Protokoll der Sitzung vom 14.12.2011

(Abg. Bergner)

haben das Recht dazu, aber nicht die Pflicht, man hätte es auch anders machen können. Danke.

(Beifall DIE LINKE)

Das Wort hat Herr Staatssekretär Prof. Herz für das Justizministerium, bitte schön.

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Jetzt schicken Sie den Justizstaatssekretär vor, der gar nichts dazu kann.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten, wenn allein schon für den Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens mehr als 24.000 Unterschriften gesammelt werden, dann ist das durchaus ein Sachverhalt, der zum Diskutieren, zumindest aber zum Nachdenken auffordert.

(Beifall DIE LINKE)

Schon aus diesem Grund sei etwas Wichtiges gleich vorweg genannt, was ja auch der Titel des Antrags in seiner Rhetorik betont: Selbstverständlich nimmt die Landesregierung das Anliegen der Bürgerinnen und Bürger, die den Antrag auf Zulassung des Volksbegehrens zu den Thüringer Kommunalabgaben unterzeichnet haben, ernst. Mein Respekt gebührt dabei allen, die sich im ehrenamtlichen Engagement für dieses öffentliche Anliegen, also im wahrsten Sinne des Wortes, für die res publica einsetzen.

(Beifall Abg. Kuschel, DIE LINKE)

Dieser Respekt darf jedoch den Streit um die Richtigkeit oder hier genauer die Rechtmäßigkeit, die Verfassungsmäßigkeit des Anliegens nicht verhindern. Ich brauche Ihnen, den Abgeordneten des Thüringer Landtags, nicht en détail darzulegen, dass sich die politischen Gremien des Landes mit den Problemen des kommunalen Beitragsrechts in der Vergangenheit immer wieder beschäftigt haben und dies sicherlich auch weiterhin tun werden.

Die erst in diesem Jahr verabschiedete Siebte Novelle des Kommunalabgabengesetzes ist ein Beleg dafür, dass sich die Landesregierung den schwierigen rechtlichen, wirtschaftlichen und auch politischen Fragen stellt und die Forderungen der Bürger und der Gemeinden in Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer funktionierenden und bezahlbaren gemeindlichen Infrastruktur mit eigenen Gesetzesinitiativen aufgreift. Das Volksbegehren also ernst zu nehmen kann nicht heißen, es kritiklos zu begrüßen. Wie jede Gesetzgebungsinitiative bedarf auch die Volksgesetzgebung einer Prüfung, ob die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen eingehalten werden. Hierzu ist die Landesregierung wie auch der Landtag selbst aus

drücklich nach Artikel 82 Abs. 3 Satz 2 der Verfassung des Freistaats Thüringen aufgefordert. Das heißt, gelangt die Landesregierung zu der Auffassung, dass das Volksbegehren mit höherrangigem Recht nicht zu vereinbaren ist, so ist sie nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, einen Antrag auf Überprüfung des Volksbegehrens vor dem Thüringer Verfassungsgerichtshof zu stellen. Insoweit kommt der Landesregierung kein Ermessen zu, wie dies der Thüringer Verfassungsgerichtshof in der Vergangenheit klargestellt hat. Genau diesem Auftrag ist die Landesregierung in den vergangenen Monaten nachgekommen und hat eine ausführliche, eingehende rechtliche Bewertung des Volksbegehrens vorgenommen. Diese Bewertung kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: Das Volksbegehren verstößt mehrfach gegen Verfassungsnormen.

Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle nicht das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof vorwegnehmen und daher nur zusammenfassend auf drei wesentliche Bedenken der Landesregierung hinweisen:

1. Nach Artikel 82 Abs. 2 der Verfassung des Freistaates Thüringen sind Volksbegehren zu Abgaben unzulässig. Der Thüringer Verfassungsgerichtshof hat bereits 2007 unmissverständlich klargestellt, dass von diesem Verbot auch Regelungen zu kommunalen Abgaben erfasst werden. Das vorliegende Volksbegehren enthält aber ausschließlich Bestimmungen zu solchen Kommunalabgaben. Der Abgabenvorbehalt hat folgenden Zweck: Er soll verhindern, dass durch Volksbegehren einzelne Sonderinteressen im Bereich der Steuer-, Beitrags- und Gebührengesetzgebung durchgesetzt werden können. Zudem ist das Abgabenrecht eine strukturell komplexe Materie und durch eine Vielzahl haushaltsrelevanter Entscheidungen geprägt, die mit einer in einem solchen Verfahren notwendigerweise auf einfache Ja-Nein-Fragestellungen begrenzten Volksgesetzgebungen oft schwer vereinbar sind.

2. Für die mit dem Gesetzesentwurf beabsichtigte Erhebung der Infrastrukturabgabe fehlt dem Land die Gesetzgebungskompetenz. Dies wurde von der Landesregierung bereits in den parlamentarischen Beratungen des Gesetzentwurfs der Landtagsfraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE zur Abschaffung der Straßenausbau- und Abwasserbeiträge in dieser Wahlperiode begründet. Das ist die Drucksache 5/1413. Ich erinnere in diesem Zusammenhang - das ist schon mehrfach erwähnt worden - auch an die Ausführungen des damaligen Innenministers Herrn Prof. Huber aus der Plenarberatung vom 9. September 2010. Der jetzige Richter am Bundesverfassungsgericht steht bekanntlich der direkten Demokratie nicht ablehnend gegenüber. Zusammengefasst lautet die damals von ihm vorgetragene Argumentation, die Infrastrukturabgabe ist ihrer wahren Natur nach nichts anderes als eine Steuer. Sie läuft im Ergebnis auf eine Anhebung

(Abg. Kuschel)

der bundesrechtlich abschließend geregelten Grundsteuer hinaus.

3. Das Volksbegehren verletzt ferner die Verfassungsrechte der Kommunen. Entgegen der Aussage des Volksbegehrens ist nach Auffassung der Landesregierung sehr wohl mit erheblichen finanziellen Auswirkungen auf die Gemeinden zu rechnen. Dies wurde bereits ebenso im Anhörungsverfahren zu dem bereits erwähnten Gesetzesentwurf der Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE vonseiten des Städte- und Gemeindebundes vorgetragen, der ihn aus diesem Grund auch abgelehnt hat. Die Möglichkeit der Gemeinden, ihre Investitionen im Bereich des Straßenausbaus und des Abwassers zu refinanzieren, wird durch zahlreiche Deckelungen und Rückzahlungsverpflichtungen des Gesetzentwurfs aus dem Volksbegehren beschränkt, wenn nicht sogar unmöglich gemacht. Den Gemeinden wird dadurch in ihr Recht auf kommunale Selbstverwaltung unzumutbar eingegriffen. Da das Volksbegehren zudem keine Kompensation der finanziellen Ausfälle der Gemeinden vorsieht, verletzt dies auch deren Anspruch auf hinreichende finanzielle Ausstattungen durch das Land. In diesem Zusammenhang darf ich an die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs zum Kommunalabgabengesetz und zum Finanzausgleichgesetz erinnern.

Meine Damen und Herren, diese Erwägungen lassen der Landesregierung keine andere Möglichkeit, als die Zulässigkeit des Volksbegehrens nunmehr in dem dafür von der Verfassung vorgegebenen Verfahren einer präventiven Normenkontrolle klären zu lassen. Ich möchte nochmals betonen, das Volksbegehren ernst zu nehmen kann nicht heißen, den Gesetzentwurf kritiklos hinzunehmen. Ernst nehmen heißt, sich mit ihm ernsthaft und in diesem Fall auch rechtlich und verfassungsrechtlich auseinanderzusetzen. Auch der Volksgesetzgeber ist an die Verfassung gebunden. Vielen Dank.

(Beifall CDU, SPD)

Ich schließe jetzt diesen Teil der Aktuellen Stunde und rufe den vierten Teil auf.

d) Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Lernatlas 2011 für Thüringen richtig interpretieren: Vielfalt erhalten, Leistung anerkennen“ Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags - Drucksache 5/3688

Ich rufe als Erste auf für die FDP-Fraktion Frau Abgeordnete Hitzing.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, im November dieses Jahres hat die Bertelsmann Stiftung den Lernatlas 2011 vorgelegt. Diese Studie beschäftigt sich mit dem Lernen, auch über die schulische Bildung hinaus, und legt regional nach Landkreisen und kreisfreien Städten aufgeschlüsselte Ergebnisse vor. Sie geht dabei auch auf das soziale, persönliche und berufliche Lernen ein und zeigt dabei deutlich, wo noch dringender Handlungsbedarf für die Landesregierung besteht. Der besteht nicht im radikalen Umbau des Schulsystems.

(Beifall FDP)

Insbesondere in der Dimension des schulischen Lernens schneidet Thüringen weit überdurchschnittlich ab. Gemeinsam mit Bayern, BadenWürttemberg und Sachsen liegt man hinsichtlich der Lesekompetenz im Deutschunterricht, dem Erlernen der englischen Sprache sowie bei den Kompetenzen in Mathematik und Naturwissenschaften in der Spitzengruppe der Bundesländer. Aber das ist nicht Verdienst der aktuellen Landesregierung, die dieses Schulsystem massiv gefährdet,

(Beifall FDP)

sondern das liegt daran, dass wir ein etabliertes, gegliedertes und funktionierendes Schulsystem in den letzten 20 Jahren aufgebaut haben. Das bestätigt der Lernatlas.

(Beifall FDP)

Genauso wie der Bildungsmonitor 2011 bescheinigt der Lernatlas dem Thüringer Bildungssystem eben keine eklatanten Schwächen. Thüringen erreicht da gemeinsam mit Sachsen, ganz ohne Gemeinschaftsschulen, die Spitzenplätze im bundesweiten Vergleich.

(Beifall FDP)

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Ganz ohne Gemeinschaftsschulen.)

Herr Minister, für Ihren angekündigten und so langsam anlaufenden Umbau des Schulsystems in Richtung der Einheitsschule gibt es überhaupt keinen Bedarf.

(Beifall FDP)

Wenn Sie jetzt sagen, Sie wollen die Schulbildung in Thüringen noch besser machen, dann sage ich Ihnen, dass Maßnahmen, wie das teilweise Abschaffen der Noten oder der Versetzung und auch die massive Errichtung von Gemeinschaftsschulen eben nicht der Weg ist, den die Länder in der Spitzengruppe einschlagen.

(Beifall FDP)

(Staatssekretär Prof. Dr. Herz)

Ihre Ankündigung, dass die Gemeinschaftsschule in zehn Jahren die Mehrheitsschule sein soll, ist gleichzusetzen mit der Ankündigung, dass das Thüringer Bildungssystem sich bald auf dem Niveau der schwächsten Länder bewegen wird.

(Beifall FDP)

(Zwischenruf Abg. Döring, SPD: So ein Müll.)

Berlin und Schleswig-Holstein sind die besten Beispiele dafür, dass die Einführung von Gemeinschaftsschulen eben nicht dazu führt, dass es einen messbaren, positiven Effekt auf die schulische Bildung bringt und das Gegenteil ist der Fall.

(Beifall FDP)

In Bayern, in Baden-Württemberg und in Sachsen hingegen gibt es diese Schulform nicht oder aus ganz bestimmten Gründen eben nicht mehr. Daran muss sich Thüringen orientieren, um noch besser zu werden.

Zur Bildungsstudie 2011 ein paar Worte, was sich die Thüringer wünschen. Ich denke, Herr Minister, Sie wollen ein Schulsystem etablieren, welches Thüringen aus dieser Spitzengruppe herauskatapultieren wird. Wenn man einen Blick in die kürzlich auch von der Bertelsmann Stiftung veröffentlichte Bildungsstudie wirft, dann wird daraus deutlich und das darf man ganz einfach nicht ignorieren -, was sich die Thüringer Bürger für ihr Bildungssystem wünschen. Jetzt kommen wir zu Zahlen, die können sogar Sie nicht ignorieren. Da sagt die überwiegende Mehrheit, nämlich 56 Prozent, dass die Schüler entweder nach der vierten Klasse, da geht es um 17 Prozent oder nach der sechsten Klasse 39 Prozent, ihre Entscheidung treffen sollen, auf welche Schulart sie wechseln.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Und 44 wollen gemeinsam lernen bis Klasse 9/10.)

Das Gemeinschaftsschulkonzept sieht auch hier wieder etwas ganz anderes vor und verhindert, dass leistungsstarke und leistungsschwache Schüler so früh wie möglich nach ihren Bedürfnissen individuell gefördert werden können.

(Beifall FDP)

Die Thüringer Bürger wünschen sich außerdem, dass mehr Geld in die Bildung investiert wird und Sie machen das Gegenteil. Sie kürzen bei den freien Trägern, die ihre innovativen Schulkonzepte jetzt über teure Gebühren finanzieren müssen.

(Beifall FDP)

Das werden wir in der Haushaltsberatung natürlich auch noch hören. Die Thüringer Bürger wünschen sich auch, dass das Bildungssystem in Deutschland mit einheitlichen Standards arbeitet. Damit meinen sie keine Vereinheitlichung individueller Bedürfnis

se und gemeinschaftliche Zwangsbeschulung. Nein, sie meinen bundesweit vergleichbare Standards bei den Abschlussprüfungen.