verwaltungshandeln ist, nicht mehr zeitgemäß ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben gegenwärtig in den Kommunen die größten Probleme, die Rechte der Mandatsträger zu sichern. Deswegen beschäftigt sich meine Fraktion mit einem Projekt mit dem Arbeitstitel „Demokratisierung der Kommunalpolitik“. Jeder kommunale Vertreter weiß, wie schwer es für den einzelnen Gemeinderat, Stadtrat oder das Kreistagsmitglied ist, an Informationen heranzukommen und das Informationsmonopol der Verwaltung zu durchbrechen. Wir müssen bedauerlicherweise Entscheidungen der Verwaltungsgerichte zur Kenntnis nehmen, die diese Blockadehaltung in Bezug auf die Informationen auch noch bestätigen mit Verweis auf verfassungsrechtliche und einfachgesetzliche Vorgaben.

An zwei Beispielen, die aktuell bei mir auf dem Tisch liegen, will ich Ihnen das belegen. Die Stadtwerke in Arnstadt erhöhen die Gaspreise. Jetzt haben die Kunden, das sind 90 Prozent der Bürgerinnen und Bürger - ein kommunales Unternehmen einfach das Bedürfnis, die Kalkulation der Gaspreise einzusehen. Das wird verweigert mit dem Hinweis, dann könnte auch die Konkurrenz einen Blick darauf nehmen und da man im Wettbewerb steht, verweigert man das, obwohl es Entscheidungen des Bundesgerichtshofs gibt, was die Transparenz bei Monopolbetrieben oder bei Betrieben der Energie- und Gasversorgung angeht. Wir kommen nicht weiter und wir kommen deshalb nicht weiter - nicht einmal wir als Stadtrat haben die Möglichkeit, in die Kalkulation Einsicht zu nehmen -, weil wir als Landtag nicht ausreichend Öffnungsmöglichkeiten für Transparenz und Mitgestaltung geschaffen haben.

Ein weiteres Beispiel, das ist dem Jahresbericht des Landesrechnungshofs zu entnehmen, im Wasser- und Abwasserzweckverband wird die Werkleitung seit 2001 übertariflich bezahlt. Es gelingt uns nicht, es transparent zu machen. Es gelingt uns nicht, dass die Bürger ein Anrecht haben, obwohl sie das über ihre Gebühr bezahlen müssen …

Herr Kuschel, wir sprechen über die Änderung der Verfassung und nicht über Abwasser …

Ja, aber das sind doch Beispiele, Frau Präsidentin, die belegen die Notwendigkeit dieser Verfassungsänderung. Denn wir müssen den verfassungsrechtlichen Rahmen dafür schaffen,

(Unruhe DIE LINKE)

dass dieser Umgang mit den Bürgern endlich der Geschichte angehört. Ich gestehe Ihnen zu, Herr Heym, überall dort, wo vernünftige Kommunalpolitiker, Bürgermeister agieren, haben wir die Probleme nicht. Sehen Sie nach Großbreitenbach, da funktioniert das wunderbar.

(Beifall DIE LINKE)

Übrigens ein gutes Verfahren: Da verlässt kein Straßenausbaubeitragbescheid die Verwaltung ohne vorher mit dem Bürger gesprochen zu haben. In anderen Gemeinden ist das eben anders. Also es geht, aber wir schaffen Gesetze immer für die Fälle, bei denen wir etwas uneinsichtige Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker haben, die den Bürger eher als ein störendes Element in der Kommunalpolitik betrachten, dafür schaffen wir ja die Gesetze. Wenn Sie tatsächlich ein anderes Verwaltungshandeln wollen, wenn Sie ein anderes Verhältnis zwischen Bürger und Verwaltung wollen, dann müssen Sie unserem Vorschlag zur Verfassungsänderung zustimmen. Dafür werbe ich noch einmal. Danke.

(Beifall DIE LINKE)

Vielen Dank. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht Frau Abgeordnete Schubert.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich werde kurz und vor allem nur zur Sache sprechen. Ich beziehe mich auf Herrn Heym. Sie haben noch einmal ausgeführt, dass sich die Leute in den Gemeinden jetzt schon an ihre Vertretungen bzw. an die Gemeinderäte wenden, dem stimme ich zu. Wieso haben Sie dann Angst, genau das verfassungsrechtlich zu verankern und damit auch eine Klärung herbeizuführen?

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ich glaube, dass diese Gepflogenheit durch diese Verfassungsänderung unterstützt würde. Es ist schade, dass wir die Diskussion, ob es sich bei einer Gemeindevertretung um eine Volksvertretung handelt, nicht führen. Wo, wenn nicht hier im Landtag, sollen wir diese Diskussion führen?

(Abg. Kuschel)

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ich hätte es spannend gefunden, im Justizausschuss, vor allem im Justizausschuss, und im Petitionsausschuss diese Diskussion auch juristisch zu führen. Es ist schade, dass Sie den Mut dazu nicht hatten. Es wäre eine spannende Diskussion geworden und es wäre stringent gewesen, diesen Gesetzentwurf zusammen mit dem Petitionsgesetz zu überweisen, weil man dann die Anhörung hätte erweitern können. Man hätte die Erfahrungen aus anderen Bundesländern hinzuziehen können, die Frau Sedlacik hat es schon erwähnt - diese Verfassungsänderung schon durchgeführt haben. Es wäre spannend gewesen, von den wahrscheinlich positiven Erfahrungen in diesen Bundesländern zu profitieren. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete. Gibt es weitere Wortmeldungen? Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung. Abgestimmt wird direkt über den Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE in der Drucksache 5/2672 in dritter Beratung. Ich frage, wer für diesen Gesetzentwurf ist, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Das ist die Zustimmung bei den Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer ist gegen diesen Gesetzentwurf? Das ist Ablehnung bei den Fraktionen der SPD, der CDU und der FDP. Damit ist die Zweidrittelmehrheit zur Verfassungsänderung nicht erreicht und der Gesetzentwurf abgelehnt.

Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 2 in seinen Teilen

a) Fünftes Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaats Thüringen (Gesetz zur Stärkung der Transparenz par- lamentarischer Arbeit) Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE - Drucksache 5/1308 dazu: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten - Drucksache 5/2906

DRITTE BERATUNG

b) Fünftes Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaats Thüringen

Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 5/1311 dazu: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten - Drucksache 5/2907

DRITTE BERATUNG

c) Änderung der Geschäftsordnung des Thüringer Landtags Antrag der Fraktionen der CDU, DIE LINKE, der SPD, der FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 5/1302 dazu: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten - Drucksache 5/2908

dazu: Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 5/3027

dazu: Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE - Drucksache 5/3034

Das Wort hat der Abgeordnete Hauboldt als Vorsitzender des Ausschusses für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten zur Berichterstattung zu den drei Tagesordnungspunkten. Bitte schön.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, ursprünglich war vorgesehen, dass der Kollege Schröter über das Ergebnis aus dem Ausschuss berichtet. Er hat sich in den Krankenstand abgemeldet, ich denke, von der Stelle auch gute Genesungswünsche.