Protokoll der Sitzung vom 13.09.2019

Mit der Ombudsstelle haben wir in unserem Schulgesetz übrigens auch noch ein Beschwerdemanagement gesetzlich verankert. Hier sind wir sehr gespannt, welche Entwicklung sich hier aufzeigt, und werden das mit Sicherheit auch evaluieren. Unser Ziel jedenfalls ist es, dass Bildungseinrichtungen Orte des Empowerments – der Bestärkung, um das für Sie zu übersetzen – und der Vielfalt werden. Schule als Ort von Empowerment heißt beispielsweise, dass die Schule unsere Kinder und Jugendlichen dazu befähigt, eigene Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen und eigene selbstbestimmte Entscheidungen für das Leben zu treffen. Deshalb: Man kann dieses Gesetz der AfD tatsächlich nur ablehnen. Vielen herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt hat sich Abgeordneter Dr. Hartung noch mal zu Wort gemeldet. Nicht? Dann nehme ich erst Abgeordneten Wolf dran.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Es ist schon viel gesagt worden. Ich danke ausdrücklich Astrid Rothe-Beinlich für die umfängliche Einlassung zu diesem Gesetzentwurf der AfD. Ich möchte mich eigentlich nur zu zwei Punkten kurz äußern, die mich wirklich noch mal hier vorgetrieben haben.

Erstens: Die AfD beruft sich auf ein einschlägiges Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1977, in dem der Schule im Umgang mit der Sexualerziehung Sensibilität, Indoktrinierungsverbot und Berücksichtigung der Erziehungsziele der Eltern sowie allgemeine Zurückhaltung aufgegeben worden waren, und verlangt in diesem Zusammenhang die Festschreibung der sogenannten Kernfamilie – also Sie verlangen das, nicht das Bundesverfassungsgericht – als strategisches Erziehungsziel innerhalb der Sexualerziehung. Der Gesetzesvorschlag enthält gegenüber dem auch vom Bundesverfassungsgericht festgestellten staatlichen Auftrag der Schule für Gesundheitsförderung und Sexualerziehung sowie dem ebenso zu beachten

(Abg. Rothe-Beinlich)

den Recht der Kinder auf eine freie und gesunde Persönlichkeitsentwicklung eine zu weitgehende und damit deutliche Überdehnung der Rechte der Eltern. Es ist nicht klar, was gewonnen sein sollte, wenn die Eltern über jeden Satz, der in der Schule im Zusammenhang mit Sexualität fällt, vorab zu informieren sind, abgesehen davon, dass es unter den Eltern sicher sehr verschiedene Meinungen zu den Dingen gibt, die die AfD so umtreiben, und ebenso abgesehen von dem gigantischen bürokratischen Aufwand, von dem Sie hier in Ihrem Verlangen gar nicht reden, die die Schulen aber belasten würden. In seinem Grundsatzurteil hat das Bundesverfassungsgericht 1977 befunden, dass auch die Sexualerziehung zu dem Erziehungs- und Bildungsauftrag der staatlichen Schulen gehört. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht deutlich Grenzen gezogen. Zitat: „Aufgrund der Vorschriften des Grundgesetzes können die Eltern allerdings die gebotene Zurückhaltung und Toleranz bei der Durchführung der Sexualerziehung verlangen. Die Schule muss den Versuch einer Indoktrinierung der Schüler mit dem Ziel unterlassen, ein bestimmtes Sexualverhalten zu befürworten oder abzulehnen.“ Dem Bundesverfassungsgericht ging es also darum, die Eltern zum Anwalt einer toleranten, sensiblen und damit breit aufgestellten Sexualerziehung in der Schule zu machen. Die Indoktrinierung einer bestimmten Richtung, zum Beispiel einer sogenannten AfD-Kernfamilie,

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Das ist gut! Das gefällt mir! Achtung, Sarkasmus!)

sollte auch durch die Einflussnahme der Eltern ausgeschlossen werden, explizit ausgeschlossen werden. Die AfD beruft sich auf den Satz des Bundesverfassungsgerichts: Sie, die Schule, „muss allgemein Rücksicht nehmen auf die religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen der Eltern, soweit sie sich auf dem Gebiet der Sexualität auswirken“.

Was heißt dieser Satz? Gewiss kann man ihn so auslegen, dass die Schule auf die weltanschaulichen Überzeugungen auch von AfD-Eltern der sogenannten Kernfamilie Rücksicht nehmen soll. Ja, das stimmt. So kann man das deuten. Aber doch nicht nur. Sie muss in demselben Umfang auf die Überzeugung und Weltanschauung anderer Eltern Rücksicht nehmen – und sie sind in der Minderheit –,

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

die vielleicht in einer Patchworkfamilie oder einer heterosexuellen oder gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft leben, alleinerziehend sind oder

in ganz anderen normalen Lebensumständen sind. Auch das ist im Übrigen Artikel 1 des Grundgesetzes: die Würde des Menschen.

Dies alles zusammendenkend ergibt sich: Sachgerecht ist allein eine pluralistische Rücksichtnahme und das Verbot irgendeiner Indoktrinierung durch ein Gesetz, genauso wie es das Bundesverfassungsgericht gesagt hat und wie es unser gegenwärtiges Schulgesetz in § 47 bestimmt.

Ich sage jetzt noch mal zum Schluss, warum wir als Fraktion Die Linke das auch ablehnen: Als ich das das erste Mal gelesen habe, habe ich mich wirklich gefragt, ob Herr Globke bei Ihnen in der Fraktion sitzt und mittlerweile wieder Gesetze schreibt. Ich will mal das Zitat aus der Begründung bringen. Und nur damit jeder weiß, wer Herr Globke war: Das war – und ich meine das völlig im Ernst – der Kommentator zu den Nürnberger Rassegesetzen. Zitat: „Zum Zweck der Aufklärung und der Prävention sollen Probleme und Gefährdungen wie beispielsweise durch ‚Grooming‘, ‚Loverboys‘ oder solche, die aus interkulturellen Beziehungen erwachsen können, im Rahmen der Familien- und Sexualerziehung vermittelt werden.“ Das ist purer Rassismus!

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist purer Rassismus, den Sie hier in ein Gesetz schreiben wollen. Das gab es in Deutschland schon einmal. Und Sie eifern dem nach. Schande über Sie! Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der SPD hat Abgeordneter Dr. Hartung das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Frau Muhsal hat hier davon geredet, dass man durchaus ein Leitbild haben kann. Ich habe ein Leitbild. Mein Leitbild heißt, dass Kinder und Jugendliche die Schule verlassen, ohne dass sie in irgendeine Rolle gedrückt worden sind, sondern mit der Fähigkeit, all ihre Potenziale zu entfalten. Sie sollen in der Schule nicht die Angst vermittelt bekommen, dass sie irgendwann feststellen, dass sie vielleicht homosexuell sind, sie sollen nicht eine Angst davor vermittelt bekommen, dass sie vielleicht nicht in das typische Rollenklischee à la AfD passen. Genau das, die Entwicklung der jungen Leute zu selbstbestimmten Menschen, das sollte Schule eigentlich leisten.

(Abg. Wolf)

Das Leitbild der AfD – Mutter, Vater, Kind, Kinder – ist nicht nur unheimlich bigott und ein Stück weit auch aus der Zeit gefallen, es stößt auch auf praktische Grenzen. Zum Beispiel wenn man sich betrachtet, dass etwa 4 bis 10 Prozent aller Kinder in solch einer Ehe Kuckuckskinder sind, also nicht vom Ehemann stammen, mit dem höchsten Risiko beim ersten und beim letzten Kind, dann muss ich mich fragen: Wie will man das denn in der Schule vermitteln? Wie soll das denn vermittelt werden? Und wenn man weiter geht und sagt: Okay, diese Kuckuckskinder werden in der Regel dann durch Zufall festgestellt und wir müssen den jungen Leuten dann auch irgendwo Rede und Antwort stehen, sie haben am Ende ein Recht zu wissen, wer der Vater ist, dann muss auch hier ein Weltbild ins Wanken geraten, sodass wir den Schülern gar nicht erst beibringen sollten, dass das Richtige Vater, Mutter und Kind ist, sondern ein freies, selbstbestimmtes Leben.

Frau Muhsal hat hier auch noch angesprochen, dass Schwangerschaft nur im Zusammenhang mit Verhütung und der Vermeidung sexuell übertragbarer Krankheiten aufgeführt wird. Das ist richtig und das hat auch seine Gründe. In den USA ist es zum Beispiel anders. Da wird über Sexualität kaum unterrichtet, da wird dieses Weltbild vermittelt. Die Rate der ungewollten Teenager-Schwangerschaften ist in den USA viermal so hoch wie in Deutschland. 4 Prozent aller jungen Frauen, aller heranwachsenden Frauen in den USA werden während ihrer Schulzeit schwanger. In Deutschland ist es nur 1 Prozent. Das ist ein Erfolg. Und wenn wir die sexuell übertragbaren Krankheiten anschauen, dann ist die Rate – zum Beispiel des Trippers oder Gonorrhö – in den USA 50-mal höher als in Deutschland. 50-mal! Und auch das ist meines Erachtens ein Erfolg sexueller Aufklärung. Es ist ein Erfolg der Kampagne, dass man schon Schülern beibringt: Passt auf, das ist nicht ganz ungefährlich. Und am Ende wird das dann hier mit einer lebensfeindlichen Auffassung in Verbindung gebracht. Die Geburtenrate in den USA ist nicht wesentlich höher als in Deutschland. Das heißt, wir bringen unseren jungen Menschen bei, verantwortlich umzugehen, vielleicht später Kinder zu bekommen, nicht ungewollt schwanger zu werden – und das ist ein Erfolg und das kann Schule tatsächlich leisten. Deswegen ist das, was dieses Gesetz von der AfD erreichen möchte, nicht erstrebenswert. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt eine weitere Wortmeldung der Abgeordneten Muhsal, Fraktion der AfD.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Rothe-Beinlich, eines gestehe ich Ihnen zu: Im Feindbilderzeichnen sind Sie wirklich spitze.

(Beifall AfD)

Sie sind nicht auf das eingegangen, was ich gesagt habe, sondern zeichnen einfach ein Bild und tun so, als ob unser Gesetzentwurf ein Misstrauen gegen Lehrer beinhalten würde.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ich bin Ihren Gesetzent- wurf durchgegangen!)

Das tut er selbstverständlich nicht, Frau RotheBeinlich. Ich möchte das schärfstens zurückweisen und insbesondere darauf hinweisen, dass es auch vollkommen widersinnig ist, wenn wir in den Gesetzentwurf hineinschreiben, dass der Fachlehrer den Sexualunterricht macht, weil er der beste Ansprechpartner dafür ist, dann daraus ein Misstrauen zu konstruieren, das ist vollkommen verkehrt.

(Beifall AfD)

Worum es uns geht – und das möchte ich noch mal betonen – ist, Lobbygruppen herauszuhalten, Kindern, Lehrern, Eltern Sicherheit zu geben.

Akzeptanz und Toleranz haben Sie angesprochen, Frau Rothe-Beinlich. Ich möchte noch mal darauf hinweisen: Akzeptanz heißt, dass man etwas gut finden muss. Toleranz heißt, dass man es grundsätzlich gar nicht unbedingt bewerten muss, bewerten kann, aber dass man auf jeden Fall toleriert, dass andere Menschen wie auch immer leben. Und das ist selbstverständlich so. Selbstverständlich sollte Toleranz in der Schule auch vermittelt werden. Aber Akzeptanz, das geht zu weit.

(Beifall AfD)

Herr Wolf, Ihnen möchte ich eigentlich nur mitgeben: Schlagen Sie vielleicht mal nach, was ein Leitbild ist.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Tolerieren oder akzeptie- ren, oder was?)

Ein Leitbild schließt nicht aus, dass es auch andere Dinge neben dem Leitbild gibt. Eigentlich ist das auch allen, glaube ich, außer Ihnen klar.

(Abg. Dr. Hartung)

(Zwischenruf Abg. Wolf, DIE LINKE: Wo ha- ben Sie denn Ihr juristisches Staatsexamen gemacht?)

Zu Ihrem – ich glaube, Rassismus haben Sie sogar gesagt – Vorwurf: Ich weiß nicht, in welcher Welt Sie leben. Ich glaube, es hilft, mal über den Tellerrand zu gucken, in andere Kulturen reinzugucken und sich da mal anzuschauen, wie Frauen dort leben, wie Männer dort leben. Wenn Sie Lust auf Abenteuer haben, können Sie ja einfach mal versuchen, sich beispielsweise in einem islamischen Land als Frau auszugeben und sich so freizügig geben, wie man das heutzutage hier kann, und gucken einfach mal, was passiert.

(Zwischenruf Abg. Wolf, DIE LINKE: Sie sind eine Rassistin!)

(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Ordnungsruf, Frau Präsidentin!)

Und dass unterschiedliche Kulturen einen anderen Blick auf Frauen haben, ist, glaube ich, auch jedem Menschen auf der Straße bekannt. Einige Beispiele möchte ich geben, wo das leider alles nicht ganz so geklappt hat. Dezember 2017: 15-Jährige wird von ihrem aus Afghanistan stammenden Exfreund im Drogeriemarkt erstochen;

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ändert man mit Ihrem Ge- setz?)

Dezember 2017: 16-jähriger Afghane verletzt 17jährige Exfreundin lebensgefährlich;

(Zwischenruf Abg. Hennig-Wellsow, DIE LIN- KE: Zum Thema!)

Dezember 2017: 19-jähriger Deutsch-Kenianer gesteht Mord an 17-jähriger Exfreundin oder 17-jähriger Freundin; Januar 2018: Syrier sticht 18-jährige Exfreundin nieder;

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das kann man mit Deut- schen genauso machen! Jetzt kommen Sie mal klar, Frau Muhsal!)

Juli 2019: Urteil gegen 22-jährigen Iraker wegen Mordes an 14-jähriger Freundin. Wenn Sie mir erzählen wollen, dass das nichts mit der Kultur zu tun hat, mit dem Frauenbild, mit dem manche Leute hierherkommen, dann leben Sie, glaube ich, hinter dem Mond, Herr Wolf.

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Dittes, DIE LINKE: 85 Pro- zent der Sexualstraftaten werden von Deut- schen begangen!)