Protokoll der Sitzung vom 31.05.2012

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Hälfte der Bevölke- rung…)

Die Hälfte der Bevölkerung.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die ist weiblich und keine Gruppe. Entschuldigung.)

Tut mir leid, dass ich jetzt nicht in der Sprache der GRÜNEN-Parteitags-Rhetorik geredet habe, aber ich sehe auch Männer als Gruppe - also Verzeihung, Frau Rothe-Beinlich. Ich wollte Sie jetzt nicht in Ihren persönlichen individuellen Rechten verletzen. Insofern sehen Sie es mir nach.

(Beifall CDU)

Gesetzlich haben wir trotzdem eine einheitliche Regelung und die ist im Grundgesetz, im Kernbestand sogar, geregelt. Artikel 9 Grundgesetz gibt die Tarifautonomie vor und darüber kann auch ein grüner Parteitagsbeschluss nicht hinweggehen.

(Beifall CDU)

Das bedeutet für uns - und daran glaubt auch unsere Fraktion -, Tarifautonomie ist ein Erfolgsfaktor dieser bundesdeutschen Wirtschaftspolitik. Überall da, wo wir branchenspezifische Mindestlöhne haben durch einen staatlichen Rechtsetzungsakt - in den 18, die wir besitzen in Deutschland -, hat die Union mitgewirkt. Es gibt keinen einzigen Mindestlohn in Deutschland, der nicht durch die Union beschlossen wurde. Und die GRÜNEN hatten die Chance, haben nicht einen beschlossen. Das zeigt doch letztlich, dass Sie hier Schaufensterpolitik betreiben, die meiner Meinung nach nicht zur Lösung der Probleme beiträgt.

Wenn man sich das Ganze mal in der Zusammenschau ansieht - der Vorschlag, der jetzt auch im Bund vorliegt, nämlich eine allgemein verbindliche Lohnuntergrenze, die durch eine unabhängige Mindestlohnkommission festgelegt wird, die paritätisch mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern besetzt ist, die in einer Lohnfindungskommission dafür Sorge tragen soll, dass weiterhin Tarifpartner das Sagen haben und nicht der politische Marktplatz darüber entscheidet, dass am Ende Wirtschaftspolitik in diesem Staat geliefert wird -, dann glaube ich, dass zwei Dinge mindestens notwendigerweise aus Ihrem Antrag hervorgehen müssen: Erstens, dass im Ausschuss, weil Opposition ja auch Spaß machen soll, weiterdiskutiert werden soll, nämlich im Haus

halts- und Finanzausschuss. Aber zweitens muss auch eines klar sein: Am Ende müssen die Tarifpartner über so etwas entscheiden und nicht der Gesetzgeber. Recht herzlichen Dank.

(Beifall CDU)

Für die Fraktion DIE LINKE hat der Abgeordnete Hausold das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Kollege Voigt, ich muss mich schon sehr stark wundern, dass ich Ihrer Rede entnehmen musste, dass ausgerechnet die CDU neuerdings der Vorreiter für Mindestlohn in der Bundesrepublik und in Thüringen ist.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Es tut mir leid, da habe ich jahrelang anderes gehört. Das, was Sie jetzt in Gang gesetzt haben, dazu komme ich noch im Verlaufe meiner Rede. Aber Ihre ganze Art der Formulierung, Herr Voigt, hat mir natürlich wieder gezeigt, dass es in der CDU immer noch nicht klar ist, warum wir aus ökonomischen, gesellschaftlichen und sozialen Gesichtspunkten im ganzen Land einen flächendeckenden Mindestlohn brauchen, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Da muss ich mal gerade in Zeiten der europäischen Debatte etwas auf das eingehen, was Sie hier im Vergleich zu den Ländern gesagt haben, Herr Voigt. Das halte ich für ein ganz besonderes Problem Ihrer Argumentation hinsichtlich der Arbeitslosenzahlen in den südeuropäischen Ländern oder überall dort, wo es einen solchen festgeschriebenen Mindestlohn gibt. Dass es in Spanien und in anderen Ländern eine hohe Arbeitslosigkeit gibt, das hat, meine Damen und Herren von der CDU und Herr Voigt, überhaupt nichts damit zu tun, dass es in diesen Ländern Mindestlohnregelungen gibt. Das hat damit zu tun - und da haben Sie allerdings recht, auch mit Ihrer Kritik an der rot-grünen ehemaligen Koalition -, dass in Deutschland in Größenordnungen Lohndrückerei offizielle Politik ist, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Ich will Ihnen auch sagen, wie das in diesen europäischen Kontext kommt - Sie gestatten mir ein Zitat aus der Zeitung -, Frau Präsidentin, da schreibt „The Guardian“: „In Deutschland, dessen Arbeitsmarktpolitik oft als Beispiel genannt wird, geschieht das Gegenteil. Die IG Metall hat gerade 4,3 Prozent mehr Lohn ausgehandelt, die höchste Steigerung

(Abg. Dr. Voigt)

seit 20 Jahren. Das sei überfällig, so sagen Experten, denn die niedrige Arbeitslosenquote von 5 bis 7 Prozent sei Folge der deflationären Politik in den vergangenen Jahren. Die Löhne hielten“ in Deutschland sage ich - „nicht Schritt mit der Produktivität, was Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit in der Eurozone steigerte, eine der zentralen Gründe der Währungs- und Schuldenkrise in Europa.“ Das ist, was Frau Merkel mit ihrer Politik verantwortet, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Insofern, sage ich natürlich, halten wir den Vorstoß der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN selbstverständlich für richtig und gerechtfertigt. Sie gestatten mir aber, Frau Siegesmund, dass Sie damit in diesem Haus Neuland beschreiten, das muss ich Ihnen genauso bestreiten, aus anderer Sicht zwar, aber ähnlich wie Herr Voigt. Wir diskutieren sehr lange - schon viel zu lange aus meiner Sicht - über die Fragen des Mindestlohns. Meine Fraktion hat wiederholt dazu Vorschläge hier in diesem Haus eingebracht,

(Beifall DIE LINKE)

erst vor Kurzem wieder einen entsprechenden Gesetzentwurf zum Aktivwerden der Landesregierung auf der Bundesebene. Dass es eine Bundesregelung geben muss, das ist allerdings auch aus unserer Sicht völlig unbestritten. Das ergibt sich im Übrigen auch aus verfassungsrechtlichen Gründen, das will ich hier durchaus mal sagen. Denn das Gebot und das sagt unser Grundgesetz -, dass es annähernd gleichwertige Lebensverhältnisse im gesamten Land geben muss, heißt natürlich auch, dass es eine Mindestlohnregelung für die gesamte Bundesrepublik geben muss und nicht nur für einzelne Bundesländer.

(Beifall DIE LINKE)

Die Fragen, die den öffentlichen Dienst betreffen, insbesondere aber die Auftragsvergabe - darauf muss ich an dieser Stelle auch noch mal hinweisen: Wir haben ein Thüringer Vergabegesetz. Es gab dazu einen eigenständigen Entwurf der Fraktion DIE LINKE. Wir haben dort eine entsprechende, auch machbare Mindestlohnklausel mit eingeführt gehabt. Das fand letzten Endes nicht die Mehrheit in diesem Haus. So bleibt unser Gesetz - auch da stimme ich natürlich überein, dass es Handlungsbedarf gibt - in dieser Frage vage. Aber da muss ich natürlich auch mal deutlich sagen, das ist keine Frage, die wir heute zum ersten Mal diskutieren, das ist auch eine Frage, die dieses Parlament schon lange debattiert hat, wo die Landesregierung und die Mehrheitsfraktionen letzten Endes auch beim Vergabegesetz wieder zögerlich gewesen sind und wir bestenfalls eine halbe Lösung haben. Insofern besteht hier natürlich Handlungsbedarf, aber es ist so, dass wir schon eigentlich ihn lange

miteinander gekannt haben, lediglich die Regierung nicht durchgreifend bereit ist, auf diesem Gebiet zu handeln.

Aber ich will auch deutlich sagen, weil das alles so ist, geben wir natürlich nicht die Hoffnung auf, dass es entsprechende Bewegung geben kann. Wir haben jetzt unseren Gesetzentwurf zum Mindestlohn im Wirtschaftsausschuss. Es ist angekündigt, dass die Koalitionsfraktionen, wie ich bisher immer noch annehme, im Juni - aus ihrer gemeinsamen Arbeitsgruppe resultierend - einen eigenen Vorschlag auf den Tisch legen werden und wir dann diese Fragen im Ausschuss gemeinsam weiter und hoffentlich zielführend debattieren können. In diesem Sinne bin ich auch der Auffassung, dass der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Wirtschaftsausschuss weiterbehandelt werden soll. Ansonsten kann ich nur noch mal bekräftigen - meine Vorrednerin von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat es hier ausgeführt -, es gibt ganz entscheidende Gründe, endlich eine Mindestlohnregelung zu haben. Bei der CDU heißt es jetzt Lohnuntergrenze. Das ist nicht genau dasselbe, aber es ist immerhin eine Bewegung in diese Richtung, weil wir eigentlich immer noch viel zu viele Arbeitsverhältnisse in den beschriebenen Bereichen haben, im Billiglohnbereich, wo Aufstockung notwendig ist. Das sage ich immer wieder an die Reihen der FDP, Sie sind immer gegen Subventionierung, aber was ist es denn - mal abgesehen von dem ganzen unwürdigen Verfahren -, wenn Menschen, die in Vollzeitarbeit sind, letzten Endes noch Stütze vom Staat brauchen. Das ist nichts anderes als eine ungerechtfertigte Subventionierung der Wirtschaft, die billige Löhne vorweist.

(Beifall DIE LINKE)

Da können wir dann auch mal über die Frage Subventionierung miteinander debattieren. Weil aber viele Menschen davon betroffen sind und weil es, wie der Wirtschaftsminister immer wieder betont und da teile ich seine Auffassung -, Fakt ist, dass Thüringen nach wie vor bei den Löhnen am Ende der Liste ist, wir die rote Laterne in der Bundesrepublik haben, hat das eben auch etwas mit dem sozialen, lebensweltlichen und Wirtschaftsstandort Thüringen zu tun, hier endlich zu Veränderungen zu kommen. Das sage ich insbesondere an die CDU, aber auch an die Koalition insgesamt, bewegen Sie sich deutlicher, meine Damen und Herren, dass wir endlich zu tragfähigen ökonomischen und sozialen Lösungen in dieser Mindestlohnfrage kommen, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Lemb das Wort.

(Abg. Hausold)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will zunächst einmal sagen, dass ich das sehr positiv finde, dass die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hier einen Gesetzentwurf eingebracht hat. Gleichwohl will ich aber dazufügen, dass ich noch etwas skeptisch bin, ob das wirklich die zielführende Linie und der zielführende Weg ist. Warum? Weil wir hier - und das sagen die Kollegen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN natürlich auch richtigerweise selbst im Gesetzentwurf - über einen Baustein im Rahmen der Auseinandersetzung zum Mindestlohn reden oder reden werden. Wir reden über eine Regelungskompetenz des Landes, die einen Teil, nämlich den öffentlichen Sektor, abdeckt, aber gleichwohl natürlich nicht die Gesamtproblematik löst. Insofern geht es mir gar nicht darum - auch mit Blick auf die Besucherinnen und Besucher auf der Tribüne - zu sagen, die GRÜNEN machen jetzt den Vorreiter oder DIE LINKEN haben in der Vergangenheit schon entsprechende Anträge gestellt oder meine Fraktion vielleicht in den letzten Jahren noch etwas früher und was hat die CDU für eine Rolle, sondern es geht ja darum: Wie kommen wir in der Sache weiter? Wenn der Kollege Voigt sagt, die CDU war bundesweit an jedem branchenspezifischen Mindestlohn beteiligt, dann ist das zwar sicherlich richtig, aber wenn ihr im Rahmen der Großen Koalition nicht dazu getrieben worden wäret, wäre es vielleicht auch ein bisschen anders. Das gehört auch zur Wahrheit, insofern, glaube ich, kommen wir aber mit so einer Diskussion überhaupt nicht weiter.

(Unruhe CDU)

Fakt ist - ich will auch noch auf ein paar Fakten eingehen, bevor ich zu den Schlussfolgerungen komme -, die Frage 20 von 27 Staaten mit Mindestlohnregelungen ist nun mehrfach dargestellt worden. Ich will noch einmal darauf abstellen, dass es mittlerweile eine Vielzahl internationaler und nationaler Studien zu diesem Thema gibt. Ich glaube, die Empirie, die empirische Erhebung ist mittlerweile in diesem Themenbereich so gut wie in kaum einem anderen Politikbereich. Es gibt viele internationale und nationale Studien. Eine der aktuellsten und umfassendsten Studie ist aus dem Jahr 2011 von den Amerikanern Dottans und Bondibands und hat 33 OECD-Länder untersucht, und zwar unter dem Gesichtspunkt, existieren Mindestlöhne versus der Frage der Beschäftigungseffekte und sind hier negative Beschäftigungseffekte festzustellen ja oder nein; internationale Studie, ich glaube, weit über unterschiedliche wissenschaftliche Blickwinkel oder politische Standpunkte hinaus anerkannt. In dieser Studie wird eindeutig definiert, dass es keine Anhaltspunkte für negative Beschäftigungseffekte gibt bezogen auf die untersuchten Staaten mit entsprechenden Mindestlohnregelungen.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, also Frau von der Leyen, hat im Jahr 2011 acht Studien vergeben, und zwar in einem sehr bereiten wissenschaftlichen Spektrum - auch das haben wir, Herr Voß war ja auch dabei in den letzten Wochen, unter anderem in der Arbeitsgruppe diskutiert, die die Landesregierung eingerichtet hat -, eine sehr breite Untersuchung auf nationaler Ebene in der Bundesrepublik. Ergebnis: Keine dieser acht Studien identifiziert Beschäftigungsrückgänge oder Beschäftigungsgefährdungen mit Blick auf die Frage: Was würde passieren, wenn in Deutschland ein Mindestlohn eingeführt würde?

Im Hinblick auf die Beschäftigungsentwicklung in Deutschland haben wir festzustellen, dass wir von 2000 bis 2011 bekanntermaßen eine deutlich höhere Erwerbstätigenzahl haben, also die Anzahl der Erwerbstätigen ist erfreulicherweise deutlich gestiegen. Andererseits haben wir aber kein signifikant höheres Arbeitsvolumina in der Bundesrepublik, heißt also, die Wirkung auf dem Arbeitsmarkt war, dass es eine Verschiebung vom Normalarbeitsverhältnis in atypische Beschäftigungsverhältnisse gab. Die Zahlen sind ja auch weitestgehend bekannt, bei den Leiharbeitern von 278.000 im Jahr 2000 auf 800.000 im Jahr 2011; bei den Befristungen von 2,7 Mio. im Jahr 2000 auf 3,2 Mio. Beschäftigte in der Bundesrepublik.

Aktuell haben wir 21,4 Prozent aller Beschäftigten, die im Niedriglohnbereich tätig sind. Im internationalen Vergleich liegt das Industrieland Deutschland damit deutlich über der OECD-Linie mit 16,3 Prozent. Deutschland wird - ob das jetzt eine anzustrebende Vergleichsgröße ist, überlasse ich jedem selbst - nur von Polen und von Ungarn in der Quote der Niedriglohnbeschäftigten bezogen auf die Gesamtbeschäftigtenzahl übertroffen. Ich glaube, dringender Handlungsbedarf ist geboten. Wenn wir auf Thüringen schauen, dann kann man den Niedriglohnsektor anhand der aktuellen Statistiken aus der Bundesagentur für Arbeit sehr deutlich ablesen. 34 Prozent unter 8,50 € ist auch schon benannt worden. Ich will aber darauf hinweisen, dass das auch nur ein Teil der Wahrheit ist, denn wenn wir etwas genauer hinschauen, haben wir in Thüringen auch eine sehr deutliche Spreizung zwischen den einzelnen Regionen, zwischen einzelnen Kreisen, zwischen den einzelnen Städten. So liegt beispielsweise der Landkreis Sonneberg an der Spitze mit 28 Prozent Niedriglohnbeschäftigten und die Stadt Jena, das wird jetzt weniger überraschen, mit 15 Prozent an der unteren Skala. Den stärksten Zuwachs seit dem Jahr 2000 hat die Region Ostthüringen, wo Dieter Hausold und ich herkommen,

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Und wir auch, vergesst uns mal nicht.)

nämlich der Bereich Gera. Bei euch vielleicht auch, aber ob man das jetzt als rühmliches Beispiel da

zwischenrufen kann, weiß ich nicht. Aus meiner Sicht ist das kein rühmliches Beispiel.

Die Frage ist ja immer, was wird diskutiert? Es wird ja immer diskutiert, wenn mal jemand im Niedriglohnbereich drin ist, dann hat er bessere Aufstiegschancen und kann dann im Zeitverlauf auch wieder mehr Geld verdienen. Auch will ich darauf hinweisen, dass es eine aktuelle Studie gibt von Schank und anderen, die von der Bundesagentur für Arbeit in Auftrag gegeben worden ist. Danach wird aktuell belegt, dass nur jeder Achte, also 13,3 Prozent, der in 2000 im Niedriglohnbereich beschäftigt war, bis 2005 in eine Beschäftigung mit einer höheren Bezahlung wechseln konnte, nur 13,3 Prozent. 34,1 Prozent sind aber im Niedriglohnbereich verhaftet geblieben und konnten sich in der Lohnskala nicht weiter nach oben entwickeln. Das heißt, Beschäftigungszuwächse im Niedriglohnsektor gehen zulasten höher entlohnter Beschäftigung.

All das, Kolleginnen und Kollegen, wird nach meiner festen Überzeugung und nach Überzeugung meiner Fraktion zwingenderweise dazu führen, dass wir gesetzlich verbindliche Mindestlohnregelungen in Deutschland einführen werden. Die Frage ist, wann? Das ist der Wettstreit in der aktuell politischen Debatte. Diesem müssen wir uns insgesamt stellen. Dass wir uns in Deutschland in irgendeinem Spektrum zwischen 80 Cent in Bulgarien - das sind nämlich die aktuellen Werte - und 10,41 € in Luxemburg bewegen, das ist klar. Ob das am Ende dazu führen wird, dass wir uns eher an Luxemburg orientieren, weiß ich im Moment auch nicht. Ich glaube nur, dass es andere Industriestaaten in Europa gibt, mit denen wir uns in Deutschland auch gut vergleichen können. Auch hier gibt es Untersuchungen, statistische Erhebungen und eine Vielzahl nationaler und internationaler Blickwinkel. Wenn man das herunterbricht auf die aktuelle Situation, die wir heute haben, dann muss man, glaube ich, diese Mindestlohndiskussion in ein Spektrum führen, was sich in irgendeiner Form für Deutschland in der Größenordnung zwischen 8,22 € und 12,40 € bewegt. Die letztgenannte Höhe wird für den einen oder anderen vielleicht erschreckend klingen, aber auch das ist zunächst einmal eine wissenschaftliche Ausgangsbasis, mit der man sich auseinandersetzen muss. Diese Werte sind ja nicht willkürlich gewählt, sondern die 8,22 € ergeben sich aus der aktuellen Pfändungsfreigrenze. Die 8,50 € ergeben sich, wenn man eine Lohnhöhe erreicht, ohne auf ergänzende Leistungen, also Hartz-IV oder Arbeitslosengeld II, angewiesen zu sein, also nicht Aufstocker sein zu müssen. Die 10,74 € als dritte Größenordnung ergibt sich aus der aktuellen Armutsschwelle, also 50 Prozent des durchschnittlichen Bruttolohns. Wenn man die Europäische Sozialcharta als Größenordnung oder als Leitlinie nehmen würde, 60 Prozent des Bruttolohns, dann wä

ren wir bei 12,40 €. Irgendwo in diesem Spektrum werden wir uns, glaube ich, auf eine Höhe einigen müssen. Ob das, was die GRÜNEN jetzt in dem Thüringer Mindestlohngesetz vorgelegt haben, die zielführende Größenordnung ist, weiß ich, ehrlich gesagt, noch nicht, weil mein Problem an dieser Stelle ist nicht die Frage 8,50 €, die darin gefordert wird, sondern mein Problem ist eher, dass wir - das gilt im Übrigen auch für Bremen und Hamburg und andere Regelungen - mit diesem Weg weiterhin den Weg beschreiten, einen Flickenteppich zu produzieren im Bereich der Mindestlohnregelung. Das ist ja auch unsere Kritik mit Blick auf die Frage, dass man das nur auf der Ebene des Entsendegesetzes lösen sollte, weil wir auch hier natürlich einen Flickenteppich mit sehr unterschiedlichen Größenordnungen haben. Den Weg würde man damit natürlich noch einmal befördern. Das ist das, von dem ich glaube, dass man noch einmal sehr gezielt und sehr genau darüber nachdenken muss, ob das wirklich der Weg ist, um alternativ den Weg zu einer einheitlichen gesetzlichen Mindestlohnregelung zu beschreiten.

Von daher finde ich die Ansätze in § 4 des Gesetzentwurfs, auch Zuwendungen des Freistaats für öffentlich geförderte Unternehmen und Einrichtungen an die Zahlung eines Mindestentgeltes zu koppeln, sehr sympathisch. Dazu gibt es ja auch heute schon einige Ansätze. Insofern glaube ich, dass das auch einer der richtigen Wege sein kann, wenn man diesen Weg beschreiten und ein solches Gesetz verabschieden würde.

Ich glaube aber, da gibt es noch erheblichen Diskussionsbedarf. Mit Blick auf den § 5 sehe ich das persönlich etwas kritischer, weil wir im Zusammenhang mit dem Vergabegesetz sehr intensiv die Frage diskutiert haben, können wir einen vergabespezifischen Mindestlohn definieren, ja oder nein, oder ist das auf der Grundlage der europäischen Regelungen nicht möglich. Wir haben uns bekanntermaßen in 2011 dafür entschieden, in Thüringen das nicht zu tun, weil wir der Auffassung sind, dass das europarechtlich nicht hält. Insofern würde ich auch den § 5 dieses Gesetzentwurfs kritisch sehen.

Insgesamt jedoch, glaube ich, dient der Gesetzentwurf auf jeden Fall dazu, die Diskussion um die Frage Mindestlöhne, gute Löhne und faire Löhne auch weiterzuführen. Wir werden am Ende aber zu Lösungen kommen müssen, die wir auch in diesem Hause beschließen. Wir werden im Rahmen der Arbeitsgruppe Mindestlohn diese Fragen weiter diskutieren, ich hoffe, jetzt in Bälde abschließend, dass wir dann im Wirtschaftsausschuss darüber auch berichten und die notwendigen Schlussfolgerungen dazu ziehen können. Für diesen Gesetzentwurf beantrage ich namens meiner Fraktion die Überweisung an den Haushalts- und Finanzausschuss, um dort die Thematik weiterzudiskutieren. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU, SPD)

Für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Kemmerich das Wort.