Protokoll der Sitzung vom 01.02.2019

Brauchen wir mehr zentrale Vorgaben? Da kann man nun sagen, wie bei allem im Leben, es gibt Pro und Kontra.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Gleich schlafe ich ein!)

Dann gehen Sie doch raus! Wenn Sie hier nicht teilnehmen wollen, gehen Sie raus. Ich glaube auch nicht, dass Sie geistig anwesend sind, ansonsten hätten Sie als PGF so einen Unsinn nämlich nie durchgehen lassen.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Versuchen Sie es mal!)

Pro wäre – Kollege Tischner hat das schon gesagt –, es gibt so in etwa seit zwei, drei Jahren insbesondere von sogenannten Chronobiologen, also von Schlafforschern, Erkenntnisse bzw. Studien, die sagen, in einer gewissen Entwicklungsphase haben insbesondere Jugendliche ein anderes Schlafverhalten, ein anderes Schlafbedürfnis, am Abend eher später und am Morgen eher länger. Das kennen wir alle, wir waren alle mal jung. Manch einer hat das heute noch, wie man ja bei Herrn Höcke sieht. Aber diese Studien – und auch das hat Kollege Tischner schon ausgeführt – wurden nicht in der Breite getestet, sondern sie setzen tatsächlich an einzelnen Ergebnissen an. Es gibt in Seattle Schulen, da hat man das gemacht und hat in einem Fach, nämlich in Biologie, festgestellt, dass es über die Jahre Verbesserungen gab um einen Leistungspegel von etwa 4,5 Prozent. In einem Fach – deswegen diskutieren wir heute hier! Es gab auch noch in Singapur Schulen, die das ausprobiert haben und es gibt auch andere Systeme; in Finnland zum Beispiel gibt es auch andere Schulanfangszeiten, aber das ist da nicht neu, da kann man überhaupt nicht messen, ob das eine andere Wir

kung hat. Es gibt Studien, die erste Ansatzpunkte bringen, aber was es für die Jugendlichen tatsächlich bringt, sagen uns die Studien nicht.

Zweitens: Ja, es gibt veränderte Lebenswelten. In Zeiten der Industrialisierung, in Zeiten des Fordismus, gab es klare Anfangszeiten für Eltern. Parallelisiert hat dann entsprechend die Schule angefangen. Wir sind eher so in dem Übergang von der Dienstleistungsgesellschaft in das Zeitalter der Digitalisierung. Da arbeiten Menschen anders und dementsprechend, aber eben auch nicht flächendeckend, gibt es andere Familienzeiten, dementsprechend gibt es also auch Bedarfe, das anzupassen etc. Darüber kann man sich unterhalten. Aber wir sind tatsächlich erst in einem Verfahren. Und ja – das lese ich in der Begründung von der sogenannten Alternative auch überhaupt nicht –, im Bereich der Ganztagsschule gibt es gute Gründe zu sagen, wir fangen etwas später an, weil wir das über den ganzen Tag strecken, wir machen es rhythmisiert etc. Das ist pädagogisch sehr wohl, auch schulorganisatorisch, gut angelegt. Zum Beispiel in der Schule meiner Kinder, die fangen 8.15 Uhr an, auch wegen des Schülerverkehrs, aber auch, weil es eine echte Ganztagsschule ist. Das kann man so machen – alles gut. Aber es gibt auch klare Argumente, die dagegen sprechen. Wie ich schon gesagt habe: Verschiebung in den Nachmittag; die Stundentafel, die bestehen bleibt; der ÖPNV, der anzupassen ist. Das würde einen erheblichen Umstellungsbedarf bringen, von den sogenannten ElternTaxis mal ganz abgesehen, wo man gemeinsam frühstückt und Eltern heute ihre Kinder dann in die Schule bringen. Wenn die Schule eine halbe Stunde oder eine Stunde später anfängt, möchte ich mal die Diskussionen sehen, wie das abzusichern ist. Aber natürlich auch das Freizeit- und Vereinsleben – die sogenannte Alternative, die immer Trachtenvereine hochhält –, wichtiger Bereich, unser Vereinsleben. Ich war in meiner Jugend eigentlich jede freie Minute irgendwo auf dem Fußballplatz, war zum Training etc. Das müsste alles angepasst und umgestellt werden, entsprechend auch im ländlichen Raum, dann natürlich auch Chorzeiten etc.

Aber das Besondere und das Wichtigste ist – und auch das hat Kollege Tischner schon gesagt –, die Schulen regeln das selbst in Thüringen. Wenn es in den Schulen, in den Lehrerkonferenzen, Schulkonferenzen, Abstimmungen mit den Schulträgern, mit denjenigen, die dort auch den ÖPNV sicherstellen, Bedarfe gibt, das anzupassen, dann werden die das machen.

Ich bin schon wirklich ziemlich erstaunt, dass eine Fraktion, die in einem anderen Tagesordnungspunkt heute das Hohelied auf die Freiheit gesungen

hat, jetzt so strikte zentralistische Vorgaben machen will. Das müssten Sie mal erklären, wie Sie das verantworten können.

In der Presse war diese Woche zu lesen: Es ist das Wahljahr und da versucht auch diese Fraktion, sich irgendwie zu profilieren. Es ist auch schon gesagt worden, wie wenig dort eigentlich von Schule drinsteht – eigentlich gar nichts –, genau null. Was wir an Herausforderungen in Schulen haben, steht in unserem Schulgesetz – da kann man unterschiedlicher Meinung sein, Kollege Tischner. Das werden wir auch nächste Woche im Ausschuss haben und dann weiter in der Diskussion zum Schulgesetz. Alles in Ordnung, das gehört hierher, das gehört dazu. Aber wenn ich lese, dass eine Fraktion, die sich als „alternativ“ bezeichnet, im Bereich der Bildungspolitik genau einen Vorschlag hat, dass Sie länger schlafen wollen, da sage ich: „Gute Nacht, Fraktion! Schlaft mal.“ Das entspricht nun überhaupt nicht dem, was wir an Herausforderungen haben.

Festzuhalten bleibt: Es ist eine blanke Phantomdebatte, die mit diesem Vorschlag hier angeregt worden ist.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Dafür reden Sie ganz schön lange!)

Ach, Sie sind ja auch noch da. Ich dachte, Sie wollten gehen, um auszuschlafen.

Zweitens: Dieser Vorschlag ist gänzlich ungeeignet, Schüler tatsächlich zu fördern.

Und drittens: Das bewährte System der Abstimmung an den Schulen halten wir für gut und zentralistische Vorgaben bezüglich der Schulanfangszeit/der Unterrichtsanfangszeiten lehnen wir ab. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der SPD hat Abgeordneter Hartung das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste auf den Tribünen, da hat die AfD also das Allheilmittel gegen den Konsum koffeinhaltiger Getränke, Nikotin oder andere stimulierende Substanzen gefunden. Das heißt: einfach länger schlafen, besseres Schulklima. Ob das nun wirklich an der Lebensrealität dran ist, das glaube ich eher nicht. Ich glaube vielmehr, gerade Heranwachsende und Jugendliche würden bei einem späteren Schulbeginn ihr Freizeitverhalten entsprechend an

passen und möglicherweise sogar zu einem im Tagesablauf späteren Zeitpunkt genauso viele koffeinhaltige Getränke, Nikotin oder andere stimulierende Substanzen zu sich nehmen. Ich glaube, das ist nicht die Lösung, um genau diese angesprochenen Probleme zu beheben.

Gleichwohl gebe ich gern zu, dass ein späterer Unterrichtsbeginn entwicklungsphysiologisch Sinn machen kann. Das kann sein. Mein Kollege Frank Paulus, Leitender Psychologe der Klinik für Kinderund Jugendpsychiatrie des Universitätsklinikums des Saarlands, sagt dazu: Ja, ein späterer Unterrichtsbeginn ist ein Knopf, an dem man drehen kann. Viel bedeutender ist aber das, was am Abend davor passiert. Das heißt, bedeutender ist zum Beispiel das Vermeiden später Hausaufgaben. Und da beißt sich die Katze wieder in den Schwanz: Wenn ich nämlich später zur Schule gehe, längeren Unterricht habe, mache ich meine Hausaufgaben naturgemäß später, weil ich die Schule später verlasse und deswegen die Hausaufgaben erst später anfangen kann.

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Nein, die können auch gemacht werden!)

Gleichzeitig ist ein ganz wesentlicher Faktor die Frage: Computerspiele, Internet etc. Und mit am bedeutendsten ist die Frage: Gehört das Bett tatsächlich dem Schlaf oder dem Smartphone? Das sind wesentlich wichtigere Dinge, die man regeln muss, wenn man tatsächlich möchte, dass die Kinder einen entspannteren Schlaf, einen besseren Schulbeginn haben. Das würde aber derart in die Lebensführung eingreifen, dass selbst die AfD das, glaube ich, nicht in ein Schulgesetz …

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Smartphone-Verbot in Bet- ten! Ich seh’ das schon!)

Für Schüler, Madeleine, für Schüler!

(Unruhe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe ja nicht gesagt, dass ich das fordere, Madeleine.

So weit zunächst erst mal die medizinische Sicht.

Ich würde aber gern noch mal kurz Bezug auf die Lebenswirklichkeit hier bei uns nehmen. Ich glaube, wir haben eine freiwillige Lösung, wir haben die Möglichkeit, dass Schulen ihren Unterrichtsbeginn auf später verschieben. Das machen nicht sehr viele, aber möglich ist es. Das ist der AfD zu wenig, sie möchte es für alle zwingend vorschreiben. Ich habe mir das mal so durchdacht. Das ändert doch für den Schüler erst mal gar nichts, denn die Lebenswirklichkeit heißt ja, dass Eltern normalerweise

(Abg. Wolf)

auch berufstätig sind, die gehen irgendwann arbeiten und in aller Regel hat sich da etwas eingespielt. Ich mache meine Kinder für die Schule fertig, ich bringe sie entweder zur Schule oder zum Bus oder was auch immer oder ich schicke sie los. Wenn ich also die Kinder nur länger im Haus behalte, aber den Arbeitsablauf der Eltern nicht verändere, heißt das also, sie machen sie zwar zur selben Zeit fertig, aber die Kinder müssen praktisch das Haus später verlassen. Das bedeutet, ich würde die Grundschüler der ersten oder zweiten Klasse eventuell alleine auf den Schulweg schicken, wo sie bislang von ihren Eltern gegebenenfalls begleitet werden konnten. Das ist doch keine Verbesserung für die Schüler, das ist doch abzulehnen. Am Ende stellen wir gerade die Eltern von Grundschulkindern dann vor die Wahl, entweder sie verändern ihren Arbeitsablauf, um ihre Kinder anders und zu einer anderen Zeit zur Schule begleiten zu können, oder aber sie müssen in Kauf nehmen, dass, wenn sie zur Arbeit gehen, ihre Kinder noch nicht in einer guten Betreuung aufgehoben sind. Das kann es doch nicht sein.

Am Ende zielt es meines Erachtens auf das relativ antiquierte Familienbild der AfD hin, dass sich ein Elternteil, für gewöhnlich wahrscheinlich die Mutter, dann so weit beruflich freimachen muss, dass es eben genau das sicherstellen kann, dass die Schüler zu einem späteren Zeitpunkt das Haus verlassen und sie ihren Arbeitsablauf danach ausrichtet, am besten gar nicht mehr berufstätig ist. Das ist das Familienbild der AfD, das lehnen wir ab. Ich glaube, dieses Gesetz ist auch in einem Ausschuss nicht besser zu machen. Ich glaube nicht, dass wir das in irgendeinem Ausschuss brauchen, und bitte, es direkt abzulehnen. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der AfD hat Abgeordnete Muhsal das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Sehr geehrte Abgeordnete, liebe Gäste! Verehrter Herr Tischner, ich muss sagen, ich bin den Abgeordneten der SPD und der Linken ja fast dankbar, dass sie wenigstens auf Argumente und Studien eingegangen sind. Sie haben ja inhaltlich gar nichts gebracht. Das Einzige, was Sie genannt haben, ist der Landeselternvertreter – natürlich zu Recht – mit dem Stichwort „Luxusdebatte“. Sie haben aber verschwiegen, dass der Großteil des Artikels sehr positiv eingestellt war. Sie haben auch die Studien unterschlagen, die darin zi

tiert waren. Sicherlich, wir haben große Probleme im Schulsystem – das habe ich auch gesagt –, und die Landesregierung ist dabei, alles noch viel schlechter zu machen. Dennoch müssen wir doch auch mit der Zeit gehen, uns aktuelle Studien anschauen und sehen, was wir darüber hinaus noch verbessern können.

(Beifall AfD)

Wenn ich mir anschaue, wie das Schulsystem ausgedünnt werden soll, was mit dem öffentlichen Nahverkehr los ist – das wird doch alles schlimmer nach der Reform. Umso wichtiger ist es doch, dass wir uns nicht nur selbstverständlich an diesen Punkten festgreifen, an den neuen Problemen, die geschaffen werden, sondern aber auch über den Tellerrand blicken und uns noch Weiteres anschauen.

Herr Wolf, Sie haben aus Ihrer Familie zitiert. Ich möchte jetzt einmal eine Schülerin zitieren, 17 Jahre alt, Heidi. Sie sagt: „Ja, ich bin tatsächlich sehr ausgeschlafen. Dadurch, dass ich eine halbe Stunde später zur Schule muss, kann ich eine halbe Stunde länger schlafen. Und das bringt schon was, auch wenn es im ersten Moment nicht so aussieht. Eine halbe Stunde ist viel! Ich komme morgens besser aus dem Bett, schneller aus dem Bett. Ich bin besser gelaunt tatsächlich auf dem Weg zur Schule und kann dann in der Schule besser arbeiten.“ Heidi ist Schülerin am Gymnasium Marienthal in Hamburg. An diesem Gymnasium beginnt der Unterricht bereits seit drei Jahren nicht mehr um 8.00 Uhr, sondern um halb neun.

Ich sage Ihnen eins, Herr Wolf: Auch diese Schülerin ist nicht dumm, sie hat auch einen dreijährigen Erfahrungsschatz und aus dem kann sie schöpfen. Wenn Sie jetzt hingehen und von Ihrer Tochter sagen, dass deren Schule um 8.15 Uhr beginnt und Sie auch noch in Jena wohnen – das heißt, Ihre Tochter wird wahrscheinlich nicht sehr weit zu ihrer Schule fahren müssen, keinen langen Anfahrtsweg haben und sie beginnen ja auch sehr spät – dann sagen Sie ja quasi: Na ja, bei mir an der Schule wäre das ja fast schon umgesetzt, uns geht es gut, die anderen dürfen weiterleiden.

(Beifall AfD)

Also, Sie haben Ihre eigene Argumentation vollkommen konterkariert.

Nicht nur Heidi und ihre Mitschüler sind davon begeistert, auch die Schlafforscherin Frau Eva Winnebeck von der LMU München sagt dazu, dass ausgeschlafene Schüler gegenüber unausgeschlafenen deutlich im Vorteil seien, unter anderem erzielen sie bessere Leistungen in der Schule. Gleich

(Abg. Dr. Hartung)

zeitig macht Frau Winnebeck aber auch auf die Risiken von dauermüden Jugendlichen aufmerksam. Ich zitiere: „Man weiß, dass sie eher zu Alkoholkonsum neigen, dass die Depressionswahrscheinlichkeit hochgeht, dass die Neigung zu Übergewicht enorm sich erhöht. Also es gibt durchaus auch Langzeitfolgen einfach für die Gesundheit!“

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns etwas für den Lernerfolg und die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen in Thüringen tun. Lassen Sie uns das Augenmerk tatsächlich mal auf die aktuellen Studien legen und nicht immer nur irgendwie rummosern. Diese Studien stellen fest, dass ein späterer Schulbeginn für Kinder und Jugendliche deutlich besser ist als die bisherige Regelung. Lassen Sie uns also – ich appelliere an Sie – den Schulbeginn auf frühestens 8.30 Uhr legen, damit Kinder in Thüringen die besseren Lernbedingungen haben.

Die aktuellste Studie zum Thema „Unterrichtsbeginn“ stammt aus Seattle, darauf ist bislang auch noch keiner eingegangen.

(Zwischenruf Abg. Wolf, DIE LINKE: Das stimmt nicht, ich habe es gesagt!)

Dort wurde mit dem Abstand von einem Jahr das Schlaf- und Leistungsverhalten von High-SchoolSchülern beobachtet. Zu Beginn der Studie begann die Schule um 7.50 Uhr und dann wurde der Schulbeginn auf 8.45 Uhr gelegt. Das Ergebnis: Die Schüler schliefen im Durchschnitt nicht mehr 6 Stunden und 50 Minuten, sondern 7 Stunden und 24 Minuten, also 34 Minuten länger. Weil die Messungen jeweils ein Jahr auseinanderlagen, ist auch wahrscheinlich, dass die Kinder zwar ihr Freizeitverhalten angepasst haben, aber dass auch eine dauerhafte Änderung des Schlafverhaltens besteht.

Herr Dr. Hartung, Sie hatten eben mit der Änderung argumentiert. Die Studie zeigt eindeutig, dass, wenn man den Schulbeginn eine Stunde nach hinten verschiebt, die Schüler 34 Minuten länger schlafen, dass sie zwar auch noch etwas anderes machen, aber der erhöhte Schlaf trotzdem vorhanden ist. Laut dieser Studie war Folge des späteren Schulbeginns eben auch, dass die Schüler durchschnittlich um 4,5 Prozent bessere Noten hatten als vorher.

(Zwischenruf Abg. Wolf, DIE LINKE: Das ha- be ich alles gesagt!)