Protokoll der Sitzung vom 26.04.2018

(Heiterkeit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

da gibt es nichts zu lachen bei den Grünen –, haben die Auffassung gewonnen, dass die EU-politischen Verfahren in der parlamentarischen, exekutiven Institution des Freistaats auf der Ebene der EU selbst ohne nennenswerte Bedeutung bleiben und im Grunde ein Feigenblatt darstellen, hinter dem

die EU ihren nicht demokratischen und noch weniger republikanischen Charakter zu verbergen versucht. Unsere Erfahrung bestätigt, was Jürgen Kaube einst in der FAZ ganz richtig konstatierte, als er ebenso zuspitzend wie treffend schrieb – ich zitiere mit Genehmigung –: „Der Gegensatz zu Demokratie heißt nicht länger Diktatur, sondern Brüssel.“

(Beifall AfD)

Oder um mit Hans Magnus Enzensberger zu sprechen, haben wir mit der EU ein sanftes Monster vor bzw. über uns, das nicht nur völlig unübersichtlich ist, sondern vor allem auch die Bürger entmündigt – wahre Worte von Leuten, die übrigens nicht im Ruf stehen, Anhänger der AfD zu sein.

(Beifall AfD)

Was heißt das nun mit Blick auf den Antrag, den die CDU gemeinsam mit der rot-rot-grünen Koalition eingebracht hat? Die AfD nimmt – ich sagte es bereits – die EU-politischen Themen sehr ernst,

(Zwischenruf Abg. König-Preuss, DIE LINKE: Ha, ha, ha!)

schon deshalb, da wir die einzige Fraktion im Hause sind, die bereit und willens ist, die EU skeptisch zu betrachten. Weil wir das ernst nehmen, werden wir auch daran mitarbeiten, die EU-politischen Verfahren, wo möglich, zu verbessern. Wo immer eine Chance besteht, Thüringer Interessen zu befördern, werden wir auch konstruktiv mitwirken, wenn es um eine effektivere und hoffentlich auch effizientere Gestaltung des Verfahrens geht.

(Beifall AfD)

Wir werden aber die Anmaßungs- und die Regelungswut der EU weiterhin kritisieren – das ist unser Recht als Opposition. Was nämlich letztendlich nottut, ist eine grundlegende Reform der EU selbst, und zwar eine Reform, die von allen utopischen Projekten Abstand nimmt und sich wieder der ursprünglichen Zielsetzung der Zusammenarbeit widmet, nämlich eine prosperierende und konkurrenzfähige Wirtschaftsgemeinschaft zu gestalten.

(Beifall AfD)

Vor diesem Hintergrund stimmen wir einer Überweisung des Antrags an die Ausschüsse selbstverständlich zu und freuen uns auf die Debatte im Ausschuss. Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Herr Abgeordneter Kießling, Sie sagten „Ausschüsse“. Welche?

(Zuruf Abg. Kießling, AfD: An den Europa- ausschuss! Entschuldigung, da habe ich mich versprochen – einen!)

(Abg. Kießling)

Ein Ausschuss, danke.

Als nächster Redner hat Abgeordneter Kubitzki, Fraktion Die Linke, das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, eigentlich wollte ich heute hier keine inhaltliche Debatte – ich hatte das ja auch gesagt –, weil die inhaltliche Debatte dann geführt wird, wenn die Evaluierungsberichte vorliegen. Aber zu Ihrem Beitrag, Herr Kießling, muss ich sagen, Sie haben das ganze Prinzip nicht verstanden.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Das versteht er auch nicht!)

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Wir haben es verstanden!)

Nein. Wenn Sie nämlich das Prinzip und den Antrag verstanden und wenn Sie mir auch zugehört hätten, dann hätten Sie – erstens – jetzt nicht den Antrag auf Überweisung an die Ausschüsse gestellt.

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Habe ich!)

Ich bitte das Hohe Haus, diesem Antrag nicht zuzustimmen, weil das gar nicht geht, sondern diesen Antrag heute zu beschließen, weil der Inhalt des Antrags ist, dass der Ausschuss beauftragt wird, einen Evaluierungsbericht zu schreiben. Also, ich kann den Antrag ja nicht an den Ausschuss überweisen und dann sagen, ja, schauen wir uns den Antrag mal an, aber der Landtag hat ja gar nicht beschlossen, dass wir den Evaluierungsbericht erarbeiten sollen. Herr Kießling: An dieser Stelle Note 6, nicht zugehört.

(Beifall DIE LINKE)

Weiter haben Sie gesagt: Glasperlenspiele, Ihre Haltung – wie haben Sie so schön gesagt – sei europaskeptisch. Ich will mal so sagen, ich habe eher die Meinung, Sie sind im Großen und Ganzen nicht europaskeptisch, Sie sind europafeindlich. Aber das werden wir in der weiteren Diskussion sehen.

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Das ist Ihre persönliche Meinung!)

Aber Sie haben natürlich hier von Glasperlenspielen erzählt. Natürlich sind wir uns alle hier in diesem Haus bewusst, dass wir als kleines Thüringen im Rahmen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union für europäische Verhältnisse als regionales Parlament nur ein kleines Stückwerk sind. Aber, wie Herr Gruhner schon gesagt hat, entsprechend des Lissabon-Vertrags haben wir Mitspracherecht

bei Entscheidungen, was die Frage der Subsidiarität betrifft.

Was Sie als Glasperlenspiel bezeichnen: Wo ich auch bei Herrn Gruhner bin – da sind wir uns ja einig, und das war ja auch eine Forderung, die ich erhoben habe. Ich hatte die Ehre als Ausschussvorsitzender am 8. Subsidiaritätskongress des Ausschusses der Regionen teilzunehmen und durfte dort sogar sprechen, was Zeugnis für die gute Arbeit ist, die die Mehrheitsfraktionen oder die Einreicher des Antrags seit 2011 geleistet haben, als wir übrigens diesen Beschluss – 2011 und auch 2014 – einstimmig hier im Landtag gefasst haben. Da gab es Sie noch nicht, da waren hier in dem Landtag Europafreunde allein unter sich.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Zeit von acht Wochen, die wir haben, ist einfach zu kurz, da bin ich bei Herrn Gruhner. Deshalb habe ich dort auch die Forderung erhoben – zum Beispiel auch mit dem Vertreter des Landtags von Vorarlberg –, dass wir mindestens zwölf Wochen brauchen – nur so weit. Aber, weil Sie Glasperlenspiel sagen, ich will nur zwei Beispiele nennen, wo auch die Entscheidung unseres Landtags und die Entscheidung der Landesregierung im Bundesrat zu Erfolgen geführt haben. Erstes Beispiel war eine Richtlinie – ich will mal die Kurzfassung sagen –, in der es um die Privatisierung der Trinkwasserversorgung ging. Da haben wir uns im Landtag eindeutig gegen dieses Bestreben der EU, die Trinkwasserversorgung zu liberalisieren und zu privatisieren, ausgesprochen. Dazu gab es eine Mehrheit im Bundesrat, dazu gab es auch eine positive Ablehnung im Bundestag und dazu gab es innerhalb der Europäischen Union ebenfalls mehrheitliche Ablehnung. Die Europäische Kommission konnte die Privatisierung des Trinkwassers nicht vornehmen. Gleichzeitig gab es dazu sogar das erste europäische Bürgerbegehren, was erfolgreich war – so weit zu den Glasperlenspielen.

Ein weiteres Glasperlenspiel war eine beabsichtigte Richtlinie der Europäischen Union, die vorsah, dass Voraussetzung für die Ausbildung von Krankenschwestern und Altenpflegern eine 12-jährige Schulausbildung sein müsse. Das hätte bei uns bedeutet, um Krankenschwester zu werden: Abitur. Wir haben uns einstimmig damals im Ausschuss auch dazu bekannt, dass das nicht sein dürfe. Wir haben jetzt schon Probleme in der Altenpflegeausbildung. Die duale Ausbildung bei uns ist dafür gut, die Voraussetzung 10. Klasse ist ausreichend. Und wir haben uns gegen diese Sache ausgesprochen. Auch dafür gab es eine Mehrheit im Bundesrat und dafür gab es auch eine Mehrheit innerhalb der Europäischen Union. Diese Sache ist nicht zustande gekommen. So weit zu bestimmten Glasperlenspielen, Herr Kießling, die wir hier durchführen.

(Vizepräsidentin Jung)

Die Arbeit des Ausschusses beweist auch, dass wir diese Sache ernst nehmen – nichts ist so gut, dass es nicht noch verbesserungswürdig ist. Da bin ich auch bei Herrn Gruhner und sage: Jawohl, wir müssen weiterhin etwas zur Stärkung tun, damit die Regionen mehr Einfluss auf die EU-Politik haben, und wir müssen vor allem dafür sorgen, dass die Fristen für diese Subsidiaritätsprüfverfahren verlängert werden. Aber was wir schaffen, ist, dass wir das hier in diesem Haus thematisieren und uns mit diesen Angelegenheiten auseinandersetzen müssen. Was ich mir dabei noch wünschen würde – aber dazu können wir den Diskussionsprozess führen – ist, dass sich die einzelnen Fachausschüsse unseres Hauses noch intensiver mit diesen Dokumenten befassen.

Insgesamt und abschließend möchte ich bitte noch mal an die Mehrheit des Hauses appellieren: Keine Überweisung an den Ausschuss, sondern Beschlussfassung, sonst vergaloppieren wir uns. Danke schön.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aus den Reihen der Abgeordneten liegen mir jetzt keine weiteren Wortmeldungen vor. Für die Landesregierung hat Minister Prof. Dr. Hoff das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, die Zusammenarbeit zwischen Landesregierung und Landtag in EU-Angelegenheiten fußt maßgeblich auf der Vereinbarung, über die hier von verschiedenen Rednern schon gesprochen worden ist, über Unterrichtung/Beteiligung des Landtags in Angelegenheiten der Europäischen Union. Man kann das gar nicht hoch genug schätzen und man sollte es nicht gering schätzen, dass es dieses Instrument der Zusammenarbeit gibt.

Warum? Im Wesentlichen gibt es dafür drei Gründe, die heute hier auch schon angesprochen worden sind. Der Subsidiaritätsgedanke, der einer der die Wertegemeinschaft Europäische Union tragenden Aspekte ist, beruht darauf, dass die Europäische Union von unten wachsen soll. Jede Ebene soll so viel Verantwortung wie möglich tragen. Wenn man diesen Grundsatz ernst nimmt, dann müssen diejenigen Parlamente, die diese Ebenen repräsentieren, auch die Möglichkeit haben, darüber zu entscheiden, ob eine Entscheidung der Europäischen Kommission gegen diesen Subsidiaritätsgrundsatz verstößt oder nicht. Das heißt also, wenn die Europäische Kommission eine entsprechende Festlegung trifft und darüber in den Gre

mien, wie auch dem Europäischen Rat bzw. dem Europäischen Parlament, verhandelt wird, dann müssen die Landtage und dann auch der Bundesrat hierzu mitentscheiden können und damit befasst werden. Das heißt also, aus der Betroffenheit eines der Länder in Deutschland – sei es Thüringen, sei es eines der anderen Länder – muss es die Möglichkeit geben zu sagen: Dies widerspricht unseren Interessen.

Zweitens: Das ist deshalb wichtig geworden, weil es eine deutlich höhere Sensibilisierung der Bürgerinnen und Bürger innerhalb der Europäischen Union gibt, Entscheidungen der EU auch kritisch zu hinterfragen, weil es aber auch die Notwendigkeit gibt. Die Evaluierung fällt ja in eine Zeit, in der wir seit 2014 eine tatsächliche strategische Debatte über die Ausrichtung der Europäischen Union führen, die sich genau in dem Spannungsverhältnis von mehr Kompetenzen für das Europäische Parlament auf der einen Seite, aber eben auch Kritik an einer immer stärkeren Vergemeinschaftung und der Notwendigkeit der Europäischen Union abbildet. Das war der Hauptgegenstand der Debatte zur Regierungserklärung, die vor zwei Jahren hier stattgefunden hat – beweisen zu müssen, warum eine Entscheidung, die seitens der Kommission vorgeschlagen wird, tatsächlich notwendig auf europäischer Ebene zu treffen ist und nicht auch im Rahmen der Nationalstaaten oder auf der regionalen Ebene getroffen werden kann. Insofern ist es richtig, dass wir uns regelmäßig vor Augen führen, wie weitreichend die europäische Rechtssetzung ist, wie sie sich auf ganz konkrete Aspekte der Landes- und Kommunalverwaltung, lokale Unternehmen, aber eben auch den Alltag der Bürgerinnen und Bürger auswirken kann. Ich bin dem Vorsitzenden des Ausschusses, Abgeordneten Kubitzki, sehr dankbar, dass er an das Beispiel der Trinkwasserprivatisierung erinnert hat. Weil es hier um zweierlei geht, es geht auf der einen Seite formal um die Frage: Darf die Kommission das überhaupt? Aber es geht vielmehr darum: Soll eine solche Regelung eigentlich inhaltlich getroffen werden?

Das ist letztlich ein Punkt, der jeden Bürger, jede Bürgerin der Europäischen Union berührt. Insofern hat diese Debatte erheblich zur Politisierung der EU-Debatte beigetragen. Insofern begrüßen wir es genauso wie die CDU-Fraktion, dass es diesen Evaluierungsprozess gibt. Ich bin auch sehr dankbar für den Hinweis des Abgeordneten Kubitzki, dass es heute nicht darum geht, im EU-Ausschuss eine Debatte darüber zu führen, ob wir eine solche Evaluierung machen, sondern heute hier im Parlament den Weg für diese Evaluierung, in die wir uns als Landesregierung selbstverständlich einbringen, frei zu machen. Es wird für uns natürlich auch spannend sein, ob die Sichtweise des Parlaments und die Sichtweise der Landesregierung eigentlich

(Abg. Kubitzki)

harmonieren oder wo es unterschiedliche Bewertungen in der Wirksamkeit gibt.

Nun hat der Abgeordnete Gruhner, der nach seiner Rede den Plenarsaal gleich verlassen hat, …

(Zwischenruf Abg. Gruhner, CDU: Ich bin hinter Ihnen!)

Ich hätte es fast bedauert, wenn er nicht da gewesen wäre.