Protokoll der Sitzung vom 18.10.2012

Ja, bitte.

Bitte, Frau Abgeordnete Leukefeld.

Herr Abgeordneter Voigt, ich habe nur eine Frage: Wie stehen Sie denn zu der Formulierung, die die Ministerpräsidentin bei AOK PLUS - gestern nachzulesen im Pressedienst - verwandt hat, ich zitiere: „Es müsse eine Selbstverständlichkeit sein, dass Menschen in Vollzeit von ihrer Hände Arbeit leben können.“ Das möchte ich gern von Ihnen wissen.

Die Formulierung kann ich vollends unterschreiben, genau dafür setzen wir uns ja auch ein als Union. Sehen Sie, das ist der spezifische Unterschied, den ich vorhin Ihrem Kollegen Hausold auch erklären wollte. Es geht doch darum, Löhne werden am Ende dadurch zusammengesetzt, dass sie auf der einen Seite Produktivität erfüllen müssen und auf der anderen Seite natürlich auch einen realen Gegenwert repräsentieren. Wenn das nicht mehr der Fall ist, dann kann dieses Unternehmen das zwar noch ein, zwei, drei, vier, fünf Monate machen, aber am Ende wird es aus dem Markt gedrängt werden, weil es für den realen Wert, den es anbietet am Markt, nicht mehr den Gegenwert draußen bekommt.

(Zwischenruf Abg. Hausold, DIE LINKE: Schon mal was von Fachkräftemangel ge- hört?)

Nein, aber Herr Hausold, hören Sie doch mal bitte zu, Sie müssen doch auch mal versuchen Argumente nachvollziehen zu können. Jetzt will ich Ihnen erklären, wo es am praktischsten ist. Die Frisöse bekommt Netto 600 €, damit kann man natürlich nicht leben, das verstehe ich doch vollkommen, dagegen appelliere ich doch auch. Aber jetzt will ich

doch trotzdem Ihnen mal eines sagen. Sind Sie denn gewillt 22, 25, 30 € für einen Haarschnitt zu bezahlen. Im Zweifelsfall gibt es da eine Abstimmung mit Füßen.

(Zwischenruf Abg. Leukefeld, DIE LINKE, Abg. Siegesmund, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Ja, ja, ja.)

Da gehen Sie zu einem Frisör, der für 15 € Ihnen Ihre Haare frisiert, Herr Hausold, oder meine.

(Unruhe DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ich würde vorschlagen, wir lassen den Herrn Abgeordneten erst einmal seine Antwort geben.

Und genau aus dem Grund, finde ich, ist es doch eine unehrliche Debatte, die Sie hier anzetteln, denn wenn Sie in den Supermarkt marschieren und ein Hähnchen für 1,39 € bekommen - ich habe bei mir die Gönnertaler Putenspezialitäten, ich kann Ihnen sagen, die werden nie für 1,39 € ein Hähnchen produzieren können.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: So etwas kaufen Sie?)

(Zwischenruf Abg. Siegesmund, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das kaufen Sie vielleicht.)

Trotzdem stimmt der Konsument auf diese Art und Weise ab. Das müssen Sie mal realisieren. Das können Sie nicht staatlich reglementieren, da müssen Sie dafür Sorge tragen, dass solche Arbeit auch ordentlich entlohnt wird.

(Beifall CDU, FDP)

Danke, Herr Abgeordneter Dr. Voigt. Das Wort hat jetzt Frau Abgeordnete Siegesmund für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Erzähl mal von deinem 2,50-€-Frisör.)

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, hier pusten sich ja manche so auf, da habe ich gerade Sorge gehabt, dass sie platzen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielleicht versuchen wir mal bei aller Leidenschaftlichkeit in der Debatte, die ich sehr schätze, die Sachargumente auseinanderzuziehen. Ich stelle

mal als Erstes folgende Frage in den Raum: Wer von Ihnen, wer von meinen Vorrednern kann mir sagen, wann auf Bundesebene ein gesetzlicher, flächendeckender, allgemeinverbindlicher Mindestlohn eingeführt wird? Wer kann mir das von Ihnen sagen? Wir haben eine Bundesratsinitiative, Thüringen ist super stolz, SPD und CDU haben sich zusammengetan, haben gesagt, so, wir kümmern uns. Wann tritt dieser Mindestlohn in Kraft?

Jetzt ist es aber ganz ruhig hier in diesem Haus. Und was sagt mir das? Dass Sie hier ganz viel heiße Luft produzieren

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Stimmt!)

und so die Chance verpassen, etwas für die Menschen zu tun, die die kommenden Monate und Jahre, bis wir endlich eine andere Bundesregierung haben, weiterhin für unter 8,50 € arbeiten müssen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Das werfe ich Ihnen wirklich vor. Ganz kleinlaut bei der Frage, wenn es um konkrete Handlungen geht. Sich hinter dieser Bundesratsinitiative zu verstecken, ist das eine. Aber das, was Herr Voigt hier gemacht hat, das ist einfach nur grotesk. Sie erzählen, dass ein Mindestlohn staatliche Reglementierung wäre. Ja, was ist denn das, wenn jemand deutlich unter 8,50 € verdient, jeden Monat noch sein Gehalt aufstocken muss? Was ist denn das anderes als staatliche Reglementierung, die den Staat viele Milliarden Euro kostet? Wenn Sie das endlich mal verstanden haben, kommen wir vielleicht beim Mindestlohn auch zueinander.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Was menschenwürdige Arbeit ist, das ist Arbeit, wenn man von seiner Hände Arbeit auch tatsächlich leben kann. Das haben Sie bis heute immer noch nicht verstanden. Ich bedauere das. Wir haben heute Morgen in der Haushaltsdebatte darüber geredet, dass die Ministerpräsidentin sich bei der Frage Altersarmut, der Rentenangleichung viele Gedanken macht. Wenn es dann konkret wird und wenn es darum geht, zu verhindern, dass eben diejenigen, die morgen Grundsicherung im Alter beziehen müssen, heute vernünftig verdienen, dann sagen Sie: Nein, nicht mit uns. Das kann doch wohl nicht wahr sein.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ich finde das verlogen, finde das vor allen Dingen deswegen auch enttäuschend, weil ich an dieser Stelle ausdrücklich sagen muss, dass ich auch die Position der SPD nicht teile. Ihr Fraktionsvorsitzender hat kürzlich in einem Zeitungsinterview gesagt,

(Abg. Dr. Voigt)

dass er unser Mindestlohngesetz für überholt hält. Aber wie kann es denn sein, dass ein Gesetz überholt ist, von dem Sie noch nicht mal sagen können, dass es auf Bundesebene in den kommenden Monaten oder Jahren irgendwann eingeführt wird? Die SPD steht dahinter.

(Zwischenruf Abg. Recknagel, FDP: Das ist überholen ohne einzuholen.)

Sie wollen einen flächendeckenden, allgemeinverbindlichen gesetzlichen Mindestlohn, ich weiß das auch. Aber ich finde das wirklich schwierig, das so darzustellen, bringt mich an der Stelle zu dem Schluss, dass Ihnen erst mal vorerst, Problem vertagt, egal ist, wie es um die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Thüringen steht. Das bedaure ich sehr. Ich bedaure das sehr, weil Sie heute Morgen hier an dem Sicherheitsdienst vorbeigelaufen sind, der unter 8,50 € verdient und vom Land bezahlt wird, weil Sie heute Mittag hier in der Cafeteria waren, sich das Essen auf den Teller haben legen lassen von Leuten, die unter 8,50 € verdienen, und weil Sie heute Abend Ihr Büro verlassen und das hinterher aufgeräumt wird von Leuten, die unter 8,50 € verdienen. Das ist ein Skandal und Sie nehmen das hin. Das ist unglaublich!

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ein schlimmer Skandal ist das.)

Wir könnten zum 1. Januar 2013 einen Mindestlohn einführen unter der Überschrift: Wenn das Land Vergabe regelt, dann nur an Unternehmen, die auch vernünftig bezahlen. Das wollen Sie nicht tun und Sie tun so, als sei das verfassungswidrig. Warum kann es dann in Bremen gehen; Bremen hat seit 1. September genau diese Regelung, in Bremen wird seit 1. September nur noch Vergabe unter die Prämisse gestellt, mindestens 8,50 € müssen verdient werden. Sie verstecken sich hinter einer Pseudoaussage und das ist nicht hinnehmbar. Ich sage Ihnen ganz deutlich, dieses Argument zählt nicht.

Gleich, lassen Sie mich das ganz kurz zu Ende bringen.

Sie sind sofort dran, Herr Abgeordneter.

Im Übrigen will ich Ihnen noch eins sagen: Bremen ist nicht das einzige Bundesland, was darüber redet. Bremen hat es eingeführt. Auch in NRW wird im Augenblick darüber diskutiert, zunächst erst mal auf Landesebene einen entsprechenden Vorstoß zu planen. Von daher gilt dieses Argument nicht.

Ich will mich ausdrücklich - und damit komme ich schon zum Schluss - noch bei denjenigen bedanken, die Stellungnahmen abgegeben haben. Herr Kowalleck hat dankenswerterweise alle eingeordnet und eben nicht nur die, die in das, wie von Herrn Voigt vorgetragene Ideologieschema der CDU passen, sondern tatsächlich alle. Sie haben die Breite der Argumente gesehen. Risiken sind immer dabei, auch an dieser Stelle, aber ich bedanke mich ausdrücklich bei allen, die eine Stellungnahme abgegeben haben, und ich bedanke mich auch noch mal ausdrücklich bei dem DGB und bei ver.di Thüringen, die mit uns gemeinsam diesen Gesetzentwurf vorbereitet und eingebracht haben. An die Adresse derjenigen, die das mittragen und unterstützen, sage ich, die Zeit für dieses Gesetz und für den Mindestlohn wird kommen.

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Siegesmund. Lassen Sie die Frage zu? Bitte, Herr Abgeordneter Recknagel.

Danke schön, Frau Siegesmund. Sie hatten eben darauf hingewiesen, dass die Damen, die in der Kantine das Essen ausgeben, mutmaßlich - oder haben Sie da genauere Informationen - einen Lohn bekommen, der niedriger ist als der angepeilte Mindestlohn. Heute war auch die Rede schon, ich glaube, zumindest in Zwischenrufen, vom Frisörhandwerk. Was tun Sie ganz persönlich bei der hohen Verantwortung, die Sie uns allen und sich selber hier auch stellen, um an dieser Situation was zu ändern?

Ich habe ein Gesetz vorgelegt und ich gehe nicht zum Frisör bei der Frisörkette Masson. Danke.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke, Frau Abgeordnete Siegesmund. Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Lemb.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, vieles eint mich in dieser Frage mit der Kollegin Siegesmund. Eines eint mich auf jeden Fall, ich gehe auch nicht zu Masson und lasse mir dort die Haare schneiden.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Abg. Siegesmund)