Protokoll der Sitzung vom 27.09.2018

Ich hatte – Herr Wucherpfennig war mit dabei – das Glück oder die Aufgabe, den Ministerpräsidenten in den Niederlanden zu begleiten. Dort war eine Thüringer Wirtschaftsdelegation dabei, es waren Uni-Professoren von der Friedrich-Schiller-Universität Jena dabei. Diese haben in Gesprächen gesagt, dass es immer schwerer wird, ausländische Studenten für unsere Universitäten zu gewinnen, weil sie Angst haben, nach Deutschland zu kommen bzw. nicht wissen, was ihnen hier für ein politisches Klima entgegenweht. Dafür, meine Damen und Herren der AfD, sorgen Sie täglich mit Ihren Ausführungen.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD)

Deshalb ist das, was Sie hier vorschlagen, aus meiner Sicht erstens fachlich nicht fundiert und zweitens eine politische Heuchelei.

(Beifall DIE LINKE)

Die nächste Frage, die ich habe, ist: Warum ausgerechnet Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, ausgebildete Pflegekräfte aus der Ukraine? Da könnte ich jetzt sagen, Sie haben gesagt, die sind so toll ausgebildet. Das bestätige ich sogar. Auch bei mir in den Pflegediensten sind zum Beispiel Kollegen aus Russland oder Kollegen, die aus Kirgisien und Kasachstan kommen. Diese leisten eine hervorragende Arbeit. Stimmt, die sind auch ausgebildet, aber sie wohnen schon viele Jahre hier und dergleichen mehr und haben zum Teil eine Ausbildung hier in Deutschland bekommen, das muss ich dazusagen.

Sie wollen hoch ausgebildete Pflegekräfte aus der Ukraine hierher holen, das heißt …

(Zwischenruf Abg. Rietschel, AfD: Da gibt es ein Überangebot!)

Es mag sein, dass da auch ein Überangebot vorhanden ist. Aber auf die Idee sind schon ganz andere gekommen, denn da gibt es nämlich Gespräche. Unter anderem kann ich mich auch daran erinnern, dass die Landesregierung in den anderen Dienstleistungsbereichen schon Verträge mit Lemberg abgeschlossen hat, damit Kräfte hierherkommen. Dazu brauchen wir nicht die Hinweise der AfD.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber letzten Endes: Mit solchen Schritten tragen wir auch dazu bei, dass gut ausgebildete Fachkräfte, die auch in diesen Ländern früher oder später gebraucht werden, die dort eigentlich jetzt schon gebraucht werden, denn dort gibt es auch eine Altenpflege – die ist nur nicht so ausgebaut wie in Deutschland, sollte aber ausgebaut werden –, dass diese Fachkräfte in diesen Ländern fehlen. Das kann es natürlich auch nicht sein.

Die zweite Sache – muss ich sagen – ist, dass wir lieber dafür sorgen sollten, dass der Pflegeberuf gesellschaftlich stärker anerkannt wird, attraktiv wird. Wir sollten von manchem Akademisierungswahn wegkommen und dafür sorgen, dass wieder Schüler in unseren Schulen – jetzt sage ich es mit Ihren Worten –, deutsche Schüler bereit sind, alte Leute in diesem Land zu pflegen. Das ist erst mal unsere hoheitspolitische Aufgabe, auch auf unsere eigenen Ressourcen zu blicken und vor allem ein Umdenken in der Gesellschaft zu erreichen.

Eines sage ich natürlich an dieser Stelle auch, auch von der demografischen Entwicklung her: Wir werden zukünftig nicht ohne ausländische Pflegekräfte oder Bürger, die hier eine Ausbildung machen usw., hinkommen. Aber das ist nicht nur in der Pflege so, das ist in vielen Bereichen so, dass Fachkräfte gesucht werden, nicht nur in der Pflege. Viele, die Wohlfahrtpflege, der BPA, die privaten Anbieter, gibt es schon, Programme, die selbstständig arbeiten bzw. die selbst Initiative ergriffen haben und sich ausländische Pflegekräfte herholen, die bereit sind, zu arbeiten. Diese Pflegedienste und Einrichtungen sind vor allem auch bereit, ausländische Mitbürger auszubilden.

Ich kann Ihnen sagen – wieder der Name „Mühlhausen“ für Sie –: Ich kenne syrische Frauen, die werden bei uns in Heimen zu Pflegekräften ausgebildet und die gehen fleißig und verantwortungsbewusst an diese Aufgaben heran. Jawohl, die gehen mit Kopftuch in das Heim, aber die sind bereit, diese Aufgaben zu machen und machen die Aufgaben gut. Davon konnte ich mich selbst überzeugen. Die Pflegebedürftigen haben noch nicht mal was dagegen. Die sind froh, dass sie liebevoll betreut werden.

Wir brauchen Sie als AfD nicht, um zu erklären, wo wir Pflegekräfte herkriegen und dass wir unbedingt welche aus der Ukraine brauchen. Natürlich haben wir da auch Reserve und das muss ich an dieser Stelle auch selbstkritisch sagen: Jawohl, das haben wir auch in Arbeitskreisen gehabt, das haben wir im Sozialausschuss gehabt. Jawohl, auch wir kritisieren das LVA, dass die zu lange brauchen, dass ausländische Abschlüsse anerkannt werden. Das ist ein Problem, es werden Gespräche vom Ministerium mit dem LVA geführt, die müssen sich ein bisschen befleißigen und intensiver an diese Aufgabe herangehen. Man muss auch mal darüber nachdenken, ob da nicht mit Personalumsetzung personelle Ressourcen noch weiter erschlossen werden können.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Ihr regiert doch gerade!)

Ja, ich kann doch auch mal eine kritische Bemerkung machen, Herr Fiedler. Nehmen Sie mir das doch nicht übel.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Das nehme ich überhaupt nicht übel!)

Es stellt sich in dieser Sache die Frage: Wie gewinnen wir ausländische Pflegekräfte? Aus meiner Sicht brauchen wir dazu eine Bundeskoordinierung, damit in den Bundesländern nicht jeder versucht, den Wettbewerb zu eröffnen.

Eines muss ich Ihnen sagen, Frau Herold, ganz ehrlich: Wenn Sie jetzt ukrainische Pflegekräfte einstellen, dann werden die Thüringen kennenlernen, die werden das aber als Transitland kennenlernen, die werden die A 4 durchfahren und werden in Baden-Württemberg landen. Darüber sollten wir gerade nachdenken und das müssen wir als Koalition auch machen. Wie können wir zum Beispiel bestimmte Sachen auch erleichtern? Da meine ich nicht nur die Zulassung durch das LVA. Sondern in Baden-Württemberg müssen zum Beispiel die Pflegekräfte die dort für sie angebotenen Sprachkurse nicht selbst bezahlen, wie das bei uns ist, sondern das bezahlt Baden-Württemberg. Das sind Sachen, über die wir nachdenken und reden müssen. Ob das nun der Weisheit letzter Schluss ist, weiß ich nicht. Aber wenn ich aus der Ukraine käme, würde ich, statt das selbst in die Hand zu nehmen, nach Baden-Württemberg fahren und das erst mal dort machen.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Ein ordentli- ches Schwäbisch!)

Ob sie das verstehen?

Dann betone ich noch mal: Wir müssen eigenes Potenzial ausschöpfen. Wir brauchen eine gesellschaftliche Anerkennung für den Pflegeberuf. Es muss endlich gelingen, dass diese Ausbildungsum

lage abgeschafft wird. Denn wenn Betriebe bzw. Pflegeheime oder ambulante Dienste ausbilden, wird die Vergütung der Ausbildung auf die Pflegebedürftigen umgelegt. Das heißt, Ausbildung ist teilweise unattraktiv für die Pflegebedürftigen in diesen Einrichtungen. Ich sage und wir fordern das: Diese Ausbildungsumlage muss abgeschafft werden, sie muss steuerfinanziert oder von der gesamten Versicherungsgemeinschaft getragen werden, aber nicht selbst von den Pflegebedürftigen.

(Beifall DIE LINKE)

Ich muss auch etwas Positives nennen: Die besten Erfahrungen habe ich persönlich mit Pflegefachkräften gemacht, die aus der Pflege kommen und sich zur Pflegefachkraft ausbilden lassen, also schon Pflegeerfahrung haben. Da muss ich schon mal die Bundesagentur für Arbeit loben: Das WeGebAU-Programm ist eine tolle Sache, auch für mich als Arbeitgeber. Auf diesem Wege kann ich nämlich eine Mitarbeiterin, die eine Pflegekraft ist und schon Jahre gearbeitet hat, zur Pflegefachkraft ausbilden. Zwei Mitarbeiterinnen, die weiterhin bei mir angestellt sind, bilde ich zur Pflegefachkraft aus. Sie besuchen zwei Jahre die Schule, und das Geld, das mir aufgrund ihres Fehlens verloren geht, erhalte ich von der Bundesagentur für Arbeit. Das ist also eine attraktive Sache, von der ich auch etwas habe und bei der ich nicht draufzahle. Das ist gut.

Dann – das sage ich auch schon immer gebetsmühlenartig, da ecke ich manchmal an – sollten wir auch dafür sorgen, dass ausgebildete Pflegefachkräfte nicht in andere Branchen abwandern. Auch da haben wir Reserven. Ich nenne jetzt mal nur den MDK und die Heimaufsicht. Ich könnte mir vorstellen, dass Voraussetzung für eine Einstellung beim MDK oder bei der Heimaufsicht eine mindestens fünfjährige Berufserfahrung im Bereich der Pflege sein muss. Damit haben wir nämlich junge, ausgebildete Fachkräfte frisch von der Schule, die ihre Sporen erst mal in der Pflege verdienen können. Nach einer gewissen Berufserfahrung können sie dann diese Erfahrungen in diese Gremien, MDK und Heimaufsicht, einbringen. Noch lieber wäre mir, wenn Pflegefachkräfte, die die 50 überschritten haben, die körperlich kaputt sind, weil sie sich in der Pflege abgerackert haben, dann bei der Heimaufsicht bzw. beim MDK arbeiten könnten. Es gibt das Problem, dass wir Pflegekräfte brauchen. Aber einfach so zu sagen, wir holen sie uns mal aus der Westukraine, das geht aus meiner Sicht nicht, weil wir uns dann vor der Verantwortung drücken, wie wir hier in Thüringen weiterhin Pflegekräfte aus unserem eigenen Bestand ausbilden. Danke schön.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Als nächstem Redner gebe ich Abgeordneten Thamm von der CDU das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kubitzki, Sie haben ja schon vieles inhaltlich genannt, nichtsdestotrotz möchte ich noch mal die Sichtweise der CDU-Fraktion zu diesem Thema darlegen.

Dass der Pflegenotstand und die Auswirkungen sowie die Möglichkeiten, dem entgegenzuwirken, nun schon zum wiederholten Male Themen dieses Hauses sind und dass wir auf Bundesebene fast täglich dazu neue Möglichkeiten und Lösungsvorschläge bekommen, ist erst einmal unbestritten. Dass dieses Thema sensibel ist und mit größtem Respekt angepackt werden muss, steht auch außer Frage. Aber, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen in der AfD, auch wir haben zuletzt im April dieses Jahres, beispielsweise in der Drucksache 6/ 3968, ausgiebig und kritisch über das Thema „Pflegeschlüssel“ gesprochen. Wir haben uns über Lösungsansätze ausgetauscht und die CDU-Fraktion hat einen Alternativantrag gestellt, der auch schon über das Thema „Pflegeschlüssel“ hinausgereicht hat. In den Anträgen sind Wege umfangreich und weitgehend inhaltsreich beschrieben. Mit der Drucksache 6/3968 wurde ebenfalls schon im April ein weitreichender Beschluss zum Thema vorgelegt.

Aber ich möchte doch kurz inhaltlich auf Ihren Antrag eingehen. Sie fordern die Landesregierung auf, aus dem Fachkräfteüberangebot der osteuropäischen Nicht-EU-Staaten eine aktive Initiative auf Bundesebene zu initiieren, um sie für Thüringen zu gewinnen. Da frage ich mich als Erstes: Woher wissen Sie – und Herr Kubitzki hat das auch schon gefragt –, dass es in der Ukraine ein Fachkräfteüberangebot gibt? Denn dass es ein Angebot aus diesem Staat für Pflege gibt, heißt doch noch lange nicht, dass es dort ein Überangebot von Fachkräften gibt. Aber das scheinen Sie ja doch besser zu wissen.

In Punkt 2 fordern Sie eine bessere Vernetzung aller Akteure, um eine bessere Rekrutierung zu erreichen. Hier nennen Sie wieder insbesondere die Westukraine. Die Antwort, warum Sie hier gerade die Westukraine hervorheben, bleiben Sie auch in der Begründung schuldig. Wenn Sie immer wieder auf Fachkräfte und Arbeitskräfte aus der Westukraine abstellen, ist die Frage nach dem Hintergrund ja nur berechtigt, zumal es in der Region Nordthüringen – und das möchte ich hier noch mal ganz besonders betonen –, in Ilfeld in der Neanderklinik, schon seit Jahren sehr positive Aktivitäten gibt, und das nur mit Unterstützung und Begleitung des örtlichen Abgeordneten Egon Primas, der sich hier per

sönlich sehr stark engagiert. Hier werden schon seit 2013 erfolgreich ausgebildete Pflegefachkräfte und junge Menschen aus der Westukraine für die Ausbildung zu Pflegehilfskräften und -fachkräften gewonnen und eingesetzt. Nachzulesen ist das in der „Thüringer Allgemeinen“, im Lokalteil, vom 17.02.2018.

In der Ukraine hat sich 2016 auch der Deutsch Ukrainische Pflegeverband e. V. gegründet. Auch das gibt es schon. Er ist eng mit dem Deutschen Pflegeverband verbunden. Des Weiteren ist auch eine Vernetzung über diesen Pflegeverband mit überörtlichen und örtlichen Akteuren vorhanden, so zum Beispiel mit der Arbeitsagentur, der LEG und dem Nordthüringer Unternehmerverband, um nur einige zu nennen. Auch hier läuft Ihr Antrag ins Leere.

Die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse war hier ebenfalls schon mehrfach Thema. Sie können gern unseren Alternativantrag vom April-Plenum nachlesen. Also auch dieses Thema ist nicht neu hier. Weiterbildungskurse in Deutschland und hier in Thüringen für die zugelassenen Pflegekräfte, das ist auch in unserem Alternativantrag nachzulesen. So sollte geprüft werden, ob der geforderte Sprachnachweis von B2 auf B1 abgesenkt und dieses nach der Arbeitsaufnahme in Deutschland schnellstmöglich mithilfe von Fördermöglichkeiten auf B2 erhöht werden kann, um damit die sprachliche Hürde etwas zu senken. Auch das hier bisher noch zu lange Andauern bis zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse war bereits Inhalt unseres Antrags. Zur besseren Bezahlung haben sich alle hier im Haus sitzenden Fraktionen bekannt, auch wenn es verschiedene Ansätze für den Weg dahin gibt. Der Thüringer Pflegepakt sagt etwas über die notwendigen familienfreundlichen Arbeitsbedingungen und zum Image des Pflegeberufs aus. Dieser Pakt wurde 2012 und 2015 hier fraktionsübergreifend bestärkt und beschlossen. Sowohl die Aus- und Weiterbildung der Pflegehelfer als auch der Pflegefachkräfte war Thema unseres Alternativantrags. Wir wollen, dass Thüringen die Voraussetzungen – das hat Herr Kubitzki eben noch mal betont – für die Ausbildung und Weiterbildung selbst schafft und den prognostizierten

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Jawohl, so ist es!)

(Beifall CDU)

Fachkräftebedarf und dessen Deckung aus eigener Kraft voranbringt und hier vor Ort vorhandene Potenziale noch besser nutzt. Die Aufgaben- und Ergebniskritik der zentralen Auslands- und Fachvermittlung auf Bundesebene mag eine gut gemeinte Forderung sein, aber es obliegt der Agentur für Arbeit und damit dem Bund, hier auch ständig die Ergebnisse zu erfragen und zu bewerten.

Sehr geehrte AfD-Kollegen, Sie sehen also, Ihr Antrag ist weder notwendig, noch wirft er neue Probleme auf oder nennt Aspekte, die nicht bekannt sind oder bereits durch dieses Gremium hier behandelt wurden. Nein, meine Damen und Herren der AfD, Ihr Antrag geht in allen Punkten inhaltlich nicht so weit, wie die bisher gestellten und beschlossenen Anträge. Im Gegenteil – Sie schränken die Personengruppen ein, die für die mögliche Ergänzung zum Arbeitsmarkt, und hier im Speziellen für die Pflege, infrage kommen. Für Sie scheinen hier nur osteuropäische Nicht-EU-Länder in Betracht zu kommen. Und selbst diese – es wundert mich, dass Herr Kubitzki nicht darauf eingegangen ist – begrenzen Sie dann noch mal auf kulturkompatible Fachkräfte. Diese Variante wird so von uns nicht mitgetragen und wird es mit uns nicht geben,

(Beifall CDU)

denn auch im Kosovo, Albanien oder Vietnam und auf den Philippinen leben Menschen, um die potenziell auch für unseren Arbeitsmarkt geworben werden kann, auch wenn deren Einwohner aus Ihrer Sicht nicht kulturkompatibel sind. Zumal wir nicht erst in Zukunft zu pflegende Menschen haben werden, die auch anderen Glaubens sind und andere kulturelle Hintergründe haben. Wie sollen wir denn mit diesen Menschen Ihrer Ansicht nach umgehen? Ist es deshalb nicht auch gerechtfertigt, Pflegekräften mit gleichen Ansichten, Hintergründen, Glaubenseinstellungen den Zugang zum Pflegeberuf zu ermöglichen, solange sie darin ihre Berufung sehen? Also, sehr geehrte Mitglieder der AfD, Ihr Antrag ist weder sachlich noch inhaltlich notwendig. Wir werden Ihren Antrag ablehnen. Danke.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Hartung von der SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, als ich den Antrag gelesen habe, da ging es mir schon ein bisschen wie Herrn Kubitzki. Ich habe ihn zweimal gelesen, habe den Kopf geschüttelt, allerdings aus einem anderen Grund. Ich finde, der Antrag ist völlig aus der Zeit gefallen. Das ist so, als würden die Antragsteller, die den geschrieben haben, seit 10, 15 Jahren nichts mehr mit Thüringen zu tun haben. Da kann ich in dem Zusammenhang dem Herrn Thamm und dem Herrn Kubitzki die Frage beantworten: Warum gerade die Westukraine und warum gibt es da kulturkompatible Menschen? Das will ich Ihnen sagen: Bis vor 100 Jahren war die sogenannte Westukraine das österreichisch-ungarische Galizien und mit einer deutschen Kultur

tradition – übrigens katholisch geprägt, nicht orthodox oder so. Da unterstellt nun die AfD, dass diese Menschen irgendwie mit unserem Kulturraum kompatibler wären als andere, die möglicherweise herkommen könnten, um hier Menschen zu pflegen.

Aber aus der Zeit gefallen, meine ich, ist der Antrag in erster Linie deswegen, weil, wenn wir über die Anwerbung ausländischer Pflegekräfte zurückschauen, ist die Zeit über den Antrag lange hinweggegangen. Wir haben in den letzten Jahren – und das geht nicht erst seit fünf Jahren, sondern, ich denke, mindestens seit zehn Jahren, wenn nicht sogar länger – die Gesundheitsberufe der osteuropäischen Länder praktisch komplett abgeworben. Nicht, weil es ein Überangebot gibt, sondern weil es ein Gehaltsgefälle gibt. Wir haben angefangen mit den osteuropäischen EU-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, dann später Rumänien und Bulgarien und haben in Größenordnungen dort Menschen abgeworben, nicht weil sie übrig waren, weil man sie dort nicht brauchte, sondern weil sie vor der Frage standen, im Zuge eines europäischen Binnenmarkts in Deutschland richtig viel Geld zu verdienen oder in ihrem Heimatland sehr wenig Geld zu verdienen. Deswegen sind die hierhergekommen. Das kann ich ihnen auch nicht verdenken, das ist normal.

Nachdem in Osteuropa praktisch nichts mehr zu holen war, niemand mehr zu holen war bzw. man dort entsprechende Haltelinien eingezogen hatte, haben wir uns ausgedehnt. Wir haben uns ausgedehnt in die Ukraine, wir haben uns ausdehnt in den Westbalkan. Westbalkan ist ein sehr gutes Stichwort. Zum einen deshalb, weil wir mittlerweile erleben, das viele Träger dort ausbilden. Die haben dort Pflegeschulen. In Bosnien kenne ich welche, ich kenne Pflegeschulen im Kosovo, in Albanien, in Mazedonien. Dort bilden die Träger aus Deutschland die ersten beiden Jahre Fachkräfte aus und dann holen sie sie nach Deutschland, um sie hier anerkennen zu lassen.

In diesem Zusammenhang möchte ich sagen, dass die Landesregierung sehr wohl etwas getan hat, damit wir Fachkräftemangel bekämpfen. Wir haben mittlerweile eine Ausbildungsduldung. Diese Ausbildungsduldung betrifft eben auch Menschen, die in Deutschland normalerweise nicht bleiben können, aber einen Pflegeberuf ergreifen und deswegen hier eine Duldung haben. Das hat ganz praktische Auswirkungen. Ich möchte das an einem persönlichen Beispiel kurz erläutern, das ich selber betreut habe, das ich selber sehr gut kenne. Drei junge Frauen aus einer Roma-Großfamilie aus Mazedonien, selbst überhaupt ohne Chance, hier jemals Asyl zu bekommen, sind im Asylverfahren hierhergekommen und haben dann, weil sie eben nicht anderen auf der Tasche liegen wollten, eine Ausbildung begonnen. Zwei wollten Pflegefachkräfte, eine wollte Ergotherapeutin werden. Die sind dann quasi

(Abg. Thamm)

einmal im Jahr in ihr Heimatland zurückgeführt worden, dann haben sie sich auf eigene Faust wieder durchgeschlagen. Diese Zeit der Abwesenheit wurde ihnen praktisch als Urlaub berechnet und dann haben sie ihre Ausbildung fortgeführt. Das ist völliger Wahnsinn! Das war zwischen den Jahren 2012 und 2014. Heute wäre das gar nicht mehr das Problem. Sie hätten eine Duldung, sie könnten hier eine Ausbildung machen. Genau das ist ein Fortschritt. Das hat die Landesregierung geschafft. In diesem Zusammenhang kann man sehr wohl sagen, ja, wir haben aus diesen Fehlern gelernt, wir wollen die nicht weiter fortführen.