Protokoll der Sitzung vom 12.10.2011

Erstmals Furore machte eine entsprechende Technologie noch Mitte des vergangenen Jahrzehnts unter Rot-Grün. Unter dem Einfluss des Terrorismus trieb SPD-Innenminister Schily, ohne Rechtsgrundlage damals noch, Online-Überwachung voran. Gegen den Widerstand in der damaligen Oppo

sition hatte dann Schwarz-Rot in der darauf folgenden Legislatur zunächst mit dem BKA-Gesetz eine Rechtsgrundlage, die sicherlich heiß umstritten war, geschaffen.

Ich erinnere an das Urteil des Verfassungsgerichtshofs vom 27. Februar 2008, in dem die Zulässigkeit einer solchen Maßnahme ausdrücklich darauf beschränkt wurde, dass ausschließlich Daten aus einem laufenden Telekommunikationsvorgang erfasst werden. Alle anderen Möglichkeiten, meine Damen und Herren, ob gewollt oder nicht, müssen bei solchen Maßnahmen ausgeschlossen sein.

(Beifall DIE LINKE, FDP)

Dass der sogenannte Staatstrojaner auch schon in seinen Variationen zum Einsatz gekommen ist, beweist der Beschluss des Landgerichts Landshut vom 20.01.2011, der im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gefasst wurde. Danach war eine umfangreiche Überwachungsmaßnahme durch das LKA rechtswidrig, soweit grafische Bildschirminhalte, also Screenshots, kopiert und gespeichert wurden. Diese Screenshots wurden im Rahmen einer am 02.04.2009 vom Amtsgericht gemäß § 100 a StPO angeordneten Überwachung und Aufzeichnung des Telekommunikationsverkehrs auf dem Computer des Beschuldigten gefertigt. Deswegen sagen wir, meine Damen und Herren, es genügt eben nicht, lapidar zu behaupten, dass die aufgeflogene Software in Thüringen nicht verwendet wird. Heute Morgen nachgeschobene Meldungen tragen erst recht nicht zu mehr Vertrauen bei.

Meine Damen und Herren, es macht den Eindruck, als würden wir uns scheibchenweise der Wahrheit annähern müssen.

(Beifall FDP)

Deswegen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, kann ich auch heute Ihr Verhalten bei dem Antrag auf Dringlichkeit nicht nachvollziehen.

(Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist dringend geboten, Fragen zu stellen. Ist die Verwendung entsprechender Software tatsächlich thüringenweit ausgeschlossen auch bei anderen Behörden? Wurde Software in Thüringen angeboten? Wenn ja, durch wen? Wenn es private Hersteller gibt, wie ist denn dann die Auftragsvergabe erfolgt? Wie ist die Leistung beschrieben worden? Wie erfolgt die Zusammenarbeit zwischen den Ländern, z.B. auch bei grenzüberschreitenden Ermittlungen? Inwieweit ist jeweils die Landesregierung informiert? Meine Damen und Herren, auch die Frage der Fallzahlen ist dringend zu erörtern.

Auch wenn wir gerade im Thüringen-Monitor die Diskussion Freiheit versus Sicherheit hören, ich halte es für ein Märchen, dass man Freiheit gegen Sicherheit ausspielen muss. Es muss vielmehr dar

(Ministerin Walsmann)

um gehen, meine Damen und Herren, im Interesse der Menschen dieses Landes Freiheit und Sicherheit miteinander zu versöhnen. Das ist das Ziel, meine Damen und Herren.

(Beifall FDP)

Ich sage Ihnen auch, wenn wir genau diese Diskussion führen, dann ist mein ganz klares, mein deutliches Credo: im Zweifel für die Freiheit, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen halten wir es für ganz dringend, diese Debatte hier in diesem Haus zu führen und diese Debatte in diesem Haus auch dringlich zu führen. Das war auch der Sinn unseres Antrags, den wir heute zu Beginn des Plenums gestellt haben.

Ich möchte abschließend einen Satz sagen; diesen Satz hat unsere FDP-Innenpolitikerin Gisela Piltz im Bundestag geprägt und ich finde ihn ganz hervorragend als Richtschnur: „Die Programmiersprache für die Sicherheitsbehörden muss das Grundgesetz sein.“ Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen.

(Beifall DIE LINKE, FDP)

Für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Fiedler das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir beschäftigen uns heute in der Aktuellen Stunde mit dem Einsatz von Lausch- und Spähsoftware, wie es hier geschrieben steht, sogenannten Bundestrojanern und mit fast Tränen in den Augen hat der Kollege Bergner gerade gemeint, wieso wir denn heute seinen guten Antrag nicht auf die Tagesordnung genommen haben. Das kann ich ganz klar sagen: Erstens, weil es die klare Aussage der Landesregierung gibt, dass das in Thüringen in keiner einzigen Behörde vorgekommen ist. Da kann man sagen, das muss man ja nicht glauben. Das könnte ich mir noch vorstellen als Opposition. Zweitens werden wir uns - und wie es der Zufall so will, tagt heute ein parlamentarisches Kontrollgremium, was sich entsprechend auch mit den Dingen beschäftigen wird - und wir sehen im Moment überhaupt keine Veranlassung, dass in Thüringen von Thüringer Stellen in irgendeiner Form das Ganze hier verwendet wird. Natürlich kann ich immer auf die ganzen Dinge eingehen, die hier bundesweit jetzt publiziert werden, und mittlerweile ist da viel auf dem Weg und jeder meint, er muss jetzt seine Spielchen spielen.

Meine Damen und Herren, bei allem, wo ich ausdrücklich zustimme, wenn so etwas gemacht wird,

muss es ganz klar anhand der Gesetzeslage passieren. Da gibt es überhaupt keine Abstriche. Das ist das A und das O, aber - jetzt kommt noch das „aber“ - wir haben alle hoffentlich noch nicht den 11. September und folgende Dinge vergessen. Ich hoffe, dass wir auch alle nicht vergessen, was zurzeit in Berlin und Umgebung los ist mit Brandanschlägen in Größenordnungen, und Sie sollten wissen, dass gerade auch dieser sogenannte Bundestrojaner, weil er so bezeichnet wird, nur in ganz bestimmten Fällen eingesetzt werden darf und unter den entsprechenden Voraussetzungen eingesetzt werden darf.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das war der Bundestrojaner?)

(Zwischenruf Abg. Bergner, FDP: Wir wissen das.)

Das freut mich. Die FDP mit ihren eineinhalb Prozent ist ja gut, wenn Sie das noch wenigstens wissen. Also ich will damit nur sagen, dass es hier natürlich …

(Zwischenruf aus dem Hause)

Ich habe schon Bürgermeisterkollegen erlebt, die auch schon sachlicher waren, die sitzen heute hier und die reden woanders ganz anders. Das ist gerade der, der mich angesprochen hat.

(Beifall CDU)

Meine Damen und Herren, die Zeit rennt ja, ich will damit noch einmal ganz deutlich machen, wir sind weiterhin dafür, dass die entsprechenden Möglichkeiten, die der Bundesgesetzgeber aufgegeben hat, genutzt werden können ganz klar strikt an der Rechtslage. In Thüringen ist das Ganze nicht passiert. Wir werden mit unseren Möglichkeiten dort noch einmal hinterfragen. Da wird zwar nichts anderes herauskommen, aber dass wir auch da alle Dinge ausgeschöpft haben, die es dort gibt. Und wir sind der Meinung, man sollte wirklich nicht vergessen, dass es auch in dem Land viele, viele schlimme Dinge gibt, Verbrechen etc., wo man solche Dinge braucht. Wenn es nämlich genau anders herum ist, ist genau die Fragestellung, ja warum haben wir denn nicht alle Mittel genutzt, die wir zur Verfügung haben?

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Dann foltern wir demnächst?)

Ach, wissen Sie, Herr Adams, wenn ich lese, was Sie bei der Polizeireform auf einmal alles nicht wollen - Sie haben es immer noch nicht verstanden. Wir werden weder foltern und es wird auch keine Todesstrafe in Deutschland geben, weil das einfach laut Grundgesetz untersagt ist. Deswegen ist das für mich obsolet, was Sie hier erzählen. Alles dummer Quatsch.

(Abg. Bergner)

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ist dennoch vorgekommen.)

Ach hören Sie doch auf, es ist vorgekommen. Sie wissen genau, von was Sie reden, und Sie wissen, dass es keine Folter war, die dort stattgefunden hat. Da kann man sich jetzt lange trefflich streiten.

Ich will noch einmal eins deutlich machen: Wir sind und bleiben dabei, dass wir das brauchen zur Verbrechensbekämpfung und es macht auch keinen Sinn, wenn insbesondere im Bund jetzt Bundesjustizministerin und Innenminister sich gegenseitig da die Kugel hin- und herrollen. Auch dort ist eine Regierung, die haben die Dinge abzuklären und nicht die Dinge hin- und herzuschieben, und das erwarte ich dort. Da sitzen die Gelben auch mit drin und deswegen erwarte ich einfach, dass auch...

(Unruhe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: In Thüringen wird also al- les sofort geklärt.)

Ach, mein Gott, wie soll ich das jetzt nun gleich soll ich das jetzt wieder mit Cannabis in Verbindung bringen oder was fällt mir gerade ein. Auch da wird ja hoffentlich die Justiz noch einmal fündig werden, damit das rauskommt, ob sie nun echt angebaut haben oder jemand etwas reingepflanzt hat. Also, meine Damen und Herren, ich will mich von den Oberlehrern hier nicht verrückt machen lassen, wir bleiben dabei, unsere Landesregierung hat das nicht gemacht. Auf Bundesebene muss klar abgeklärt werden, dass die Gesetzesvorlagen eingehalten worden sind. Nach meinem Kenntnisstand und nach den Mitteilungen ist es in Bayern und BadenWürttemberg - jetzt weiß ich nicht, ob Baden-Württemberg neu oder alt, darüber kann man schon wieder eine halbe Stunde reden, wenn es das Neue wäre, wären DIE GRÜNEN beteiligt, aber das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, dass so etwas passiert, genauso kann ich es mir in Thüringen nicht vorstellen, wo Schwarz-Rot regiert.

Deswegen, meine Damen und Herren, dieser Antrag ist nicht weiterzuverfolgen, sondern wir werden in den entsprechenden Gremien darüber reden, wenn es in Thüringen irgendetwas geben sollte.

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat sich der Abgeordnete Adams zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen hier im Thüringer Landtag, Chaoten stiften Chaos oder das Chaos ist der guten Ordnung wegen zu verhindern. Da würden mir sicherlich viele in diesem Raum zu

stimmen. Seit dem letzten Wochenende aber wissen wir, dass das weit gefehlt ist. Der Chaos Computer Club hat nicht Chaos gestiftet, sondern Klarheit geschaffen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Er hat Klarheit darüber geschaffen, wie weit unsere Sicherheitsbehörden an die Grenzen des Grundgesetzes gehen und wie oft sie offensichtlich auch darüber hinausgehen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Deshalb danken wir als GRÜNE ganz herzlich der FDP für diese Aktuelle Stunde, auch wenn es nur 5 Minuten sind, 5 Minuten für den Datenschutz, 5 Minuten für das Grundrecht auf Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme, wie es das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2008 formuliert hat.

Hier an der Stelle gehe ich gern auf Herrn Kollegen Fiedler ein. Herr Kollege Fiedler, das Problem ist ja, dass wir keine gesetzliche Regelung haben, die ein solches Vorgehen toleriert, erlaubt oder ihm Regeln setzt, sondern wir haben ein Gesetz, das gescheitert war, und wir haben lediglich die Richtschnur des Bundesverfassungsgerichts, das uns helfen kann, hier in der Debatte rechtsstaatlich zu bleiben. Diese Debatte hier im Thüringer Landtag zeigt - wie Herr Fiedler eben auch deutlich machte - wie weit wir auseinanderliegen, wenn es um die Frage der Auslegung von Grundrechten geht, speziell diesem Grundrecht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Koalitionsfraktionen - hier an der Stelle Frau Marx und Herr Voigt - haben prompt reagiert, nachdem der Chaos Computer Club an die Öffentlichkeit gegangen war. Sie geißelten das Vorgehen zu dem Zeitpunkt noch nicht genau bestimmbar welcher Bundesbehörden oder welchen Landes. Das haben Sie gegeißelt. Sie haben mit keinem Wort in Ihren Pressemitteilungen davon gesprochen, dass wir auch Auskunft in Thüringen darüber haben wollen, wie das Land Thüringen und unsere Sicherheitsbehörden damit umgegangen sind, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das haben Sie nicht gefragt, das haben Sie versäumt.

Das Innenministerium meldet sich 36 Stunden nach der Meldung durch den Chaoscomputerclub mit einer ganz kurzen Meldung „Wir waren es nicht.“, ganz einfach - wir waren es nicht. Keine Beurteilung, keine Aussage dazu, wir wollen in Thüringen solche Trojaner einsetzen oder wir wollen das nicht. Keine Beurteilung oder Aussage dazu, wir besitzen solche Trojaner, werden sie möglicherweise einsetzen oder würden sie gern einmal einsetzen. Keine Aussage dazu, wie man die bayerische Vorgehensweise beurteilt, ob man sagt, wir werden daraus lernen und unsere Software überprüfen, die wir eingesetzt hätten, um Quellen-, Telekommunikationsüberwachung durchzuführen, keine Aussage dazu

(Abg. Fiedler)

und auch keine Aussage dazu von der Landesregierung, wie man zur umstrittenen Online-Durchsuchung steht. Nur der ausgestreckte Finger nach Bayern, das hat Herr Kollege Fiedler ja auch gesagt, wir waren es nicht, die Bayern waren es, die Baden-Württemberger waren es, vielleicht waren es noch die Brandenburger. Wir waren es nicht - Ende der Debatte. Das kann in diesem Augenblick nicht der Debattenschluss sein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wäre gut gewesen, den FDP-Antrag heute hier auch ohne Debatte an den Innenausschuss zu überweisen, um den Innenausschuss damit zu befassen, meine sehr verehrten Damen und Herren.