Protokoll der Sitzung vom 07.11.2018

(Zwischenruf Abg. Dittes, DIE LINKE: Aber es stimmt!)

(Heiterkeit SPD)

Als nächster Redner hat jetzt Abgeordneter Adams von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, werte Gäste hier im Thüringer Landtag! Wir haben insbesondere seit zwei Jahren, seitdem in Amerika ein neuer Präsident gewählt wurde, ein politisches Phänomen zu beobachten. Dieses politische Phänomen ist, dass man mit gezielten, beabsichtigten, wider besseres Wissen ausgedrückten Unwahrheiten Politik machen will.

(Beifall DIE LINKE)

Dafür war die Rede von Herrn Henke eben ein wunderbares Beispiel. Herr Henke ist Mitglied im Innenausschuss und in der Regel – so wie ich das wahrnehmen kann – ist er auch da. Herr Henke behauptet in der Drucksache 6/6371 für seine Fraktion, dass zum Beispiel aus einer Gruppe von 20 Männern heraus eine Frau angegriffen worden sei. Dabei ist das zweifelsohne – unbestritten, und das hat die Landesregierung ja auch deutlich gemacht im Innenausschuss – widerlegt. Sie behaupten das trotzdem. Sie haben im ersten Tagesordnungspunkt heute erfahren – auch aus der Landesregierung –, dass Ihre Behauptung der sexuellen Belästigung mindestens von der Geschädigten nicht erhoben wird. Aber Sie behaupten das trotzdem.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Ist doch noch gar nicht fertig ermittelt! Woher wissen Sie das denn?)

Sie behaupten es. Die Geschädigte sagt: Mir ist kein... – Wissen Sie – das lasse ich lieber, sonst bekomme ich einen Ordnungsruf.

(Heiterkeit DIE LINKE)

Die Frage ist, ob man sich an dieses Rednerpult stellt und eine Vorverurteilung aufgrund von erdachten Fakten vornimmt oder ob man – so wie ich – dafür plädiert, die Fakten wahrzunehmen und die Ermittlungen abzuwarten. Würde es uns gelingen, in diesem Landtag wieder als Grundmaxime einzuführen – und hier wende ich mich an CDU und AfD gleichermaßen, Frau Holbe –, dass erst ermittelt wird und dann politisch diskutiert wird, dann hätten wir viel für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in diesem Land getan. Damit wäre dem Land wirklich gedient gewesen.

(Beifall DIE LINKE)

Es ist eine Unart geworden, Frau Holbe, Herr Henke, es ist eine Unart geworden,

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Was hat denn Abgeordnete Holbe gesagt?)

ohne Ermittlungsergebnisse abzuwarten, die Ermittlungen nicht abzuwarten, die Bewertung der Staatsanwaltschaft nicht abzuwarten,

(Abg. Holbe)

(Beifall DIE LINKE)

hier politische Konsequenzen zu fordern. Und Sie wissen – das hat der heutige Tag gezeigt –, dass viele Ihrer Behauptungen, so wie sie auch Frau Holbe aufgestellt hat, nicht der Wahrheit entsprechen,

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Es geht nur um Verharmlosung!)

zumindest dem derzeitigen Stand der Ermittlungen nicht entsprechen können. Ich stütze mich auf die Dokumente der Polizei – also ich vertraue unserer Polizei. Und wenn die Polizei dem Innenminister zu einer Debatte im Innenausschuss einen Redezettel mitgibt oder die Ermittlungsbehörden dem Innenund dem Justizminister für eine Landesmedienkonferenz eine Information aufschreiben, dann ist das zunächst einmal der Stand an diesem Tag. Da, glaube ich, wenn Sie auch den philosophischen Begriff der Wahrheit nehmen wollen, wo man immer wieder diskutieren kann – aber das ist dann ein festgestelltes Ergebnis. Ich habe keinen Grund, an den Ermittlungsergebnissen der Polizei zu zweifeln. Die CDU hat das aber offensichtlich, meine sehr verehrten Damen und Herren, sonst müssten Sie nämlich hier nicht mit diesen Halbwahrheiten agieren.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ziel dieser Debatte muss es sein, wieder einen Grundkonsens darüber herzustellen, dass wir erst die Ermittlungen der Polizei abwarten und dann die Bewertung der Staatsanwaltschaft abwarten. Danach ist es im politischen Raum dringend notwendig, nach einem jeden schlimmen Verbrechen auch eine Diskussion zu führen: Was können wir mehr tun, was kann dieser Landtag tun durch Gesetze, durch hinreichende Ausstattung unserer Sicherheitsbehörden, um jedes einzelne dieser Verbrechen zu verhindern? Aber erst, wenn wir es ermittelt haben, erst, wenn wir wissen, worüber wir reden, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die AfD hat im Wesentlichen zwei Vorwürfe erhoben. Der Erste ist der, dass sich die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land möglicherweise nicht mehr sicher fühlen können, weil die Landesregierung nicht agieren würde. Das ist falsch zielgerichtet, weil Sie die Menschen in diesem Land verunsichern wollen. Der Rechtsstaat funktioniert, auch wenn Sie etwas anderes behaupten.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Adams, kommen Sie bitte zum Ende.

Vielen Dank. Der Rechtsstaat funktioniert, auch wenn die AfD es nicht mehr erträgt, dass dieser Rechtsstaat funktioniert.

(Beifall CDU)

Ich kann Ihnen bestätigen: Der Rechtsstaat funktioniert. Wer in diesem Land ein Verbrechen begeht, wird verfolgt durch die Sicherheitsorgane und wird dafür zur Rechenschaft gezogen.

Kommen Sie bitte zum Schluss!

Auch, wenn es Ihnen nicht gefällt!

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der nächste Redner ist Herr Abgeordneter Dittes von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Um das am Anfang vielleicht auch noch mal für die Öffentlichkeit bei diesem Tagesordnungspunkt zu sagen, was ein bisschen in Vergessenheit gerät: Jeder sexuelle Übergriff und jede sexuelle Misshandlung stellt ein abscheuliches Verbrechen dar.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch jede sexuelle Belästigung, sei es nun in Wort oder Tat, sei es auf öffentlichen Plätzen oder in der Familie, ist zu verurteilen! Das unterscheidet aber tatsächlich einige Fraktionen in diesem Haus von der Fraktion der AfD. Denn diese Grundposition, diese Grundverurteilung von sexuellen Straftaten nimmt nämlich die Tat und die Opfer in den Mittelpunkt der Argumentation und zum Ausgangspunkt einer Positionierung, während die AfD doch eher über die Tatverdächtigen reden will. Dass sie dabei einen Großteil der Tatverdächtigen und damit der Taten und damit auch der Opfer einfach außen vor lässt, hat der Kollege Hartung in seiner Rede schon ausdrücklich erwähnt. Ich will vielleicht einfach nur noch mal einige Zahlen aus der Thüringer Polizeilichen Kriminalstatistik nennen. 80 Prozent aller Tatverdächtigen bei Vergewaltigungen in Thüringen sind Deutsche, 85 Prozent aller Tatverdächtigen der Gesamtheit von Sexualdelikten in Thüringen sind Deutsche, 90 Prozent aller Tatverdächtigen von sexuellem Missbrauch in Thüringen sind Deut

(Abg. Adams)

sche, 94 Prozent aller Tatverdächtigen, die Kinderpornografie in Thüringen verbreiten, erwerben, besitzen oder herstellen, sind Deutsche. Wenn ich die jüngsten Veröffentlichungen des MDR zum Anlass nehme, bei der ein 43-jähriger Vater aus Mühlhausen jetzt unter Anklage gestellt ist, weil er seine Töchter über 800-mal missbraucht haben soll, dann muss ich feststellen, dass wir zu all diesen Körperverletzungsdelikten, zu all diesen abscheulichen Straftaten kein Wort der AfD hier im Thüringer Landtag vernommen haben. Allein aus der Tatsache heraus, dass die Tatverdächtigen bei diesen Straftaten keine geflüchteten Menschen sind, zeigt sich, dass diese Grundpositionierung, dass jede Straftat mit sexuellem Hintergrund ein abscheuliches Verbrechen ist, von der AfD-Fraktion nicht geteilt wird.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ich will noch auf einen anderen Punkt in diesem Antrag eingehen, den ich eigentlich noch viel schockierender finde. Es ist eigentlich auch ein bisschen peinlich, dass so ein Antrag überhaupt als Drucksache publiziert werden kann

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und wahrscheinlich verfassungsrechtlich auch muss, nämlich noch schockierender als die Tatsache, dass es wirklich eine durchgehende, durchdringende Ignoranz von Realitäten und Tatsachen gibt, das ist die Kulturalisierung von sexueller Gewalt.

(Beifall DIE LINKE)

Denn die AfD schreibt in ihrem Antrag: „Wie geht die Landesregierung mit dem Problem der sexuellen Gruppengewalt (Taharrush gamea) [...] um?“ Sie gebraucht dabei auch noch eine falsche Transkribierung aus dem Hocharabischen und bezeichnet im Prinzip eine Tat mit einem arabischen Begriff. Sie schreibt in ihrem Text zur Begründung: „Bekannt sind solche kriminellen Handlungen als ‘Taharrush gamea’ aus dem islamisch geprägten Kulturraum in Vorderasien und Nordafrika.“

Und diesen Satz könnte man noch übersetzen: Bekannt sind solche kriminellen Handlungen als sexuelle Belästigung aus dem deutsch geprägten Kulturraum in Europa. Bei dem gewählten arabischen Begriff handelt es sich nämlich um nichts anderes als eine Übersetzung von „sexueller Gruppenbelästigung“, aber Sie machen daraus ein kulturelles Phänomen und ordnen es im Prinzip dem arabischen Kulturraum in Vorderasien und Nordafrika zu. Sie missachten, dass dieser Begriff auch tatsächlich schon Gegenstand von Debatten gewesen ist, die ihm auch unterstellen, dass explizit die Verwendung dieses arabischen Begriffes durch rechtsgerichtete Politiker und Gruppen geschieht, um frem

denfeindliche Motive bei der Thematisierung von sexuellen Straftaten tatsächlich in den Vordergrund zu schieben und hier eine einseitige Zuschreibung vorzunehmen.

(Beifall DIE LINKE)

Das nenne ich im Kern Kulturalisierung sexueller Gewalt, das nenne ich Kategorisierung, Stereotypisierung, das nenne ich Diskriminierung von vielen Menschen auf dieser Welt. Das ist nichts anderes als Rassismus.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber ich will Ihnen noch mal deutlich machen, was damit auch passiert und damit auch einhergeht. Das will ich auch in die Öffentlichkeit richten, die natürlich in sozialen Medien auch solche Vorfälle immer wieder gerne aufgreift, weiterverbreitet. Sie entwertet es und verharmlost die vielen zahlreichen sexuell motivierten Straftaten, die in Deutschland seit vielen Jahren begangen werden, insbesondere im sozialen Nahbereich, wo wir nur über Dunkelziffern reden. Ich will Ihnen zwei Zahlen aus aktuellen Berichterstattungen nennen: Jedes Jahr sterben in der Bundesrepublik Deutschland 150 Frauen durch Gewalttaten ihrer Ehemänner und Lebenspartner. Jeden Tag finden in Partnerschaften 180 Körperverletzungsdelikte statt, wo Frauen Opfer ihrer Lebenspartner sind. Das geschieht jeden Tag. Und sich hier hinzustellen und zu sagen, dass sexuelle Gewalt, sexuelle Belästigung neue Phänomene sind, ist infam.

Abgeordneter Dittes, kommen Sie bitte zum Schluss.

Sexuelle Gewalt ist ein Phänomen, was mit Männern zu tun hat, und dem müssen wir uns stellen. Es zu kulturalisieren ist Rassismus. Das will ich Ihnen in aller Deutlichkeit sagen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)