Protokoll der Sitzung vom 05.07.2019

Ja, Sie haben in der Zeit auf Steuerzahlerkosten mit der AfD-Bundestagsfraktion dann eine Reise nach Syrien unternommen und dort die Diktatoren getroffen,

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Aus privater Kasse!)

sich mit ihnen an einen Tisch gesetzt und hinterher behauptet, in Syrien könnte man sich wunderbar aufhalten, das wäre alles überhaupt gar kein Problem. So verächtlich, so falsch und so verlogen agiert die AfD.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie versuchen einmal mehr Stimmungsmache, Stimmungsmache gegen Geflüchtete, Stimmungsmache gegen den Rechtsstaat und Stimmungsmache auch gegen die rot-rot-grüne Landesregierung. Dabei geht es um Menschen, die im Rahmen der Landesaufnahmeprogramme für syrische Geflüchtete in den Jahren 2014/2015 und folgende Verpflichtungserklärungen zugunsten von Angehörigen hier lebender Geflüchteter unterschrieben haben, denn Familien gehören zusammen und das sollte grundsätzlich gelten.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Verpflichtungsgeberinnen und ‑geber wurden bzw. werden mit Forderungen der Jobcenter konfrontiert, weil die Erstattungen der Lebenshaltungskosten für die aufgenommene Person auch dann zu leisten sind, wenn die unter die Verpflichtungserklärung fallenden Geflüchteten mittlerweile einen Schutzstatus vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erhalten haben und gleichzeitig während und/oder nach der Anerkennung zum Beispiel staatliche Leistungen in Form von ALG II oder Sozialhilfe in Anspruch genommen haben.

Diese Forderungen der Jobcenter erscheinen gerade deshalb fragwürdig, da die Verpflichtungsgebe

rinnen und ‑geber vor Abgabe dieser Erklärung entweder falsch oder zumindest irreführend beraten wurden. So haben viele Landesregierungen, insbesondere in Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Thüringen, lange Zeit die Rechtsauffassung vertreten, dass die Verpflichtung und Bürgschaft mit der Flüchtlingsanerkennung und Schutzgewährung im Bundesgebiet auch erlischt.

Erst viel später wurden manche darauf hingewiesen, dass Jobcenter und Bundesinnenministerium offenkundig eine andere Auffassung vertreten, nämlich dass die abgegebene Verpflichtungserklärung auch nach einer Schutzgewährung weiter gilt. Mit dem Integrationsgesetz auf Bundesebene im Jahr 2016 ist nun die Rechtslage klargestellt worden, nämlich dass Verpflichtungserklärungen maximal fünf Jahre gelten, bei Altfällen drei Jahre, auch über den Rechtskreiswechsel hinaus.

Außerdem hat das Jobcenter eine Weisung erteilt, dass bei Altfällen im Ermessenswege von der Heranziehung der Verpflichteten im Zusammenhang mit Landesaufnahmeprogrammen abgesehen werden soll. Da es sich beim Aufenthaltsgesetz um Bundesrecht handelt und die Bundesbehörden entsprechende Regelungen und Weisungen getroffen haben, geht der Antrag der AfD ins Leere.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich muss es noch einmal sagen: Es ist weder hier im Land zu regeln, noch ist es ein Thema, was tatsächlich – wie Sie suggieren – hier quasi die Landeskassen belasten würde. Im Gegenteil, es gibt Rechtsansprüche und Rechtsansprüche ergeben sich aus dem Status der- und desjenigen, den er oder sie innehat. Und dass die AfD hier auf derart schäbige Art und Weise gegen syrische Geflüchtete und ihre Familienangehörigen und auch gegen diejenigen, die ihnen geholfen haben, hier anzukommen, die ihnen in beispielloser Form ermöglicht haben, ihre Familien nachzuholen, damit Familien zusammenleben können und die Familienangehörigen nicht im Krieg oder in ungewissen Zuständen ausharren müssen, Stimmung macht, ist schlichtweg schäbig. Der Antrag sagt mehr über die AfD als alles andere.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke schön. Als Nächster spricht Abgeordneter Herrgott von der CDU-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich kann ja die Forderung der AfD-Fraktion grundsätzlich verstehen, dass man Recht umsetzt. Das ist eine Forderung, die – denke ich – jeder Fraktion in diesem Haus grundsätzlich guttut, diese auch zu unterstützen. Aber dann kommt – wie meistens bei den Kollegen der AfD-Fraktion – wieder die Irreführung und die falsche Zuständigkeit. Hier im Thüringer Landtag sind wir nun mal nicht für das Beitreiben der Gebühren der Jobcenter zuständig, auch die Thüringer Landesregierung ist dafür nicht zuständig.

Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen und das können Sie auch glauben: Die kommunalen Behörden und die Jobcenter werden das Geld, so sie diese Rechtsauffassung vertreten, beitreiben. Das werden sie tun, auch wenn die rot-rot-grüne Landesregierung bis vor wenigen Jahren eine andere Rechtsauffassung vertreten hat. Die ist aber inzwischen – so hat Frau Rothe-Beinlich eben schon ausgeführt – klargestellt und Rot-Rot-Grün wird auch den Jobcentern das Geld in anderer Weise – obwohl sie eine andere Rechtsauffassung hatten – nicht erstatten. Somit wird man vor Ort, dort, wo es hingehört, Recht entsprechend umsetzen.

Und, meine Damen und Herren, in Ihrem zweiten Punkt, das Thema der Beitreibungsmaßnahmen: Auch da ist die Landesregierung leider nicht zuständig. Sie würde es wahrscheinlich auch nicht tun, aber sie ist auch trotzdem nicht zuständig. Das liegt ebenfalls in der Obhut der entsprechenden Behörden und auch das werden sie, wenn sie die Rechtsauffassung vertreten, dass ihnen dort Geld zusteht, beitreiben. Und ich kann nur allen Behörden anraten, dies auch mit aller Konsequenz und Härte beizutreiben.

Was die Beratungsangebote angeht: Wenn Sie sich mit Jobcentern und Behörden in Thüringen und auch darüber hinaus verständigt hätten, wüssten Sie, dass, sofern heute überhaupt noch irgendjemand auf die Idee käme, nach der gesamten Medienberichterstattung solch eine Bürgschaft in allen Dingen abzugeben, entsprechend beraten wird, die Rechtslage klar dargestellt wird. Und wer dann immer noch so eine Bürgschaft unterschreibt, das ist dann dessen Privatangelegenheit, meine Damen und Herren. Deswegen brauchen wir da auch keine zusätzlichen Beratungsangebote oder irgendwas. Das läuft hier ins Leere.

Wer so eine Bürgschaft eingeht, der weiß, was er tut. Das wusste er vor der Zeit von 2015 und 2016, das weiß jeder Volljährige, der in diesem Staat lebt. Denn eine Bürgschaft ist für jeden Privatmann ein

unkalkulierbares Risiko und darauf sollte man insbesondere hinweisen. Denn wer eine Bürgschaft eingeht und das unterschreibt, muss mit allen Konsequenzen daraus leben, nicht nur beim Thema des Familiennachzugs und der Anerkennung von Flüchtlingen, sondern auch bei jeder anderen Bürgschaft, die man im Leben eingeht.

Da kann ich jedem nur das Zitat meines ehemaligen BWL-Professors ans Herz legen: Für eine Bürgschaft im privaten Bereich gilt: Bürge nie! Herzlichen Dank.

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hoffentlich brauchen Sie nie jemanden!)

Danke schön. Für die Fraktion Die Linke hat Frau Abgeordnete Berninger das Wort.

Was für ein freundlicher Mensch, der Professor.

Meine sehr geehrten Damen und Herren der demokratischen Fraktionen, sehr geehrte Frau Präsidentin, zum Antrag der rechtspopulistischen Fraktion ist nicht viel zu sagen – es ist ja schon einiges gesagt worden. Es genügt, die infame Unterstellung zurückzuweisen und sich dem entgegenzustellen, was eigentlich hinter diesem Antrag steckt.

Die Einbringerin hat schon ganz deutlich gemacht, worum es ihr geht, nämlich darum, Menschen gegeneinander aufzuhetzen und beispielsweise zu behaupten, dass unter den Bahnhofsklatschern nur Wohlhabende wären, dass sich nur wohlhabende Menschen für die Solidarität mit Geflüchteten interessieren und dass das nichts für die kleinen Leute wäre. Dem ist nicht so, meine Damen und Herren. Ich kenne so unendlich viele Leute, die am Ende des Monats nicht wissen, wie sie noch einkaufen gehen sollen, die überlegen müssen, wie sie ihre Miete bezahlen, und die dennoch Menschen helfen,

(Zwischenruf Abg. Herold, AfD: Mit Steuer- geld!)

die in ihrer Umgebung wohnen und die Hilfe brauchen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Antrag unterstellt, die Behörden hätten die Flüchtlingspaten über die finanziellen Verpflichtungen nicht ausreichend beraten. Ich kenne solche Geschichten nicht, wie Frau Rothe-Beinlich sie ge

rade erzählt hat. Ich habe immer das Gefühl gehabt, dass die Verpflichtungsgeberinnen sehr genau wissen, worauf sie sich einlassen. Das hat in den Gesetzen und Regelungen auch ganz deutlich gestanden. Die Rechtspopulisten wissen das. Das Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz hat sehr ausführlich für jede einzelne Behörde in Thüringen beschrieben, wie die Beratung läuft, nämlich in der Drucksache 6/7020 Anfang April dieses Jahres. Das müssen die rechtspopulistischen Abgeordneten gelesen haben, es war ja die Antwort auf ihre Große Anfrage.

Die Flüchtlingspatinnen kennen die Rechtslage und handeln dennoch. Bei ihnen handelt es sich nämlich um Menschen, die helfen wollen und die dafür unseren unendlichen Dank verdienen,

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

unseren Dank, nicht nur den der Familien, denen sie das Zusammensein ermöglichen, sondern unseren Dank für diesen Akt gelebter Solidarität. Aber das mit der Solidarität verstehen Rechtspopulistinnen ja nicht, zumindest nicht, wenn sie nicht national ist.

Was steckt hinter dem Antrag? Zunächst die Unterstellung, es ginge nicht mit rechtsstaatlichen Mitteln zu. Dahinter steckt die unterschwellige Behauptung, Recht würde verbogen, um Geflüchtete ins Land zu holen. Eine Legende, die die AfD nun schon seit einigen Jahren strickt. Es ist aber gerade andersherum. Es wurden rechtliche Grundlagen geschaffen, damit Familien wieder zueinander finden können, Familien, die wegen des Bürgerkriegs in Syrien getrennt worden waren.

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Und was ist mit den ganzen Männern?)

Familienangehörigen schutzberechtigter syrischer Geflüchteter wird durch diese Aufnahmeprogramme ermöglicht, mit einem Visum zu ihren Angehörigen zu kommen, legal und auf sicherem Weg. Aber mit Familien hat es die rechtspopulistische Fraktion ja auch nicht so, wenn sie nicht deutsch sind.

Ich bin der Landesregierung sehr dankbar, dass sie das Thüringer Landesaufnahmeprogramm bis 2020 verlängert hat. Sie ist eine der wenigen Landesregierungen, die das gemacht hat. Familienpolitik darf nämlich nicht von der Herkunft der Menschen abhängig gemacht werden, meine Damen und Herren.

Hinter dem Antrag steckt die Absicht, Menschen aufzustacheln gegen die humanitär begründete Aufnahme von Familien aus Kriegsgebieten und unsicheren Regionen, und die Absicht, Flüchtlings

patinnen abzuschrecken. Und das ist in Gänze selbstverständlich abzulehnen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke schön. Für die SPD-Fraktion hat Abgeordneter Dr. Hartung das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, es ist schon einiges gesagt worden. Trotzdem möchte ich mal darauf hinweisen, dass es sich immer mal lohnt, die Fakten anzuschauen, wenn die AfD hier solche Anträge einbringt, denn die werden in der Regel eher nicht dargestellt.

Was ist Fakt? Von den etwa 5.000 mit einer Bürgschaft nach Deutschland gekommenen Personen sind ungefähr 870 in Thüringen gelandet. Für diese 870 Flüchtlingsbürgen haben die Behörden des Freistaats auf unterschiedlicher Ebene insgesamt knapp 70 Erstattungsverfahren eingeleitet. Also es ist nicht so, dass wir überhaupt keine Verfahren hier in Thüringen haben. Es ist nicht so, dass wir das nicht machen. Wenn man das in den Kontext der Bundesrepublik einordnet, dann sind wir im Mittelfeld. Wir haben ein paar Fälle weniger als Hessen oder Niedersachsen, aber wir haben deutlich mehr Verfahren als Rheinland-Pfalz oder Sachsen. Und Sachsen ist nicht unbedingt für flüchtlingsfreundliche Politik bekannt.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie sagen es!)

So ist es. Also wir sind dort im Mittelfeld, wir sind kein besonders guter oder schlechter Freistaat, wir machen es so wie alle anderen auch.

Warum kommt es dazu, dass viele dieser Rückforderungen nicht zustande kommen oder nicht gestellt werden? Das hat ganz unterschiedliche Gründe. Einmal ist die Rechtslage alles andere als eindeutig. Es gibt beispielsweise Formulare, bei denen wird geschrieben, man bürgt, bis ein Aufenthaltstitel oder ein anderer Aufenthaltszweck erreicht ist. Da konnte man davon ausgehen – und manche sind auch so beraten worden –, dass das bedeutet, dass, wenn das Asylverfahren durch ist und der Schutzstatus anerkannt ist, die Bürgschaft endet. Davon sind viele ausgegangen, bis das Bundesverwaltungsgericht im Januar 2017 klargestellt hat: Nein, man muss weiter dafür haften und man muss weiter bezahlen. Die rechtliche Klarstellung durch den Gesetzgeber kam erst im August 2016 zustan

(Abg. Berninger)

de. Aber dabei wurde eben auch die Haftungsdauer deutlich begrenzt.

Darüber hinaus muss man auch anerkennen, dass die Art der Haftung für viele nicht klar war. Viele Bürgschaftsgeber haben geglaubt, dass sie nur für Leistungen im Sinne des Asylbewerberleistungsgesetzes bürgen und nicht für Leistungen des SGB II, und die haben dann vor Gericht auch Recht bekommen. Das heißt, die Rechtslage ist durchaus unterschiedlich bewertet worden und sie ist nicht so einfach, wie hier von der AfD mit einer sehr einfachen Weltsicht dargestellt.