Protokoll der Sitzung vom 05.07.2019

Darüber hinaus muss man auch anerkennen, dass die Art der Haftung für viele nicht klar war. Viele Bürgschaftsgeber haben geglaubt, dass sie nur für Leistungen im Sinne des Asylbewerberleistungsgesetzes bürgen und nicht für Leistungen des SGB II, und die haben dann vor Gericht auch Recht bekommen. Das heißt, die Rechtslage ist durchaus unterschiedlich bewertet worden und sie ist nicht so einfach, wie hier von der AfD mit einer sehr einfachen Weltsicht dargestellt.

Es ist außerdem auch so – und auch das gehört dazu und Herr Herrgott hat ja die Frage von Bürgen angesprochen –, wenn ich eine Bürgschaft annehme, sollte ich auch so viel Sorgfalt walten lassen, um zu schauen, ob derjenige überhaupt bürgen kann. Es gibt eine ganze Reihe von Flüchtlingsbürgen, die selbst Sozialleistungen empfangen, die bei keiner Bank für eine Bürgschaft zugelassen worden wären. Und auch das ist ein Hinderungsgrund, Geld zurückzufordern.

Das bedeutet im Fazit: Es gibt ganz unterschiedliche Gründe, warum solche Rückforderungen nicht vorgenommen werden.

Und jetzt kommt die AfD mit ihrem Antrag und möchte den Rechtsstaat durchsetzen. Aber das genau tun wir doch. Der Bürge kann nicht dafür haftbar gemacht werden, wenn unterschiedliche Behörden unterschiedliche Rechtsauffassungen haben. Er kann nicht dafür haftbar gemacht werden, wenn Behörden ihrer Überprüfungspflicht nicht nachkommen. Und er ist ausdrücklich davor zu schützen, dass er haftbar gemacht wird für einen Umstand, wenn er selbst von den Behörden nicht angemessen informiert worden ist. Und genau das passiert.

Was die AfD mit ihrem Antrag suggeriert, das ist das ganz Typische: Es werden Unwahrheiten, Halbwahrheiten verbreitet. Es wird versucht, gegen die Flüchtlingsbürgen – wir haben es ja hier gerade von Frau Herold erlebt – Stimmung zu machen. Es wird versucht, eine Neiddebatte aufzubringen, dass nur die wohlhabenden Flüchtlingsbejubler solche Bürgschaften übernommen haben. Das Gegenteil ist der Fall. Es wird hier versucht, die Gesellschaft zu spalten, es wird versucht zu hetzen, es wird versucht zu lügen. All das kann man von Rassisten und Nazis nicht anders erwarten.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Das ist ei- nen Ordnungsruf wert!)

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Füh- len Sie sich angesprochen, Herr Kießling? Das war selbstentlarvend!)

Diese Politik, die versucht, die Wurzeln unserer Gesellschaft durch Spaltung, durch Hetze, durch Lügen aufzufressen, die versucht, die Solidarität in unserer Gesellschaft zu diskreditieren, die versucht, die Verbindungen, die die Menschen untereinander haben, aufzufressen und zu zerstören, man könnte fast sagen, die Politik der AfD ist dasselbe für unsere Gesellschaft wie der Borkenkäfer für den Wald. Es zerstört sie nach und nach.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Oder man sagt es anders: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass von der AfD ein Antrag kommt, der unsere Gesellschaft voranbringt, den Menschen nützt oder einfach mal was Gutes tut.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe ja die Hoffnung, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass sich das Problem selbst erledigt. Wir sehen das in Rostock, wo sich die AfD gerade gestern aus dem Hauptausschuss rausgewählt hat. Wir sehen es in Sachsen, wo wir gesehen haben, dass sie nicht in der Lage sind, eine demokratische Wahl mit einer Wahlliste am Ende aufzustellen. Und ich hoffe, dass die AfD in Thüringen von ihren Kollegen in Sachsen und MecklenburgVorpommern lernt und genauso klug ist

(Beifall DIE LINKE)

oder – um das mal zu zitieren, wie ich es zu Hause bei solchen Sachen gelernt habe – genauso dumm ist, dass sie die Schweine beißen. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke schön. Gibt es weitere Wortmeldungen? Ja, bitte schön, Herr Möller von der AfD-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste! Das war ja eine bemerkenswerte Rede, Herr Dr. Hartung, in der Sie Menschen mit Borkenkäfern vergleichen. Das ist schon ein starkes Stück.

(Zwischenruf Abg. Dr. Hartung, SPD: Hören Sie bitte zu!)

(Abg. Dr. Hartung)

Ich meine, anderen dann Hetze vorwerfen und Hass zu säen, das können Sie immer noch gut.

(Beifall AfD)

Es ist schon genial, wenn man bei sich im Gehirn solch einen tollen Doppelstandard eingebaut hat, dann geht das einfach ganz flugs vom Rednerpult weg.

(Zwischenruf Abg. Dr. Hartung, SPD: Nein, Politik, Herr Möller!)

Aber zu Ihnen komme ich zum Schluss noch mal. Fangen wir mal damit an, was Frau Rothe-Beinlich gesagt hat. Ihr erstes Argument war ja: Mit dem Thema müssen wir uns überhaupt nicht auseinandersetzen, weil es eine Bundesangelegenheit betrifft. Das finde ich interessant. Als ob wir uns hier heute zum allerersten Mal mit einer Bundesangelegenheit auseinandersetzen.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein, Sie machen Stim- mung!)

Ich erinnere mich unter anderem, dass wir uns – am Mittwoch war es, glaube ich – mit irgend so einem Menstruationssteuerantrag von den Linken auseinandergesetzt haben.

(Beifall AfD)

Nehmen Sie es mir nicht übel, da ging es um die Umsatzsteuer wohlgemerkt. Ja wenn das mal keine Bundesangelegenheit oder wenigstens Angelegenheit der konkurrierenden Gesetzgebung ist, dann ist das …

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Die Umsatzsteuer ist eine Gemeinschaftssteuer! Daran sind wir beteiligt!)

(Beifall DIE LINKE)

Es geht um die Gesetzgebungskompetenz, Herr Kuschel. Wenn Sie keine Ahnung haben, einfach mal die Klappe halten!

(Beifall AfD)

Bitte mal Mäßigung.

Das Land ist mit Sicherheit nicht für die Gesetzgebung zur Umsatzsteuer zuständig, das kann ich Ihnen schon mal verraten. Sehen Sie mal nach.

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Die ist zustimmungspflichtig im Bundesrat! Keine Ahnung vom Staatsrecht, das ist peinlich!)

Jedenfalls ist das nie ein Grund gewesen, hier in Thüringen am Rednerpult nicht auch zu Dingen zu sprechen, die beispielsweise auch Sachverhalte der Bundespolitik oder auch der konkurrierenden Gesetzgebung betreffen.

Vielleicht noch mal zu einem weiteren Argument: Stimmungsmache gegen den Rechtsstaat. Ganz ehrlich, wenn man bürgt und die Bürgschaft ist zugunsten des Rechtsstaats oder des Staats, dann ist es Aufgabe des Rechtsstaats, dass die Bürgschaft im entsprechenden Fall, die Forderung dann auch geltend gemacht werden kann, dass sie dann auch beim Schuldner eingeholt wird. Das ist Rechtsstaat.

(Beifall AfD)

Und dass man dann nicht schaut: Was haben die Leute beabsichtigt, haben sie dabei ein gutes Gewissen gehabt, haben sie sich vielleicht auch nur selbst ihr Gewissen erleichtern wollen. Was auch immer dahinter gestanden hat, ist im Grunde irrelevant. Wer bürgt, wird erwürgt, das ist ein klassischer alter Satz. Wer bürgt, muss dann auch zahlen. So.

(Beifall AfD)

Wenn ich höre, Thüringen liegt da irgendwo im Mittelfeld, dann ist das der falsche Ansatz. Wenn ich eine Bürgschaftsforderung habe, dann ist die einzuholen. Ich kann natürlich damit vor Gericht gehen, ich kann damit im Einzelfall auch vor Gericht Schiffbruch erleiden, weil beispielsweise vielleicht wirklich getäuscht worden ist; das dürfte selten genug der Fall sein, dass dieses harte Kriterium eintritt. Dann kann ich in der Tat eine Bürgschaft nicht einholen. Ich kann auch nicht im Vorfeld als Staat auf die Bürgschaftsforderung verzichten, bloß weil der Bürger sozial schwach ist. Denn immerhin kann ich mir mit einem Urteil einen vollstreckbaren Titel verschaffen, der 30 Jahre lang vollstreckbar ist, und wer weiß, vielleicht in fünf bis zehn Jahren ist das Vermögen dann da, um diese Forderung zu vollstrecken.

(Beifall AfD)

Wer eine Bürgschaft unterschreibt, auch angesichts der Tatsache, dass der Umfang der Haftung unklar ist, zum Beispiel die Reichweite der Bürgschaft im zeitlichen Horizont oder auch was den inhaltlichen Bereich angeht, sachlichen Bereich angeht, der ist selbst daran schuld. Bürgschaften sind ja nun nichts, was in unserem Rechtsleben einzigartig auf Asylsachverhalte angewendet wird. Frau RotheBeinlich hat es reingerufen, im familiären Bereich sind Bürgschaften durchaus üblich. Üblich ist dabei auch, dass natürlich der Bürge, der familiäre Bürge erwartet, dass die Bürgschaft nicht gezogen wird.

Das ist dieselbe Ausgangsposition wie in dieser Flüchtlingsangelegenheit. Kommt da irgendjemand auf die Idee zu sagen: „Na ja gut, da wollen wir dich mal in deiner Erwartungshaltung nicht täuschen und verzichten jetzt auf die Einholung der Bürgschaft“? Nein, das ist nicht der richtige Ansatz. Bürgschaftserklärungen sind erhebliche Rechtserklärungen, die werden sich am Ende auch gegen den richten, der das als geschäftsfähiger Mensch unterschrieben hat.

Die Sache mit dem Menschenaufstacheln – ich weiß gar nicht, ob ich darauf jetzt noch eingehen sollte. Vielleicht nur so viel: Es ist natürlich sehr wohlfeil, sich selbst das Gewissen zu erleichtern, sich dann immer positiv darzustellen. Man hat so eine Bürgschaft abgegeben, man hat was getan, hat sich erleichtert, hat sich als guter Mensch hingestellt, als hilfsbereiter Mensch dargestellt. Nur, das ist eben eine sehr schale Geschichte, wenn die eigentliche Hilfe nicht von einem selbst bereitgestellt wird, sondern dann vom Rest der Gesellschaft bezahlt werden muss,

(Beifall AfD)

selbst vom Hartz-IV-Empfänger, der auf seine Milch im Supermarkt noch die 7 Prozent Umsatzsteuer zahlen muss und dafür dann natürlich auch mit zur Finanzierung des Gesamthaushalts beiträgt, von dem dann entsprechende Leistungen abfließen. Das Geld wird dann eben nicht bei den Bürgen eingeholt, sondern es wird wieder von der Allgemeinheit eingeholt. Das ist natürlich eine unredliche Geschichte. Dagegen wendet sich unser Antrag. Und das ist – denke ich – durchaus ein legitimes Ziel. Das hat nichts mit Aufstachelung zu tun oder Menschenhass oder was auch immer,

(Zwischenruf Abg. Müller, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein, nein!)

das ist einfach die Durchsetzung des Rechtsstaats, die wir fordern – mehr nicht.

(Beifall AfD)