Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, werte Besucher auf der Besuchertribüne, ich sehe auch interessierte ehemalige Kollegen, meine Fraktion hat heute einen Polizeieinsatz zum Thema der Aktuellen Stunde gemacht, und zwar einen nicht alltäglichen Polizeieinsatz zum ersten Maiwochenende, an dessen Ende mindestens 27 verletzte Kundgebungsteilnehmer und Polizeibeamte festzustellen sind. Um es gleich voranzustellen: Es geht uns gerade nicht darum, den Einsatzbeamten vor Ort zu kritisieren, der im Wortsinn „seinen Kopf hinhalten“ muss.
19 – ich wiederhole die Zahl: 19 verletzte Polizeibeamte allein in Saalfeld. Die Hausleitung des Innenministeriums sowie die Führungsebene der Polizei müssen sich daher die Frage gefallen lassen, ob die Sicherheitslage am 1. Mai richtig eingeschätzt wurde und ob die richtigen Schlussfolgerungen gezogen wurden. Aus dem kleinen Einmaleins der Einsatzlehre: Erkenntnislage, Lagebeurteilung, Einsatzvorbereitung, Kräftedisposition, Einsatzdurchführung sowie das flexible Reagieren auf plötzliche Lageveränderungen. Ich stelle die Frage: Passte hier wirklich alles gut zusammen? Der MDR hat die zentralen Fragestellungen zu diesem Einsatz aus meiner Sicht gut auf den Punkt gebracht. Ich zitiere: Sind die Rechtsextremisten in Thüringen besser organisiert als der Verfassungsschutz oder wie kam es zu den Überfällen in Saalfeld und Weimar am 1. Mai? – so das „Thüringen Journal“ am 21. Mai. Das Bündnis „Zivilcourage und Menschenrechte“ im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt bewertete den Saalfelder Polizeieinsatz als desaströs. Soziologe Matt
Doch zu den Fakten: Zunächst nach Weimar, wo circa 40 Rechtsextremisten ein friedliches Maifest des DGB stürmten und mindestens drei Personen verletzten, darunter auch Weimars Oberbürgermeister. Aber auch in Saalfeld war die Polizeiführung nicht imstande, einen Marsch von circa 70 bis 80 Rechtsextremisten zu verhindern bzw. diesen rechtzeitig zu begleiten. Dass es sich insoweit um ein Fehlurteil der Polizeiführung handelte, haben Sie, Herr Minister, bereits in Ihrer Pressekonferenz am 4. Mai eingeräumt.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, mir ist bewusst, dass die Polizei an diesem Maiwochenende sehr wohl an ihren Grenzen war: Saalfeld, zwei Demos in Erfurt, Sügida in Hildburghausen und das Fußballderby Jena gegen Magdeburg. Gleichwohl hätte die Polizeiführung sowohl in Weimar als auch in Saalfeld besser reagieren müssen. Unabhängig von der Frage, welche Erkenntnisse Thüringer Sicherheitsbehörden im Vorfeld über rechtsextreme Gruppierungen hatten, hatte der DGB mit dessen Bezirksvorsitzender Gabriele Kailing das Thüringer Innenministerium rechtzeitig vor der Veranstaltung am 1. Mai schriftlich gebeten, die Kundgebung vor Neonazis zu schützen. Fest steht: Zum Zeitpunkt des Überfalls – das ist entscheidend – befand sich gerade mal eine Fußstreife vor Ort. Eine Fußstreife, Herr Minister, wie kann das sein? Zu klären ist auch die Frage, wie es den 40 zum Teil polizeibekannten Rechtsextremisten aus vier Bundesländern, darunter ein Großteil mit Bezügen zur NPD-Jugendorganisation – Herr Minister hat es eben ausgeführt – gelingen konnte, sich zielgerichtet, aber völlig unbemerkt auf den Überfall in Weimar vorzubereiten. Ich will es noch mal deutlich machen: 40 Rechte – und es waren eben nicht nur Mitläufer, der Minister hat es ja gesagt – kommunizieren länderübergreifend über einen längeren Zeitraum, organisieren und treffen sich, fahren dann nach Weimar und keiner merkt es. Unter Beobachtung der rechten Szene verstehen wir jedenfalls etwas anderes.
Wie bereits erwähnt, hatte der Innenminister selbst konstatiert, dass es in Saalfeld zu einer Einsatzpanne gekommen ist. Auch Frau Abgeordnete König, die selbst vor Ort war, hat auf ihrer Homepage Folgendes eingestellt, ich zitiere: „... Neonazi-Gewalt, unverantwortliche Polizeistrategie, Konsequenzen erforderlich.“ Und weiter: „Dieser Vorfall ist […] nur die Spitze des Eisberges eines zum Teil desaströsen Polizeieinsatzes am 1. Mai in Saalfeld.“ Der MDR berichtet wie folgt, Zitat: Denn obwohl fast 1.000 Polizisten im Einsatz waren, konnten knapp 100 Rechtsextremisten durch die Stadt ziehen und sich auf Gegendemonstranten stürzen. Drei Menschen wurden dabei verletzt. Völlig unbehelligt mar
schierten die Neonazis aus Sachsen-Anhalt nach dem brutalen Angriff zum Veranstaltungsort. Die Polizei griff nicht ein, weder beim Überfall, wo mindestens ein Einsatzwagen vor Ort war, noch im Nachhinein. Vor Ort herrschte Chaos, sagen selbst Polizeieinsatzkräfte. So weit der MDR.
Sehr geehrte Damen und Herren, aber auch folgende Frage ist zu klären, nämlich die Rolle von Mitgliedern der Landesregierung. So befand sich der Innenstaatssekretär im Einsatzraum in Saalfeld. Dazu gehörte offenbar auch ein Besuch bei der örtlichen Einsatzleitung. Was allerdings ausgeschlossen sein muss, ist die Weitergabe von aktuellen polizeilichen Einsatzinformationen. Völlig inakzeptabel wäre zudem die mögliche Einflussnahme auf Entscheidungen sowie polizeiliche Einsatzmaßnahmen. Die Fragen liegen damit auf der Hand: Welche Absprachen gab es zwischen Herrn Staatssekretär, der polizeilichen Einsatzführung sowie Mitgliedern des Thüringer Landtags? Was war Intention, was war Inhalt der Gespräche und mit welchen Konsequenzen? Diese und weitere Fragen gilt es dringend zu klären.
Fakt ist auch – und damit komme ich zum Schluss –, dass die Landesregierung ihre Kernaufgabe, nämlich den Schutz der Bevölkerung, sträflich missachtet hat. Diesem Anspruch, dieser Kernaufgabe wurden weder die Landesregierung noch die Polizeiführung gerecht.
Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Schon beim Lesen der Aktuellen Stunde – Herr Walk, die Kritik geht in Ihre Richtung, das müssten Sie besser wissen; dass Sie alle diese drei Tage auch aus Polizeisicht in einen Topf werfen, ist nicht ganz redlich, wenn ich das mal so sagen darf. Wir haben sowohl am 1., 2. und am 3. Mai
ganz unterschiedliche Einsatzlagen vorgefunden. Das sollten Sie vielleicht an der Stelle noch mal herausarbeiten. Ich war selber am 1. Mai in Saalfeld vor Ort und ich war am 2. Mai in Erfurt vor Ort. Für Saalfeld lässt sich an dieser Stelle feststellen, dass es bis zum Mittag dort relativ friedlich verlief, was sicherlich auch damit zu tun hatte, dass zu diesem Zeitpunkt noch nicht besonders viele Neonazis vor Ort waren. Das stellte sich dann erst im Laufe des Vormittags heraus und wuchs am Ende auf 700 Neonazis aus dem Spektrum „Der III. Weg“, der Neonazipartei, an, die dann – leider Gottes – durch die Saalfelder Innenstadt geleitet wurden, teilweise aber eben auch ohne Polizeibegleitung durch die Innenstadt geführt wurden. Es ist, glaube ich, ohne Frage, dass an diesem Tag in Saalfeld Fehler passiert sind, das steht außer Frage, das beurteile ich auch so, und ich denke, das ist uns hier auch allen bewusst. Da sind alle an dieser Stelle kritikfähig, insbesondere auch das Innenministerium. Ich finde es aber unredlich, das jetzt dem Innenministerium aufzubürden und so zu tun, als wäre dort die alleinige Verantwortung, und nicht mal die Frage zu stellen, welche Verantwortung beispielsweise die Ordnungsbehörde vor Ort getragen hat. Ich glaube, so kommen wir nicht zu einer ordentlichen Aufklärung. Wir sind aber sehr gewillt, diese ordentliche Aufklärung durchzuführen, um aus diesen Fehlern zu lernen, denn, wenn wir aus diesen Fehlern insbesondere in Saalfeld nicht lernen, können wir es auch nicht besser machen. Die Situation in Saalfeld war sehr unschön und ich muss sagen, ich bin ja nun demonstrationserfahren, was das angeht.
Ich muss ehrlich sagen, dass das an diesem Tag durchaus viele Leute als sehr chaotisch empfunden haben. Wir müssen aber auch feststellen, dass der 1. Mai in Saalfeld der größte Neonaziaufmarsch am 1. Mai war, deutschlandweit, und …
Doch! Nennen Sie mir bitte einen Naziaufmarsch, Herr Walk – das können wir nachher noch mal klären –, der an dem Tag größer war und der vor allen Dingen aus einem so gewaltbereiten Spektrum kam. Von daher, glaube ich, haben wir da auch noch einiges aufzuarbeiten.
Worum geht es uns als Grüne? Wir wollen eine ganzheitliche Aufarbeitung. Es geht hier nicht nur darum zu sagen, das Innenministerium ist schuld, die Polizei ist schuld, die Ordnungsbehörde ist schuld. Wir müssen uns das in der Gesamtschau anschauen, dafür sorgen, dass so was nicht wieder
passiert, weil es richtigerweise natürlich um den Schutz der Versammlungsteilnehmer und -teilnehmerinnen und der Menschen, die sich im antifaschistischen und zivilgesellschaftlichen Spektrum engagieren, geht. Das müssen wir sicherstellen. Solche Leute dürfen keine Angst haben, wenn sie gegen Neonazis auf die Straße gehen. Ich glaube, das ist das Wichtige. Deswegen eine umfassende Aufklärung. Ihre Aktuelle Stunde greift mir da deutlich zu kurz. Das hat so ein bisschen das Geschmäckle, dass man hier dem Innenministerium etwas aufbürden will, was so einfach nicht ist.
Danke, Frau Henfling. Ich darf vielleicht noch sagen, dass sich die Demonstrationserfahrung durchaus auf verschiedene Demonstrationen erstrecken kann. Wir kommen dann zu Herrn Dittes für die Fraktion Die Linke.
Keine Angst, meine Damen und Herren, ich rede nicht über meine Demonstrationserfahrung. Das tun Sie ja häufig genug.
Herr Walk, in einem Punkt bin ich Ihnen ausgesprochen dankbar und in einem weiteren Punkt muss ich ausdrücklich und grundsätzlich Kritik an Ihrem Redebeitrag voranstellen. Das Erste: Wofür bin ich Ihnen dankbar? Dass Sie den ideologischen Schaukampf Ihrer Kollegen Mohring und Fiedler nicht nachvollzogen haben
und das Pult hier nicht dazu benutzt haben, um eine unsägliche Verknüpfung zwischen der Entscheidung der Landesregierung zur Abschaffung der VLeute und dem zu verurteilenden Angriff von Neonazis auf den DGB in Weimar herzustellen. Dafür bin ich Ihnen dankbar. Ich werde aber im Verlauf meines Redebeitrags dennoch etwas dazu sagen müssen, weil Ihre Fraktion genau diesen Zusammenhang in die öffentliche Diskussion gestellt hat.
Was ich kritisiere, ist, was ich schon seit einiger Zeit in Ihrer Fraktion beobachte: Sie stellen sich im Rahmen der Aktuellen Stunde hier hin, verlangen Aufklärung und sagen, dass Sie viele Fragen haben, zählen die auch auf, aber eine Woche zuvor im Innenausschuss haben wir genau diese Fragen
thematisiert. Es ist Ihnen doch auch bewusst, dass Sie diese Fragen, die Sie hier stellen, gar nicht im Rahmen einer Aktuellen Stunde, in einem 5-Minuten-Redebeitrag erörtert bekommen. Es geht Ihnen letztendlich um den Effekt. Aber – und das will ich Ihnen zugutehalten – ein Effekt ist natürlich mit einer Aktuellen Stunde verbunden und der muss nicht per se schlecht sein, sondern ist auch ein politisches Signal.
Ich glaube, da fehlten mir an Ihrem Beitrag einige politische Signale, die wir tatsächlich aussenden müssen, auch hier von diesem Pult aus. Ich will Ihnen eines nennen, das haben die beiden Vorredner bislang nicht getan. Unsere Anteilnahme gilt als Erstes den beiden Menschen, die in Saalfeld schwer verletzt worden sind,
von denen ich weiß, dass mindestens einer dieser Beratung beiwohnt. Unsere Anteilnahme gilt auch denen, die in Weimar und in Saalfeld leicht verletzt worden sind. Denn wenn wir nach diesem Wochenende etwas konstatieren und wenn wir diese Zahl der Verletzten auf der Seite derer zur Kenntnis nehmen, die ihre politische Verantwortung gerecht wahrgenommen haben, um gegen Neonazis auf die Straße zu gehen, wenn die verletzt worden sind, dann ist etwas schiefgelaufen, Herr Innenminister. Dann müssen wir auch als Koalitionsfraktionen, als Landesregierung transparent in der Öffentlichkeit für die Aufklärung der Ursachen sorgen, die nämlich tatsächlich für die Fehler verantwortlich sind, die am 1. Mai in Saalfeld vor Ort begangen oder durch wen auch immer verursacht worden sind. Da müssen wir die Frage nach der Verantwortung der Versammlungsbehörde stellen. Wir müssen die Frage nach dem Zusammenwirken der Landespolizei, der Bundespolizei und der Versammlungsbehörde stellen und wir müssen sicherlich auch einzelne Entscheidungen vor Ort hinterfragen. Aber eines, denke ich, kann man hier einmal als politisches Signal aussenden und das will ich auch aus Sicht der Linke-Fraktion deutlich tun: Die Gesamteinsatzlage vom 1. Mai bis zum 3. Mai in Thüringen war eine außerordentliche und sie führte zu einer außerordentlichen Belastung von Polizeibeamten an diesen Tagen. Wir müssen konstatieren, dass das polizeiliche Einsatzkonzept in der überwiegenden Anzahl der Einsätze tatsächlich Umsetzung gefunden hat. Aber es gab in Saalfeld ein Geschehen, was, glaube ich, tatsächlich als Fehler zu bezeichnen ist. Insofern ist die Ankündigung, dass wir hier zu einer sachlichen Aufklärung beitragen wollen, auch – und so verstehe ich das – aufseiten der Landesregierung ein Diskussionsangebot an diejenigen, die beispielsweise in der Pressemitteilung des Bündnisses aus Saalfeld ihre Erfahrungen von diesem Tag wiedergegeben haben und natürlich auch Antworten auf ihre Fragen zu polizeilichen
Entscheidungen, aber auch zu Geschehensabläufen haben möchten. Ich sehe das als ausdrückliches Diskussionsangebot auch unsererseits an diese Menschen, die dort verantwortlich politisch gegen Neonazis auf die Straße gegangen sind.
Wenn ich aber davon gesprochen habe, dass unsere Anteilnahme den Verletzten an diesem Tag in Saalfeld und in Weimar gilt, dann will ich auch eines noch hinzufügen: Unsere Anteilnahme gilt auch denen, für die die abstrakte Gefahr, die vom Neonazismus ausgeht, alltäglich auch zu einer konkreten Gefahr werden kann, und zwar in den Situationen, in denen sie sich als Punk, als Mensch mit Behinderung, als Linker an Abenden in Stadtteilen bewegen, in denen sie tatsächlich auch Angriffen, Diffamierung, Beleidigung und Bedrohung ausgesetzt sind. Denen gilt unsere Anteilnahme,
auch wenn wir von deren Situation wenig in den Medien lesen und auch wenig hier im Thüringer Landtag selbst diskutieren. Aber, meine Damen und Herren – das will ich Ihnen ganz deutlich sagen – der CDU-Fraktion, auch wenn Sie, Herr Walk, das ausdrücklich hier in Ihrem Beitrag nicht getan haben: Wer nach dem 1. und 3. Mai die Angriffe in Weimar und in Saalfeld dazu missbraucht, um eine ideologische Debatte um den Einsatz von V-Leuten im neonazistischen Spektrum zu führen, der instrumentalisiert Opfer neonazistischer Gewalt,
und das ist schamlos und das ist politisch verantwortungslos und das weise ich im Namen unserer Fraktion mit aller Entschiedenheit zurück. Vielen Dank.