Protokoll der Sitzung vom 26.04.2018

Abgeordneter Gruhner, der dankenswerterweise in meinem Rücken die Rede verfolgt, was mich natürlich sehr freut, auch wenn ich jetzt sein Gesicht nicht sehen kann, hat hier über die Wertegemeinschaft der Europäischen Union gesprochen. Herr Gruhner, Sie haben gesagt, die EU darf auf keinen Fall eine Umverteilungsinstitution sein, sie muss in erster Linie eine Wertegemeinschaft sein. Da stimme ich Ihnen zu. Gleichzeitig kann unter dem Gesichtspunkt Wertegemeinschaft versus finanzpolitische Ausrichtung der EU und sozialpolitische Ausrichtung der EU nicht verdeckt werden, dass wir möglicherweise eine deutliche inhaltliche Kontroverse – und zwar auf der Werteebene – haben. Wohin soll die Ausrichtung der Europäischen Union eigentlich führen? Wenn ich mit den Kolleginnen und Kollegen der CDU und auch der CSU in jeder Ministerkonferenz, auch der EU-Minister, oder in der Ministerpräsidentenkonferenz darüber streiten muss, weil es mittlerweile eine deutliche Linie der B-Länder, also der CDU-geführten Länder gibt, das Thema „Soziale Säule der Europäischen Union – Sozialunion“, nicht mal mehr in eine Beschlusslage aufzunehmen, dann haben wir eine deutliche Kontroverse über die Wertegemeinschaft der Europäischen Union.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es geht nicht darum, dass die Europäische Union eine Zweckgemeinschaft der Länder ist, die sich die Europäische Union leisten können, sondern das Ziel der Europäischen Union bestand immer auch darin, dass der Anspruch, der bei uns in der Landesverfassung geregelt ist, gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Landesteilen unseres Freistaats zu haben, der in gleicher Weise für das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gilt, auch auf europäischer Ebene gelten muss. Wenn wir akzeptieren, was Sie in Ihrer Rede zumindest insinuiert haben, dass es eine deutliche Zweiklassengesellschaft in der Europäischen Union gibt, die der reichen Wohlfahrtstaaten in der EU und diejenigen, die zwar Mitglied sind, aber denen man sozialpolitisch keinen Anschluss an die gleiche Entwicklung gewährleisten will, dann haben wir ein deutliches Problem in der Wertegemeinschaft Europäische Union.

Über dieses Thema sollten wir streiten, müssen wir streiten. Aber die Beschlusslagen, die Sie zitiert ha

ben, gehen an den Ansprüchen, die eine Sozialunion im Sinne dieser Landesregierung positioniert, deutlich vorbei. Aus diesem Grunde finde ich ganz spannend, dass wir die Evaluierung der Vereinbarung zwischen Parlament und Landesregierung dann auch tatsächlich nutzen, die inhaltliche Debatte darüber zu führen, an welcher Stelle wir uns einig sind, wo wir eine deutliche Kontroverse haben und wie wir im Lichte dieser Kontroverse auch die Subsidiaritätsprüfungsaspekte bewerten, die Ihre Fraktion oder dann auch die koalitionstragenden Fraktionen im Parlament einbringen wollen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich kann jetzt keine Wortmeldung mehr erkennen. Dann kommen wir zur Abstimmung über die Ausschussüberweisung an den Ausschuss für Europa, Kultur und Medien. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Also, ich wiederhole gern noch einmal die Abstimmung; es war jetzt ein bisschen irritierend. Wer der Ausschussüberweisung die Zustimmung gibt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Das sind die Stimmen der Fraktion der AfD. Gegenstimmen? Das sind alle anderen Fraktionen des Hauses. Damit ist die Ausschussüberweisung abgelehnt.

Wir stimmen damit direkt über den Antrag der Fraktionen der CDU, Die Linke, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen in Drucksache 6/5579 ab. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Das sind die Koalitionsfraktionen, die Fraktion der CDU und der Abgeordnete Krumpe. Gegenstimmen? Solche kann ich nicht erkennen. Stimmenthaltungen? Das sind die Stimmen der Fraktion der AfD. Damit ist der Antrag angenommen.

Ich schließe diesen Tagesordnungspunkt.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 12

Für die Einführung verbindlicher Pflegepersonalschlüssel in Thüringer Pflegeheimen und Krankenhäusern

(Minister Prof. Dr. Hoff)

Antrag der Fraktionen DIE LINKE, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 6/3968 hier: Nummer II dazu: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Arbeit und Gesundheit - Drucksache 6/5592

dazu: Gute und wertschätzende Rahmenbedingungen für Pflegepersonal in Thüringen als Voraussetzung eines verbindlichen Pflegepersonalschlüssels schaffen Antrag der Fraktion der CDU - Drucksache 6/5615

Das Wort hat Abgeordnete Stange aus dem Ausschuss für Soziales, Arbeit und Gesundheit zur Berichterstattung.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen, werte Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen!

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Arbeit und Gesundheit in der Drucksache 6/ 5592 zu dem Antrag der Fraktionen Die Linke, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen in der Drucksache 6/3968; hier heute zur Diskussion Nummer II – Für die Einführung verbindlicher Pflegepersonalschlüssel in Thüringer Pflegeheimen und Krankenhäusern –: Durch Beschluss des Landtags in seiner 86. Plenarsitzung vom 2. Juni 2017 wurde der Antrag in Nummer II zur Beratung an den Ausschuss für Soziales, Arbeit und Gesundheit überwiesen. Der Ausschuss für Soziales, Arbeit und Gesundheit hat den Antrag in seiner 33. Sitzung am 23. Juni 2017, in seiner 34. Sitzung am 24. August 2017, in seiner 36. Sitzung am 26. Oktober 2017 und seiner 45. Sitzung am 19. April 2018 beraten sowie eine schriftliche Anhörung durchgeführt. Zu dieser wurden insgesamt 44 Anzuhörende mit einem breiten Fragenkatalog gebeten, ihre Stellungnahme zu oben genannten Themen abzugeben. Davon haben 23 Anzuhörende schriftlich Gebrauch gemacht.

Durch die Landtagsverwaltung wurde eine umfangreiche Synopse erstellt, die unter anderem auch Grundlage für die inhaltliche Diskussion war. Der ursprüngliche Antrag, die Nummer II, wurde geändert und erhält jetzt folgende neue Fassung:

II. Die Landesregierung wird gebeten,

1. darauf hinzuwirken, dass gemeinsam mit dem Rahmenvertragspartner nach § 75 SGB XI in den Rahmenverträgen nach § 75 SGB XI verbindliche

Personalschlüssel für Altenpflegeeinrichtungen in Thüringen bis 2019 festzulegen sind; bereits im Vorfeld der Ergebnisse der auf Bundesebene vorgesehenen Prüfung der Höhe der Pflegeleistungen bzw. etwaiger weiterer Initiativen des Bundes dienen die derzeitigen höchsten Personalrichtwerte im Vergleich der Bundesländer als Orientierung; die bedarfsgerechte Personalfreistellung für qualifizierte Praxisanleitung im Rahmen von Ausbildung, Umschulung und Weiterqualifizierung ist dabei zu berücksichtigen;

2. auf der Grundlage der fachlichen Herausforderungen in der Altenpflege im Dialog mit den Akteuren des Thüringer Pflegepakts und der Gewerkschaften die als Pflegefachkraft in der Altenpflege zuverlässigen Berufe sowie deren Arbeitsinhalte neu zu definieren;

3. die Kommunen bei der Entwicklung einer bedarfsgerechten Sozialinfrastruktur zur Verbesserung der Pflege und Stärkung der präventiven Angebote mit dem Ziel des Alterns in Würde im gewohnten Umfeld zu unterstützen und in diesem Zusammenhang die Förderung integrierter Sozialplanung zu prüfen;

4. sich auf Bundesebene für die Einführung verbindlicher Personalschlüssel in der Altenpflege und für das Vorziehen der für das Jahr 2020 vorgesehenen Prüfung der Höhe der Pflegeleistungen einzusetzen;

5. sich auf Bundesebene für die Weiterentwicklung und bessere Finanzausstattung der Pflegeversicherung mit den Zielen der Stärkung der Pflege, der besseren Betreuung und sorgenden Zuwendung, der Fachkräftesicherung sowie der Kostenentlastung der Betroffenen, der Angehörigen und der Sozialhilfeträger einzusetzen;

6. sich auf Bundesebene für rechtliche Rahmenbedingungen einzusetzen, die den Abschluss und die Anwendung von allgemeinverbindlichen Sozialtarifverträgen in der Pflege stärken;

7. sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass die medizinische Behandlungspflege in stationären Einrichtungen aus Mitteln des SGB V finanziert wird;

8. sich auf Bundesebene für die Einführung verbindlicher Personalschlüssel in den Krankenhäusern einzusetzen;

9. sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, umgehend verbindliche und bundesweit geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Personalsituation in der Pflege zu verbessern und den Personalnotstand zu beheben;

10. unter Einbeziehung aller relevanten Akteure zu prüfen, wie in Thüringen die Einführung eines verbindlichen Personalschlüssels in den Krankenhäusern auf den Weg gebracht werden kann;

(Vizepräsidentin Jung)

11. dem Landtag im ersten Quartal 2019 zu berichten, welche Initiativen bezüglich der Einführung von Pflegepersonalschlüsseln im Alten- und Krankenpflegebereich in den Bundesländern, dem Bundesministerium für Gesundheit und dem Gemeinsamen Bundesausschuss geprüft und auf den Weg gebracht werden bzw. in Planung sind.

Für die Maßnahmen, die ich gerade vorgetragen habe, entsprechend den Nummern 4 bis 9 sind Bundesratsinitiativen zu ergreifen bzw. zu unterstützen. – Dies war die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Gesundheit, Arbeit und Familie. Ich danke Ihnen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herzlichen Dank an die Abgeordnete. Wünscht die Fraktion der CDU das Wort zur Begründung? Herr Abgeordneter Zippel, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, der MDR berichtet: In der Alten- und Krankenpflege ist der Stellenmarkt in Thüringen wie leer gefegt. In Thüringen kommen auf 100 offene Stellen in der Altenpflege nur 14 arbeitslose Fachkräfte. Deutschlandweit sind mehr als 25.000 Stellen für Fachangestellte in der Altenund Krankenpflege nicht besetzt, zudem fehlen rund 10.000 Hilfspfleger. Die Konsequenzen des Fachkräftemangels sind schon spürbar. In Thüringen mussten bereits erste Einrichtungen einen Aufnahmestopp erlassen, da sie die geforderte Fachkräftequote unterschritten.

Genau deshalb sagen wir: Natürlich kann man über Pflege- und Personalschlüssel diskutieren, es ist aber angesichts der eben genannten Zahlen vollkommen weltfremd. Der rot-rot-grüne Antrag macht den zweiten Schritt vor dem ersten. Die entscheidenden Fragen lauten doch: Wie können Aus- und Fortbildung in der Pflege gestärkt werden? Wie kann man dafür sorgen, dass mehr Pflegekräfte dauerhaft in ihrem Beruf bleiben oder eben auch zurückkehren? Wie können wir Pflege entbürokratisieren oder – kurz gesagt – wie können wir Pflegeberufe allgemein attraktiver machen, mit welchen Instrumenten auch immer?

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Besser bezahlen!)

Die Frage lautet eben nicht: Wie kann ich bei einem leer gefegten Arbeitsmarkt den Pflegeeinrichtungen noch mehr Bürokratie aufdrücken? Deshalb unser Alternativantrag, den ich einbringen möchte. Wenn ich mir den rot-rot-grünen Änderungsantrag anschaue, haben Sie offenbar selbst gemerkt, dass

Ihr ursprünglicher Antrag eben doch nicht viel wert war. Die Überschrift ist gleich geblieben, ansonsten ist kein Stein auf dem anderen geblieben. Einsicht ist bekanntlich der erste Weg zur Besserung, herzlichen Glückwunsch dazu!

(Beifall CDU)

Mein Kollege Jörg Thamm wird die einzelnen Punkte unseres Änderungsantrags noch genauer darlegen. Nur eine Anmerkung von mir zu einem Punkt, den ich in Ihrem Antrag, sowohl im ersten als auch im zweiten Versuch völlig vermisse – und das macht es umso trauriger –, nämlich der wichtige Aspekt der ausländischen Fachkräfte in der Pflege. Wir alle kennen die demografischen Realitäten. Die Zahl pflegebedürftiger Menschen – nicht nur in Thüringen – nimmt zu, die Zahl der potenziellen einheimischen Pflegekräfte nimmt ab. Es ist ein rein mathematischer Fakt, dass das eben nicht aufgelöst werden kann.

Die Wahrheit ist: Ohne ausländische Fachkräfte geht in der Pflege schon heute nichts mehr, und das wird in Zukunft noch viel mehr der Fall sein. Das heißt, das Potenzial von Fachkräften aus EUund Drittstaaten muss in Zukunft noch viel, viel stärker genutzt werden. Hier sind – um ein Beispiel zu nennen – vor allem die Philippinen im Fokus. Wenn man mit Pflegeeinrichtungen spricht, sind die oftmals voll des Lobs über die philippinischen Pflegefachkräfte: gut ausgebildet, wenige Probleme bei der kulturellen Anpassung und außerdem – und das ist auch ein wichtiger Aspekt – besteht auf den Philippinen kein Mangel an Pflegekräften, wir nehmen dort also auch keine Fachkräfte weg. Allerdings hakt es gerade hier in Thüringen: Die Verfahrensdauer der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse durch das Landesverwaltungsamt ist viel zu lang. Außerdem konkurrieren wir mit anderen Bundesländern um ausländische Fachkräfte, das heißt, die langwierige Anerkennung ist ein großer Nachteil, und das nicht nur bei den Pflegefachkräften, sondern allgemein hakt es hier beim Landesverwaltungsamt massiv.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in der vergangenen Legislaturperiode hat die Bundesregierung die Pflegeversicherung mit dem Pflegestärkungsgesetz grundlegend reformiert. Die neue Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag festgeschrieben, Krankenkassen und Krankenhäuser mit der Festlegung von Personaluntergrenzen für alle bettenführenden Abteilungen zu beauftragen. Die Untergrenzen sind so hoch, dass eine bedarfsgerechte Versorgung und Pflege der Patientinnen und Patienten sichergestellt ist. Das Land Thüringen hat mit dem Pflegepakt einen ersten Schritt gemacht, jetzt müssen aber auch weitere folgen. Unser aller Ziel muss es sein, Pflege so attraktiv zu machen, dass ausreichend Menschen den Pflegeberuf er

(Abg. Stange)

greifen und ihn beibehalten wollen und damit die Versorgung sichergestellt wird. Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Ich eröffne die Beratung, und als erste Rednerin hat Abgeordnete Pelke, Fraktion der SPD, das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr verehrte Gäste! Ja, wir diskutieren heute das Thema eines verbindlichen Pflegepersonalschlüssels für Thüringer Pflegeheime und Krankenhäuser. Dazu liegt ein Antrag auf dem Tisch und seit dem 24. April haben wir einen Alternativantrag der CDUFraktion. Nun mag das ja gut sein, dass Sie nach einer Diskussion dieses Antrags im zuständigen Ausschuss – die Berichterstatterin Frau Stange hat schon darauf hingewiesen, in wie vielen Sitzungen diskutiert und beraten wurde und dass es eine schriftliche Anhörung gegeben hat – leider nicht in der Lage waren, einen konkreten Änderungsantrag im Sozialausschuss einzubringen, den wir durchaus auch hätten mit aufnehmen können. Nein, es war eine sehr allgemeine Diskussion und wie in vielen Fällen zuvor fällt Ihnen dann einen oder zwei Tage vor der Plenarsitzung ein Alternativantrag ein.

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Wir machen uns eben Gedanken, Tag und Nacht!)