Protokoll der Sitzung vom 15.12.2017

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist völlig unabhängig davon, ob das deutsche Kinder oder ob das ausländische Kinder sind. Jeder Fall ist hier in Bezug auf die Eltern individuell zu betrachten.

Kommen wir zu Ihrem zweiten Punkt, alle Maßnahmen müssen ausgeschöpft werden, um Personensorge- bzw. Erziehungsberechtigte ausfindig zu machen: Glauben Sie denn, das Bundesamt für Migration, die Behörden vor Ort sind nicht sofort daran interessiert, die näheren Angehörigen ausfindig zu machen? Allein aus Kostengründen sind sie schon daran interessiert, die nächsten Angehörigen so zügig wie möglich ausfindig zu machen, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Dass man dann nicht bei jedem Jugendlichen sofort den BND ins Kreuzverhör schickt und sagt, finde mal bitte alles über den einzelnen Jugendlichen heraus, der hier bei uns ist, mit allen nachrichtendienstlichen Mitteln, mit allem Popanz, ist natürlich auch klar. Aber das, was gemacht werden kann, auch im Angesicht der Masse der Jugendlichen, die sich bei uns befinden, wird gemacht, es wird einfach getan. Deswegen: Punkt 2 ist erfüllt.

Die Zahlen – das will ich auch gleich noch mal sagen –: 175 Euro pro Tag mögen vielleicht zu Beginn der Asylflüchtlingskrise die realen Zahlen gewesen sein.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: 73 Millionen, Herr Kollege!)

Wenn Sie heute in die Jugendhilfeträger in den Landkreisen, in den Kommunen hinausschauen, dann sind diese Zahlen bei Weitem nicht mehr so hoch, weil man inzwischen festgestellt hat …

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Das steht in den Haushaltsplänen für 2018!)

Sie stehen in den Haushaltsplänen, aber ich rede von der Praxis, Kollege Möller, und die Praxis sagt, dass wir bei Weitem nicht mehr bei diesen Zahlen sind, wir sind teilweise sogar inzwischen unter 100 Euro für die Betreuung von einzelnen geflüchteten Kindern und Jugendlichen und sind dabei deutlich unterhalb der Sätze, die für deutsche Kinder an dieser Stelle aufgewendet werden. Das muss man auch mal in der Praxis sagen. Das ist immer noch Geld, das ist Steuergeld, aber mit dem wird vor Ort verantwortungsvoll umgegangen. Dazu brauchen wir nicht irgendwelche Märchen erzählen

mit Zahlen von vor zwei oder drei Jahren, sondern nehmen Sie einfach die Zahlen, die aktuell sind,

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: 2018!)

und die kann jeder nachschauen. Die Zahlen, die im Haushaltsansatz genannt sind, sind eine Prognose auf Basis der Zahlen von 2016/2017. Die aktuelle Realität sieht in den Landkreisen und in den Kommunen draußen ganz anders aus. Wenn davon was übrig bleibt am Ende des Tages, freut sich natürlich die Regierungskoalition. Ich hoffe, Sie setzen diese Gelder sinnvoll ein.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Das machen wir, versprochen!)

Aber es ist definitiv nicht mehr das Gleiche wie vor zwei oder drei Jahren. Nehmen Sie es bitte einfach zur Kenntnis.

(Beifall CDU, DIE LINKE)

Punkt 3, alle Maßnahmen umzusetzen, die einer verbesserten Altersfeststellung der minderjährig unbegleiteten Flüchtlinge dienen: Ja, das wird getan, auch mit der Handreichung, die Sie soeben zitiert haben. Denn diese Handreichung ist kein Verbot an die Kommunen, diese Dinge, wenn Sie in der Inaugenscheinnahme einmal Stufe 1, die Prüfung der Papiere – gibt es keine Papiere, die Inaugenscheinnahme –, über diese Stufe hinauszugehen, wenn begründete Zweifel da sind. Es gibt kein Verbot, es ist eine Handreichung. Es ist eine Anleitung. Im konkreten Zweifel kann man auch darüber hinausgehen. Wenn wir hier Ihrem Punkt zustimmen würden, ist er aber unkonkret formuliert, wenn wir nicht einmal genau wissen, was heißt denn „alle Maßnahmen“. Soll zukünftig bei jedem einzelnen Kind jede Maßnahme, die in Deutschland überhaupt möglich ist – ob sinnvoll oder nicht –, angewendet werden?

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Gute medizi- nische Praxis!)

Gute medizinische Praxis, dazu komme ich gleich. Heißt das, dass alles angewendet werden muss, was angewendet werden kann, obwohl es in der Fachwelt keinen Konsens dazu gibt? Sie tun so, als ob Röntgenuntersuchungen der Handknöchel, der Schlüsselbeine vielleicht noch DNA-Tests und ähnliche Dinge zu einer konkreten Altersfeststellung führen. Das ist aber eine Schimäre, das ist schlichtweg falsch.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie kommen an ein näherungsweises Alter heran – gern zum Ende eine Frage von Kollegin Muhsal. Wenn Sie einen Jugendlichen haben, der gerade an der Schwelle zwischen 17 und 18 ist, gibt es kein medizinisches Verfahren in Deutschland oder

auf der Welt, was feststellen kann, ob dieser Jugendliche tatsächlich 17 oder 18 Jahre ist. Das gibt es schlichtweg nicht. Was Sie hier vorzeigen, was tatsächlich möglich sein soll, ist in der Realität nicht möglich. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Wir kommen dahin, dass bei dem von Ihnen beschriebenen Fall mit 33 Jahren natürlich mit einem medizinischen Verfahren eingegrenzt werden kann, dass er nicht 18 oder 19, sondern weit über 20 Jahre alt ist. Wir reden aber in der Praxis über Fälle, wo wir uns an der Schwelle des Volljährigkeitszeitraums befinden. Dort können wir nicht auf ein Jahr, einen Monat oder vielleicht einen Tag genau feststellen, wie alt dieser Jugendliche ist. Das können wir nicht. Das kann auch kein Fachpraktiker in Eppendorf oder sonst wo. Punkt 3 ist deshalb zu unkonkret und einfach eine Suggestion einer medizinischen Möglichkeit, die es in der Realität schlichtweg nicht gibt.

Was verantwortungsvoll vor Ort gemacht werden kann, wird von den Jugendämtern gemacht. Wenn Sie das nicht glauben, schauen sie hinaus. Besuchen Sie einmal ein Jugendamt draußen in der Fläche. Besuchen Sie eine Clearingstelle. Schauen Sie sich an, was dort passiert. Allein schon im Eigeninteresse – ich habe es vorhin bereits erwähnt – der Kommunen, Kosten hier einzusparen, sind sie daran interessiert, diese Feststellungen so umfangreich wie möglich zu machen, was an der Stelle aber auch sinnvoll sein muss. Wenn das nicht der Fall sein sollte, dann nennen Sie hier konkrete Thüringer Beispiele, wo das nicht der Fall ist. Dass wir in Deutschland sicherlich an der einen oder anderen Stelle ein Beispiel haben, darüber können wir gern reden. Aber wir befinden uns hier im Thüringer Landtag, wir haben hier die Verantwortung für unsere Thüringer Kommunen, für unsere Thüringer Bürger und auch für die geflüchteten Menschen, die hier in Thüringen sind. Wenn Sie ein Beispiel haben, wo eben der 33-Jährige nach der Inaugenscheinnahme weiterhin als 12-Jähriger durchgeht, dann sagen Sie es. Da wird auch jede Fachaufsicht im Ministerium sagen, das müssen wir uns anschauen. Aber sagen Sie ein konkretes Beispiel, einen konkreten Fall. Sagen Sie nicht einfach pauschal, irgendwie, irgendwo passiert das schon mal.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann kommen wir zum Punkt II Ihres Antrags, die Landesregierung wird aufgefordert, sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass durch die Änderung der entsprechenden Vorschriften im VIII. Buch des Sozialgesetzbuchs eine Familienzusammenführung auch in stabilen Drittstaaten und nicht nur in Deutschland stattfinden kann: Sie suggerieren hiermit wiederum, dass es derzeit verboten ist, eine Familienzusammenführung außerhalb Deutschlands anzuberaumen. Das ist falsch. Es ist rechtlich

möglich, meine Damen und Herren, wenn die entsprechenden Voraussetzungen da sind.

(Beifall CDU)

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Das wird nicht gemacht!)

Ein Blick ins Gesetz hilft, ich habe es vorhin schon gesagt. Ich zitiere hier gern. Im Gesetz steht nämlich, konkret im Sozialgesetzbuch VIII, § 42 a Abs. 5: „Hält sich eine mit dem Kind oder dem Jugendlichen verwandte Person im Inland oder im Ausland auf, hat das Jugendamt auf eine Zusammenführung des Kindes oder des Jugendlichen mit dieser Person hinzuwirken, wenn dies dem Kindeswohl entspricht. Das Kind oder der Jugendliche ist an der Übergabe und an der Entscheidung über die Familienzusammenführung angemessen zu beteiligen.“

Absatz 6: „Die vorläufige Inobhutnahme endet mit der Übergabe des Kindes oder des Jugendlichen an die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten oder an [die entsprechenden Träger] [...].“ Sie sehen, es ist möglich. Dazu kommen natürlich noch die Voraussetzungen nach dem Aufenthaltsrecht, aber es ist möglich. Was Sie hier in Ihrem Antrag suggerieren, ist schlichtweg falsch. Es geht, es hängt von demjenigen vor Ort ab, hier die entsprechenden Maßnahmen zu treffen. Da sage ich wiederum: Auch hier ist der Einzelfall des Kindes entscheidend. Wenn ich Eltern im Ausland habe, prüft auch hier das Jugendamt, ob es möglich ist, die Kinder im Ausland zusammenzuführen. Das ist etwas schwieriger für das einzelne Jugendamt, aber das wird getan. Wenn es nicht getan wird, nennen Sie mir das konkrete Beispiel, wo das nicht der Fall ist.

Meine Damen und Herren, was wir hier heute mit dem Antrag der AfD haben, ist mal wieder ein Beispiel dafür, dass man aufzählt, was eigentlich gerade schon geltendes Recht ist, und versucht durch Weglassen, durch Auslassen bestimmter Punkte zu suggerieren, dass das nicht getan wird. Es ist geltendes Recht. Deswegen sind die Punkte, die Sie hier aufführen, auch von uns heute nicht zu beschließen. Wir werden dem nicht zustimmen, denn ansonsten können wir uns auch jedes Plenum hierhinstellen und sagen, das Grundgesetz ist einen Antrag wert. Das wäre es sicherlich jedes Mal, aber wir müssen uns nicht jede Sitzung vergewissern, dass wir das Grundgesetz einhalten, dass wir die Thüringer Verfassung einhalten und dafür einen Antrag ins Plenum einbringen.

Das brauchen wir nicht, weil es geltendes Recht ist, meine Damen und Herren.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Das ist ja toll! Sagen Sie das mal Ihrer Kanzlerin! Die macht ja nichts!)

Das sagen wir der Kanzlerin gern, denn sie hält sich auch daran.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Steile These!)

Steile These – Kollegen!

Ich habe es Ihnen jetzt, denke ich, ausführlich, genügend dargelegt. Ihre drei Punkte unter I. und Ihr Punkt unter II. sind schlichtweg obsolet, weil sie geltendes Recht beinhalten und in den Punkten hier nicht noch mal neu beschlossen werden müssen. Jetzt können Sie natürlich gern noch mal vorkommen und ein paar neue Tatsachen oder Märchengeschichten erzählen, ich bin darauf gespannt. Ich würde gerne noch die Frage beantworten. Wir aber werden als CDU-Fraktion diesem Antrag hier nicht zustimmen können, denn geltendes Recht ist geltendes Recht, dessen brauchen wir uns hier nicht jedes Mal zu vergewissern.

(Beifall CDU)

Sie hatten Kollegin Muhsal zum Schluss noch eine Frage gestattet, die stellt sie jetzt.

Vielen Dank, Kollege Herrgott. Sie haben ja gerade zugegeben, dass Sie es durchaus für möglich halten, dass man dank der Röntgenuntersuchungen einen 17-Jährigen von einem 33-Jährigen unterscheiden kann, wollen aber trotzdem unseren Antrag ablehnen. Glauben Sie denn tatsächlich, dass 100 Prozent all derjenigen, die hier als unbegleitete Minderjährige anerkannt sind, auch tatsächlich minderjährig sind? Wenn ja: Wie begründen Sie das?

Verehrte Kollegin Muhsal, ich glaube nicht, dass 100 Prozent der hier in Deutschland bei uns angekommenen minderjährigen Ausländer auch tatsächlich minderjährige Ausländer sind. Genauso wie ich nicht glaube, dass 100 Prozent aller Deutschen steuertreue und gesetzestreue Bürger sind.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt Ausnahmen an der Stelle, natürlich. Es gibt auch Fehler in den Behörden. Auch in den Verwaltungsvorgängen gibt es Fehler, denn dort, wo Menschen arbeiten, passieren auch Fehler, so ist das nun mal. Dann ist es unsere Aufgabe als Politik, auf diese konkreten Fehler hinzuweisen und diese konkreten Fehler abzustellen, aber nicht so eine Generalanklage und ein Generalmistrauen gegen alle einer bestimmten Gruppe hier auszubreiten, weil das schlichtweg nicht der Realität entspricht und einfach nur Panikmache ist. Danke sehr.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als Nächstem gebe ich Kollegen Dr. Hartung von der SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Besucher, leider haben die Gruppen gewechselt, sodass Sie nicht den gesamten Teil dieser Debatte verfolgen konnten. Trotzdem seien Sie herzlich begrüßt.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der vorliegende Antrag ist eigentlich an Zynismus kaum zu überbieten.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben hier unter der Überschrift „Familienzusammenführung fördern“ einen Antrag und ein paar Reden gehört, die eigentlich mit Familienzusammenführung gar nichts zu tun haben. Da kommt dann noch das Wort „Kindeswohl“ in den Antrag irgendwie rein, ich weiß gar nicht, ob die, die das geschrieben haben, wissen, was das bedeutet. Dann kommt eine Familienzusammenführung zum Beispiel im Libanon auf die Tagesordnung. Das ist ein bitterarmes Land, das im Verhältnis zur Bevölkerung 24-mal so viele Flüchtlinge aufgenommen hat wie Deutschland –

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

24-mal im Verhältnis zur Bevölkerung. Dann muss man sich schon überlegen, was ist denn Kindeswohl. Ist Kindeswohl wirklich, dem Kind die besten möglichen Voraussetzungen zu bieten oder es einfach auf Teufel komm raus loszuwerden? Das ist hier die Frage. Wenn ich die AfD in ihrem Antrag und in ihrer Rede verfolge, muss ich ehrlicherweise sagen, hier geht es nicht um Kindeswohl, hier geht es wirklich einfach um das Loswerden.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)