Allein bei mir im Wahlkreis habe ich drei Verwaltungsgemeinschaften von sechs, die sich in Einheitsgemeinden umformiert haben. Aber das war freiwillig und die Größenordnung wurde auch mit betrachtet. Deswegen ist dieser Schritt auch gelungen und die Bürger sind auch zufrieden mit dieser neuen Struktur. Nur so funktioniert es, wenn auch der Bürger letztendlich mitgenommen wird. Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, machen das nicht. Sie machen es an Einwohnergrößen fest, ohne letztendlich auch die Region zu betrachten. Das wird von vornherein zum Scheitern verurteilt sein, davon bin ich fest überzeugt.
Auch das Verfassungsgericht hat das nun gestoppt. Da hat man nun gesagt: Das Verfassungsgericht hat das gestoppt. Jetzt müsste ja irgendwo mal ein Einlenken oder ein Nachdenken stattfinden, dass es so nicht geht
doch! –, aber nichtsdestotrotz macht man genau das so weiter. Jetzt hat man eine Freiwilligkeitsphase bis 31.03. angesetzt.
Herr Abgeordneter Kuschel, Sie können gern nachher reden, Sie haben sich ja auch gemeldet, aber zunächst spricht Herr Kellner.
Allein da stelle ich mir schon die Frage, wie das funktionieren soll. Das Gesetz wird vielleicht in zwei oder drei Monaten rechtskräftig werden, am 31.03. läuft die Uhr ab. Die Gemeinden müssen sich aber jetzt auf den Weg machen, ohne zu wissen, ob das Gesetz zum Schluss auch hält. Ich denke nicht, dass das die Gemeinden in ihrer Entscheidungsfindung sicherer macht. Ich denke, die Unsicherheit ist an der Stelle vorprogrammiert. Auch an der Stelle sieht man, dass man letztendlich nicht bis zum Ende gedacht hat. In so kurzer Zeit so eine Reform umzusetzen bzw. die Gemeinden dazu zu bringen, das zu machen, das halte ich für sehr abenteuerlich.
Was Sie noch gemacht haben – das wurde auch gerade noch in der Einbringung angesprochen –, dass man in Verwaltungsgemeinschaften die doppelten Mehrheiten abschaffen will.
Was erreicht man denn damit, dass man die doppelten Mehrheiten abschafft? Einzelne Gemeinden können sich im Prinzip aus der Verwaltungsgemeinschaft entfernen, ohne dass die Gemeinschaft, sprich die Verwaltungsgemeinschaft, noch Einfluss nehmen kann. Aber es hat ja einen Grund gehabt, warum man doppelte Mehrheiten eingeführt hat. Da gibt es doch einen Grund. Haben Sie sich schon mal damit beschäftigt?
Nein, man kommt natürlich raus, wenn die Mehrheiten halt so sind, wie die Mehrheiten das dann auch vorgeben. Die doppelte Mehrheit hat letztendlich den Hintergrund gehabt, dass eine Verwaltungsgemeinschaft in ihrer Struktur nicht geschwächt wird, weil da nämlich auch Personalkosten dranhängen, unter Umständen Kredite dranhängen usw. Das muss alles mitbetrachtet werden. Dann muss ich doch überlegen, was mit dem Rest wird, wenn drei Gemeinden rausgehen. Was wird denn dann?
Dann zerschlage ich eine ganze Struktur, die über 25/27 Jahre gewachsen ist, weil drei Gemeinden sagen, dass sie keine Lust mehr hätten, in der Verwaltungsgemeinschaft zu bleiben, und in die Stadt gehen.
Nein, Freiwilligkeit hat auch eine Verantwortung. Und wir sind dafür da, auch Verantwortung zu übernehmen. Wir müssen ein Gesetz so abliefern, dass es in der Praxis hinterher auch verantwortbar ist.
Was hier gemacht wird, ist, dass Sie keine Verantwortung wahrnehmen, sondern ist Willkür, und das öffnet die Türen für einen Wildwuchs in den Strukturen. Ich weiß letztendlich nicht, wie man damit umgehen will, außer, wenn man an die Städte denkt, die sich in der Nähe befinden, dass diese Gemeinden aufnehmen wollen, Gemeinden abwerben wollen. Und für die Städte ist völlig uninteressant, was dann mit dem Rest der Gemeinden wird. Hier sehen wir die große Gefahr, dass mit der Abschaffung der doppelten Mehrheiten ein Wildwuchs entsteht bzw. ein Chaos, bei dem ich nicht weiß, wie es sich der Gesetzgeber vorstellt, das dann noch zu händeln.
Das sind die Punkte, die uns am meisten beschäftigen. Weiterhin, was man auch noch reingeschrieben hat, dass die Ortsteilbürgermeister jetzt weiterhin 100 Prozent Aufwandsentschädigung bekommen. Das sind in der Regel nur 45 bis 55 Prozent. Hier sagt man: Nein, die kriegen 100 Prozent. Und man begründet das mit zusätzlichen Beschwernissen. Aber die finden doch statt, bevor man sich in die Einheitsgemeinde umwandelt, und nicht danach. Danach gibt es die Beschwernisse nicht mehr, weil sie dann nichts mehr zu sagen haben. Ich verstehe jetzt nicht, wo letztendlich diese Belastung für die Ortsteilbürgermeister herkommt, wenn man eine Einheitsgemeinde hat. Das verstehe ich nicht, außer, man will das natürlich schmackhaft machen und meint, die Bürgermeister kann ich mit den hundertprozentigen Aufwandsentschädigungen einkaufen. Aber, meine Damen und Herren, da haben Sie sich geirrt, denn Bürgermeister sehen ihren Job nicht so, dass sie an ihren 100 Prozent hängen, sondern sie denken an die Gemeinde. Also das wird an der Stelle nicht verfangen. Es ist ein netter Versuch, aber sehr durchschaubar.
Mit dem Gesetzentwurf bzw. dem Antrag, die Sie hier auf den Weg gebracht haben, geht das eindeutig zulasten des ländlichen Raums. Alleine schon das Festhalten an den 6.000 Einwohnern, die ich vorhin genannt habe, ist ein deutliches Zeichen dafür, dass man den ländlichen Raum an der Stelle schwächen will, Gleiches gilt für die Abschaffung der doppelten Mehrheiten in den Verwaltungsgemeinschaften.
(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Da kriegen Sie ja nicht mal mehr Beifall in Ihrer Fraktion! Eingeschlafen sind die!)
Sie können dann gleich reden, Herr Kuschel – Wir werden aber trotzdem den Gesetzentwurf wie auch den Antrag der Fraktionen an den Ausschuss mit überweisen, den Gesetzentwurf an den Innenund Justizausschuss und das Eckpunktepapier von den Fraktionen an den Innenausschuss. Vielen Dank.
Vielen Dank. Nun hat Herr Kuschel das Wort. Er wollte ja die ganze Zeit schon reden, da wollte ich seinem Wunsch nun nachkommen. Passen Sie aber auf, dass Sie nicht fallen.
(Zuruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Ich bin schon gestolpert, aber nicht über die Landes- regierung und nicht über die Gebietsreform.)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch wenn die CDU nicht müde wird, den Stopp der Gebietsreform zu verkünden, zeigt der jetzige Tagesordnungspunkt, wie weit sie von den tatsächlichen Geschehnissen und Vorgängen hier im Thüringer Landtag weg ist. Denn mit dem heutigen Gesetzentwurf und dem Antrag dokumentieren wir nicht nur hier im Hohen Haus, sondern auch in der Öffentlichkeit, dass die Gebietsreform weitergeht. Wo Sie unstrittig Recht haben: Wir haben eine Verzögerung drin. Wenn wir es mal ehrlich betrachten, sind wir jetzt bei etwa sechs Monaten Verzögerung, was die Freiwilligkeitsphase betrifft. Das ist bedauerlich, gerade für die betroffenen Gemeinden, aber Sie haben da ihren unverwechselbaren Beitrag zu dieser Verzögerung geleistet. Manchmal habe ich das Gefühl, Sie bedauern, dass die Reform jetzt neu justiert wurde.
Was Sie alles machen und sagen, Sie fordern sogar die Vertrauensfrage des Ministerpräsidenten. Das kann nur damit begründet sein, dass Sie traurig sind, dass die Reform nicht so kommt, wie wir sie geplant haben. Aber das müssen Sie mit sich ausmachen. Sie wechseln immer wieder die Position. Es wird nicht glaubhafter.
Meine Damen und Herren, unsere Positionen sind eineindeutig. Herr Kellner sagt, wir machen ZickZack-Kurs, und zwei Minuten später sagt er, wir machen nichts Neues, sondern wir reaktivieren das,
was im Vorschaltgesetz und im Leitbild steht. Mit der zweiten Aussage haben Sie Recht, das zeugt von Kontinuität. Aber Ihre Einschätzung eines ZickZack-Kurses lässt sich doch damit überhaupt nicht begründen.
Deshalb kann ich die eine oder andere Verunsicherung bei den Gemeinden nachvollziehen, das ist unstrittig so, das ist ein komplexer Prozess,
Das ist keine einfache Frage, die nur mit Ja oder Nein zu beantworten ist. Komplexe Prozesse haben immer Chancen und Risiken und diese Chancen und Risiken muss man miteinander abwägen. Ich bin der Letzte, der behaupten würde, dass so eine Reform keinerlei Risiken hat. Aber Sie betonen eben nur die Risiken und wir machen eine Abwägung zwischen Chancen und Risiken und sind zu der Erkenntnis gekommen – und auch da können Sie sich einreden, was Sie wollen –, das Verfassungsgericht hat die Reformziele inhaltlich bestätigt.
Es ist an einer Formalität gescheitert, die ist ärgerlich, obwohl sie 20 Jahre parlamentarische Praxis war. Aber das Verfassungsgericht hat eben gesagt: Ein fehlendes Protokoll hat die Rechte der Abgeordneten beeinflusst.
Das nehmen wir mit vollem Respekt zur Kenntnis und müssen uns damit auseinandersetzen. Da ist es halt wenig hilfreich zu sagen, als 1994 eine Gebietsreform gemacht wurde, hat sich keiner um solche Protokolle geschert. Das ist halt so. Deshalb kam es zu dieser Verzögerung. Da kann ich nur alle Beteiligten um Verständnis bitten. Das ist bedauerlich, das schafft Verunsicherung, auch bei uns, weil wir jetzt natürlich viel genauer darauf achten, dass uns kein formaler Fehler geschieht, das ist schon richtig. Aber viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sind bei uns und sagen, entscheidet nun endlich,
denn die gesamte Verzögerung hat nicht zu neuen Erkenntnissen geführt. Wir wissen genau, wo die Herausforderungen liegen und wie wir diese Herausforderungen meistern können. Die Gemeinden sagen uns vielmehr: Sagt uns, welche Optionen wir haben und dann machen wir es. Ich hätte persönlich gern die Verbandsgemeinde ins System eingespielt, aber es waren wieder Sie und die Bedenken
träger bei den Kommunen, die wieder hinter jedem Komma ein Problem gesehen haben. Wir haben ein Diskussionsangebot, ein Eckpunktepapier gemacht und haben zu einer offenen Debatte aufgerufen. Das war gewünscht. Es wurde nicht genutzt, sondern es wurden wieder nur Bedenken geäußert, anstatt sich auch mal mit den Chancen zu beschäftigen. Die AG Selbstverwaltung – ich war selbst mehrfach bei Gesprächen – hat mir über Monate erklärt: Wenn die Verbandsgemeinde kommt, dann ist das die Lösung zur Fortentwicklung der Verwaltungsgemeinschaft. Das haben wir schon der AG Selbstverwaltung angeboten. Nein, sie haben nichts gesagt, weil sie gesteuert werden – Entschuldigung – im Hintergrund von Dogmatikern, die keine Veränderung wollen – und zwar koste es, was es wolle –,
die dieses Land sehenden Auges vor die Wand fahren. Wir wissen, wo die Herausforderungen nach 2020 liegen, nicht nur finanziell, sondern fachkräftemäßig. Beschäftigt man sich damit, wie zurzeit die Verwaltungsgemeinschaften fachlich aufgestellt sind, dann graut es einem. Sie bekommen doch keine Fachkräfte für die Entgeltgruppen 7 oder 8 oder die entsprechenden Besoldungsgruppen. Die bekommen Sie nicht mehr. Da müssen Sie eine 11 bieten oder eine 12 oder 13, dann bekommen Sie Fachkräfte.